Direkte Demokratie und Dreigliederung
"Der Ton macht die Musik"

01.09.2003

Als ich von Wilfried Heidt seine Antwort auf die Replik von Rainer Rappmann Direkte Demokratie und Dreigliederung bekommen habe, war ich ziemlich erstaunt. Manche Formulierungen - besonders Rainer Rappmann gegenüber - fand ich recht beleidigend. Wilfried Heidt habe ich es auch gesagt und offen befürchtet, daß so keine sachliche Diskussion zustande kommt. Seinen Text habe ich aber aus Prinzip hier veröffentlicht, weil mir jede Form von Zensur noch verhaßter ist als irgendwelche verbale Entgleisung oder Unterstellung. Daran werde ich mich auch in Zukunft halten.

Wilfried Heidt und Rainer Rappmann habe ich aber ausdrücklich die Möglichkeit eingeräumt, ihre Texte nachträglich zu ändern. Von dieser Möglichkeit hat auch Wilfried Heidt Gebrauch gemacht, als ich ihn auf einige Ungenauigkeiten seiner Kritik an mich aufmerksam gemacht habe. Meine Achtung dafür. Rainer Rappmann ist dagegen bei seiner Unterstellung geblieben, ich würde aus der sozialen Dreigliederung ein Programm machen und hätte die Weiterentwicklung der sozialen Dreigliederung verschlafen. Er sieht nicht einmal, daß ich seine Argumente für die direkte Demokratie in meinem Artikel selber vorbringe und dort auch darstelle, wie diese Argumente mit der sozialen Dreigliederung zusammenhängen, ohne daß da eine "Weiterentwicklung" nötig gewesen wäre. Gerade weil ich diesen Zusammenhang sehe, kritisiere ich, daß er zu selten dargestellt wird. [1]

Nachdem ich nun den Text von Wilfried Heidt veröffentlicht hatte, meldete sich Rainer Rappmann bei mir und verlangte, daß ich diesen Text von Wilfried Heidt von der Webseite entferne - nicht wegen dem Inhalt, sondern wegen dem Ton. "Der Ton macht die Musik". Dies sei meine redaktionelle Pflicht, hier einzugreifen. Meine Begründung, daß ich hier aber keine Zensur üben will, hat er aber verstanden und wir haben gemeinsam nach einer Lösung gesucht.

Wilfried Heidt hatte klar gemacht, daß er bereit war, seinen Text zurückzunehmen, wenn Rainer Rappmann die entsprechenden Aussagen bei sich korrigiert - oder den Text ganz von meiner Webseite nimmt. Ersteres wollte Rainer Rappmann nicht und Letzteres war mir zuwider, weil ich dadurch die Kritik von Rainer Rappmann an meinem Text losgeworden wäre - eine Kritik, die ich aber für bezeichnend halte.

Wir waren also in eine Sackgasse. Bis ich den Vorschlag machte, selber etwas zu schreiben und Stellung zu nehmen. Darauf ist Rainer Rappmann eingegangen. Und dies mache ich jetzt - wenn auch mit etwas Verspätung.

Inhaltlich kann ich kaum Stellung nehmen. Außer vielleicht, daß die Streitpunkte zwischen Rainer Rappmann und Wilfried Heidt für mich unrelevant sind. Ob die dreistufige Volksgesetzgebung von Wilfried Heidt auf Peter Schilinskis Ansätze zu einer direkten Demokratie letztlich aufbaut und sie weiterentwickelt oder eine völlig neue Entwicklung darstellt - dies spielt für meine Einwände keine Rolle. Beide setzen meiner Meinung nach auf eine Art der Argumentation, wo sie es sich problemlos sparen können, auf die soziale Dreigliederung näher einzugehen. Dies ist auch das einzige, was ich ihnen vorwerfe.

Zur Musik kann ich schon eher Stellung nehmen. Mir scheint Wilfried Heidt mit seinem Ton seiner Argumentation zu schaden. Rainer Rappmann braucht nicht einmal von seinem Gegendarstellungsrecht Gebrauch zu machen, weil er bei solchen Attacken von jedem Leser wenigstens unbewußt in Schutz genommen wird. Und der Vergleich seines Ansatzes mit der Weltraumfahrt rückt Wilfried Heidt in die Nähe von diesen Politikern, die eher für ihren Größenwahn bekannt sind. Etwas von diesem Selbstbewußtsein würde man Rainer Rappmann wünschen, damit er in Zukunft solche Texte einstecken kann, ohne gleich nach Zensur zu rufen.

Stand: 05.02.2014

Anmerkungen

[1] Siehe Rainer Rappmann, Direkte Demokratie und Dreigliederung, Trigonal 4/2003.

Rainer Rappmann fängt dort mit einem Zitat aus meinem Text:

«Die Direkte Demokratie wird von vielen für einen Kernpunkt der sozialen Dreigliederung gehalten. Gerade sie versäumen es aber, die soziale Dreigliederung zu einem Kernpunkt der Direkten Demokratie zu machen.» (Sylvain Coiplet in Trigonal, 2/2003 in der aktuellen Version).»

