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Geistig-kulturelle Selbstbefreiung und die Währungsfrage
Quelle
Zeitschrift „Info3“
12/1989, Dezember 1989, S. 2
Bibliographische Notiz
Die Bevölkerung der DDR hat die verändernde und Öffentlichkeit schaffende Kraft ihrer eigenen Sprache und Kulturfähigkeit wiedergefunden. Wie ein Höhepunkt dieses monatelangen Ringens war die Ansprache der Sprachkünstlerin Spier am 4. November auf dem Alexanderplatz in Berlin vor einer Million Menschen. Tage später trat der gesamte Ministerrat zurück, Staatsbürgerkunde und Wehrunterricht verschwinden aus der Bildungsarbeit, Wandlitz wird ein Seniorenheim...
Und diese Bevölkerung hat sich das Recht zu reisen für alle erkämpft und das Recht auf Zugang zu den Medien des Landes. – In diesem Aufbruch war auch unmißverständlich der Wille zum eigenen Weg bei der Entwicklung der Gesellschaftsordnung zu erleben. Dies kann auch durch das Votum hiesiger Politiker und Interessenverbände nicht übertönt werden, die lauthals verkünden, Sozialismus sei ein für alle Mal gescheitert; und jetzt müßten für den weiteren Weg die westlichen Denkmodelle und Machtstrukturen übernommen werden (eine rühmliche Ausnahme in diesem Gezeter der West-Berliner Walter Momper).
Aber in dem die Bevölkerung der DDR die gewaltigen Hindernisse der geistig-kulturellen Bevormundung und die Knebelung ihrer Rechte hinweggefegt hat, prallt sie seit der Grenzöffnung auf neue Hindernisse: Die Nicht-Konvertierbarkeit der eigenen Währung, der entwürdigende Wechselkurs von bis zu 1:20 für das eigene Geld außerhalb der Grenzen, d.h. die Nichtanerkennung der von ihr erschufteten Leistungen im grenzüberschreitenden Verkehr. Seitdem stellt sich die Frage ihrer Würde ein drittes Mal. – Die Antwort der westdeutschen Konzerne und Politiker mit großdeutschen Träumen ist eindeutig: Unterwerft Euch unseren Marktmechanismen und Kapitalvermehrungskriterien. Verpfändet Euer Land und öffnet Eure Wirtschaft unseren Profitinteressen und delegiert Eure öffentlichen Angelegenheiten an eine Parteienlandschaft nach dem Muster der BRD. Neue Rivalitäten um die Lösungsversuche der sozialen Frage entbrennen, die vierzig Jahre lang durch die Demarkationslinie als entschieden galten. – Aber warum sollte der friedlich-energische Aufbruch der Menschen in der DDR vor der Wirtschaftsfrage kapitulieren und den eigenen, quasi mitteleuropäischen Weg verlassen? An der Währungsfrage kann dies illustriert werden.
Währung in einer Gesellschaftsordnung mündiger Menschen: Währung ist Wert, Gegenwert für eine vergangene, gegenwärtige oder zukünftige Leistung, die in der arbeitsteiligen Volkswirtschaft nachgefragt wird. Als Tauschinstrument drückt die Währung im Idealfall die richtige gegenseitige Bewertung der getauschten Leistungen aus (und nicht irgendeine Machtsituation privater oder staatlicher Art). Ein genau beobachtender Ökonom beschreibt die «Richtigkeit» der gegenseitigen Bewertung als den Preis, der den Leistenden in die Lage versetzt, ein gleiches Produkt in der Zukunft wieder zu erstellen unter Wahrung seines Lebensunterhaltes und der von ihm Versorgten (Steiner, Urzelle der Wirtschaft). Diese innere Wertkomponente der Währung setzt also voraus, daß das Wirtschaftsleben auf den tatsächlichen Bedarf hin organisiert ist und Warenerzeugung, -verteilung und -verbrauchen sich ungestört vollziehen können – quasi genossenschaftlich. Deshalb die sachgemäße Forderung nach Entflechtung von Wirtschaftsleben und Staat (durchs «Neue Forum») und vernünftige Koordinierung von Erzeugung und Bedarf durch die entsprechenden Verbände. Das hat nichts mit Scheitern sozialer Ideen zu tun, sondern mit der Einrichtung praktischer Formen in denen sie Wirklichkeit sind. Diese Versachlichung sozialen Wirtschaftslebens wird nicht erkämpft werden, um sie dann solchen Machtskonzentrationen wie der der Deutschen Bank, Mercedes/Messerschmidt-Bölkow oder bundesrepublikanischer Bodenspekulation auszuliefern...
