Merkozys Fiskalunion - die Lüge wird zur Institution

01.12.2011

In der Nacht vom 8. zum 9. Dezember 2011 einigten sich auf dem EU-Gipfel die 17 Euro Länder und sechs weitere EU Staaten auf die Planung einer Fiskalunion. Das wesentliche Ergebnis dieser Verhandlungen war der erklärte Wille vertraglich bindende, verschärfte Spar- und Kontrollauflagen für die Haushalte der Unterzeichnerstaaten zu etablieren. Eine Schuldenbremse soll festgelegt werden, automatische Sanktionen erfolgen, wenn Staaten die Neuverschuldungsgrenze von 3 Prozent verletzen, und Staaten mit einer Verschuldung von über 60 Prozent ihres BIP müssen diese in mehreren Schritten bis zur 60 Prozentmarke reduzieren.

Abgesehen von der wirtschaftlichen Fragwürdigkeit solcher Maßnahmen, welche auch noch automatisch, also unter Ausschaltung der menschlichen Vernunft, durchgesetzt werden sollen, wird hiermit eine Interpretation der Euro-Krise zementiert, welche die Staatsverschuldung der EU-Staaten für die Krisensituation verantwortlich macht. Man könnte versucht sein bei der Initiatorin der geplanten Überwachungs- und Strafmaßnahmen, der bundesdeutschen Kanzlerin Angela Merkel, den autistischen Tunnelblick einer stupiden Ideologie der harten Haushaltsdisziplin für diese verkürzte Sichtweise verantwortlich zu machen. Wenn es sich nicht um die weltweit größte Wirtschaftskrise seit über siebzig Jahren handeln würde.

Die Faktoren die zu dieser Erschütterung des gesamten internationalen Finanzsystems, der Realwirtschaft und vor allem der Lebenssituation von Hunderten Millionen Menschen geführt haben, sind überaus vielfältig und komplex. Sie sind teils Ergebnis relativ kurzfristiger gesetzlicher Entscheidungen über die Regeln des Finanzsystems, teils Folge des wirtschaftlichen Machtverhältnisses zwischen Arbeit und Kapital, Folge von Eigentumsverhältnissen, von unausgeglichenen Handelsbilanzen und teils zwangsläufige Folge der herrschenden Lehre einer auf permanenter Akkumulation gegründeten Geldordnung.

Es lassen sich sicher noch mehrere Stichworte für mitbestimmende Faktoren der jetzigen Situation anfügen, die alle dazu beitragen werden ein umfassendes Bild der Lage zu bekommen. Dabei wird deutlich werden, dass diese Krise aus vielen Quellen gespeist wird, in ihrer Multifaktorialität aber durchaus erklärbar ist. Keinesfalls aber ist sie auf das primitive Schlagwort von der «Staatsschuldenkrise» reduzierbar, mit dem die deutsche Regierung und die überwiegend gleich geschalteten Medien die Menschen seit Monaten über alle Informationskanäle, wenn man diese noch so nennen kann, versucht in die Irre zu führen, und welches der Hintergrund der jetzt erfolgten Einigung auf dem EU-Gipfel ist. Die Gehirnwäsche erfolgt nach dem Muster der stetigen Wiederholung, wie es Victor Klemperer in seinem berühmten Buch «LTI» über die Sprache des Dritten Reiches dargestellt hat: «Worte können sein wie winzige Arsendosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung da.»[1]

Die bis ins rassistische gehende Hetze während der letzten Monate gegen die faulen Südeuropäer, speziell die Griechen, zeigt die verheerende Wirkung dieser Strategie. Diese konnte auch durch die veröffentlichte Faktenlage nicht gemindert werden, dass in den betreffenden Ländern meist mehr gearbeitet wird als in Deutschland.

Das Märchen von der Staatsverschuldung als Krisenursache wird mittlerweile in ganz Europa kolportiert und hat erst kürzlich in drei Staaten Europas zur Installierung neuer Regierungen geführt. Nur eine davon ist vom Volk gewählt worden. Die beiden anderen wurden eingesetzt. Keines der von letzterem betroffenen Völker, nicht die Griechen, nicht die Italiener haben diese Regierungen gewählt.

