Horst Köhler - Wird die Globalisierung Bundespräsident ?

01.04.2004

Die Nominierung des deutschen Bundespräsidenten ist diesmal wie immer von parteipolitischen Machtspielen begleitet worden. Gestört hat es wohl nur diejenigen, die gern aus dem Bundespräsidenten ein Symbol für die Unparteilichkeit machen würden. Es müsse doch wenigstens einer über den Parteien stehen, damit die anderen mit gutem Gewissen weiter unter den Parteien stehen bleiben können. Neu am Präsidentschaftskanditaten der konservativen und liberalen Parteien ist, dass er stattdessen als Symbol für die Globalisierung steht. Horst Köhler ist zuletzt Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) gewesen und ist als solcher bei globalisierungskritischen Bewegungen wie attac einschlägig bekannt. Ist seine Nominierung ein Schritt weiter in Richtung Wirtschaftsdiktatur? Oder hat Horst Köhler vielleicht doch von den Menschen gelernt, denen er als IWF-Chef in der ganzen Welt begegnet ist?

Globalisierung und Globalisierung

Die Globalisierung ist erst seit wenigen Jahren zum Schlagwort geworden. Sie meint die fortschreitende Entwicklung zur Weltwirtschaft, die seit Mitte der 90er Jahren stark forciert worden ist und erst in den letzten Monaten auf den geschlossenen Widerstand der Entwicklungsländer gestossen ist. Nicht dass die Weltwirtschaft an sich kein erstrebenswertes Ziel sei. Es kann aber einiges schief gehen, und ist auch schief gegangen. Nicht umsonst stellt Rudolf Steiner in seinen Vorträgen zur Weltwirtschaft schon 1922 dar, dass es auf dem Weg zur Globalisierung dadurch Probleme geben wird, dass grössere Volkswirtschaften die Herrschaft über die kleineren übernehmen werden. Dies sagt er, obwohl er selber zur Weltwirtschaft steht - allerdings wenn sie unter dem Zeichen der Brüderlichkeit steht. Dass die Entwicklungsländer den Mut gefunden haben, den Globalisierungsprozess innerhalb der Welthandelsorganisation (WTO) vorerst zu stoppen, verdanken sie nicht zuletzt der globalisierungskritischen Bewegung. Sie waren nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch und militärisch unterlegen. Ihnen hat es Kraft gegeben zu sehen, dass es Organisationen gibt, die sich weder von wirtschaftlichen noch von politischen Interessen leiten lassen, sondern sich als drittes gesellschaftliches Element verstehen, die sogenannte Zivilgesellschaft.

Damit sind wir aber auch schon bei der zweiten Bedeutung des Wortes Globalisierung. Es heisst nicht nur Weltwirtschaft, sondern auch die Welt als Wirtschaft, die Kommerzialisierung aller Lebensbereiche. Dies lehnen die Globalisierungskritiker ab, wenn sie sich zum Spruch bekennen: Die Welt ist keine Ware.

Diese beiden Bedeutungen des Wortes Globalisierung muss man immer präsent haben. Will man die Nachteile der Globalisierung überwinden, geht es nicht nur darum, Wege zur Brüderlichkeit in der Wirtschaft zu finden, sondern auch darum, dort einen Weg aus der Wirtschaft heraus zu finden, wo man es gar nicht mit Waren zu tun hat.

Die Globalisierung und ihre Feuerwehr

Der Internationale Währungfonds springt dort mit Krediten ein, wo Währungen in Schwierigkeiten geraten. Besonders umstritten sind die Auflagen, die an diese Kredite geknüpft werden. So findet man im Internet unzählige spanische Webseiten, wo Horst Köhler als Imperator - Goldkrone und Zepter in der Hand - dargestellt wird. Horst Köhler hat nämlich 2002 Argentinien die Zahlung einer Kredittranche verweigert, weil das Land die IWF-Auflagen nicht eingehalten hatte. Zu diesen Auflagen gehört oft die Öffnung des Landes für die internationalen Finanzmärkte. Und hier liegt wohl der große Unterschied zur üblichen Feuerwehr: Der IWF löscht nicht nur das Feuer, sondern verlangt freien Zugang für die Feuerleger. Man muss doch dafür sorgen, dass man nicht arbeitslos wird.

Horst Köhler ist sich dieser Problematik bewußt. Nicht umsonst hat er innerhalb des IWF eine Abteilung zur Beobachtung der internationalen Finanzmärkte geschaffen. Und die Ergebnisse stimmen ihn recht kritisch: "Wenn Sie das Verhalten einiger Akteure auf dem internationalen Finanzmarkt sehen, kommen Sie zwangsläufig zu ethischen Grundfragen" ... aber nicht zwangsläufig zu brauchbaren Antworten. Das ist gerade auch das Problem der globalisierungskritischen Bewegung.

