Der Heidenheimer Kreis – ein Rückblick

Quelle
Zeitschrift „Bausteine für eine soziale Zukunt“
5/1979, Oktober 1979, S. 31–57
Bibliographische Notiz und Zusammenfassung

Erfahrungen sind dazu da, um aus ihnen zu lernen: Was geworden ist, kann man anschauen. Darin sind Gedanken, Gefühle, Willenseinrichtungen deutlich anschaubar geworden. Mit ihnen leben wir entweder bewußt weiter oder sie leben unbewußt in uns.

In der sozialwissenschaftlichen Forschung kommt es darauf an, das was sich in der Vergangenheit aus allgemeinen gesellschaftlichen Instinkten sozial auslebte, „ins Bewußtsein heraufzuheben.“ (Rudolf Steiner) Wenn wir einen Rückblick auf den Heidenheimer Kreis tun wollen, dann geschieht es in diesem Sinne; denn das könnte man als Motto über die Bemühungen des „Heidenheimer Kreises“ schreiben.

Das Ende dieses Kreises liegt nun fast ein Jahrzehnt zurück. Ein erinnerungsmäßiges Zusammentragen seiner Motive, Versuche, Resultate wäre sehr schwierig, wenn uns nicht ein für den letzten „Rundbrief“ spontan von mir verfaßter „Versuch eines Rückblickes“ vorläge. Ich finde, daß die durch fast fünfundzwanzig Jahre fortgesetzten Versuche dieses

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Kreises es verdienen, durch den hier folgenden Abdruck wenigstens in den Lesern der „Bausteine“ allein schon um des Reflektierens willen zur Anschauung gebracht zu werden. Man wird dadurch auch verstehen, daß sich das Institut für soziale Gegenwartsfragen als eine (aufgrund der gemachten Erfahrungen modifizierte) Fortsetzung dieses Kreises betrachtet und deshalb neben den verstorbenen oder noch lebenden Teilnehmern an diesem Kreis besonders der beiden Persönlichkeiten gedenkt, die ihn impulsiert und durch ihre Hilfe und Arbeit in erster Linie getragen und so lange Zeit am Leben gehalten haben: Hanns Voith und Fritz Götte.

Der letzte „Rundbrief“ zur Michaeli-Tagung 1971 am 24. , 25. und 26. September im Umfange von 70 Seiten habe sozusagen „Vermächtnischarakter“, sagt darin Fritz Götte. Er hielt damals einleitend einen Vortrag mit dem Thema „Der wirtschaftende Mensch in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“, der ausklang mit dem Novalis-Wort: „Das gewöhnliche Leben ist ein Priesterdienst.“ In seinem Abschiedswort heißt es: „Wir haben uns in mancher Beziehung noch einmal die Grundimpulse, die uns durch fast 25 Jahre getragen haben, vergegenwärtigt. In unserer Arbeit ging es uns darum, Einrichtungen und Lebensformen zu schaffen, in denen die Arbeitswelt in der Würde des Menschen bestehen, leben und schaffen kann. Dabei ging es uns primär am das Leben in unseren eigenen Betrieben. Aber es war uns klar, daß das Gestalten des Lebens im Betriebe nur ein individueller Beitrag sein konnte zur Erneuerung des sozialen Gesamtorganismus – im Zeichen der Menschenwürde – des sozialen Organismus, der künftig einmal von ganz anderen Kräften getragen und gestaltet werden muß, als unser Volk, das im Zeichen des Verdienens und Genießens lebt, heute weiß.“

Die Frage ist auch: Was ist davon nach fast zehn Jahren noch geblieben?

Als Hanns Voith im Jahre 1947 mit Fritz Götte den Pakt schloß, von dem er in seinem Lebensbericht erzählt und damit die Initialzündung für den

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Heidenheimer Kreis gab, konnte man dies wie eine Erlösung empfinden aus der langen und qualvollen Knebelung des Geistes und der Unterjochung des Willens durch ein brutales System. Es war ein ermutigender Schritt zur Gemeinsamkeit für alle Mitglieder dieses Kreises, die nun hofften, ja gewissermaßen darauf brannten, in echt anthroposophischem Geist in ihren Arbeits- und Lebensbereichen eine neue soziale Wirksamkeit entfalten zu können. Es war in diesem Sinne ein für die Zukunft bedeutungsvoller Moment, an dem dies geschah.

Als nach fast einem Vierteljahrhundert nun der Beschluß gefaßt wurde, der das Ende des intendierten Arbeitskreises bedeutet, fiel mir ein Wort von Albert Steffen ein: „Der Acker des Lebens verwildert, wenn man nicht bei einem gewissen Alter halt macht und Ernte hält. Das heißt“ – so fährt er fort – „nicht nur zurückschauen, sondern vorwärts über den Tod hinaus auf das, was nachher kommt.“

Dieses Wort empfand ich als einen Anruf, dem Augenblick gerecht zu werden, an dem wir nun mit dem Ende dieses ursprünglichen „Heidenheimer Kreises“ stehen. Wenn man in einem solchen Momente im Sinne dieses Wortes die Bedeutung der Berufung dieses Kreises gewissermaßen zu deuten sucht, dann kann dies nur ein schwacher Versuch sein, aber im Verständnis des Zitates und des Entstehungsmomentes des Kreises ein ebenso notwendiger Versuch.

Das Ziel und das Bedürfnis, das damals die Persönlichkeiten im „Heidenheimer Kreis“ zusammengeführt hat, ist ja nicht etwa durch den Gang der Dinge überholt, sondern erhält durch Fortgang der sozialen Konfusion fast von Tag zu Tag eine zentralere Bedeutung – wie wir wissen, noch für die nächsten Jahrhunderte. Deshalb kann man sich fragen: War nicht der „Heidenheimer Kreis“ selbst nur ein vorläufiger, schwacher Versuch? Gleichsam nur ein erster Anlauf von Individualitäten – auf sozialem Felde – zusammen mit den über ihnen waltenden Schicksalsmächten, begonnen in einem zeitgeschichtlichen Moment, in welchem das Entscheidende für die Zukunft gerade oder nur auf sozialem Felde geschieht oder geschehen müßte, obgleich die meisten Menschen das heute noch nicht wissen?

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Es kann sich jetzt nicht darum handeln, über den „Versuch“ Heidenheimer Kreis nur in positivem oder gar negativem Sinn zu entscheiden oder auch nur zu urteilen, sondern sich Rechenschaft zu geben über das, was diesen Kreis bewegte, um es zu ver-objektivieren. Dieses „Sich-Verobjektivieren, dieses sich in der Gegenwart loslösen von seiner Vergangenheit, dieses Herausschälen des Ich aus seinen Erlebnissen“ hat Rudolf Steiner mit großer Eindringlichkeit gerade in jenem Vortrag gefordert, der – am 12.12.1918 gehalten – die kurze Zeitspanne der äußeren sozialen Aktivität der anthroposophischen Bewegung nach dem Ersten Weltkrieg – die Dreigliederungsbewegung – einleitete. „Soziale und antisoziale Triebe“ heißt dieser Vortrag, der als Hintergrund die Tatsache hat, daß in der Menschheit „gerade die antisozialen Triebe immer mächtiger und mächtiger sich entwickeln müssen bis ins dritte Jahrtausend“. Und nicht darum handle es sich – ich zitiere – , „Rezepte zu finden, die antisozialen Triebe zu bekämpfen, sondern darauf kommt es an, die gesellschaftlichen Einrichtungen, die Struktur, die Organisation desjenigen, was außerhalb des menschlichen Individuums liegt, was das menschliche Individuum nicht umfaßt, so zu gestalten, so einzurichten, daß ein Gegengewicht da ist für dasjenige, was im Innern des Menschen als antisozialer Trieb wirkt.“

Es ist immer ein gewisses Wagnis, wenn man sich veranlaßt fühlt, Worte Rudolf Steiners auf bestimmte Situationen zu beziehen, um diese damit zu verdeutlichen. Aber welche Hilfe haben wir dadurch nicht alle auch schon erfahren, wenn wir die richtigen, erhellenden Worte des Lehrers gefunden haben!

Diese „gesellschaftlichen Einrichtungen“, die soziale Struktur, die Organisation – sie werden ganz, ganz andere sein müssen als heute, wenn es darum geht, für den immer mächtiger und mächtiger sich entwickelnden antisozialen Trieb das notwendige Gegengewicht durch die äußeren Lebensformen zu schaffen, ohne daß die darin sich entfaltende Individualität unterjocht, gefesselt und unterdrückt wird. Zu der Notwendigkeit, durch eine neue Sozialerkenntnis das soziale Bewußtsein vollkommen zu

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verwandeln, so daß sich die soziale Landschaft völlig verändern kann, muß hinzukommen – sagt Rudolf Steiner – dieses „Sich-Verobjektivieren, das Sich-Freimachen von Sympathie und Antipathie. Wir gewinnen zweierlei dadurch: Ein Bild davon, was wir durch unsere Begegnungen und Bestrebungen geworden sind und wie wir ein Produkt sind dieser Begegnungen“; und „auf der anderen Seite gewinnen wir durch unsere Verobjektivierung die Möglichkeit, direkt die Imagination von uns selbst zu entwickeln“. Imaginativ erfaßte, impulsierend wirkende, reale Bilder neuer sozialer Institutionen und dann diese Verobjektivierung unseres Selbst, das sind die Möglichkeiten, um den immer mächtiger werdenden antisozialen Trieben entgegenzuwirken. In diesem Sinne scheint mir auch im Falle des „Heidenheimer Kreises“ der Versuch berechtigt, „Ernte zu halten“ und die Vergangenheit des Kreises selbst zu „verobjektivieren“.

Die weit mehr als zweitausend Seiten Rundbriefe des „Heidenheimer Kreises sind dafür eine unentbehrliche Hilfe, für die ich bei dem tagelangen Studium der Rundbriefe oft dankbar unseres Freundes Götte gedacht habe; manche Gedächtnislücke konnte durch sie wieder geschlossen werden und über oft schmale Brücken führt doch der Weg zu einem lebendigen Bild des Lebensschicksals des Heidenheimer Kreises. Obgleich die Rundbriefe natürlich nur einen Bruchteil von dem enthalten, was gedacht, gesprochen, gewollt wurde, so sind sie doch wie ein Katalysator bei einem redlichen Bestreben, die Gewichte richtig zu verteilen in bezug auf das Erstrebte, das Erreichte, das Nichterreichte, das Nicht-Erreichbare bis „über den Tod hinaus“ und „was nachher kommt“; denn wir wissen es ja aus der Anthroposophie: Keine Rückschau kann und darf befriedigen – man muß das, „was nachher kommt“ bereits hinzunehmen, um bestehen zu können.

Fast 25 Jahre hat der Kreis durch seinen Arbeitszusammenhalt und die unwiederholbare schöne menschliche Atmosphäre im „Eisenhof“ bestanden: ohne eine Konstitution, ohne Statuten, ohne das, woran man meist zuerst denkt, den eingetragenen Verein. Nur einmal – 1952 – tauchte der

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Gedanke auf: Ein Büro einzurichten, einen Verein zu gründen. Der Auftrag, eine Satzung zu entwerfen, wurde den Stuttgarter Freunden übertragen, die Gründung für die nächste Tagung beschlossen. Doch alles das unterblieb – nach den Niederschriften stillschweigend. Wenn man bedenkt, daß es sich wie gesagt bei der Begründung dieses Kreises um Erkenntnisse, Aufgaben und Zielsetzungen für Jahrhunderte handelt, so ist dies auffallend und ein charakteristisches Kennzeichen für diesen Kreis bis zuletzt geblieben.

Das Gegenbeispiel liegt in greifbarer Nähe: Etwa 10 Jahre später hat die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände die „Walter-Raymond-Stiftung“ geschaffen „zur Förderung ihrer Aufgaben auf dem Gebiet der Bildungs- und Aufklärungsarbeit“, und sie hat diese Ziele damit so verfolgt, wie sie eben diese „Bildungs- und Aufklärungsarbeit“ versteht. Sie hat der Stiftung den Namen des ersten Vorsitzenden und späteren Ehrenpräsidenten der Bundesvereinigung Walter Raymond gegeben (als Vorstand und Mitglieder wurden damals 28 Namen von Firmeninhabern, Mitgliedern des Management großer Firmen angeführt, außer einem Professor und einem Rechtsanwalt; die Geschäftsführung liegt bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände; die Beiratsliste enthält unter 10 Namen 9 Namen von Universitätsprofessoren).

Solche Stiftungen haben bekanntlich ein zähes Leben. Die Walter-Raymond-Stiftung wird zweifellos den Heidenheimer Kreis lange überleben – auch wenn sie sich in bezug auf die von ihr verfolgten Gesellschaftsvorstellungen bereits überlebt hat – , vermutlich so lange, wie das Gesellschaftssystem selbst noch Bestand hat. – Die erste Veröffentlichung „Eigentum und Eigentümer“ (1960) ist im „Heidenheimer Kreis“ besprochen worden in der 40. Tagung 1960 bei dem Thema „Die Stellung des Eigentums im sozialen Leben.“

Es lag nicht im Schicksal des „Heidenheimer Kreises“, sich in ähnlicher Weise, aber mit fortschrittlicher Zielsetzung, äußerlich zu konstituieren. Das hatte gewisse äußere und innere Gründe; solche, die zum Wesen dieses Kreises gehören, der trotz der jetzt erfolgenden Auflösung mit allem,

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was er wollte, aus der Gegenwart heraus in die Zukunft strebte. Aber wäre dieser Zukunftsaspekt nicht vielleicht stärker ins Gewicht gefallen, wenn der Kreis sich doch frühzeitig fest konstituiert hätte? Ich komme zum Schluß darauf zurück.

Da jede Vereinigung von Menschen einen Gruppengeist oder eine Gruppenseele hat, kann man sich fragen: Was wird aus dem Gruppengeist des „Heidenheimer Kreises“, wenn dieser nun äußerlich auseinanderfällt? Eine nicht unwichtige Frage für Anthroposophen.

Damit kommt man im Bemühen um eine Ver-Objektivierung auf die Grundfragen: die Zielsetzungen und die sozialwissenschaftliche Forschungsweise des Kreises, so wie diese sich dokumentarisch anhand der Rundbriefe verfolgen lassen. Da scheint mir wichtig, zu verfolgen, wie das äußere politische und ökonomische Zeitgeschehen bei den Denkprozessen und den Einzelzielen der Mitglieder des Kreises mitgewirkt hat.

Entstanden war der Kreis 1947 in einer Periode größter Unsicherheit nach dem totalen Zusammenbruch und also noch vor der Währungsreform. Versucht man, sich in jene Jahre zurückzuversetzen, dann muß man sich heute schon sehr anstrengen, die Empfindungen, Gedanken, Impulse wieder deutlich im Innern aufleben zu lassen, die damals dem Kreis seine innere Geschlossenheit und seine spirituelle Realität gaben. – Es war damals trotz der desolaten äußeren Verhältnisse ein idealistischer Schwung vorhanden nicht nur in dem diesem Kreis spezifischen Drang, Neues auf sozialem Felde zu gestalten, sondern auch in der Art, wie man die sozialen Probleme mit geisteswissenschaftlichem Hintergrund neu zu fassen und zu formulieren versuchte. Selbst in den notwendigerweise unvollständigen Niederschriften der ersten Jahre ist davon noch ein starker Hauch zu spüren – lebte und strebte man damals doch noch mit ganz anderen Hoffnungen in bezug auf die sozialen Wirkensmöglichkeiten und Impulse nach den furchtbaren Katastrophen! Damals konnte so etwas fast elementar entstehen, wie die „Human-Relations“-Bewegung; die Duisburger Kupferhütte war als sozialer Impuls in aller Mund; das sind nur zwei Stichworte für eine von der heutigen noch grundverschiedenen sozialen Stimmung,

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die zwar schon in den fünfziger Jahren abflaute, aber doch etwa die beiden ersten Jahrsiebte des „Heidenheimer Kreises“ begleitete. „Ein Ausländer sagte kürzlich im Gespräch“ – so steht noch 1955 im Rundbrief: „In Deutschland ist durch das, was geschieht, der Marxismus überwunden. In der Tat: Wir können sagen, wir haben seit Rudolf Steiners Tod Fortschritte in seinem [Sinne] gemacht. Wir haben einfach andere Verhältnisse als diejenigen, auf deren Hintergrund die Kernpunkte der sozialen Frage geschrieben sind. Das haben aber manche Freunde offenbar nicht erfaßt.“ So hat es damals Götte notiert. Und man kann verstehen, wenn damals Pessimismus in bezug auf die Möglichkeit sozialer Fortschritte noch kritisch beurteilt wurde, da man doch, nach Osten blickend, dort nur das sich immer mehr ausbreitende Chaos sah. So war die Grundstimmung am Anfang.

Aber aus der „sozialen Marktwirtschaft“, die einmal mit Pomp aus der Taufe gehoben wurde, ist – wie man heute drastisch sagen müßte – ein alter Hut geworden. – In der 49. Tagung (1964) klingt es sehr viel anders: Ein Amerikaner sagte damals zu einem der Freunde: „Deutschland hat sich in den letzten 2 Jahren sehr verändert: Die gleiche Hast, der gleiche Ellenbogenstil wie bei uns drüben.“ Und schon 1964 hat unser verstorbener Freund Walter Rau den Angriff des amerikanischen Kapitals, das nun „den deutschen Markt à tout prix zu erobern wünschte“, in düsteren Farben geschildert: „Zustände eines Kampfes aller gegen alle wie vor 1910 in Deutschland, Sitten, die alle Ordnung auf dem Markt zu sprengen drohen: Immer hart an der Grenze der schon weit aufgelösten Legalität.“

Der mit den wenigen Äußerungen aus den Rundbriefen gekennzeichnete und uns allen geläufige Fortgang der Dinge, deutlicher gesagt, der soziale und geistige Niedergang bei permanenter Steigerung des materiellen Fortschritts und Wohlstandes, ist nicht ohne Wirkung auf die innere Verfassung des „Heidenheimer Kreises“ geblieben. Aus dem idealistischen Schwung (im November 1949 hatte es bereits die achte Tagung ge-

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geben!) , der in den Betrieben zu sozialen und kulturellen Aktivitäten geführt hatte, über die man im Nachvollziehen heute staunen muß – oder vielleicht nachträglich ein wenig erschrickt? – , wurde notwendigerweise zunehmend Unsicherheit im Denken und im Verfolgen von betrieblichen Zielen und der Erwartung von sozialen Fortschritten. Das kommt deutlich zum Ausdruck in einer aus der 45. Tagung (1962) im Rundbrief festgehaltenen Frage Göttes, die, wie er da sagt, ihm sehr am Herzen liege: „Wie kommt es, daß bei uns großartige Gedanken vorhanden sind und man trotz allem mit diesen nicht ‚ankommt‘ ? Wir dürfen die Dinge“, so habe sich ihm gezeigt, „nicht weltanschaulich vertreten – etwa so: Wir haben bereits alles und ihr müßt empfangen – , sondern sie müssen aus der Sache und aus den Menschen heraus, die in der ‚Sache‘ stehen, entwickelt werden. Es müßte ein gemeinsames Herausarbeiten der Dinge eintreten. Wir brauchen“ – sagte er – „diese neue Lehre, die eine Praxis für die Betriebe im Umgang mit Mitarbeitern begründen kann.“ Und er fügt hinzu: „Leider wurde diese Frage von Herrn Götte von den Freunden nicht weiter aufgegriffen.“

Ich habe in jenen Jahren im Blick auf die innere Verfassung des „Heidenheimer Kreises“ öfter an das Goethewort in Wilhelm Meisters Lehrjahre denken müssen: „Der Sinn erweitert, aber lähmt. Die Tat belebt, aber beschränkt.“ Von Anfang an war das besondere Bestreben des Kreises, eine neue soziale Grundlage für die Betriebe zu schaffen und dies nicht so sehr erkenntnismäßig-theoretisch, sondern durch soziales Tun. Durch die gemeinsame geisteswissenschaftliche Basis bildete der „Heidenheimer Kreis“ dafür die von allen Teilnehmern sehr gewünschte Plattform für „klärende Gespräche“, und in der gemeinsamen Leitung des Kreises empfand man eine „ermutigende“ Kraft für die eigenen Initiativen in den einzelnen Unternehmen, wie Hanns Voith dies in seinem Buch formuliert. Dafür zeugt das Ringen um die Eigentumsfrage, die zwar in den Aussprachen schon ganz am Anfang stand, aber auch später nicht zum Abschluß kam. Es schien in der Ausgangssituation noch völlig klar, daß hier der Angelpunkt liege für eine entscheidende Wandlung des sozialen Bewußt-

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seins und des sozialen Verhaltens überhaupt. Aber das nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst immerhin noch in der Schwebe gebliebene Problem des Eigentums an den Produktionsmitteln (Ahlener Programm) wurde sehr bald im Kalten Krieg eingefroren und das wirtschaftliche Leben wurde politisch auf das alte Geleis geschoben. Übrig ist bis heute nur der sterile Kampf der Machtgruppen um die Mitbestimmung geblieben. So haben wir immer mehr erkennen und am eigenen Leibe erfahren müssen, wie eng dadurch die Grenzen gezogen sind für sozial impulsierte neue Beziehungen in den Betrieben! Was konnte anderes herauskommen als Resignation, eingestandene oder uneingestandene?

Ausgerechnet unser in seinen Hoffnungen ungebrochen erscheinende Alfred Rexroth hat damals für den Rundbrief der 45. Tagung einen erfrischend zornigen Beitrag über den herrschenden Sozialdarwinismus beigesteuert – diesen „wuchernden Urwald“ und „wirtschaftlichen Dauerkrieg mit halbverwesten Begriffen“, wie er sagt – und als „Zustandsbild“ unserer „Gesellschafts-Zufallsordnung“ hat er daraus formuliert: „Als Denkender ist jeder durch die Verhältnisse ein zwangsweise an sich Denkender; als Fühlender wird er hin- und hergerissen zwischen erzwungener Anteilnahme und absichtlicher Teilnahmslosigkeit; als Wollender ist er, soweit sein freier Wille tätig sein könnte, nahezu ein Nichts... Unsere Arbeit versuche ich für mich unter dem Leitgedanken zu sehen: Die hohen Ziele geistig verarbeiten, die kleinen Ziele tätig anstreben.“

Mit diesen Sätzen ist die Situation formuliert, in der der „Heidenheimer Kreis“ fortlaufend stand: Seine Mitglieder wollten in neuer Weise sozial tätig werden auf den ihnen schicksalsmäßig zugefallenen Arbeitsfeldern. Dem steht heute die Gesellschaftsstruktur und das allgemeine soziale Bewußtsein als mächtiger Widerpart gegenüber. Das ist die Herausforderung, die diesen Kreis zwingen mußte, die „hohen Ziele“, wenn sie auch in ferner Zukunft liegen, doch schon „geistig zu verarbeiten“, sie also, wie Götte damals auch gesagt hatte, „gemeinsam herauszuarbeiten“, um eine „Lehre“ daraus zu machen für den Umgang mit den Mitarbeitern. Das aber war gerade das Problem dieses Kreises, mit dem er nie so recht

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fertig geworden ist und auch nach Lage der Dinge nicht fertig werden konnte. Und so ist die Frage nach der richtigen Verbindung von Wissenschaft und Praxis, von Ideal und Wirklichkeit, die von Anfang an die Arbeitsproblematik des „Heidenheimer Kreises“ ausmachte, bis ans Ende des Kreises sozusagen in der Luft stehengeblieben. Und die Frage ist offen geblieben: Ist dieser Gegensatz im sozialen Leben unlösbar und spukt die Lösung nur in den Köpfen von Sozialromantikern, wie die heutigen sogenannten Praktiker stets sagen?

Das Wort „Der Sinn erweitert, aber lähmt. Die Tat belebt, aber beschränkt“, weist auf die Gefahr hin, die in der Einseitigkeit, in der Alternative liegt: als ob man gezwungen wäre, die eine oder die andere Verhaltensweise im Leben zu wählen – bewußt oder schicksalsmäßig. Nein, gerade auf die Notwendigkeit, das Gleichgewicht zwischen beiden anzustreben, auf die Synthese der Polaritäten wird da hingewiesen – das Äquilibrium, auf das Rudolf Steiner so nachdrücklich für alle sozialen Einrichtungen und Vorstellungen in der heutigen Zeit hinweist, für welches die Dreigliederung des sozialen Organismus geradezu das Urbild ist. Für das individuelle Streben ist damit hingedeutet auf das Wesen und die Taten des Ich, das „Schaffen eines tätigen, eines aktiven Mittelpunktes in der Menschennatur, wodurch dieser Gleichgewichtszustand von innen heraus vorbereitet wird“ (5. Vortrag von „Die Mission einzelner Volksseelen“, 1910).

Das, was allen, die sich mit dem „Heidenheimer Kreis“ verbunden hatten, am Herzen lag, war doch die Frage, wie man die aus der Geisteswissenschaft Rudolf Steiners zu gewinnenden sozialen Erkenntnisse zu sozialem Leben erwecken kann. In diesem Punkte befindet man sich mit der durch die herrschenden Lebensverhältnisse frustrierten jungen Generation in voller Übereinstimmung. Man kann zum Beispiel über eine neue Eigentumsform oder über eine assoziative Wirtschaftsordnung nicht mit Studenten diskutieren, ohne daß man bald gefragt wird: Und was ist Ihre Strategie? Wenn man darauf nicht antworten kann, dann betrachten sie alles nur als ein ideologisches Programm, und dann drehen sie ab.

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Mit dem Hintergrund geisteswissenschaftlicher Erkenntnisse auf sozialem Gebiet bleibt es für uns immer die quälende Frage: Wie muß man die Dinge sozial praktikabel darstellen und im sozialen Leben heute anfangen, wenn man das Glück hat, das Richtige wissen zu können? Die „Strategie“ stand im „Heidenheimer Kreis“, so sehe ich es, von vornherein fest. Vielleicht zu fest? Man muß auch darauf am Schluß noch zurückkommen. In der 50. Tagung wurde Manches von dieser Problematik der Strategie im „Heidenheimer Kreis“ deutlich erkennbar.

Im Zusammenhang mit der 50. Tagung hat Götte einen Überblick über das bis dahin im Heidenheimer Kreis Erarbeitete und Geleistete gegeben (Rückblick auf 49 Arbeitstagungen: Spirituelle Aspekte im Sozialen, November 1965). Was den Umfang des Themenkreises und das Engagement der Mitglieder betrifft, so ist wirklich in den bis dahin verflossenen Jahren im Heidenheimer Kreis Außerordentliches in Angriff genommen worden. Auch wird sich niemand von uns ausnehmen wollen, wenn ich sage, daß das, was da von Anfang an als sozialer Impuls wirksam geworden war, für uns alle weitgehend schicksalbestimmend geworden ist in der Vergangenheit, aber sicherlich auch für das, „was nachher kommt“.

Ich kann das, worauf hier hingedeutet wird, besser mit den Worten unseres lieben Walter Rau (in der 52. Tagung, Oktober 1966) sagen als mit den meinen: „Als der „Heidenheimer Kreis“ gegründet wurde, aus der Vereinzelung herauszukommen und als Unternehmer aktiv werden zu können... Der Kreis bot ein einzigartiges Bild eines Gemeinschafts-Karmas: Fast alle Freunde standen in der zweiten Hälfte ihres Lebens, hatten also schon eine Menge Erfahrungen als Unternehmer, als Anthroposophen hinter sich. Alle waren gezwungen gewesen, sich einer Kriegswirtschaft zu verpflichten, die weitab lag von unseren inneren Zielen... Die gestaute Energie suchte sich ein geistiges Ziel, das aus der Anthroposophie erfließen könnte... Frei sollte jeder von uns bleiben in der praktischen Verwirklichung dieser Ideen. Und so mußte in der Wirtschaft ein Kräftefeld entstehen können, das aus anthroposophischem Geiste heraus zu Taten führen könnte, die einen neuen

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Einschlag auf dem Gebiete der Wirtschaft bedeuten würden... Dies sollte am ehesten möglich sein in einer Wirtschaft, die so sehr wie die unsrige am Nullpunkt neu beginnen mußte.“

Aber schon 1966 waren die Verhältnisse bereits im alten Sinne vollkommen verfestigt. Und so mußte Walter Rau in Erinnerung an diese Anfangszeit des Kreises sagen: „Aus unserer zerstreuenden, zerteilenden, zeitvernichtenden Berufspraxis ist der ‚Gang zu den Müttern‘ besonders schwer und besonders notwendig. Ich darf wohl, ohne unbescheiden zu sein, sagen: Dieser Kreis von Wirtschaftern hat nicht seinesgleichen. Manchmal kam ich fast verzweifelt hier herein und durfte erleben, daß ich am Sonntag mit starken Impulsen wieder hinausschreiten konnte.“ Wenn dennoch schon damals in der 50. Tagung ernsthaft die Frage gestellt werden mußte, ob man nun nicht nach 18 Jahren Schluß machen solle oder müsse, so kam das nicht von ungefähr – keineswegs aus Gründen einer allgemeinen Ermüdung. Ich glaube, mehr im Unterbewußtsein der Teilnehmer machte sich nun eine innere Problematik des Kreises bemerkbar. Man wollte sich wohl aber nicht rückhaltlos eingestehen, daß die äußere gesellschaftliche Entwicklung dasjenige eigentlich überrundet und mehr oder weniger illusorisch gemacht hatte, was als idealistischer Impuls den Anstoß zur Gründung gegeben hatte, nämlich – im Sinne der Worte von Walter Rau – die Hoffnung, von der lebensnahen Praxis des Betriebes aus einen positiven Einfluß auf den allgemeinen Fortgang der sozialen Verhältnisse in der Bundesrepublik auszuüben. Nun, es wurde damals schließlich einstimmig beschlossen: Weitermachen!

Die darauf folgenden Jahre haben gezeigt, daß dies nicht genügte. Die innere Erkenntnisarbeit kam danach gleichsam in einen Zustand des „Rotierens“ um einige praktische Probleme, die mit den Stichworten: Neutralisierung der Eigentumsmacht, Stiftungsform, Partnerschaft, Unternehmertum, Durchdringung der Betriebe, und nicht zuletzt rein geisteswissenschaftliche Erkenntnisse und die individuelle innere Entwicklung umrissen werden können. Über Eigentum, Wirtschaftsprinzip und „Soziales Hauptgesetz“ war viel gearbeitet worden, und alles findet man durch-

