Der Umgang mit Naturressourcen und die essentielle Dreigliederung

01.06.2015

Es gibt, neben der bisher hauptsächlich behandelten funktionellen sozialen Dreigliederung von Geistes-, Rechts- und Wirtschaftsleben, eine – oft vernachlässigte – zweite Dreigliederung, die als essentielle be-zeichnet werden kann. Was ist darunter zu verstehen? In den Kernpunkten der sozialen Frage findet sich der Versuch einer wesensgemäßen Charakterisierung der herkömmlich als Produktionsfaktoren bezeichneten Kräfte Natur, Arbeit und Kapital. Essentialistisch kann diese Gliederung genannt werden, weil Steiner versucht, die Kräfte ihrer je inhärenten Gesetzmäßigkeit nach zu behandeln und jegliche Gleichmacherei vermeidet. Diese essentielle Erfassung der Produktivkräfte erfolgt entlang einer (etwa im ‚Nationalökonomischen Kurs‘ dargestellten) Systematisierung, welche mittels der Kategorien Form und Stoff folgendermaßen beschrieben werden kann: Ökonomische Wertschöpfung erfolgt zum einen, indem Arbeit auf Naturgrundlage angewandt wird, die Arbeit (formgebende Kraft) die Naturgrundlage (Stoff) ergreift und verwandelt. Zum anderen findet Wertbildung statt, indem das Kapital (formgebende Kraft) die Arbeit (jetzt Stoff) organisiert. Während die natürlichen Ressourcen für den Wertbildungsprozess immer den Charakter des Mediums annehmen, eignet der Arbeit ein eigentümlicher Doppelcharakter. Sie ist einerseits die formgebende Kraft, welche die Naturgrundlage verändert, wird andererseits jedoch selbst zum Medium, welches dann vom Kapital überformt wird und dessen vorgegebenen Gesetzlichkeit folgt.

Diese Gliederung der Produktivkräfte kann verglichen werden, mit der menschenkundlichen Dreigliederung von Leib, Seele und Geist. Auch in dieser Gliederung weist die Seele einen eigentümlichen Doppelcharakter auf: Sie will – das ist die Sehnsucht der Seele nach dem Geist – von diesem ergriffen werden. Ein Prozess welcher in den Begriffen der Psychoanalyse als Sublimation gedeutet werden kann. Gleichzeitig wird die Leiblichkeit des Menschen von seelischen Kräften ergriffen und gestaltet. Die essentielle soziale Dreigliederung von Natur, Arbeit und Kapital kann somit als Schichtenmodell verstanden werden, welches in der menschenkundlichen Dreigliederung von Geist, Seele und Leib seine Entsprechung findet. Zugespitzt formuliert: Im sozialen Organismus kommt den natürlichen Ressourcen die Rolle des Leibes, der Arbeit die Rolle der Seele und dem Kapital die Rolle des Geistes zu.

Der Vergleich zwischen sozialem und menschlichem Organismus kann noch weiter gesponnen werden, indem die zurzeit gültige Denk- und Gestaltungslogik dieser Bereiche betrachtet wird. Dem jeweils gültigen Paradigma innerhalb der Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften liegt das Bild der mechanischen Kausalität zugrunde. Dies wird besonders deutlich in der Biologie, welche den Organismusbegriff (wie er etwa noch im 19. Jahrhundert in der spekulativen Naturphilosophie – genannt sei der maßgelblich Repräsentant Lorenz Oken – verwendet wurde) durch mechanische Kausalitäten zu fassen und zu ersetzen trachtet. Ebenfalls gilt dies innerhalb der Psychologie, insonderheit dem dort dominierenden Konzept des Behaviorismus, das menschliches Handeln in ein mechanisches Reiz- und Reaktionsmuster auflöst. Auch in den Geisteswissenschaften findet sich als Leitbild das Modell der Welt als Uhrwerk – eine Metapher, welche eine mechanische Denklogik repräsentiert. Es kann daher konstatiert werden, dass im Paradigmenstreit der Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften ein eigentümlicher Reduktionismus obsiegt hat, der sämtliche Erscheinungen dieser Felder einer mechanistischen Funktionslogik zu unterwerfen versucht.