Zu diesem Zitat nimmt Rainer Rappmann dann anschliessend Stellung:

«Diese Aussage, durch die eine große Enttäuschung zum Ausdruck kommt, manifestiert ein weit verbreitetes Mißverständnis, daß nämlich die Dreigliederung ein Programm, gar ein Rezept zur Neuordnung des sozialen Lebens sei. Weiß Gott und sei Dank: Das ist sie nicht. [...] Die Dreigliederung ist kein Rezept, sondern ein Urbild.

Man darf nicht vergessen, daß jugendbewegte Zeitgenossen und Nachfolger von Rudolf Steiner dessen Arbeit nicht nur existentiell aufgegriffen, sondern auch weiterentwickelten haben. Dazu gehört neben Wilhelm Schmundt und Joseph Beuys auch Peter Schilinski. Das sind eigentlich die drei, die Steiner in den Jahrzehnten der 50er, 60er, und 70er Jahren auf die Höhe der Zeit gehoben haben. Ich möchte das am Bespiel der Direkten Demokratie erläutern.

Schilinski hatte nach dem II. Weltkrieg Die Kernpunkte von Rudolf Steiner entdeckt. Dort wird davon gesprochen, daß das Rechtsleben unter dem Aspekt der Gleichheit zu betrachten sei, und zwar v o r dem, aber auch hin z u dem Gesetz. D.h. Steiner folgert aus dem Dreigliederungsurbild, daß alle Menschen das Recht gestalten und vor ihm gleich sind. Er spricht aber nicht vom Volksentscheid. Die logische Konsequenz jedoch ist, daß, wenn man dieser Maxime gerecht werden will, man eigentlich keine Delegierten, sprich Parteivertreter mehr wählen kann. Sein eigenes Recht kann man nur selbst wahrnehmen. So kam Peter Schilinski schon schnell auf die Idee der Volksabstimmung, in deren Ausübung jeder Mensch gleichermaßen seine Stimme in die Waagschale werfen kann. Er gründete bereits 1951 in Sylt eine Bürgerinitiative, den "Bund für Volksabstimmung über die Wiederbewaffnung" der BRD. Alle nachfolgenden Projekte in Sache Direkte Demokratie sind letztlich darauf aufgebaut und weiterentwickelt worden: Joseph Beuys "Büro für Direkte Demokratie durch Volksabstimmung" genauso wie Wilfried Heidts Aktion Volksentscheid oder Thomas Meyers "Idee" (Initiative Demokratie entwickeln) später Mehr Demokratie, oder Brigitte Krenkers Projekt "Omnibus für Direkte Demokratie in Deutschland".

Wer diese Entwicklung verschlafen hat, wird sich immer darüber beklagen, wo denn die Dreigliederung dabei sei. Sie ist natürlich in den Köpfen und Herzen bewußter Menschen, die heute die Direkte Demokratie u n d die Dreigliederung vertreten. Wie frei und selbstständig das Geistesleben und wie brüderlich das Wirtschaftsleben sein kann und möge, das fällt ja nicht - auch nicht als Dreigliederungsverständnis – vom Himmel. Das muß durch alle Menschen errungen werden und letztlich auch durch viele Volksabstimmungen festgeschrieben werden. Es wird immer konstatiert, man könne über Fragen des Geisteslebens, also über Schulen, Hochschulen, Presse, Rundfunk, Fernsehen, Kirchen, Religion, und Einrichtungen der Kunst nicht abstimmen, da das Geistesleben ja nach dem Gesichtspunkt der Freiheit zu gestalten sei. Ja gut. Aber wer legt das denn fest? Gebetsmühlenartige Wiederholung, daß dies die Erkenntnis Rudolf Steiners und ja wohl auch die Wahrheit sei, nützen lediglich einem fundamentalistischen Standpunkt. Der aber ist das Gegenteil von Freiheit, die aufbaut auf dem freien, selbstverantwortlichen Individuum, das gestalten kann, und zwar zusammen mit seinen Schwestern und Brüdern. Dabei sei die Wahrheit bestenfalls eine Richtschnur, eben ein Urbild, aber keine Handlungsanweisung.

Wenn einerseits die Volksinitiative für ein freies, selbstverantwortliches Schulwesen in Schleswig-Holstein von Henning Kullak-Ublick gelobt, aber andererseits die Bewegung für Direkte Demokratie kritisiert wird, so ist das ein Widerspruch. Denn diese Initiative macht genau das, was abgelehnt wird. Sie versucht das Bewußtsein und die Gestaltungskraft der Menschen zu wecken und zielt letztlich auf eine Mehrheit für ein freies, selbstverwaltetes, gleichberechtigtes Schulwesen ab. Die Erkenntnis für diese Initiative kommt zwar aus dem Dreigliederungsurbild, an dem Weg dahin führt jedoch gar nichts an der Direkten Demokratie vorbei. [...]»


Weiterführende Links

  1. Text von Sylvain Coiplet: www.dreigliederung.de/essays/2003-01-001.html
  2. Replik von Rainer Rappmann auf Sylvain Coiplet: www.dreigliederung.de/essays/2003-04-002.html
  3. Replik von Wilfried Heidt auf Rainer Rappmann: www.dreigliederung.de/essays/2003-08-001.html
  4. Klarstellung von Sylvain Coiplet zur Diskussion: www.dreigliederung.de/essays/2003-09-001.html