Die Spurensuche nach denen, die sie eingesetzt haben, ist ebenso simpel, wie die Verschleierung in den offiziellen und offiziösen Medien. Sie werden als Regierungen der «Technokraten» bezeichnet. Dieser Begriff soll suggerieren, dass die Politik versagt habe, interessengelenkt war, (zumindest das ist nicht abzustreiten) und nun saubere, sachgerechte Handlungen im Sinne der Bevölkerung von diesen Personen zu erwarten sind. Nur, die Bevölkerung hat sie nicht gewählt, sie repräsentieren diese nicht, sie gehören dort nicht hin, nicht nach den Regeln der aktuell herrschenden demokratischen Spielregeln und nicht nach den grundsätzlichen Charakteristiken welche die Dreigliederung für ein demokratisches Gemeinwesen als essentiell ansieht:

«Das demokratische Prinzip … besteht darinnen, dass die in einem geschlossenen sozialen Organismus zusammenlebenden Menschen Beschlüsse fassen sollen, welche aus jedem einzelnen hervorgehen. …. Dann aber können auch nur über diejenigen Dinge Beschlüsse gefasst werden, in denen der einzelne Mensch als gleicher jedem anderen Menschen in Wirklichkeit gleich ist.... Es kann ja nur dasjenige auf dem Boden der Demokratie beschlossen werden, was man einfach dadurch beurteilen kann, dass man ein mündig gewordener Mensch geworden ist.»[2]

Sogenannte «Expertenregierungen» sind das genaue Gegenteil davon! Hier kann eben nicht jeder mündige Bürger mit entscheiden, und bei den Regierungen Papademos und Monti ist dieser Ausschluss des demokratischen Wesens gewolltes, konstitutionelles Prinzip.

Die in Griechenland und Italien unter Lukas Papademos und Mario Monti eingesetzten Regierungen verletzen die elementarsten demokratischen Positionen, sie sind von Usurpatoren gelenkte, Diktaturen der Technokratie. Die Entstehung der aktuellen griechischen Finanzjunta bringt ihren Charakter am treffendsten zum Ausdruck: Es war der Versuch der Vorgängerregierung das Volk selbst über die Maßnahmen abstimmen zu lassen, die seine unmittelbare und weitere Zukunft einschneidend prägen werden, der zu deren Sturz und der folgenden Machtübernahme durch Papademos führte. Natürlich war die geplante Abstimmung ein Skandal. Seit wann fragt der Räuber sein Opfer, ob es mit dem Ausrauben einverstanden ist? Um nichts anderes als um einen gigantischen Raubzug der internationalen Finanzmafia handelt es sich ja letztlich in Griechenland und den übrigen Euro-Staaten.

Der spanische Journalist Amador Fernández-Savater hat sich zur innerlichen Bewältigung über das Zustandekommen dieser Regierungen gedankliche Unterstützung bei Hannah Ahrendt geholt. Er sagt sich: «Niemand hat Monti oder Papademos gewählt. Niemand hat über die Programme abgestimmt, die umgesetzt werden sollen.»[3] Er nennt sie folglich die «Niemandsregierungen» und spannt damit den Bogen zu Hannah Arendts Reflexionen, welche unpolitische Bürokratenregierungen «Niemandsregierungen» nannte: «Das ist nicht notwendigerweise eine Nichtregierung. Unter gewissen Umständen kann daraus sogar eine der grausamsten und tyrannischsten Varianten einer Regierung hervorgehen.» Weshalb? Ganz einfach weil «wir niemanden dafür verantwortlich machen können. Es gibt keinen echten Urheber der Handlungen und Ereignisse. Sie überwältigen uns einfach ... Die Niemandsregierung ist die tyrannischste aller Regierungen, da man niemandem die Rechnungen für ihr Handeln servieren kann (…) es ist unmöglich, den Verantwortlichen auszumachen oder den Feind zu identifizieren.»[4]

Wie sieht es nun mit der Staatsverschuldung aus?

