Nachruf auf Mathias Küster

14.08.2022

Quelle
Zeitschrift „ Ein Nachrichtenblatt“
Jahrgang 12, Heft 16, 14. August 2022, S. 12
Bibliographische Notiz

Nachruf auf Matthias Küster (24.11.1950 – 27.07.2022)

In der Nacht vom 26. auf den 27. Juli ist Mathias Cornelius Küster im Alter von 71 Jahren über die Schwelle zur geistigen Welt gegangen. Über 30 Jahre hat er das „Lorenz- Oken-Institut“ in Haus Murgquelle in der Gemeinde Herrischried im Südschwarzwald geleitet und dort auch bis zuletzt gelebt. Durch eine 40jährige Freundschaft bin ich mit ihm verbunden, an deren Anfang mir die Tore zur Geisteswissenschaft geöffnet wurden. Als Freund darf ich im Folgenden einige Linien seiner geistigen Biografie zeichnen:

Mathias Küster vereinigte zwei anthroposophische Forschungsrichtungen in einzigartiger Weise: Er war erstens ein hervorragender goetheanistischer Biologe und zweitens ein universell denkender anthroposophischer Sozialwissenschaftler. Die seltene Vereinigung dieser beiden wissenschaftlichen Fachgebiete konnte er leisten, weil er sein Leben lang der Quelle aller Wissenschaft treu blieb und immer wieder aus dieser Quelle schöpfte: Aus dem reinen Denken. Diese Quelle wurde uns beiden eröffnet durch die Begegnung mit dem Basler Anthroposophen und Philosophen Werner Moser. [1]

Die Arbeit mit Werner Moser wurde für uns und viele weitere Menschen zu einem unvergesslichen, die ganze weitere Biografie prägenden Erlebnis. Von hier aus erhalten alle Fachwissenschaften ihre erkenntnistheoretische Basis, auf der auch Mathias sein geistiges Lebenswerk schuf, das ich in drei Gebieten skizzieren möchte:

• Erstens die jahrzehntelange Erforschung der Natur des für ihn zur Heimat gewordenen Hotzenwaldes im Südschwarzwald: Die Ergebnisse dieser Forschungsarbeit finden sich in einer sehr schönen Weise zusammengefasst auf den Tafeln des sogenannten „Murgtalpfades“ [2] . Hier sind diese Ergebnisse seines Schaffens im wahrsten Sinne des Wortes „zugänglich“ gemacht: 46 Tafeln können auf einem Pfad erwandert werden, der dem Lauf der Murg folgt. Ihre Quelle entspringt wenige Meter vom Haus Murgquelle entfernt, in welchem Mathias von 1992 bis 2022 gewohnt hat. Auf den von ihm geschaffenen Tafeln erscheint die Landschaft des Hotzenwaldes meines Wissens das erste Mal in einem goetheanistischen Licht: Der Hotzenwald mit seinen in 1.000 Meter Höhe aus dem ehemaligen Feldberggletscher entspringenden Wasserläufen ist eine in besonderer Weise zwischen Skandinavien und dem Mittelmeerraum vermittelnde Landschaft. Es lohnt sich, die von Matthiaś Inspirationen geprägte Seite [3] zu besuchen. Mathiaś Geist hat sich in einer ebenso besonderen Weise mit dieser Landschaft verbunden. Er lebte in ihr, obwohl er körperlich zeitlebens sehr eingeschränkt war und wird sich jetzt von ihr lösen. Mit meinen wärmsten Gefühlen begleite ich seine Lösung von diesem kleinen Stück mitteleuropäischer Landschaft.

• Zweitens hat Mathias eine einzigartige biologische Sammlung [4] im Haus Murgquelle aufgebaut, die auch öffentlich zugänglich ist: Hier ist ein reiches geistiges Erbe entstanden, das zum Beispiel ein wahrer Schatz für Schulklassen ist: In der umgebauten Scheune des alten Bauernhauses kann eine große Anzahl an Exponaten von einheimischen wie ausländischen Tier- und Pflanzenarten bestaunt werden. Wenn Mathias sie vorstellte, war auch die Präsentation lebendiger Schlangen fester Bestandteil dieser eindrücklichen wie lehreichen Stunden. Mit den Schulklassen entwickelte er einen erfrischenden pädagogischen Umgang. Einige Male durfte ich – auf den gleichen Bänken sitzend wie die Schüler – erleben, wie dieser kräftige Mann mit einer unglaublichen geistigen Beweglichkeit das Aufnahmevermögen der Jugend herausforderte und all diese erstarrten ausgestopften Tierkörper zu einem Leben erweckte, das begeisterte.

