Jerusalem als internationale Hauptstadt

24.09.2000

Der israelische Ministerpräsident Ehud Barak und der palästinensische Präsident Jassir Arafat sollen sich noch in dieser Woche zu Spitzengesprächen über den Nahost-Friedensprozess treffen, um die gescheiterten Verhandlungen in Camp David weiterzuführen. Dass beide eine Komplettlösung anstreben ist deutlich. Der Berater vom Palästinenserpräsident Jassir Arafat, Nabil Abu Rudeineh, lehnte in der Tageszeitung "Jerusalem Post" vom 24.09.2000 ein Teilabkommen ohne Lösung des Streits um Jerusalem ab. "Wir haben den Amerikanern erklärt, dass wir nach einer Beendigung des Konflikts zwischen uns und den Israelis suchen. Wir brauchen dafür eine Lösung, die für die große Mehrheit der Palästinenser akzeptabel ist. Andernfalls wird hier alles explodieren", sagte Rudeineh. Der israelische Ministerpräsident Ehud Barak seinerseits erklärte, er sei gegen ein neues Überbrückungsabkommen, bei dem Israel weitere Territorien und andere Güter und Rechte an die Palästinenser übertrage, "ohne etwas Greifbares dafür zu bekommen". Arafat dürfe nicht gestattet werden, "die schwierigen Entscheidungen zu vermeiden, auf die wir alle warten". Deshalb sei es entscheidend, alle Chancen für ein Abkommen zu nutzen, das "alle oder die meisten Streitpunkte löst", erklärte der Ministerpräsident.

Mittlerweile ist aber auch ein Lösungsansatz gefunden worden, um den Streit auszuhebeln. Der Vorschlag aus israelischen oder amerikanischen Kreisen schlägt zur Wiederankurbelung des stockenden Nahost-Friedensprozesses die Kontrolle des Tempelbergs in Jerusalem durch die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates vor. Wie die israelische Zeitung "Haaretz" am 22.09.2000 berichtete, forderte Ministerpräsident Ehud Barak den französischen Staatschef Jacques Chirac auf, dem Vorschlag zum Durchbruch zu verhelfen. Frankreich spiele als ständiges Mitglied des Sicherheitsrates und derzeitiger EU-Ratspräsident eine wichtige Rolle. In einem Telefonat legte Barak dem französischen Präsidenten demnach dar, dass er gegen eine palästinensische oder islamische Kontrolle über den Tempelberg sei. Für eine UN-Aufsicht über die Heiligen Stätten von Juden und Moslems in Ost-Jerusalem machen sich der Zeitung zufolge außer Chirac unter anderem die USA, Ägypten und der UN-Generalsekretär Kofi Annan stark. In ersten Stellungnahmen lehnten die Palästinenser jedoch diesen Vorschlag ab. Sie haben angeregt, den Ort, auf dem heute zwei der wichtigsten Moscheen des Islam stehen, unter "islamische Hoheit" zu stellen, was wiederum Israel zurückweist. Für die Juden ist der Berg, unter dem die Reste ihres im Jahr 70 zerstörten Tempels liegen, neben der Klagemauer das wichtigste Heiligtum ihrer Religion. Nichtsdestotrotz reiste der israelische Außenminister Ben-Ami am 24.09.2000 zu Gesprächen mit dem ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak und Außenminister Amre Mussa nach Kairo. Anschließend wollte er in Amman Jordaniens König Abdullah II. aufsuchen. Ben-Ami will dort in Erfahrung bringen, wie die arabische Welt zu dem jüngsten Kompromissvorschlag steht, den Tempelberg - für die Moslems "Haram el Scharif" (Edles Heiligtum) - unter die Hoheit des UN-Sicherheitsrats zu stellen.

Endlich scheint der richtige Ansatz für einen Frieden im Westjordanland durch eine Internationalisierung des umstrittenen Jerusalem gefunden worden zu sein. Schade ist aber, dass es hier nur um ein paar Mauerbroken geht; um den Tempelberg. Seit Camp David hat sich offenbar der Wille zur Teilung der Altstadt von Jerusalem bei den Streitparteien eingestellt. Es wäre aber tragisch, eine neue Stadtmauer quer durch die Altstadt zu ziehen. Jerusalem ist ein einheitlicher Organismus, der nicht geteilt werden sollte, und ist die internationale Stadt par exellence. 5 Weltreligionen (Judentum, orthodoxes, katholisches und protestantisches Christentum und Islam), und eine Unzahl freier Religionsgemeinschaften haben in Jerusalem ihre geistige Heimstätte, und Jerusalem bietet neben Repräsentanten aus fast der ganzen Welt 4 Ethnien Raum: Christlichen und muslimischen Arabern, orthodoxen Armeniern und Juden. Es wäre deshalb mindestens die gesamte Altstadt, aus christlichen Gesichtspunkten auch der Ölberg, aus pragmatischem Grunde auch das unmittelbare Umland mit jüdische Streusiedlungen und die "Hebräische Universität" in einer internationalen Zone mit zu integrieren. Jerusalem soll Antithese zur "clash of civilizations" sein.

Die Art von "Internationalisierung" ist aber neben dem zu kleinen Bereich, ein Problem an sich. Es ist von einer Aufsicht die Rede. Damit wird die völkerrechtliche Perspektive ausgeblendet. Aber gerade die Lösung aller Souveränitätsfragen ist im Moment der Leitsatz. Es soll bei der Jerusalemfrage nicht um die "Bewachung bis auf weiteres" von toten Steinen durch UN-Soldaten, sondern um eine gesellschaftliche Gestaltung für die Bewohner Jerusalems gehen. Der Vorschag ist vielleicht auch deshalb für die Palästinenser nicht annehmbar, weil von der direkten Kontrolle durch die Länder des Sicherheitsrats (und nur indirekt durch UN) die Rede ist. Das ist insofern ein trojanisches Pferd, weil damit die USA und indirekt auch Israel die Kontrolle über den Tempelberg erlangen können.