Der Lösungsvorschlag von Horst Köhler: Statt Kapitalflucht zu verhindern zu versuchen, sollten Staaten acht geben, dass sie nicht zu sehr auf Kapital bauen, das nur auf höchste Renditen aus ist. Maßnahmen gegen Kapitalflucht können das Vertrauen in eine Währung erschüttern, so dass sie ungewollt zur Kapitalflucht beitragen können, die sie angeblich verhindern sollen. Staaten sollten lieber den Kapitalfluß etwas drosseln, indem sie von Anlegern verlangen, dass sie stille - das heisst unverzinste - Reserven anlegen, wenn sie ins Land investieren wollen. Horst Köhler will also - wie die Globalisierungskritiker von attac mit ihrer Tobin-Steuer - Sand ins Getriebe des Finanzmarkts werfen, aber gezielt dort, wo der Automatismus zur Bildung von Spekulationsblasen führt. Die Tobin-Steuer würde hier undifferenzierter wirken, weil sie jeden Währungstausch mit einer Gebühr belegt - die aber der Entwicklungshilfe zugute kommen soll. Dies hält Horst Köhler wiederum für eine Ablenkung von der Tatsache, dass Industrieländer zu wenig für die Entwicklungshilfe ausgeben und verlangt von ihnen die schon lange versprochenen 0,7% des Bruttosozialprodukts. Ungewohnte Töne für einen hohen Amtsträger der Globalisierung. Nur kann Horst Köhler es in seiner Funktion als IWF-Chef genauso wenig durchsetzen, wie seine Forderung, dass die Industrieländer endlich ihre Märkte öffnen. Es sei doch "pervers", schimpft er, dass er den Entwicklungsländern die Öffnung ihrer Märkte verordnen soll, während der Westen die seinen abschottet. Das nennt er den Glaubwürdigkeitstest der Industrieländer. Den haben sie offenbar nicht bestanden. Und Horst Köhler?

Horst Köhler hätte als IWF-Chef bei Krediten an Entwicklungsländern alle Auflagen einfrieren können, die den Industrieländern Vorteile verschaffen. Durch diesen Druck auf die Industrieländer hätte er wenigstens die selbstgesteckten Ziele erreichen können. Nicht dass sie besonders hoch gesteckt waren, aber das hätte wenigstens seiner Glaubwürdigkeit gut getan. Vorzuweisen hat Horst Köhler stattdessen nur einige besonders zinsgünstigen Kredite für die ärmsten Länder. Man versteht daher die barsche Kritik von attac an Horst Köhler anlässlich seiner Nominierung zum Bundespräsidenten: "Köhler ist ein rhetorischer Süßholzraspler: Er verpackt die Politik des IWF verbal in Watte, aber wenn es darauf ankommt, exekutiert er knallharte neoliberale Maßnahmen." Und weiter: "Mit Horst Köhler wird das Bundespräsidialamt wieder Teil des neoliberalen Machtzentrums."

Das Geld als Feuerleger

Würde aber die seitens attac gewünschte Demokratisierung des IWF wirkliche Verbesserungen bringen? Demokratisierung meint hier, dass nicht mehr wie heute nur allein zählt, wie viel die einzelnen Staaten in den Internationalen Währungsfonds einzahlen, sondern daß auch die Bevölkerungszahl eine Rolle spielen soll. Durch ihr grösseres Gewicht in der Organisation könnten die Entwicklungsländer vielleicht leichtere Kreditauflagen aushandeln. Es bleibt aber trotzdem dabei, dass das Geld, so wie es heute konzipiert ist, immer wieder die Tendenz hat, sich von der ökonomischen Realität abzukoppeln und ganze Länder in den Ruin zu treiben. Richtig helfen würden daher nur Währungen, die es durch eine eingebaute Ablauffrist möglich machen, das Geld regelmässig auf seinen eigentlichen Wert hin prüfen zu können. Dieser Vorschlag von Rudolf Steiner zeigt, dass er mit seinem Ansatz einer sozialen Dreigliederung gerade unsere heutigen internationalen Probleme im Auge hatte.

Der Bundespräsident und seine Reden

In Deutschland ist das Amt des Bundespräsidenten, von wenigen Ausnahmen abgesehen, rein repräsentativ. Horst Köhler wird also gar nichts mehr durchsetzen können, sondern vor allem über Reden und durch seine Präsenz in den Medien wirken müssen.