• Mathias‘ drittes Thema war die anthroposophisch orientierte Sozialwissenschaft. Dabei war er einer von relativ wenigen Schülern von HansGeorg Schweppenhäuser, der das „Institut für soziale Gegenwartsfragen“ in Berlin und Freiburg aufgebaut hat. Zu Schweppenhäusers Lebzeiten konnte Mathias bei ihm und auch bei dem etwas älteren Prof. Folkert Wilken sein soziales Bewusstsein auf der Grundlage der von Rudolf Steiner gefundenen und formulierten vier sozialen Gesetze ausbilden: Soziologisches Grundgesetz, soziales Hauptgesetz, Dreigliederung als soziales Strukturgesetz und das Gesetz der Wechselursache zwischen sozialem Sein und sozialem Bewusstsein. Nach Schweppenhäusers Tod hat er dessen Werk treulich bewahrt und weiter vertieft. Auch hierzu existiert eine umfangreiche Tafelsammlung [5] im Haus Murgquelle.

Die Seminare bei Mathias waren ein Geheimtipp: Wer an ihnen teilnahm, konnte klare Analysen und kritische Einsichten in die „Dreigliederungs-Fachdiskussionen“ mitnehmen. Den Hintergrund der großen Zeitfrage – der Unverkäuflichkeit von Arbeit, Natur und Kapital und damit die drei „Kernpunkte der sozialen Frage“ – bildete immer wieder die Quelle des bei Werner Moser geschulten reinen Denkens. Aus ihm entspringt, was Rudolf Steiner in den „Kernpunkten“ die „Urgedanken“ nennt. In diesem Sinn war Mathias eine Koryphäe der Dreigliederungsbewegung. Leider war er in der Dreigliederungsbewegung wenig bekannt. Die konsequente und umfassende Erarbeitung der Urgedanken wurde für viele sogenannte Praktiker schnell unbequem. Von en Teilnehmern und Mitarbeitern wurde diese strenge Arbeit am eigenen Bewusstsein aber sehr geschätzt. Sie wird in diesem Kreis weiterleben und immerfort ihre Früchte tragen.

Mathias korrespondierte mit Fachkollegen, lebte aber ansonsten als Leiter des Lorenz-Oken-Instituts, das er 1991 mit einem kleinen Kreis von Menschen gründete, zurückgezogen im Hotzenwald. Er konnte die Menschen, mit denen er im Austausch war, trotz seiner Krankheit bis zum Schluss vielfach inspirieren. Zwei Wochen vor seinem Tod konnten wir ein sozialwissenschaftliches Seminar im Haus Murgquelle durchführen, an dem er trotz seiner fortgeschrittenen Krankheit zeitweilig noch teilnehmen konnte. Wer Interesse daran hat, die Früchte von Mathiaś Arbeit, auf naturkundlichem und sozialwissenschaftlichem Feld im Sinne des Goetheanismus im reinen Denken weiter zu pflegen und in der Öffentlichkeit lebendig zu halten, kann sich gerne an mich wenden.

Bereits vor gut zwei Jahren hat sich eine Gruppe von Freunden des Lorenz-Oken-Instituts gebildet, die sich zur Aufgabe gesetzt hat, die Ergebnisse der Arbeit von Mathias Küster zu pflegen und nach Möglichkeit weiterzuführen. Wenn es uns in der hiesigen Welt gelingt, hierfür die nötigen Kräfte zu mobilisieren, wird Mathias von der anderen Seite aus gewiss das Seinige dazutun.

Anmerkungen

[1] In den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts erlebten wir durch Werner Moser das, was Goetheanismus in der Erkenntnistheorie genannt werden kann: Im reinen Denken fallen Beobachtung und Denken und auch Wahrnehmung und Begriff zusammen. Das Denken muss dann allerdings als „das Wesen der Welt“ (Rudolf Steiner in „Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung“, Kap. 13) erlebt und verstanden werden. Nur in der Erkenntnistheorie, in der Selbsterkenntnis des Erkennens, kann dieses Wesen in begrifflicher Form erscheinen.

[2] http://neu.loi-ev.de/moorpflege/

[3] http://neu.loi-ev.de/wp-content/uploads/2016/04/4LandschaftMoore.pdf

[4] http://neu.loi-ev.de/sammlung/

[5] http://neu.loi-ev.de/wissenschaftliche-arbeiten/sozialwissenschaftliche-arbeiten/

 

Heidjer Reetz Langenberg 17, 21077 Hamburg, Telefon 040/317010-38 heidjer.reetz@cade.de