Dieser Reduktionismus findet sich in ähnlicher Weise in der sozialen Wirklichkeit wieder. Die Produktivkräfte Natur, Arbeit und Kapital werden gleichsam zu Waren reduziert und dann über Märkte allokiert. Hervorzuheben ist, dass diese beiden beschriebenen Reduktionsbewegungen nahezu zeitgleich im 19. Jahrhundert an Dynamik gewinnen und im 20. Jahrhundert ihren Siegeszug angetreten haben. Es kann These formuliert werden, dass die Kommodifizierung, also das zur Ware machen, der Produktivkräfte, erst erfolgen konnte, nachdem sich in den entsprechenden wissenschaftlichen Disziplinen ein mechanistisches Paradigma durchgesetzt hatte. Mit der Kommodifizierung der Produktivkräfte geht also eine Profanisierung der Wissenschaften einher. – Diese These kann auch umgekehrt formuliert werden: Die Befreiung der Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften von der Fesselung an die Mechanik gelingt auch deshalb nicht, weil diese Reduktion im Sozialen – die Kommodifizierung der Produktivkräfte zeigt es – alltäglich erfolgt und der Reduktionismus auf diese Weise einen zwingenden Charakter aufweist.

Kommodifizierung ist für die Masse der Ökonomen ein sehr erwünschtes Resultat, da für sie der Markt per se die effektivste Lösung für jedes ökonomische Problem darstellt und dieser vor allem mittels mathematischer Modellierung beschrieben werden kann. Nur stellt diese Sichtweise eine Fiktion dar: Arbeit, Natur (Boden, Bodenschätze usw.) und Kapital lassen sich zwar wie Güter und Leistungen, d.h. Waren behandeln, sind es aber realiter nicht. Die den Produktivkräften oktroyierte Warenform führt dazu, dass ihre je eigene Gesetzmäßigkeit überformt wird und nur mehr sehr verunreinigt in Erscheinung tritt. Diese Behauptung ist freilich begründungspflichtig, daher seien einige Stichpunkte genannt: Wenn Kapital als Ware behandelt wird, führt dies dazu, dass die durch Kapitaleinsatz hervorgerufene Produktivitätssteigerung gerade nicht dem gesamten sozialen Organismus (und insbesondere dem Geistesleben) zufließt, sondern von Kapitalbesitzern usurpiert wird. Wenn Arbeit zur Ware reduziert wird, bedeutet dies, dass dem Arbeitenden ein Waren- und damit Objektcharakter aufgeprägt wird. Er wird dem Arbeitsprozess entfremdet, verliert das Interesse an dem Wertschöpfungsprozess und tröstet sich damit, über die Entlohnung, also dem Marktpreis seiner Arbeit, – das Reiz- und Reaktionsschema entfaltet seine Kraft – bereits abgefunden worden zu sein. Wenn natürlichen Ressourcen ein Warencharakter aufgeprägt wird, erhalten diese – obschon sich die Natur grundsätzlich verschenkt – einen Preis aufgeprägt, der den jeweiligen ökonomischen Akteur, der sich in Besitz einer Naturressource gebracht hat, mit eine Rente, also einem leistungslosen Einkommen, ausstattet.

Die essentielle Dreigliederung beschreibt also drei Elemente des sozialen Organismus, die bei jeder Warenproduktion in gegliederter Weise zusammenwirken müssen, selbst jedoch nicht Ware sind. Udo Herrmannstorfer hat bereits das Bild des gemischten Königs aus Goethes Märchen verwendet. In der Reduktion der Produktivkräfte auf Waren liegt eine Vermischung – eine Gleichmacherei – vor, die mittels einer wesensgemäßen Gliederung zu heilen wäre. Wenn also Naturressourcen, Arbeit und Kapital in ihrer jeweiligen Eigengesetzlichkeit in Erscheinung treten können, bedeutet dies, dass der gemeinsame Nenner, auf den sie gebracht wurden, notwendigerweise entfallen muss. Die Transformation des gemischten Königs in Goethes Märchen kann als Symbol des Schwellenübertritts gedeutet werden – Schwellenübertritt meint, dass Tatbestände aus der Vermischung in die Gliederung überführt werden. In diesem Sinne kann der Schwellenübertritt nicht nur einzelmenschlich, sondern auch im Sozialen verortet werden: Die Befreiung der Produktivkräfte aus der Warenform bedeutet den Schwellenübertritt im Sozialen!

