Zwischen Kopftuchzwang und Kopftuchverbot

21.11.2000

Vor dem deutschen Bundesverfassungsgericht hat heute die Verhandlung über die Beschwerden zweier iranischer Asylbewerberinnen begonnen. Die bayerischen Behörden wollen von den Frauen gegen deren Willen Paßfotos mit Kopftuch anfertigen. Beide waren mit ihrem Asyl-Antrag gescheitert und sollten abgeschoben werden. Iran läßt aber Frauen nur einreisen, wenn ihr Paß ein Foto mit Kopftuch aufweist. Die Stadt Nürnberg wollte die beiden Frauen deshalb zwangsweise mit Kopftuch fotografieren lassen. Die Iranerinnen sehen darin eine Verletzung ihrer Religionsfreiheit und ihrer Menschenwürde. In einem anderen Fall hatte die Stadt ein solches Zwangsfoto durchgesetzt. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof erklärte die angedrohte Zwangsvorführung beim Fotografen grundsätzlich für rechtens. Daraufhin riefen die Iranerinnen das Bundesverfassungsgericht an. Dessen Urteil wird frühestens in einigen Wochen erwartet.

Während der Streit sonst um muslimische Lehrerinnen geht, die ihr Recht zum Tragen eines Kopftuches gegen die deutschen Schulämter einklagen müssen, ist diesmal alles anders. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof verläßt nämlich den Standpunkt des deutschen Grundgesetzes und beruft sich darauf, daß der Kopftuchzwang im Iran nichts mit dem Religionsbekenntnis zu tun hat. Wer sich als Ausländer dort aufhält, muß auch dann einen Kopftuch tragen, wenn er sich nicht zum Islam bekennt. Dahinter steht eine Religionsauffassung, die einen zunächst befremdet, aber nicht nur Nachteile hat. Nicht umsonst waren die mittelalterlichen Muslime bei weitem toleranter als die damaligen Christen, solange sie sich konsequent an dieses Prinzip gehalten haben. Wem die Außenwelt als Ausdruck der Religion gilt, läßt es anderen Menschen schon eher frei, ihre eigene Innenwelt zu pflegen.

Was pauschal als islamischen Fundamentalismus abgetan wird, ist eigentlich in sich widersprüchlich. Zu der älteren Religionsauffassung, die sich durchaus mit einer inneren Religionsfreiheit vertragen kann, kommt leider eine modernere Auffassung hinzu, die fremde Innenwelten nicht duldet. Beides zusammen sind erst das Ende jeder Religionsfreiheit. Diese Art des Fundamentalismus ist es, die im Iran praktiziert wird. Auch wenn bayerische Richter uns etwas anderes glauben lassen möchten. Hoffentlich gelingt es den Verfassungsrichtern diesmal, sich von diesen beiden Religionsauffassungen völlig zu befreien. Dies brauchen sie, um sowohl das in Deutschland übliche Kopftuchverbot für Lehrerinnen als auch das vom Iran aus importierte Kopftuchzwang abzuschaffen. Bis dahin werden Iranerinnen wohl lieber nach den Vereinigten Staaten als nach Deutschland flüchten müssen.