Arbeitszeit und Überstunden

24.01.2002

Der klassische Acht-Stunden-Arbeitstag von Montag bis Freitag wird immer mehr zur Ausnahme. In einer repräsentativen Arbeitszeitstudie gaben 70 Prozent von 2500 befragten Unternehmen an, dass ihre wöchentliche Betriebszeit in der Regel die vertragliche oder tarifliche Wochenarbeitszeit überschreite. 1990 waren es erst 57 Prozent.

Weiter zugenommen haben der Studie des Kölner Sozialforschungsinstituts "iso" zufolge auch die Anzahl der Überstunden, die Samstagsarbeit und unregelmäßige Arbeitseinsätze. Nach Angaben der Unternehmen sind im vergangenen Jahr etwa 1,8 Milliarden bezahlte Überstunden geleistet worden. In 18 Prozent aller Unternehmen wird regelmäßig Sonntags gearbeitet. Das betrifft 11 Prozent der Beschäftigen. Samstagsarbeit wird in 45 Prozent aller Betriebe regelmäßig geleistet.

Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit hatten in den vergangenen Monaten die hohen Überstundenzahlen mehrfach für Schlagzeilen gesorgt. Die Arbeitgebervertreter wollten nicht darauf verzichten, mit der Begründung, daß qualifizierte Mitarbeiter weiterhin rar seien. Gewerkschaftsvertreter gingen ihrerseits so weit, von der Politik eine gesetzliche Beschränkung der Überstunden zu verlangen. Die deutsche Rechtslage ist nämlich in dieser Frage recht lückenhaft. Die regelmäßige werktägliche Arbeitszeit ist auf maximal acht Stunden festgelegt worden, den Überstunden wird aber keine Grenze nach oben gesetzt.

Der Bundeskanzler Gerhard Schröder möchte sich am liebsten aus dem Streit heraushalten, um die Arbeitgeber nach der Durchsetzung des neuen Betriebsverfassungsgesetzes nicht weiter zu verprellen. Er verweist daher auf die Tarifautonomie. Und doch geht es hier - im Unterschied zur Betriebsverfassung - gerade nicht um eine wirtschaftliche Frage, sondern um eine Rechtsfrage. Die Arbeitszeit sollte nicht vom Zustand der Gewerkschaftskassen, sondern von der gesamtstaatlichen demokratischen Mehrheit abhängen. Dabei geht es nicht nur um eine Begrenzung nach oben, sondern auch nach unten, dies allerdings nicht im Sinne irgendwelchem Arbeitszwang. Die vom Staate - nach Beruf und Lebenssituation differenzierten - festgelegten minimalen und maximalen Arbeitszeiten dienen als Grundlage zur Einkommensberechnung. Wer partout nicht arbeiten will, ist dann auf die Spendebereitschaft anderer Menschen angewiesen.

Mit diesem Ansatz unterscheidet sich die soziale Dreigliederung sowohl von der aktuellen Praxis, wie von heutigen Überlegungen zur Schaffung eines staatlich garantierten Grundeinkommens. Daß die Idee eines solchen Grundeinkommens gerade bei manchen Dreigliederern auf Zustimmung stößt, liegt daran, daß Rudolf Steiner sich für eine radikale Trennung von Arbeit und Einkommen ausspricht. Genauer gesagt geht es bei ihm - und damit bei der sozialen Dreigliederung - um eine Trennung von Arbeitsfähigkeit, Arbeitswillen und Einkommen beziehungsweise Profit. Trennung meint nämlich bei ihm immer Gliederung zwischen Geistesleben, Rechtsleben und Wirtschaftsleben.

Zu einem richtigen Arbeitswillen kommt es demnach erst durch die erwähnte demokratische Bestimmung der Arbeitszeit und nicht schon durch das Einkommen. Nur unter dieser Bedingung können die voll ausgebildeten individiduellen Fähigkeiten auf Dauer zur Tätigkeit befeuern. Sie bilden sonst nur kurzfristig einen Ersatz für den Erwerbstrieb. Das Engagement wird zum Strohfeuer. Dann folgt die Ernüchterung und die Suche nach Steinerzitaten über die Trennung von Arbeit und Einkommen. Unter solchen Bedingungen möchte nämlich keiner mehr arbeiten.

Dies haben die Arbeitgebervertreter wohl noch nicht verstanden. Sie wehren sich stattdessen gegen eine Beschränkung der Überstunden mit dem Argument, daß ihre wenigen hochmotivierten Mitarbeiter nicht gebremst werden dürfen. Schon verständlich, es fragt sich nur warum es so wenige sind. Würde man ihnen - statt den Politikern - die Lenkung des Bildungswesens überlassen, würden es noch weniger sein.