Edmund Stoiber und das nationalsozialistische Schächtverbot

26.03.2002

Seit Jahrzehnten kämpfen Tierschützer für die Aufnahme des Tierschutzes ins Grundgesetz. Regelmäßig aber scheiterten die parteiübergreifenden Initiativen im Bundestag an der notwendigen Zwei-Drittel-Mehrheit, weil die Stimmen aus dem Unionslager fehlten.

Die Regierung ist jetzt von ihrem ursprünglichen Entwurf abgekommen, mit einer Verfassungsergänzung durch einen Artikel 20b: "Tiere werden als Mitgeschöpfe geachtet. Sie werden vor nicht artgemäßer Haltung, vermeidbaren Leiden und in ihren Lebensraum geschützt." Nach dem Gesetzentwurf der rot-grünen Koalition soll stattdessen der Artikel 20a des Grundgesetzes um die Passage "und die Tiere" erweitert werden. Damit würde er vollständig lauten: "Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung."

Es gibt zwar Tierschutzgesetze, nach denen Tiere als leidens- und empfindungsfähige Lebewesen vor unnötigen Leiden und Schmerzen zu schützen seien. Zahlreiche Gerichtsurteile zeigten aber, ohne verfassungsrechtliche Verankerung des Tierschutzes ist die rechtliche Umsetzung dieses geltenden Tierschutzgesetzes nicht ausreichend gesichert. Die Aufnahme ins Grundgesetz würde ein Gegengewicht zu vorbehaltlos garantierten Grundrechten, wie die Freiheit von Forschung, Lehre, Kunst und Religion, bilden.

Nun hat auch die Union Bereitschaft zur Verfassungsänderung, zum Vorteil des Tierschutzes, gezeigt. Grund sei aber nicht der neue Gesetzentwurf, sondern das neueste Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Aufhebung des Schächterverbots.

Der "Bild am Sonntag" sagte Edmund Stoiber: "Das Thema Tierschutz bewegt zunehmend viele Menschen. Die Bürger sind zu Recht empört, wenn Tiere gequält und misshandelt werden oder vermeidbaren Leiden ausgesetzt werden." Die Tierschutzgesetze allein reichten nicht mehr aus, um die Bedeutung des Tierschutzes deutlich zu machen. "Das kann meines Erachtens nur durch eine Regelung in unserer Verfassung geschehen", sagte Stoiber. Laut "Spiegel" begründete Stoiber seinen Meinungswandel mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Schächten.

Wenn es um muslimische Bräuche geht, sehen die Unionspolitiker, mit Stoiber an der Spitze, rot, - blutrot. Daher fällt es ihnen leicht die herkömmlichen Interessen der Agrarlobby auf der Stelle zu schächten, zum Vorteil des sogenannten Tierschutzes. Damit stellen sie sich in einen höchst brisanten historischen Kontext hinein: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war in Deutschland das Schächten als Schlachtmethode nach jüdischem Ritus weithin erlaubt. Nachdem der Nationalsozialismus im Deutschen Reich an die Macht gekommen war, gingen immer mehr Länder dazu über, das Schächten zu verbieten. Deutschlandweit wurde der Zwang, warmblütige Tiere vor der Schlachtung zu betäuben, durch das Gesetz über das Schlachten von Tieren vom 21. April 1933 (RGBl I S. 203) eingeführt, das das Ziel verfolgte, den jüdischen Teil der Bevölkerung in seinen religiösen Empfindungen und Gebräuchen zu verletzen. Stoiber wird im Zusammenhang mit dem palästinensisch-israelischen Konflikt nicht müde zu erklären, Deutschland müsse sich mit seiner Außenpolitik seinem geschichtlichen Erbe bewußt sein. Es wäre sehr wünschenswert, wenn Stoiber nur einen Funken historischen Bewußtseins von der langen und katastrophalen Geschichte der deutschen Intoleranz gegenüber Minoritäten hätte, die mit der CDU/CSU leider immer noch in die Gegenwart hineinragt.