Die Harkis als Nationalisten ohne Nation

30.08.2001

Als die französische Armee sich 1962 nach einem jahrelangen Krieg aus Algerien zurückzog, ließ sie auf Befehl der französischen Regierung ihre algerischen Helfer - die sogenannten Harkis - zurück. Mehrere zehntausend dieser Harkis wurden dann zusammen mit ihren Familien von den algerischen Siegern hingerichtet. Nur wenige überlebten und konnten nach Frankreich flüchten, wo man sie eigentlich nicht haben wollte. Man brauchte sie einfach nicht mehr. Algerien war doch zur eigenen Nation geworden. Was sollte man mit Leuten anfangen, die ihr eigenes Land verraten hatten. Und noch dazu Araber.

Nach so vielen Jahren haben sich nun Harkis entschlossen, vor dem Pariser Landgericht eine Menschenrechtsklage wegen des erlittenen Unrechts einzureichen. Die Klage gegen Unbekannt, die sich gleichermaßen gegen Frankreich und Algerien richtet, lautet auf "Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Ihr eigentliches Ziel: Paris soll gestehen, sie am Ende des Algerienkrieges verraten zu haben.

Man kann sich fragen, was sich die Harkis von einem solchen Geständnis versprechen. Geld wohl kaum. Ihnen geht es auch nicht darum, Frankreich an den Pranger zu stellen. Viele Harkis sind nämlich - wie die französischen Widerstandskämpfer im Zweiten Weltkrieg - überzeugte französische Nationalisten. Auf ein Frankreich, das seine Schuld nicht bekennt, können sie aber nicht stolz sein. Ihre Klage ist daher ein verzweifelter Versuch, ihren Nationalismus zu retten. Sie haben keinen sehnlichsten Wunsch, als sich wieder mit Frankreich identifizieren zu können.

Wenn ihnen dieser Wunsch bisher nicht erfüllt wurde, so liegt es aber gerade daran, daß die meisten Franzosen sich auch gern mit Frankreich identifizieren möchten. Und dies wäre um einiges leichter, wenn es den Algerienkrieg gar nicht gegeben hätte. Im Namen der französischen Staatsräson wurden damals algerische Widerstandskämpfer grausam gefoltert und hingerichtet. Nicht umsonst sehen noch heute französische Soldaten bei den algerischen Kriegs-Comics so aus wie deutsche Nazis bei den französischen. Dies ist es gerade, was den Harkis später das Leben gekostet hat - der jahrelang angehäufte Haß auf die Franzosen. Und das Schlimmste für französischen Nationalisten: Der Krieg ist verloren worden.

Eigentlich sollten die Franzosen erst einmal gestehen, sich selbst - als Menschen - verraten zu haben. Der Algerienkrieg selber, und nicht nur der Verrat an den Harkis, ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewesen. Nicht nur deswegen, weil versucht wurde, die Algerier, die keine Franzosen mehr wollten, zu zwingen, Franzosen zu bleiben oder weil die Algerier, die - wie die Harkis - Franzosen bleiben wollten, zuletzt im Stich gelassen wurden. Dies ist nur ein Verbrechen gegen eine bestimmte Idee der Nation gewesen. Das eigentliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit lag in der Überzeugung, daß die Nation über dem einzelnen Menschen steht. Die Klage sollte sich daher gegen alle Nationalisten richten, seien sie Franzosen, Algerier - oder Harkis.