Zu untersuchen ist nun, welche Entwicklung im Bereich der natürlichen Ressourcen gegenwärtig beobachtet werden kann. Findet eine stärkere Kommodifizierung statt, oder lassen sich Gegenbewegungen entdecken, die versuchen, die Naturressourcen ihrer Warenform zu entreißen?

Diesbezüglich kann konstatiert werden, dass eine Welle der Kommodifizierung mit gewaltiger Dynamik eingesetzt hat und diese Dynamik vor allem auf die Kommodifizierung der Naturressourcen gerichtet ist. Diese Kommodifizierung findet in semi-periphären Ländern, in Afrika, China, Brasilien und Indien statt und betrifft dort vor allen Ressourcen wie Land, Wasser und – allerdings auf die gesamte Welt bezogen – Luft. Am Beispiel Luft kann dargestellt werden, wie mächtig die Warenfiktion geworden ist. Nachdem der Klimawandel in das kollektive Bewusstsein gerückt wurde, zeigt sich, dass die Lösung des Problems nicht mehr ohne Kommodifizierung gedacht werden kann. Um die CO2-Emissionen einzugrenzen, werden Verschmutzungsrechte generiert und über deren Verknappung wird dann versucht, den Klimawandel zu begrenzen und zu verlangsamen. Bezeichnend an dieser Denkfigur ist, dass eine Lösung nur mehr vorstellbar erscheint, wenn ein Problem im Rahmen des Marktmodells behandelt werden kann, was wiederum voraussetzt, dass Luft den Charakter der Ware annehmen muss – die Kommodifizierung schreitet fort. In gleicher Weise kann der Versuch gedeutet werden, das Wetter zu kommodifizieren, indem ein Wetter-Derivat generiert wird, welches Wetter-Risiken zur Ware und auf diese Weise handelbar macht. Es kann vermutet werden, dass die Integration der dritten Welt in die globale Marktwirtschaft einhergeht, mit sukzessiv ablaufenden Umweltkrisen, welche ausgelöst werden durch nicht naturgegebne Katastrophen – Klimawandel, Tsunamis, Erdbeben, Ölpest, Atomunfälle, Giftmüll, nicht natürlich im Sinne sowohl ihrer Ursache als auch ihrer Auswirkungen.

Diese Kommodifizierung der Natur erzeugt jedoch auch eine stärkere Kommodifizierung von Arbeit. Privatisierung von Land – und damit Ausschluss der bisherigen Nutzer – und Wasser erzwingt auch eine stärkere Unterwerfung der Arbeit unter den Marktprozess. Es kommt somit zu synergetisch ablaufenden Kommodifizierungsprozessen. Die Schaffung von CO2-Emissionesrechten bedeutet einerseits die Kommodifizierung von Luft, andererseits bedeutet diese Kommodifizierung auch die Schaffung von neuen Kapitalderivaten, wodurch weitere fiktive Waren produziert werden. Es handelt sich bei dieser Kommodifizierung wahrlich um Teufelsmühlen – wie es der österreichisch-ungarische Wirtschaftshistoriker Karl Polanyi ausdrückte [1] – die nicht isoliert betrachtet und bekämpft werden können, da sie sich immer wechselseitig ergänzen.