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zogen von dem Urgedanken der drei autonomen Glieder des sozialen Organismus, der gewissermaßen immer als Kriterium dahinter stand. Und es scheint mir ganz sicher, daß wir uns beispielsweise in der Eigentumsfrage zwar auch unausgesprochen durchaus einig sind über die notwendige Befreiung der Produktionsmittel aus der uneingeschränkten Sachherrschaft des § 903 BGB und auch über die dafür zu fordernde neue Rechtssubstanz (Walter Rau hatte darüber großartige Präzisierungen gefunden); darin kann es ja auch in bezug auf die Auffassung Rudolf Steiners überhaupt keine Unklarheit geben. Aber da diese Eigentumsform vorläufig nicht erreichbar ist, bewegte sich das Denken immer mehr in Richtung auf die „Ersatzlösungen“, – wie dies einmal bezeichnet wurde. – Walter Rau hatte in seinem Beitrag 1952 noch gesagt: „Mir war klar, daß die einzige Form, in der ein Wirtschafter solche (sozialwissenschaftlichen) Ideen übend erarbeiten könnte, die eigene Praxis wäre.“ Das war es aber, was sich im Laufe der Jahre – zunächst wenig bemerkt – immer mehr als etwas nicht mehr voll Befriedigendes wie am Anfang in der Arbeit des Kreises auswirkte. Es ist aber dann durch eine Art von angestrengter Faszination möglicher praktischer Erfolge manches, was schon einmal erarbeitet war, wieder aus dem Bewußtsein verdrängt worden, so daß in der 26. Tagung (1956) der Satz gefallen ist – protokollarisch vermerkt von Götte: „Es sind fast 7 Jahre, daß wir uns mit diesem Problem (Warencharakter der Arbeitskraft) auseinandergesetzt haben. Wir sind damals schon sehr weit gewesen, haben aber vieles vergessen.“ Diese spontane Bemerkung gibt Grund zum Nachdenken; nämlich über die Frage, wie man es anpacken müßte, damit in der geisteswissenschaftlich orientierten Sozialwissenschaft das Denken aus der programmatischen, deklamatorischen Abstraktion zu einer neuen Form bildhaften sozialen Bewußtseins kommen kann, durch welches das einmal Erkannte als neues soziales Bewußtsein erhalten bleibt – eine meines Erachtens entscheidende Frage für soziale Erkenntnisarbeit. Denn wie kann man – das ist die Frage – errungene Sozialerkenntnisse festhalten und vertiefen, wenn die soziale Umwelt dazu in vollem Widerspruch steht und den Dauerzwang ausübt, von dem Rexroth sprach?

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Eine andere, im Rundbrief verzeichnete spontane Äußerung unseres ebenfalls schon von uns hinweggenommenen Emil Kühn aus dem Jahre 1956 sei hier angeführt (26. Tagung). Er sagte, der Dreigliederungsgedanke dränge sich zwar überall auf, aber die Frage sei, was herauskommen werde, wenn wir nicht darstellen könnten, „was die Dreigliederung als Ganzes wirklich ist“. „Sind wir“, fragt er, „überhaupt stark genug gegenüber dem Ansturm, wenn wir öffentlich mit der Dreigliederung wirken?“ Und Hellberg meinte damals zu dieser Frage, das moderne Denkleben habe auch die Anthroposophie nur als Ideenwissenschaft ideologisiert. Auch die Dreigliederung würde so genommen und deswegen sei sie „versackt“. Selber unser so innig mit dem Kreis verbundener verstorbener Freund Prausnitz war damals „unzufrieden mit der Behandlung aller dieser Probleme“ – heißt es im Protokoll. Er wies auf die schwunghaft betriebene Moralische Aufrüstung hin, zu deren Veranstaltungen, wie er sagte, Adenauer, Gerstenmaier, Hellwege usw. Einladungen ergehen ließen. Man sprach von ihrer „ideologischen Mission“. Es ist gut, sich an solche Vorgänge zu erinnern, um nicht in die gleichen Fehler zu verfallen und die Dreigliederung als politische Idee zu „ideologisieren“.

Gegenüber den schmalen Rundbriefen der ersten Jahre werden später die Volumina erheblich „wohlhabender“, aber nicht durch Wiedergabe des Gesprächs im einzelnen, sondern durch die zahlreichen Einzelbeiträge als Ergänzungen zum Tagesthema. Sie sind zwar eine Fundgrube von guten, oft genialen Gedanken, aber sie erreichen nicht mehr die Lebendigkeit der früheren Beurkundung des Gesprächsprozesses selbst – denn sie sind literarische Werke und als solche eine anstrengende Lektüre. Auch könnte man schon darin eine versteckte Wandlung in der inneren Konstitution des Kreises sehen, insofern als das Gespräch allein nicht mehr als so fruchtbar sich erwies, während Information und Kommentar noch mehr in den Vordergrund traten als früher.

Inzwischen hatte sich das Bild der Gesellschaft durch die Studentenrebellion, die Apo und die Roten Zellen wieder stark gewandelt, so daß Rexroth

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in seinem Beitrag zum Rundbrief über die 60. Tagung 1971 zutreffend dargestellt hat, wie sich in der Welt auch eine starke Wendung in der Auffassung über das Eigentums-Institut vollzieht, ja bereits vollzogen hat. Da heißt es: „In einem großen Teil der Welt besteht kein Privateigentum an den Produktionsmitteln mehr; sie sind längst in Gemein- oder Volkseigentum übergeführt worden oder werden es in naher Zukunft... Von den zahlreichen Umwälzungen und Veränderungen in unserer Zeit hat kaum eine für das Bewußtsein und das Lebensgefühl der davon betroffenen Menschengruppen eine so gewaltige Umstellung gebracht wie diese... Die These des marxistischen Sozialismus wird weitgehend für zeitgerecht, der Privatkapitalismus dagegen für überholt empfunden.“

Daß es so ist, wissen wir alle. Es ist eine Tatsache von größter Tragweite. Am Anfang stand im „Heidenheimer Kreis“ die Frage des Eigentums an den Produktionsmitteln. In der 60. Tagung, der eigentlich letzten, stand sie wieder im Mittelpunkt. – Am Anfang des „Heidenheimer Kreises“ stand der Ruf von Hanns Voith und die Begründung des Kreises zusammen mit Fritz Götte. Am Ende stand ein bewegendes Gedenken an Hanns Voith.

Die 60. Tagung war – worauf Götte hinwies – „ursprünglich gedacht als Arbeit am Grundsätzlichen zum Problem des Eigentums an den Produktionsmitteln“. Dazu kam es nicht. Die Tagung bewegte sich allein im Rahmen oder in der Wiederholung dessen, was Hellberg lange „Ersatzlösungen“ genannt hatte. Es ist so deutlich geworden, wie sehr die Arbeit im „Heidenheimer Kreis“ damit in eine Sackgasse geraten ist. Das wird am allerdeutlichsten, wenn Beltle schreibt: „Die Verstaatlichung hat sich nicht bewährt. Die Form der demokratischen Genossenschaften erwies sich als brauchbar für wenige Wirtschaftszweige (Handel, Banken, Elektrizitätswirtschaft usw.), nicht dagegen für die eigentliche industrielle Produktion. Die Form der Stiftung ist, langfristig gesehen, in ihrer Leistungsfähigkeit umstritten. Aus der Form der Partnerschaft liegen wohl noch nicht genügende Erfahrungen vor, ob sie sich auf die Dauer bewährt. Der Fall der Neutralisierung des Volkswagenwerkes ist ein unvollständiges Beispiel,

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weil über die ganze Dauer der Eigentumslosigkeit das Werk mit einem ausgezeichneten Vorstand besetzt war. Die neue Form der Eigentumsneutralisierung am Beispiel des Verlages Freies Geistesleben, bei welchem die Gesellschafter kein Verkaufsrecht, kein Vererbungsrecht und kein Recht der Gewinnausschüttung haben, muß sich auch erst im Laufe der Zeit bewähren.“

Die äußeren Verhältnisse haben sich so verfestigt, daß sie nur noch Raum lassen für allgemein unverbindliche programmatische kleine Verbesserungen.

Bei diesen Modifikationen der privatkapitalistischen Eigentumsform handelt es sich um solche „Ersatzlösungen“. Sie sind nicht nur als solche zweifelhafte „Lösungen“; vielmehr kann man mit Sicherheit voraussagen, daß die Welt auf ihrem Wege zur Lösung des Eigentumsproblems von keiner dieser Modifikationen Gebrauch machen wird. Da die „richtige“ Lösung ausblieb, könnte die radikale „Lösung“ siegen.

Die heutige Öffentlichkeit kennt nur die Alternative von privatem und gesellschaftlichem Eigentum. Der Neomarxismus fordert den marxistischen Eigentumsbegriff aufgrund einer Lehre, die besagt, daß im Fortgang der Entwicklung Dialektik waltet, das heißt daß, nach Marx, die Antithese zum Privatkapitalismus – der Sozialismus – Kommunismus, mit der Macht eines Naturvorganges zum Zuge kommen müsse. Welch ein Wunder, wenn sich die rebellierende Jugend an die (utopische) Zentralidee des Sozialismus klammert – das Gesellschaftseigentum! Wenn nun wirklich kein neuer Eigentumsbegriff in der wissenschaftlichen Sprache unserer Zeit (und damit der Rudolf Steiners) dieser Alternative entgegengehalten wird – muß dann nicht wirklich die ganze Welt erst einmal in den Krebsgang, in die Dekadenz des sozialistischen Staatskapitalismus fallen, bevor es von da zu etwas Neuem auf ökonomischem Gebiet kommen kann? (Rudolf Steiner hat darauf hingedeutet.) Wird man denn bei diesen Aussichten nur einfach warten dürfen, bis „eine breitere Aufnahme der anthroposophischen Geisteswissenschaft“ die Diskussionen über den anthroposophischen Eigentumsbegriff erst „realistisch“ erscheinen läßt?

[Bausteine, 5/1979, Seite 47]

„Das Gewesene in uns auferstehen zu lassen, ohne Haß und Liebe“ – das, sagt Rudolf Steiner, sei „ungeheuer wichtig“ (in dem erwähnten Vortrag). Wenn man als Anthroposoph überzeugt ist, daß die menschlichen Beziehungen nicht zu Ende sind, wenn man sich vielleicht in diesem Leben unter Umständen nicht mehr sieht, da nun der „Heidenheimer Kreis“ äußerlich zu existieren aufgehört hat, dann ist das in der Tat ungeheuer wichtig in bezug auf das, was am „Heidenheimer Kreis“ Zukunftskeim ist. Das ist das, was im ursprünglichen Willen liegt, aus dem er entstanden ist; aber der Wille braucht richtige Ziele. Und aus diesem Grunde sei es gestattet, doch noch auf einige offene Fragen einzugehen, die sich einem stellen müssen, wenn man die Rundbriefe zu Ende studiert hat. Wenn man will, dann kann man das, um was es hier geht, mit dem Begriff der „Strategie“ verbinden.

Diese Strategie war ausschließlich auf die internen Ziele der Betriebe gerichtet und nicht auf eine irgendwie anzusprechende Außenwelt, mit der man sich mit seiner Willensrichtung hätte auseinandersetzen können oder wollen. Man könnte sich ja denken, daß ein solcher Anstoß, in der Eigentumsfrage Stellung zu beziehen, durch die Gründung der Walter-Raymond-Stiftung und durch deren Erstveröffentlichung „Eigentum und Eigentümer“ hätte ausgelöst werden können. Oder man könnte sich denken, daß man sich hätte verpflichtet fühlen können, etwas von dem Erarbeiteten den an sozialen Fragen interessierten Menschen in der anthroposophischen Bewegung zugänglich zu machen. (Man kann aus manchen Gesprächen und Fragen wohl sagen, daß auch „die anthroposophische Bewegung“ auf den Heidenheimer Kreis „gewartet“ hat.)

Man kann diese Frage nach zwei Richtungen auf die Waagschale legen: Erstens, ob unter solchen Aspekten nicht doch ein Entschluß zur festeren Konstituierung und Verselbständigung des Kreises hätte zustandekommen können, und zweitens, ob nicht dieses Hin- und Herschwanken in den grundsätzlichen Fragen der anthroposophischen Sozialwissenschaft, das bei der Lektüre der Rundbriefe so auffällt, durch eine entschiedene Festigung der Sozialerkenntnisse hätte vermieden werden können; denn

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da findet man einerseits in den Rundbriefen wohl die exakten Formulierungen von Rudolf Steiner und dann auch wieder Unsicherheit in bezug auf diese Grundfragen in bezug auf unsere Zeit. Das schillert hin und her. Die Schwäche des „Heidenheimer Kreises“ lag nach meinem Eindruck, der sich durch das Studium der Rundbriefe verstärkt hat, in seiner „Introvertiertheit“. Ich meine damit nicht eine äußere Isolierung – diese versuchte man ja verschiedentlich durch Teilnahme von Gästen und Betriebsangehörigen zu durchbrechen – , sondern seine innere Zweckgebundenheit, die durch die Zentrierung der Arbeit auf „die Betriebe“ den Kreis zu einer „Turmgesellschaft“ machte, dem Wort, das Goethe in Wilhelm Meisters Wanderjahren verwendet hat und dessen Begriff am Ende des Kapitels „Der Heidenheimer Arbeitskreis“ in Hanns Voiths Lebenserinnerungen vorkommt. (Um Mißverständnisse zu vermeiden, sei nachstehend der Text aus Hanns Voiths Erinnerungsbuch hier angefügt, aus dem aber gerade eine „Introvertiertheit“ mit dem Begriff der „Turmgesellschaft“ nicht verbunden wird: „Es ist das Bedürfnis eines richtig erlebten Alters, sich gelöst vom Persönlichen für das allgemeine Wohl einzusetzen. In Wilhelm Meisters Wanderjahren drückt sich Goethes Altersstreben so aus. Er gestaltet es in Tätigkeiten und Maximen jener eigenartigen Turmgesellschaft, deren Mitglieder die Geschicke vieler Menschen leiten und dazu untereinander in Verbindung bleiben in einer vielseitigen Interessengemeinschaft, welche Auswanderung, Handwerk, Landwirtschaft, Pädagogik, Bildung in weitestem Sinn und vielfältiger Form umfaßt und die Folgen der beginnenden Industrialisierung schon vorausahnt. Der für mich wohl letzte Freundeskreis steht unter der Idee der Gemeinsamkeit der Arbeit an den sozialen Problemen innerhalb und außerhalb der Betriebe.“)

Mit dem durch den Gang der Dinge erzwungenen Zurücktreten der sozialen Aktivitäten des Kreises in den eigenen Betrieben, fehlte nun aber der Maßstab und Impuls für eine auf Dauer berechnete Fruchtbarkeit seiner Arbeit. – In den Darstellungen einzelner Produktionszweige (Seifenherstellung, Bleistiftfabrikation u.a.) lag am Anfang die Möglichkeit, Monogra-

[Bausteine, 5/1979, Seite 49]

phien der vertretenen Branchen herauszugeben und damit den Anschluß an die Öffentlichkeit zu finden. Dieser Vorschlag fand aber ebensowenig ein Echo wie der von mir wiederholt vorgebrachte Gedanke, doch eine Gesamt-Darstellung der Arbeitsthemen des Kreises und ihre Ergebnisse zu veröffentlichen. Ich dachte daran, daß man damit einerseits die sozialwissenschaftlichen Grundgedanken Rudolf Steiners in zeitgemäßer Diktion hätte herausstellen und anderereits die in den einzelnen Unternehmen unternommenen Schritte als das zur Zeit Mögliche hätte erläutern können. Das wäre schon für die sozialwissenschaftliche Forschung und Erkenntnis innerhalb der anthroposophischen Bewegung von Bedeutung gewesen, die brach liegt. Es hätte eine solche Veröffentlichung auch eine Hilfe sein können für die sozialen Intentionen der Mitglieder des Kreises in ihren Betrieben für ihre richtige entwicklungsgeschichtliche Einordnung. Damit kommt man auf die quälende Frage Göttes zurück: „Warum kommen unsere Gedanken in den Betrieben nicht an?“

Nach fast einem Vierteljahrhundert „Heidenheimer Kreis“ muß man sich doch fragen: Wieviel ist von dem in den Betrieben übrig geblieben, was man sich aus dem bewunderswerten sozialen Elan jener ersten Jahre des Kreises erhofft hatte? Wie sehr hing es doch von den Persönlichkeiten ab und verschwand mit ihrem Weggang. Die betriebliche Realität scheint doch heute immer noch das zu sein, was Korff auf der 43. Tagung (1962) über die menschliche Situation in siebzig ihm bekannten Betrieben berichtete (deprimierend, man lese es nach). So meine ich eben doch, daß der Heidenheimer Kreis die Diskussion in der 50. Tagung schon zum Anlaß für eine ernste Überprüfung der Marschrichtung – der Strategie – hätte nehmen sollen.

Die Frage Göttes, warum unsere sozialen Gedanken in den Betrieben nicht ankommen, hat mich die ganzen Jahre beschäftigt und meine sozialwissenschaftlichen Arbeiten, die ich außerhalb des Kreises versucht habe, bestimmt. Ich habe mir die Antwort gegeben mit dem von Rudolf Steiner mehrfach gemachten Hinweis, daß nicht immer (im Leben) der gerade Weg zwischen zwei Punkten der kürzeste ist. Und das ist wirklich die für uns beim Auseinandergehen brennendste offene Frage.

[Bausteine, 5/1979, Seite 50]

Die Unmittelbarkeit „zieht“ einfach nicht, weil dabei die Anthroposophie notwendigerweise unmittelbar ins Spiel kommt, anstatt – wie es in diesem Falle nur sein dürfte – mittelbar über eine mit moderner Wissenschaftlichkeit unwiderlegbar vertretene neue Sozialwissenschaft. Ich habe immer wieder in Aufsätzen darauf hingewiesen, daß es eine wirkliche Wissenschaft vom Sozialen unter den akademischen Disziplinen nicht gibt und daß sie nur durch die Vorbedingung geisteswissenschaftlicher Erkenntnisse erst geschaffen werden kann, und zwar in der Sprache, die man aufgrund der furchtbaren sozialen Erfahrungen heute verstehen könnte und müßte. Muß man also nicht die Antwort auf diese offene Frage so formulieren: Die führenden (akademischen) Kreise in den Betrieben, die, wie man erleben kann, zunehmend durch die Erfahrungen verunsichert werden, und auf die es ja in Zukunft – so oder so – ankommen wird, könnten und würden leichter ein Ohr für die von uns aus neuer Einsicht vorzubringenden Gedanken haben, wenn es gelänge, neben die beiden verwissenschaftlichten Ideologien eigenständige sozialwissenschaftliche Gedanken zu stellen. Um in die Betriebe hineinwirken zu können, braucht man die überzeugte Mithilfe des Managements. Die Zeit könnte dazu bald reif werden, aber der Umweg über selbständige wissenschaftliche Institutionen (das Gegenbild zur Walter-Raymond-Stiftung!) ist dafür unumgänglich.

„Es mag mißlingen, was mir wertvoll scheint;
Doch selbst, wenn alle Welt es nur verachtet,
Und es deshalb in sich zerfallen muß,
So war es doch einmal von Menschenseelen
Als Vorbild auf die Erde hingestellt.
Es wird im Leben geistig weiter wirken,
Selbst wenn es sich im Sinnessein nicht hält.
Es wird ein Teil der Kraft in ihm geschaffen,
Die endlich zur Vermählung führen muß
Von Geisteszielen und von Sinnestaten.
So kündet es die Geisteswissenschaft.“
(Hilarius in „Der Seelen Erwachen“, Erstes Bild)

[Bausteine, 5/1979, Seite 51]

Wieder, um nicht mißverstanden zu werden, muß ich eine persönliche Bemerkung einfügen, Ich selbst verdanke dem „Heidenheimer Kreis“ nicht nur unmittelbar viele gute Einsichten, sondern noch viel mehr durch eine gewisse Gegen-Stellung, die nicht mit dem Wort Opposition ausgedrückt ist. Auch ich habe mich zuerst in die soziale Praxis gestürzt. Dann haben mir die gemachten Erfahrungen unzweideutig gezeigt, daß es notwendig ist, auch den Umweg über die reine Wissenschaft zu gehen. Dabei konnte ich über vieles größere Klarheit gewinnen, als es im „Heidenheimer Kreis“ selbst möglich war, obgleich dieser mir für vieles den Anstoß und das Rüstzeug geliefert hat. So hat mir gerade oft die Antithese zu den Zielsetzungen des Kreises viel geholfen. Ich könnte dafür konkrete Beispiele anführen.

Soziale Bemühungen, Versuche und Experimente sind zum sozialen Fortschritt erforderlich, auch wenn sie mißglücken oder wieder zugrundegehen; an ihnen wird gelernt – in diesem und auch für die nächsten Leben. Darin kann man sich mit Rudolf Steiner in vollem Einvernehmen wissen. Was wäre die Sozialgeschichte ohne Robert Owen, Ernst Abbé, Heinrich Freese, um von den ungezählten Neuerungsbemühungen bedeutender Persönlichkeiten nur diese drei zu nennen. Sie schaffen Menschen-Schicksal, begründen neue menschliche und karmische Zusammenhänge von künftigen Menschengruppen, nachdem die natürlichen Bindungen zwischen den Individuen zusehends zerbröckeln. Ohne solche Versuche und Anläufe ginge die Entwicklung nicht vorwärts. Sie sind in der Sozialgeschichte Markierungen am Wege der Menschheit zu neuen sozialen Ufern. Aber die Zeiten sind vorbei, in denen von edeldenkenden Menschen mehr oder weniger nur aus dunklem Drange gehandelt werden konnte, seit durch eine geisteswissenschaftlich orientierte Sozialwissenschaft ein weites neues Forschungsfeld für den wissenschaftlichen Menschengeist in weltweiter Dimension erschlossen worden ist. Seitdem sind solche geschichtlichen Sozialexperimente Objekte, an denen gelernt werden kann, so wie dies Rudolf Steiner beispielhaft in den drei Aufsätzen „Geisteswissenschaft und soziale Frage“ von 1905/06 gezeigt hat. Aber während diese Experimen-

[Bausteine, 5/1979, Seite 52]

te in der Vergangenheit am überpersönlichen Ziel der Entwicklung durch die Geisteswissenschaft beurteilt werden können, ist dies gar nicht leicht, wenn man selbst noch mitten darinnen steht.

Der im letzten Rundbrief wiederholt zitierte Satz von Rudolf Steiner über das Alte und das Neue („Das Neue stellt sich neben das Alte hin. Jenes hat sich durch seine innere Kraft und Berechtigung zu bewahren, dieses brodelt aus der sozialen Organisation heraus.“) trifft zweifellos zum Beispiel auf die Waldorfschulbewegung zu. Sie ist wirklich das Neue und befindet sich immer noch im Kampf mit dem Alten, in welchem sie sich bewähren muß. Da ist aber der Stellenwert des Neuen eindeutig.

Anders ist es, wenn es sich um „die Betriebe“ handelt. In der Form, in der sie heute alle noch im Wirtschaftsgeschehen drinstecken, gehören sie eindeutig zu dem Alten, denn „neu“ wäre nur die wirtschaftliche Assoziation, nämlich als neues soziales Organ für Bewußtseinsbildung und wirtschaftlichen Ausgleich. Und nur in dieser Polarität von Produktion und Konsumtion wäre es möglich, auch das Bewußtsein der in den Betrieben Tätigen mit der Idee eines neuen Organs zu verbinden und ihren sozialen Willen in die assoziativen Absichten voll mit hereinzunehmen. Ich sehe keine Eigentumsform unter allen, die im Heidenheimer Kreis besprochen oder von Professor Wilken in seinen Büchern als Übergangsformen dargestellt wurden, die dieser Forderung von „neu“ entsprechen könnte. Und es kann nach meiner Auffassung solange keine Rechtsform des Eigentums geben – auch nicht in der von Professor Strickrodt so sachkundig und liebevoll behandelten heute möglichen Stiftung – solange die Eigentumsform nicht von der Assoziation her bestimmt werden kann und wird. (Das allein wollte ich mit dem Beispiel „Volkswagenwerk“ in meinem Buch „Macht des Eigentums“ zeigen.) Und es darf mir nicht verargt werden, wenn ich, um dies noch zu verdeutlichen, auf einige Diskrepanzen in bezug auf die verschiedenen Auffassungen hinweise.

