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Jiang Zemin und die chinesische Stabilität
Jiang Zemin sollte sich in Deutschland zu Hause fühlen und die öffentliche Kritik an den Menschenrechtsverletzungen in China trotzdem erlaubt werden. Dieses Ziel hatte sich die deutsche Regierung beim Besuch des chinesischen Premiers gesetzt. Das Ergebnis war zum Teil skurril.
Protestaktionen mussten mehrere hundert Meter entfernt von den Stationen Jiangs stattfinden. Amnesty International durfte am Dienstag zwar vor dem Roten Rathaus demonstrieren, das Gebäude, in dem sich der Gast gerade aufhielt, aber nicht beschallen. Zwischen Mahnwache und Rathaus wurden außerdem Polizeibusse als Sichtschutz gefahren. Regierungstreue Chinesen hingegen durften unverdeckt Fahnen schwenken und Transparente zeigen. Sogar eine gemeinsame Pressekonferenz mit Bundeskanzler Gerhard Schröder wurde von Jiang Zemin strikt abgelehnt. Journalisten hätten ja kritische Fragen zum Thema Menschenrechte stellen können.
Bundesregierung und die Regierungsparteien betonen unisono, Zusammenarbeit und Dialog seien besser als öffentlich vorgetragene polemische Kritik an China. Amnesty wirft ihnen deshalb eine Politik der "Leisetreterei" vor. Andere Kritiker beklagen, die rot-grüne Regierung stelle wirtschaftliche über humanitäre Interessen.
Unbestritten ist, dass die Bundesrepublik es sich mit China nicht verderben will, gewinnt das Land für die deutsche Industrie doch zunehmend an Bedeutung. Nicht zuletzt Projekte wie der Export des Transrapids, die VW- Produktion oder die Beteiligung deutscher Firmen am Telekommunikations- und Energiemarkt in China zeigten dies in jüngster Vergangenheit. Die Bundesrepublik ist Chinas wichtigster Handelspartner in Europa. Und die chinesische Ökonomie wird nach Prognosen in den kommenden zwei Jahren ein Wachstum um sieben Prozent erzielen - davon wollen auch deutsche Firmen profitieren.
SPD und Grüne, nach dem Machtwechsel mit hehren humanitären Ansprüchen angetreten, weisen die Vorwürfe der Menschenrechtsgruppen zurück. Grünen-Chefin Claudia Roth meint, mit der rot-grünen Regierung sei "die Phase des diplomatischen Schweigens und Nichtstuns überwunden worden". Das mag wohl stimmen. Aus der Regierung hieß es aber, China habe in der Frage der Menschenrechte Fortschritte gemacht. Davon kann man wirklich nicht reden. Nicht nur Amnesty International beobachtet eine Zunahme schwerer Menschenrechtsverletzungen.
Politikern wie Jiang Zemin ist alles Recht, was in ihren Augen zum Schutz der Stabilität Chinas beitragen kann. Dazu gehört neben einer immer stärkeren Sektenverfolgung auch die häufige Verhängung der Todesstrafe. Sie trifft nicht nur etwa Mörder, sondern auch korrupte Funktionären. Die sogenannten sozialen Menschenrechte - wie zum Beispiel das Recht auf Ernährung und Wohnung - werden über die geistigen Menschenrechte gestellt. Den Vereinigten Staaten wird wegen deren Millionen Armen vorgeworfen, Menschenrechte zu mißachten.
Der Vorwurf stimmt. Symptomatisch dabei ist, daß China gar nicht über die noch größere Anzahl Menschen spricht, welche in der ganzen Welt durch die amerikanische Handelspolitik ruiniert worden sind. Dies gehört eben zu den Prinzipien der chinesischen Regierung: Verantwortlich ist man nur für die eigene Bevölkerung, so auch die Vereinigten Staaten.
Ist das aber ein Grund, um die geistigen Menschenrechte einfach zu vertagen? Hier zeigt sich wieder einmal, daß der Mensch auf dieser Erde noch nicht so allgemein-menschlich ist, wie er es sein könnte. Diese Art, Menschenrechte gegeneinander auszuspielen, zeugt von einer instinktiven Vorliebe für die Brüderlichkeit bei den einen und für die Demokratie bei den anderen. Und wie alles Instinktive beim Menschen gerät es jeweils zur Karikatur. Die staatlich organisierte Brüderlichkeit führt zur Verarmung und die wirtschaftlich manipulierte Demokratie zur Korruption. Was fehlt, ist die Glaubwürdigkeit über die eigenen Instinktgrenzen hinaus. Werden diese Instinkte nicht durch eine soziale Dreigliederung überwunden, werden sie auf Dauer zur Bildung von drei Weltblöcken führen. Globale Dreiteilung statt Dreigliederung.