Bleibt zu fragen, ob es eine berechtigte Hoffnung gibt, dass eine Gegenbewegung entsteht, welche den Kommodifizierungsbewegungen Einhalt gebieten kann. In der geschichtlichen Tendenz zur Kommodifizierung von Natur, Arbeit und Kapital können wir drei Phasen unterscheiden. Das 19. Jahrhundert steht im Zeichen der Kommodifizierung der Arbeit, was als Gegenbewegung die Arbeiter- und Genossenschaftsbewegung hervorrief. Durch die Gegenmacht der Gewerkschaften und Arbeiterparteien wurden Kompromisse gefunden, die sich allerdings nicht als nachhaltig erwiesen, sondern mit dem ersten Weltkrieg ihre befriedende Funktion verloren. Es kam – beginnend in den 1920er Jahren – zu einer zweiten Welle der Kommodifizierung, die besonders kapitalgetrieben verlief. Die Folge war die große Weltwirtschaftskrise von 1929/1930. Sie führte zu einem neuen Kompromiss, der je nach geographischem Kontext als „Fordismus“, „rheinischer Kapitalismus“ o.ä. bezeichnet wurde. Dieser Kompromiss hat bis in die 1970er Jahre hinein getragen und wurde vor allem von einer Gegenbewegung erzwungen, die auf einer staatlichen (sozialdemokratischen) Basis beruhte. In der dritten Phase ergreift die Kommodifizierung in vorher nicht gekanntem Umfang die Natur. Es geht nicht mehr nur um Boden und Bodenschätze, sondern um die Naturreiche als Ganzes. Forschungsergebnisse über das Genom von Pflanzen, Tieren und Menschen werden patentiert, um sie wirtschaftlich verwerten zu können, wenn nicht heute, dann morgen. Immer mehr biologische Information wird auf diese Weise kommerzialisiert und der Verfügung partikularer Interessen ausgeliefert.

Eine neue Gegenbewegung wird ihren Ursprung vermutlich nicht, wie im 19. Jahrhundert, in der Arbeiterbewegung, oder, wie im 20., in staatlichem Handeln finden können, sondern muss ihren Entstehungspunkt anderenorts finden. In der Zivilgesellschaft finden sich Ansätze einer Gegenbewegung. Allerdings haben sich diese Ansätze bislang als wenig verstetigbar erwiesen. Eine Gegenbewegung bedarf jedoch einer verstetigten globalen Verankerung, da nur auf dieser Handlungsebene die Destruktion der Natur bekämpft werden kann. Obschon die Auswirkungen dieser Destruktion die jeweiligen Bevölkerungen in sehr unterschiedlicher treffen werden, sind im Endeffekt alle betroffen: Arme wie Reiche, Norden wie Süden. Sosehr es zutrifft, dass das Überleben der Menschheit von einer Art dritter Gegenbewegung abhängen wird, so wenig wird sich eine solche Gegenbewegung mit gleichsam historischer Notwendigkeit formieren. Karl Polanyi hat seinerzeit die Debatte über zweite Gegenbewegung Formel ‚Dekommodifizierung (also sachgemäße Gliederung der Produktivkräfte) oder Barbarei‘ beschrieben. Gegenwärtig wäre diese Engführung folgendermaßen zu erweitern: Dekommodifizierung oder Barbarei oder Auslöschung. Hoffnungsvolle Ansätze dürfen nicht mittels vorschnellem Pessimismus abgewürgt werden, sie dürfen jedoch auch nicht naiv verallgemeinert werden: Es gilt einstweilen eine sehr genaue Analyse vorzulegen, auf welche Weise der Kapitalismus die Kommodifikationsformen von Arbeit, Kapital und Natur kombiniert und mit dieser Kombination einer sich formierenden Gegenbewegung regelmäßig den Boden entzieht. – Das wäre der erste Schritt eines Schwellenübertrittes im Sozialen.

Anmerkungen

[1] Pierre Bourdieu spricht in ähnlicher Diktion – wohl ohne Polanyi zu kennen – von Höllenmaschinen. Beiden gemeinsam ist, dass diese gewählten Metaphern insofern treffend gewählt sind, als sie den mechanischen Charakter der Kommodifizierung widerspiegeln.

Quelle

Zeitschrift Sozialimpulse, Juni 2015, Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors