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Warum der Eigentümer den Boden hackt
Quelle
Heft „Forschungsstudium Soziale Dreigliederung“
Nr. 4, pflügen, Juli 2025, Seite 10–11
Bibliographische Notiz und Zusammenfassung
Es ist heute üblich, dass Bauern eine Nutzungsgebühr für den Boden an dessen Eigentümer zahlen: die Pacht. [1] Wer durch Kauf zum Eigentümer einer Fläche geworden ist, will den Kaufpreis wieder hereinbekommen. Und da der Boden es ermöglicht, Lebensmittel anzubauen, bietet er ihn gegen einen Pachtpreis einem Bauern an, der die Nachfrage nach nutzbarem Boden hat, ihn aber nicht selbst kaufen kann. Dass der Bauer zu dieser regelmäßigen Zahlung bereit ist, zeigt uns den tatsächlichen Wert der Bodennutzung. Die Situation erscheint als nüchterne wirtschaftliche Angelegenheit, bei der sich Angebot und Nachfrage in einem freien Vertrag zusammenfinden.
Doch mit welchem Recht kann sich der Eigentümer die Verfügungsgewalt über einen Teil unserer Erde sichern? Vielleicht ist der Bauer schon lange mit diesem Ort verbunden, hat ihn sorgsam bebaut und gepflegt. Nur hat er die Pacht eben bisher an einen anderen Eigentümer gezahlt. Nachdem dieser den Boden verkauft hat, ist nun ein neuer Eigentümer in der Position, dem Bauern die so harmlos wirtschaftlich klingende Frage zu stellen: ‹Was ist dir die Nutzung des Bodens wert ?›
Es gibt Situationen, in denen das Stellen dieser Frage als Erpressung gilt. Wenn sich Hacker Zugang zu den Computersystemen eines Unternehmens verschaffen, diese lahmlegen und für die Freischaltung Geld verlangen, fragen sie damit indirekt: ‹Wie viel bist du bereit, für den ursprünglichen Zustand zu zahlen? Wie nützlich ist es für dich, dass deine Computer funktionieren und deine Daten erhalten bleiben?› Dieser Geldwert kann sehr hoch sein, wenn das Unternehmen seine Systeme über Jahre aufgebaut und wichtige Daten nur digital gespeichert hat. Und doch entstand deren Nützlichkeit nicht im Moment des Hackerangriffs. Die Systeme benutzen zu können, war einfach ein nützlicher Zustand, für den niemand mehr bezahlen musste, weil die Produktentwickler und Techniker bereits bezahlt waren. Jetzt aber muss noch einmal dafür bezahlt werden, die digitale Infrastruktur des Unternehmens wird noch einmal zur Ware gemacht – obwohl sie nicht neu aufgebaut, sondern nur von den Hackern wieder freigegeben werden muss. Wahrscheinlich muss die Firma ihre Produkte verteuern oder ihre Arbeiter schlechter bezahlen, um den künstlichen Preis – das Lösegeld – für diese künstliche Ware zu bezahlen.
Solche Erpressungen sind illegal. Der Staat wird versuchen, die Hacker dazu zu zwingen, den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen – ohne dass jemand Geld dafür bezahlt. Und doch stehlen die Erpresser nicht einfach Geld. Sie bieten etwas an, das für das Unternehmen tatsächlich von unbestreitbar hohem Wert ist. Allerdings etwas, für das sie selbst nichts geleistet haben: das firmeneigene funktionierende Computersystem. Nur durch Gewalt kommen Hacker in die Lage, ein solches ‹Angebot› machen zu können.
Wenn Rechte käuflich sind
In unserer Zeit gibt es die verschiedensten Möglichkeiten, den Preis für etwas an seinem Wert, seiner Nützlichkeit gewaltvoll ‹festzukleben›, und wie der Hacker zu fragen: ‹Na, was ist es dir wert ?› – ohne dass der eigene Aufwand dafür eine Rolle spielt. Es sind all jene Situationen, in denen jemand seine Machtposition ausnutzt, um anderen etwas zu entziehen, was sie für eine gute und effiziente Arbeit brauchen. Was Menschen in eine solche Machtposition versetzt, ist das moderne Eigentumsrecht. [2]
[1] 2023 wurden 60% der deutschen Agrarflächen verpachtet – für insgesamt 4 Milliarden €. Deutscher Bauernverband: Situationsbericht 2024/25, S. 94 ff., https://ogy.de/dbv.
[2] Für Grundlegendes zum Eigentumsrecht vgl. Rudolf Steiner: Die Kernpunkte der Sozialen Frage, GA 23, 7. Auflage 2022, S. 105-119.
