Ausstellung Organische Architektur - Eindrücke eines Besuchers

01.11.2004

Bis Dezember 2004 gibt es zum ersten Mal in Deutschland eine Ausstellung, die einen umfassenden Überblick über Entwicklung und Hintergründe der Organischen Architektur gibt. In der OA-Austellung, bei der Philharmonie Berlin, Foyer Kammermusiksaal - selber ein gelungenes Beispiel der organischen Architektur - werden Pioniere und heutige Vertreter dieser Richtung anhand von Abbildungen und Modellen dargestellt.

Eines vorab: Die beeindruckendsten Beispiele organischer Architektur kamen für mich nicht unbedingt aus der anthroposophischen Ecke, die fast ein Drittel der Austellung füllt. Da fehlt manchmal die Liebe zum einzelnen Stein, der sich nicht einreihen läßt. So blieb ich lange beim Haus Chaumont stehen, fasziniert durch dieses eigenwillige Zusammenspiel von Naturstein und krummem Holz. Mag sein, daß ich zu lange in Häusern gelebt habe, die einfach zu viele Jahrhunderte auf den Bückel hatten. Vielleicht sehen auch anthroposophische Bauten in ein paar Jahrhunderte besser aus, wenn der Putz etwas abgefallen ist und die Kapitelattrappen auf die Müllkippe gelandet sind.

Ein sehr gelungener Ansatz der OA-Ausstellung ist, die zeitgenössische organische Architektur nicht nach Richtungen, sondern nach Ländern zu ordnen. Dadurch kann gerade der Dialog mit der traditionellen, vorindustriellen Architektur, aber auch mit der jeweiligen Landschaft deutlich gemacht werden – wo es ihn gibt. Sogar die nichtdeutsche anthroposophische Architektur hat da einiges zu bieten, von Ungarn mit Imre Makovecz über Norwegen bis nach Sekem in Ägypten.

Für den nicht nur künstlerisch, sondern auch sozialinteressierten Zeitgenossen ist eine Extra-Ecke eingerichtet worden, die versucht, die soziale Relevanz der organischen Architektur anzudeuten. Dort ist unter anderem die Rede von Ökobau, von Gesundheit und auch von der oft stärkeren Einbeziehung der zukünftigen Bewohner bei der Konzeption der Bauten. Organisch heißt nämlich auch menschlich. Mit dem Menschen für den Menschen bauen. Alles klingt natürlich vielversprechend, aber irgendwie ist in dieser Extra-Ecke doch eine Chance verschenkt worden. Etwas was jedem einfallen könnte, der sich ernsthaft mit dem Ansatz einer sozialen Dreigliederung auseinandergesetzt hat und dann von Sullivans Motto hört: form follows function. Dasselbe brauchen doch unsere sozialen Einrichtungen. Sie sollten doch nach dem aussehen, was sie bewirken sollen, statt alle nach demselben Muster gestrickt zu sein. Menschen wollen die Welt ändern, landen dann in Vereine – diese Plattenbauten des Sozialengagements – und können sich bald kaum noch bewegen. Wir brauchen neue Sozialformen.

Nichtdestotrotz: Schauen Sie sich mal diese organische Architektur genauer an. Lernen Sie daran, wie man aus der Reihe tanzen kann. Nicht umsonst ist diese Ausstellung dem Berliner Stadtbaudirektoren Stimman ein Dorn im Auge. Er möchte die organische Architektur am liebsten völlig aus seiner Hauptstadt heraushalten. So ließ Stimman ein negatives Gutachten über die Ausstellung schreiben, woraufhin Lotto keine Mittel zur Finanzierung der Ausstellung bereitstellen konnte. Es liegt an Ihnen, ihm einen Strich durch die Rechnung zu ziehen und die Ausstellung zu einem Erfolg zu machen. Und wenn sie sich dann Gedanken über eine organische Sozialarchitektur machen, werden Sie vielleicht selber auf die Idee kommen, daß wir uns unseren lieben Stadtbaudirektoren eigentlich sparen könnten.

Sylvain Coiplet