Während Gewerkschaften und Globalisierungskritiker sich Sorgen machen, dass Horst Köhler sich wie gegenüber der Entwicklungsländer hier auch für Privatisierungen und für den Abbau des Sozialstaats stark macht, hält sich Horst Köhler vorerst noch gedeckt. Er will durch Deutschland reisen. "Ich habe noch zweieinhalb Monate Zeit, und ich will zuhören, ich will mit den Leuten sprechen, um noch besser herauszufinden, wo sie der Schuh drückt". Vielleicht passiert ihm dabei dasselbe wie bei seiner Afrika-Reise im Sommer 2000, wo er wie verwandelt zum IWF zurückkam und sich fortan für die Belange der ärmsten Länder einsetzte. Er hatte die afrikanischen Frauen entdeckt, die keine IWF-Milliarden, sondern nur Kleinstkredite bräuchten, um sich eine Existenz aufzubauen. Dasselbe Problem hat inzwischen auch der deutsche Mittelstand, der kaum noch Kredite bekommt, weil sich solche kleinen Fische für Banken nicht mehr rentieren. Das wäre eine gute Verwendung für einen Bundespräsidenten, der sich sein ganzes Leben nur mit Wirtschaft beschäftigt hat. Ihm gehe es doch darum, Reden zu halten, "die auch konkreten Praxisbezug haben".

Die Grenzen seiner sozialen Vorstellungskraft sind aber durch zahlreiche Interviews belegt, die Horst Köhler zum Teil schon vor seiner Nominierung gegeben hat. Sie geben einen Vorgeschmack auf seine zukünftigen Reden.

Der Reformwiderstand der Wirtschaftsverbände

Horst Köhler wünscht sich differenziertere Lohnabschlüsse, die auf Betriebsebene von der Unternehmensleitung mit dem Betriebsrat ausgehandelt werden. Aufschrei der Gewerkschaften. Manchem anthroposophischen Unternehmer lacht dagegen das Herz in der Brust. Endlich soll Schluss sein mit diesen Flächentarifen, welche die individuelle Situation des Betriebs nicht berücksichtigen. Dann würde sich ein Betriebsrat wirklich lohnen. Vielleicht brauche man dessen Bildung doch nicht mehr mit allen Mitteln zu verhindern.

Solche Vorstellungen machen aber genauso wenig Sinn, wie der Bauer, der dem Kalb zu verstehen gibt, es müsse jetzt hungern, weil es zu viele Kälber auf der Wiese gibt. Es gehört zum Job des Bauern, nicht nur das Kalb zur Wiese zu bringen, sondern auch dafür zu sorgen, dass die Anzahl der Kälber mit deren Fläche übereinstimmt. Es bedeutet nicht, dass man einfach sein Kalb schlachten, sprich seine Mitarbeiter entlassen soll, wenn es zu viele Kälber gibt. Sondern es heißt, dass Unternehmen - samt Betriebsräte - ein Minimum an Vernetzung untereinander brauchen, um den Strukturwandel zu bewältigen, statt von ihm überwältigt zu werden. Der Markt schafft es nicht und der Staat auch nicht.

Dass der Staat es nicht kann, hat Horst Köhler wohl erkannt und wirft daher den Arbeitgeber- und sonstigen Wirtschaftsverbänden vor, sie würden immer aufschreien, wenn es um Subventionsabbau geht. Sie seien hier genauso kurzsichtig wie die Gewerkschaften. Da Horst Köhler aber Markt und Wirtschaft gleichsetzt, gibt es bei ihm überhaupt keinen Platz für Subventionen. Unternehmen, die untereinander und mit den Konsumenten vernetzt sind, könnten aber ganz wohl selber Subventionen vergeben, um den Strukturwandel abzufedern oder zu beschleunigen.

Nicht umsonst versucht Nicanor Perlas, ein philippinischer Menschenrechtler und Vertreter der sozialen Dreigliederung, Kleinstkreditprogramme mit einer solcher Vernetzung zu kombinieren. Sonst werden die Kleinstkreditnehmer schnell zu Kleinkapitalisten, die wie Horst Köhler von Eigenverantwortung reden und meinen, dass der Staat überall einspringen muss, wo es um Gesamtverantwortung geht.

"Der Markt hat sich als überlegener Koordinierungsmechanismus zwischen freien Entscheidungsträgern eindeutig bewährt. Aber ebenso eindeutig ist, dass der Markt allein nicht alles zum Guten richtet." Mit dieser Aussage scheint die Gefahr gebannt, daß in der Person von Horst Köhler die Globalisierung zum Bundespräsidenten wird. So viel besser ist es aber auch nicht. Bei ihm kommen Kultur, Bildung und Wissenschaft nur als Standortfaktor im globalen Wettbewerb vor.

Sylvain Coiplet


Quelle: Die Drei, 4/2004, vom Autor genehmigten und überarbeiteten Nachdruck.