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Entwicklungstendenzen auf dem Gebiete der Rechtsprechung
Quelle
Wochenschrift „Dreigliederung des Sozialen Organismus“
Jahrgang 2, Nummer 38, 22. März 1921, S. 5
Eine der einschneidendsten Änderungen, welche die Dreigliederung des sozialen Organismus mit sich bringen würde, wäre die Loslösung der Organisation der Gerichte und der richterlichen Tätigkeit vom Staate. Die meisten Menschen glauben, daß damit die Grundfesten des Staates erschüttert seien und daß ein Chaos die Folge davon sein würde, denn man hat sich von Jugend auf an den Gedanken der staatlichen Gerichte und Richter so gewöhnt, daß er einem in Fleisch und Blut übergegangen ist.
Interessant ist es nun, daß die Entwicklung — unbemerkt von vielen Juristen — Bahnen eingeschlagen hat, die in gewisser Hinsicht als Anfang der Dreigliederung betrachtet werden können, und zwar auf einem Gebiete, auf dem man es ganz und gar nicht vermuten würde. Man kann sich schließlich auf dem Gebiete der Strafrechtspflege damit abfinden, daß in immer weiterem Umfange der Berufsrichter den Laienrichtern zu weichen hat. Aber ganz ungeheuerlich kommt einem der Gedanke vor, daß die Rechtsprechung in Zivilsachen von anderen Instanzen als staatlichen Gerichten vorgenommen werden könnte und würde. Und doch ist es tatsächlich der Fall. Mit dem Heraufkommen der Kartelle, Syndikate, Trusts, Tarifverbände usw. wurde nicht nur — was in diesem Zusammenhang nicht weiter interessiert — teilweise ein neues Verbands- und Berufssonderrecht unabhängig vorn allgemeinen bürgerlichen Recht geschaffen, sondern in die Verträge dieser Verbände die Schiedsrichterklausel aufgenommen. M. a. W. die Vertragsschließenden verpflichteten sich für den Fall eines Rechtsstreits, sich dem Spruche eines nicht staatlichen, sondern entweder im Vertrag schon näher bezeichneten oder noch zu wählenden privaten Schiedsgerichtes zu unterwerfen. Nicht nur die Rechtsprechung wurde so eine vom Staate losgelöste, sondern auch die Zwangsvollstreckung, da diese sehr oft in der Weise stattfand, daß bei Abschluß des Vertrags im Kassenschrank des Verbandes ein Wechsel deponiert werden mußte, der zuungunsten des im Unrecht befindlichen Teils fällig wurde. Oder der Verband sicherte sich andere zweckmäßige und einfache Druckmittel.
Die wichtigsten Gebiete des Wirtschaftslebens entzogen sich so der Rechtsprechung der staatlichen Gerichte.
Es soll nun nicht behauptet werden, daß die Organisation und Rechtsprechung dieser Schiedsgerichte eine ideale sei, die unbesehen auf die Einrichtungen des dreigliedrigen Organismus überträgen werden könnte, aber sie scheint mir den gesunden Gedanken keimhaft in sich zu schließen, daß bei der Organisation der Gerichte einzig und allein das Vertrauen der verschiedenen Bevölkerungsschichten zu den Gerichten ausschlaggebend sein muß.
Geht man von dem Vertrauensstandpunkt aus, dann dürfen die Richter dem Volk nicht von Staats wegen aufoktroyiert werden, sondern sie müssen ihren Posten auf Grund des Vertrauens der Allgemeinheit bekleiden, wie dies von der Dreigliederung erstrebt wird (s. Steiner: „Kernpunkte“ I. A. S. 97f.)
K—r (vermutlich Bruno Krüger)
[Dreigliederung, Jahrgang 2, Nummer 38, März 1921, Seite 5]