Bevor 2008 die europäischen Staaten in Folge der Subprimekrise das nicht mehr lebensfähige Finanzsystem mit Milliardensummen retten mussten, hatten gerade einige der jetzt als «Schuldensünder» angeprangerte Staaten unproblematische, teils vorbildliche Schuldenbilanzen. In Spanien 2007: 42,1 % des Bruttoinlandsproduktes; Irland 2007: gar nur 28,8%. Dies war ein wesentlich geringerer Staatsschuldenstand als Deutschland (2007:65,3;) damals hatte. Portugal hatte 2007 mit 75,4% immerhin noch weniger als Deutschland heute 2011: ca. 83 %. Infolge der umfangreichen Bankenrettungspakete, der verringerten Steuereinnahmen durch die auf die Bankenkrise folgenden Konjunktureinbrüche und aufgelegter, kostspieliger Konjunkturprogramme stieg die Staatsschuld teilweise extrem an: Spanien (2007:42,1; 2011: 73,6 %), Irland (2007:28,8; 2011:120,4 %), Portugal (2007:75,4; 2011: 110,8 %).

Bedingt durch den gewollten Konstruktionsfehler der EZB (das Mantra von der Inflationsgefahr! Übrigens kann keiner vernünftig begründen, warum die unmittelbare Geldschöpfung durch die EZB eine Inflationsgefahr beinhaltet, die Geldschöpfung durch die EZB über die Privatbanken nicht.) mussten sich die Staaten bei eben jenen Banken über Staatsanleihen refinanzieren, die sie eben noch gerettet hatten, um die langfristigen Folgen dieser Rettungsaktion schultern zu können. Die Banken selbst konnten sich das dafür nötige Geld zu Niedrigzinsen bei der EZB leihen. Die von den Staaten getragene EZB kann ihren eigenen Trägern nur über den Umweg der Privatbanken, mit einem hohen Aufschlag , Geld leihen. Eine Lizenz zum Gelddrucken, jedoch nicht für die EZB, sondern für die Privatbanken. Dies ist, zumindest in der augenblicklichen Lage ungefähr so sinnvoll, als wenn man seinem Nachbarn 100.- Euro geben muss, damit jener ihm 90.- leihen kann, wobei diesem dann noch frei steht, dem Leiher evtl. auch nur 70.- oder 80.- zu geben, wenn ihm dessen Kaufwünsche nicht gefallen.

Das eben von den Staaten vor dem Exitus gerettete Finanzsystem prangerte plötzlich in scheinheiliger Unschuld, die Verschuldung ihrer Retter an, eine Verschuldung, welche in diesem Ausmaß nur durch das desaströse und verantwortungslose Handeln des Finanzsystems entstanden war.

Das Kapital und die mit ihm vernetzten Ratingagenturen jagen nun seit eineinhalb Jahren in einem makaberen Spiel die Zinsen für Staatsanleihen in Höhen, bei denen selbst die drittgrößte Industrienation der EU und acht größte der Welt, Italien, sich nicht mehr finanzieren kann, auch das sich in selbstgerechter Hybris desavouierende Deutschland wäre damit überfordert, treiben die Regierungen vor sich her, die in immer unsinnigeren Sparmaßnahmen durch Lohn- und Rentenkürzungen und gleichzeitig mit erhöhten Steuern und Abgaben ihre Bevölkerungen auspressen um «das Vertrauen der Märkte» in sie zurückzugewinnen.

Anstatt sich aus dem Würgegriff dieser nimmer satten Krake zu befreien, denn schließlich sind die Staaten doch selbst die «Lender of last resort», repräsentieren die letzte Sicherheit, wie schon seit 2008 von der Finanzwelt gerne in Anspruch genommen, geben die Regierungen vor, das Vertrauen einer skrupellosen Mafia wiedergewinnen zu wollen, damit diese den Staaten Geld zu einem vernünftigen Zinssatz leiht, welches ihnen diese selben Staaten als Staatengemeinschaft in großem Maße erst über die EZB zur Verfügung stellen. Das ist ein solch absurdes Vorgehen, von einer so penetranten Hilflosigkeit, gleichzeitig mit den Folgen einer so gigantischen Eigentums- und Machtverschiebung, weitreichenden Ausplünderung, Enteignung und jahrzehntelangen Schuldversklavung der Bevölkerungen, dass es in keiner Weise mehr glaubhaft ist, als repräsentatives Handeln für die Interessen der Bürger angesehen zu werden.