Viel Interessantes und Lebensnahes hatte Götte schon zur 34. Tagung (1959) aus seinem Studium der Verfassung der „Carl-Zeiss-Stiftung“ vorgetragen. Aber man konnte daran beispielhaft sehen, wie das alles entstanden

[Bausteine, 5/1979, Seite 53]

ist aus der hochgesinnten Seele und dem Gerechtigkeitssinn der Persönlichkeit von Abbé, und daß die weiterführende Sozialerkenntnis gar nicht vorhanden sein konnte, so wenig wie dies bei Owen der Fall war. So konnte weder das Owen‘sche noch das Abbé‘sche Experiment sich erfolgreich gegen das Alte durchsetzen. Im Rundbrief 33 schreibt Götte: „Es ist (bei Abbé) auf das Deutlichste von einer Teilung des Arbeitsertrages die Rede, was keineswegs eine façon de parler bloß ist; denn die Regelung deutet letztlich auf das, was Rudolf Steiner mit einer Überwindung des Lohnsystems meinte.“

Aber ist das Ringen um Gewinnbeteiligung wirklich als Symptom für die Überwindung des Lohnsystems zu betrachten, wie das doch oft anklingt aufgrund einer – nach meiner Meinung nicht exakten – Interpretation des so oft in den Rundbriefen erwähnten Satzes in den „Kernpunkten“? „Durch soziale Einrichtungen, die in der Richtung des hier Dargestellten liegen, wird der Boden geschaffen für ein wirklich freies Vertragsverhältnis zwischen Arbeitsleiter und Arbeitsleister. Und dieses Verhältnis wird sich beziehen nicht auf einen Tausch von Ware (bzw. Geld) für Arbeitskraft, sondern auf die Festsetzung des Anteils, den eine jede der beiden Personen hat, welche die Ware gemeinsam zustandebringen.“ Von Gewinn- oder Ertragsbeteiligung ist dabei gar nicht die Rede, sondern von einem in Leistungsquoten aufgeteilten freien Vertragsverhältnis zwischen organisierender geistiger und ausführender Leistung. Aber da in Wirklichkeit mit der Ertragsbeteiligung das Erfolgsdenken und das profitorientierte Handeln nur vom Unternehmer als einheitlicher Wille auf das Unternehmen ausgedehnt wird, bringt man damit das sozial utopische Element des Eigennutzens nicht aus der privatkapitalistischen Wirtschaft heraus. Die Ertrags- oder Gewinnbeteiligung ist heute fast allgemeines Gedankengut. Aber die Ur-Ideen aus der Geisteswissenschaft sind ihnen weit voraus und sind daher primäre Faktoren für eine soziale Zukunft. Letztlich kommt es in dieser Denkweise auch nur auf den „Erfolg“ des eigentlichen Betriebes, nicht der Gesamtwirtschaft an, für dessen Problematik Abbé einen sicheren Instinkt hatte.

[Bausteine, 5/1979, Seite 54]

Eine andere offene Frage ist die der Konstitution des Betriebes. Was zum Beispiel heute noch zu einer guten volkswirtschaftlichen Vorlesung gehört, ist „Die Konstitutionelle Fabrik“ von Heinrich Freese. Das Buch ist 1909 erschienen und beschreibt, was der Verfasser, der vor etwa 100 Jahren die väterliche Fabrik geerbt hatte, in 25 Jahren an Erfahrungen gesammelt hat, auf dem Wege von der „Fabrikmonarchie“ zur „konstitutionellen“ Fabrik. Darin findet man schon dasjenige im Ansatz, was heute in avantgardistischen Betrieben an freiwilliger Mitbestimmung vorhanden ist entstanden aus einem natürlichen Gefühl für den demokratischen Impuls in unserer Zeit. In seinem Schlußwort sagt Freese: „Was vermieden werden kann, das ist der Kampf, den der Arbeitgeber nach zwei Fronten hin zu führen hat. Draußen mit den Konkurrenten derselben Branche, in der Werkstatt mit seinen Angestellten... Es ist aber unnatürlich, daß diese Verhandlungen, die alle Tage zwischen Produzenten und Konsumenten stattfinden, sobald sie zwischen Unternehmern und Angestellten vorkommen, zu Kämpfen auf Leben und Tod führen. Es ist unnatürlich, daß Mitglieder eines Betriebes, deren Interessen an dem Gedeihen des Unternehmens das gleiche sein müßte, sich in Kämpfen gegenseitig aufreiben, und es muß Mittel geben, durch die solche inneren Kämpfe vermieden werden. Diese Mittel habe ich genannt. Es sind: Tarifverträge, Selbstverwaltung, Gewinnbeteiligung.“

Freese gab sich indessen keiner Illusion hin. Er glaubte nicht, daß sich damit „alsbald ein Umschwung vollziehen, daß anstelle der hergebrachten Fabrikverfassung überall eine andere treten und daß dem Streit die Eintracht, dem Mißtrauen gegenseitiges Verstehen folgen“ werde. „Ich glaube aber“ – sagt er – „daß meine Mitteilungen etwas dazu beitragen werden, dem konstitutionellen Gedanken... auch in der Industrie zum Siege zu verhelfen.“ Es hat noch ein halbes Jahrhundert bis zur „Human-Relation-Bewegung“ gedauert und bis die Gewinnbeteiligung zu einem allgemeinen sozialen Programm gemacht wurde.

Man kann an den beiden Beispielen sehen, wie bis zum Erscheinen der „Kernpunkte der soziale Frage“ noch alles von der einzelnen Persön-

[Bausteine, 5/1979, Seite 55]

lichkeit, dem Unternehmer, seinem Gerechtigkeitsgefühl und seinem „demokratischen“ Bewußtsein ausging. Heute ist es anders: „Im mittleren Zeitalter, im Zeitalter des Intellektes, war der einzelne Wirtschafter, in der Zukunft wird es die Assoziation sein.“ Diese Bemerkung von Rudolf Steiner (zitiert im Rundbrief über die 37. /38. Tagung (1960)) kann manches über das heute noch nachhinkende Unternehmerprinzip klarstellen.

Die anthroposophisch orientierte Sozialwissenschaft hat in der anthroposophischen Bewegung keine wirkliche Heimat. Das ist ein Unglück für beide. Die Zeichen der Zeit verlangen, daß gerade die geisteswissenschaftlich orientierte Sozialwissenschaft in eine fruchtbare Auseinandersetzung mit der an den Hochschulen etablierten Sozialwissenschaft kommt. Das wäre möglich, wenn sie eine tragende Repräsentanz fände. Dafür wäre die erste Voraussetzung, daß sich die drei Richtungen zu fruchtbarer Arbeit zusammenfinden: die anthroposophischen Praktiker, die politischen Dreigliederer und die Wissenschaftler.

Es ist beunruhigend, wie wenig Verständnis dafür heute vorhanden ist. Der „Heidenheimer Kreis“ hört auf zu bestehen. Was tut sein Gruppengeist nun? Muß er warten auf das, „was nachher kommt“, und kann er erst „danach“ – in ferner Zukunft – diesen Kreis wieder zum Leben auf dieser Erde erwecken – auf dieser Erde, die ihn so dringend nötig hätte? Diese Frage wird man in engster Verbindung mit denjenigen Persönlichkeiten des „Heidenheimer Kreises“ sehen dürfen, die bereits über die Schwelle gegangen sind. Daß dieser Kreis so lange zusammengeblieben ist ohne feste Konstitution, das verdanken wir einerseits der liebevollen Pflege der Begründer, der Familie Voith und unserem Freund Götte, und andererseits dem sozialen Impuls der Geisteswissenschaft Rudolf Steiners. Von da aus darf man auch für die gleichsam heimatlose Seele dieses Kreises hoffen.

Man könnte so auch den letzten vom Heidenheimer Kreis im Geist „zur Tagung“ nach Heidenheim wallen sehen – zur Meditation über den „Heidenheimer Kreis“ unter den rauschenden Zweigen des Ginkgo biloba, den wir zu Hanns Voiths 70. Geburtstag gemeinsam pflanzten:

[Bausteine, 5/1979, Seite 56]

"Ginkgo biloba! Du bist
der Würdigsten einer ! ...
Wie sich Uraltes hier
dem Künftigen einet im Bilde
Menschen fühlten es vor
und setzten den Baum
in den elysischen Eisenhofs-Park
zum Zeichen, daß doch nicht umsonst,
was dort wird gedacht und erfleht.“
(Frei nach Gerbert Grohmann)

[Bausteine, 5/1979, Seite 57]