Staatsrechtler gegen Demokratie

01.06.2012

Bislang konnte man von dem Staatsrechtler Oliver Lepsius erfreulich klare Aussagen hören. So hatte er der Deutschen Bundesbahn im Zusammenhang mit Stuttgart 21 mangelndes Demokratieverständnis vorgeworfen: „Wer jetzt bloß auf ein Baurecht pocht, argumentiert undemokratisch, denn die Demokratie bezieht ihre Legitimation auch aus der Veränderbarkeit von Beschlüssen, zumal wenn sich die Bedingungen ändern.“[1] und den ehemaligen Verteidigungsminister, in dessen Plagiatsaffäre, öffentlich und treffend charakterisiert: "Wir sind einem Betrüger aufgesessen. Es ist eine Dreistigkeit ohnegleichen, wie er honorige Personen der Universität hintergangen hat."[2] In diesem und anderen Zusammenhängen forderte Lepsius verstärkte Partizipation der Menschen und eine authentische Demokratie. Was er allerdings im letzten Gespräch mit dem Berliner Tagesspiegel von sich gab, passt weder zu seinen vorigen Äußerungen, noch ist es mit demokratischen Vorstellungen vereinbar. Für einen Staatsrechtler ist es geradezu skandalös!

Lepsius äußerte, angelehnt an eine Warnung vor der Piratenpartei, „Das Abschmelzen der Volksparteien erschwert die Willensbildung, die Beeinflussung des Volkswillens und die Kompromissbildung.“[3] Wie unselbständig und geistig arm muss man eigentlich sein, um darauf Wert zu legen sich in seiner Willensbildung von den sogenannten „Volksparteien“ beeinflussen zu lassen? Und welches autoritär, paternalistische Demokratieverständnis fordert ein System, in dem die großen Parteien eben diese Manipulation ungehindert ausüben können? Mit solchen Vorstellungen wird nicht nur der Grundsatz der Gleichheit („ Demokratie erfordert ein gewisses Maß an Gleichheit, was die tatsächlichen Möglichkeiten aller Bürger angeht, auf die politischen Entscheidungen einzuwirken.“[4] ) aller am demokratischen Prozess Teilnehmenden negiert, sondern gerade das Gegenteil dessen postuliert, was zu einer Verbesserung unserer scheindemokratischen Verhältnisse nötig ist!

Lepsius weitere Äußerungen lesen sich so: Es sei zudem falsch zu glauben, mehr Partizipation und Transparenz helfe der Demokratie. "Partizipation behindert den politischen Kompromiss", sagte Lepsius.[5] Wieder ist das Gegenteil richtig und man muss Lepsius` Kopfgeburten wiederum auf die Füße stellen: Mehr Transparenz würde der Demokratie eindeutig helfen, indem sie für weitaus mehr Menschen, als den wenigen, die sich aus den spärlichen Quellen die Informationen suchen, eine der wesentlichen Ursachen des galoppierenden Demokratieverlustes sichtbar werden lassen: „Die wachsende Macht der Unternehmen bleibt die treibende Kraft hinter dem Vormarsch der Postdemokratie“[6]. „Im Ergebnis wird heute die Welt nach einer im Oktober 2011 erschienenen Schweizer Studie der ETH Zürich regiert von insgesamt etwa vierzig internationalen Kapitalgruppen, die sich wechselseitig besitzen und kontrollieren und so ein geschlossenes Herrschaftssystem bilden, das keine Macht der Welt mehr kontrollieren kann.“[7] Im kleinen, aber nicht weniger bedeutenden Maßstab erleben wir es gerade bei dem Übernahmekampf um hessnatur, wie sich gegen den Willen der Menschen, welche diesen Betrieb am Leben erhalten, den Beschäftigten und den Kunden, das anonyme Kapital das Unternehmen einkassieren möchte. Diese sich in permanenten Katastrophen und einer Strangulierung von Demokratie, Wirtschaft und Kultur sich auslebende Macht der 1%, diese Macht der Besitzverhältnisse, in eine demokratische, freie und brüderliche Kultur für alle umzuwandeln, brauchen wir eindeutig mehr Transparenz, mehr Partizipation, ergo: mehr Demokratie. Was wir nicht brauchen, ist das restaurative Schwadronieren von Professor Lepsius.

Anmerkungen

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