[Forschungsstudium, pflügen, Juli 2025, Seite 10]
Es ermöglicht, sich mit Geld die Kontrolle über Unternehmen, Erfindungen, Produktionsmittel oder Boden zu sichern – und sie damit zur ‹Scheinware› zu machen. So können z. B. Aktionäre Dividenden beziehen und Patentinhaber Lizenzgebühren. Auch die Pachteinnahmen des Bodeneigentümers sind nur durch diese Machtposition möglich. Doch gerade am Beispiel des Bodens wird die Absurdität der Frage ‹Was ist es dir wert ?› ganz deutlich. Denn abgesehen davon, dass der Boden niemals hergestellt werden musste, also niemals Ware war: Welche Alternative zum Boden hat der Bauer, um Lebensmittel anzubauen? Höchstens noch den Boden anderer Eigentümer, die weniger verlangen. Wenn aber jemand mit dem aktuellen Eigentumsrecht allen Boden besitzen würde, könnte man beobachten, wie die Frage des Wertes ganz in den luftleeren Raum abheben würde. Er könnte alles von uns verlangen, was wir nur irgend zu leisten vermögen, denn ohne Boden können wir nichts anbauen – und ohne Essen können wir als Menschen nicht leben. Die Frage entblößt damit ganz ihr unmenschliches Gesicht, denn ihr wahrer Inhalt lautet ‹Was ist dir dein Leben wert ?› Es wird deutlich, dass wir uns mit dieser Frage nicht mehr im Bereich der Wirtschaft, sondern des Rechts befinden.
In sein Extrem geführt offenbart das abstrakte Eigentumsrecht, dass es längst zum Unrecht geworden ist und unserem Rechtsempfinden widerspricht. Wenn wir die Grundbedingungen unserer Wirtschaft nicht künstlich zur Ware machen wollen, dürfen Rechte nicht käuflich sein, sondern sich nur als Grundlage auf unser Wirtschaften auswirken. Als Voraussetzung, mit der wir alle rechnen, für die niemand eine Gegenleistung erbringen muss – genauso wie der fruchtbare Boden eine Voraussetzung für unser Leben ist, für die niemand bezahlt werden muss. In den beiden folgenden Texten zeigen Martha und Elisabeth, wie die Interessen der mit dem Boden verbundenen Menschen berücksichtigt werden können und wie Boden ohne Kauf weitergegeben werden kann.
Reale und irreale Kosten
Die Frage: ‹Was ist es dir wert?› ist nur so lange eine reale Frage, wie dahinter die reale Frage steht: ‹Soll ich weiterhin Aufwand dafür betreiben?› Nützliche Dinge müssen nur dann etwas kosten, wenn andere sie mit ihrer Arbeit hervorgebracht haben. Denn mit Geld geben wir demjenigen, der etwas für uns leistet, die Gewissheit, in dieser Zeit von anderen versorgt zu werden. [3] Rechtlich-demokratisch kann dann durchgesetzt werden, dass auch diejenigen mitgetragen werden, die nur wenig oder nichts für andere leisten können. Wer aber willentlich nichts für die Allgemeinheit beiträgt, kann anderen nur durch Zwang eine bereits bestehende Nützlichkeit in Rechnung stellen. Etwa das Privileg, einen von Natur aus fruchtbaren Boden zu nutzen. Welche Auswirkungen solche Zwänge auf unser Wirtschaften haben, versuche ich in dem Artikel Kaufkraft, Leihkraft und Schenkkraft zu veranschaulichen.
Rudolf Steiner weist daraufhin, dass es in früheren Zeiten niemandem plausibel gewesen wäre, für die bloße Nutzbarkeit des Bodens bezahlen zu müssen. Sie gehörte einfach zum Zustand der Welt, mit dem man rechnen konnte. Zu diesem Zustand gehörte aber auch, dass man als Bauer nicht sicher vor Überfällen war. «Nun hatten meist die Feudalherren selber ein Heer, das sie aus den Abgaben unterhielten, und das war zum Schutz des Grund und Bodens.» [4] Die Bauern ernährten dieses Heer durch ihre Abgaben, die jedoch nicht mit der heutigen Zahlung für das bloße Recht der Bodennutzung zu verwechseln sind. Später übernahm der Staat den Schutz vor Überfällen und erhob dafür Steuern. Damit verlor laut Steiner die zusätzliche Abgabe, die «Grundrente», ihren Sinn, «denn derjenige, der jetzt der Großgrundbesitzer war, der brauchte nichts mehr auszugeben zum Schutz von Grund und Boden, dafür war jetzt der Territorialfürst oder der Staat da. Die Grundrente blieb aber doch.» [5]
Heute ist der Eigentümer nicht mehr der Schutzherr des Landes – diese Aufgabe kommt dem Rechtsleben zu. Doch das Eigentumsrecht schützt gegenwärtig nicht die auf den Boden Angewiesenen, sondern in erster Linie diejenigen, die sich durch Kauf in eine Kontrollposition ‹gehackt› haben. Wenn das Recht heute den Zugang zu den Grundlagen unseres Wirtschaftens ermöglichen soll, muss es diese vor jeglichen Überfällen schützen – auch vor den regelmäßigen scheinlegitimen ‹Raubzügen› eines unverantwortlichen Eigentümers. Der Schlüssel dazu ist, den Kauf von Bodenrechten zu verbieten.
[3] Paula zeigt in ihrem Text Lasst das Geld auf dem Acker wachsen! auf, dass die reale Arbeit am Boden sogar die Grundlage des Geldwerts sein könnte.
[4] Rudolf Steiner: Wie wirkt man für den Impuls der Dreigliederung des sozialen Organismus?, GA 338, 5. Auflage 2019, S. 171 f.
[5] Ebd. S. 172.
[Forschungsstudium, pflügen, Juli 2025, Seite 11]