Schaut man sich die Laufbahnen von Papademos und Monti an und nimmt man noch einen dritten in diesem Spiel dazu, Mario Draghi, den Leiter der EZB, erübrigen sich eigentlich weitere Fragen:

«Mario Monti, Lukas Papademos und Mario Draghi haben eines gemeinsam: Alle drei haben für die amerikanische Investmentbank Goldman Sachs gearbeitet. Kein Zufall, sondern eine Strategie der Einflussnahme...»[5] schreibt Marc Roche in Le Monde. Die Verflechtung dieser Personen mit der privaten Finanzwirtschaft sind tief greifend und langjährig:

Mario Draghi war «von 2002 bis 2005 Vizepräsident von Goldman Sachs International in Europa»[6] Mario Monti «war von 2005 bis zu seiner Ernennung zum neuen italienischen Regierungschef Berater im Verwaltungsrat von Goldman Sachs»[7] «Lukas Papademos, war von 1994 bis 2002 Gouverneur der griechischen Notenbank. In diese Rahmen hat er eine noch immer nicht geklärte Rolle bei der Verschleierung der öffentlichen Haushaltsbilanzen mit Hilfe von Goldman Sachs gespielt.»[8]

Dies sind nur drei der bekanntesten Akteure, beispielhaft für die Verflechtung Politik- Finanzwelt. Gleich geartete Prägungen bis zu regelrechten Abhängigkeiten lassen sich mühelos finden.

Gibt es vor diesem Hintergrund wirklich noch Fragen, warum in Europa die Staatsschulden und nicht die Finanzwelt als Verursacher der Krise gebrandmarkt werden, warum Zinsen in Höhe von 7% für Italien zu akzeptieren sind, bei einer Staatsschuld von ca. 120% des BIP, während man den USA mit einer ähnlichen Verschuldung das Geld fast hinterher wirft und Japan mit einer für dieses Jahr erwarteten Verschuldung von 220% ebenfalls keine Probleme hat?

Keine Fragen, denn mittlerweile lässt sich der Prozess so ideologiefrei formulieren, wie es Michael Hudson, Professor der Wirtschaftswissenschaften an der Universität von Missouri, tut: Es herrscht «Der Krieg der Banken gegen das Volk»[9] Bei der exzessiven Verelendung die jetzt schon in Griechenland zu beobachten ist, den Erfahrungen mit dem IWF in der sogenannten dritten Welt, der aktuellen, katastrophal aufgeblähten «Rettungspakete», kann als sicher gelten: von diesen Gegnern ist keine Gnade zu erwarten, sie sind nicht einmal mit der absoluten Unterwerfung zufrieden zu stellen, sondern schlingen weiter, bis sie auch ihre eigene Grundlage verschlungen haben.

Doch als Kontrapunkt dieser putschartigen Machtübernahme der Demokratien, scheinen die folgenden Sätze Rudolf Steiners gerade für die jetzige Zeitlage wieder verstärkt Bedeutung zu erlangen:

«Das demokratische Prinzip ist aus den Tiefen der Menschennatur heraus die Signatur des menschlichen Strebens in sozialer Beziehung in der neueren Zeit geworden. Es ist eine elementare Forderung der neueren Menschheit, dieses demokratische Prinzip.»[10]

So besteht die Hoffnung, dass die Menschen in Griechenland und Italien ihre fremdbestimmten undemokratischen Regime möglichst bald wieder davon jagen. Die Bändigung des Monsters Finanzwelt und der Übergang in eine neue Geld- und damit auch Eigentumsordnung dürfte weitaus schwieriger werden.

Und doch ist dieser Übergang, frei nach Angela Merkel, alternativlos, denn das Alte ist an seine Ende gekommen und droht in seinem Sterbenskampf alles mit in den Abgrund zu reißen, wofür in Europa jahrzehntelang gearbeitet und gekämpft wurde: Demokratie, persönliche Freiheit und ein soziales Wirtschaften.

Anmerkungen

  • [1] Viktor Klemperer, LTI, S.21, Reclam Verlag Leipzig, 1993
  • [2] Rudolf Steiner, Soziale Zukunft, S. 85, Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1981
  • [3] http://akademieintegra.wordpress.com/2011/12/04/die-niemandsregierung-ein-albtraum/ie
  • [4] Ebd.
  • [5] http://www.presseurop.eu/de/content/article/1177201-goldman-sachs-meint-es-gut-mit-uns
  • [6] Ebd.
  • [7] Ebd.
  • [8] Ebd.
  • [9] http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/oligarchie-der-finanz-der-krieg-der-banken-gegen-das-volk-11549829.html
  • [10] Rudolf Steiner, Soziale Zukunft, S. 85, Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1981

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