Aber Währung ist zweitens auch Kreditmittel. Geld kommt in hochentwickelten Volkswirtschaften wie denen der DDR und BRD nicht (oder kaum) durch Tausch in den Verkehr, sondern durch Kredit-Schöpfung. Gegenwert ist die Leistungsfähigkeit der Arbeitskollektive und der mit ihnen verbundenen Produktionsmittel. Die zweite Komponente des inneren Wertes der Währung ist demnach: Währung ist die Summe der brauchbaren Produktionsmittel. Das erschließt sich der Beobachtung und dem Zusammendenken der volkswirtschaftlichen Tatsachen. Die bloß privatkapitalistische Orientierung der westdeutschen Volkswirtschaft hat diese Kreditvorgänge mehr und mehr an außerökonomische «Sicherheiten» gebunden: Macht, Lobby, Grund und Boden. Als Symptome dafür stehen: Waffenhandel, Wackersdorf und Kalkar, Reglementierung der Landwirtschaft, Hunderte von Milliarden DM Bodenwertsteigerung ohne realen Gegenwert. Das alles hat zu unvorstellbaren Machtkonzentrationen geführt, obwohl dies 1945/49 endgültig überwunden werden sollten. Die Konzerne bestimmen selbst die Kreditpolitik. Innerhalb ihrer Verzinsungskriterien führt das zu spektakulärer Überversorgung; außerhalb derselben zu Mängeln, Schäden und Unterbeschäftigung. – In dem sich die Bevölkerung der DDR die Chance sozialer Erneuerung erkämpft hat, wäre sie schlecht beraten, wenn sie sich die politischen Bedingungen für Kredite von außen diktieren ließe, und wenn sie die Kredite in ihrer Binnenwirtschaft an anderes als die Leistungsfähigkeit und Innovationskraft ihrer Arbeitskollektive binden würde. Das ist auch die Einzigartigkeit ihrer Initiative.
Und Währung ist drittens volkswirtschaftliches Schenkungsmittel, d.h. der immanente Geldkreislauf ist nicht zu Ende gedacht, wenn die Funktionen Kaufen und Kredit (Leihen) nicht in Schenkung übergehen. Dies ist die dritte Wertkomponente der Währung, die ausdrückt, wieviel unentgeltlich auf den gesellschaftlichen Sektor übertragen wird, der sich der Erziehung, Bildung, Kultur, freien Forschung und der Versorgung hilfbsdürftiger und alter Menschen widmet. Diese sozial-organische Funktion des Geldes wird in den Staatsbürokratien beiderlei Gestalt durch den Fiskus verdeckt und der für die Zukunft produktivste soziale Sektor notdürftig durch Steuern (Zwangsschenkungen) versorgt. Diese Schenkungsfunktion des ausgedienten Kreditgeldes kann sich auch in den westlichen Wirtschaftsordnungen aufgrund der privaten Macht an Produktionskapital und Boden nicht realisieren (s. Schweppenhäuser, Das kranke Geld). – In einer mündigen und sozialistischen und freien Gesellschaftsordnung (ja, in den Widersprüchen entfaltet sich erst das Leben, lieber Leserverstand!) entspricht dem Kreditvolumen des gesellschaftlichen Produktionspotentials nach und nach (gemäß der schwindenden und zu erneuernden Organisationskraft des Kreditgeldes) die öffentliche Schenkung. Der sozial-organische Kreislauf von Kauf-, Leih- und Schenkungsgeld im selbst verwalteten Geld- und Währungswesen ist das Pendant zu einem sich gliedernden Sozialismus!
Drei Wochen nach den Freudentränen wird das Grummeln an der Basis hörbarer: «Wat uns det allet kostet...» Die Einhundert Mark aus dem Steuersäckel? Nur zur Größenordnung: Wenn wir jetzt jedem «drüben» jeden Monat drei Jahre lang einen Hunderter an Kaufkraft übergeben würden, ergäbe das erst die Summe des westdeutschen Rüstungshaushaltes eines Jahres. Ein solcher Verzicht dieser Größenordnung wäre eine würdige Begrüßung der Friedensbewegung in der DDR. Aber vielleicht wollen sie Gespräche!?
Manfred Kannenberg-Rentschler
Berlin, Ende November 1989