Die Globalisierung gestalten - Vorwort von Perlas

Vorwort des Autors

01.03.2000

Leseprobe aus Die Globalisierung gestalten: Zivilgesellschaft, Kulturkraft und Dreigliederung

Die Frage der Relevanz spielt immer eine große Rolle, wenn die Veröffentlichung einer schriftlichen Arbeit wieder aufgegriffen wird. Glücklicherweise haben sich die jüngsten weltgeschichtlichen Ereignisse und Diskussionen mit Themen befasst, die zentral mit den Anliegen dieses Buches zusammenhängen. Deshalb liefert dieses Buch auch weiterhin eine relevante Perspektive für die Gestaltung des Glohalisierungsprozesses, der in der gegenwärtigen Welt so epochale Veränderungen entfesselt.

Demonstration der Zivilgesellschaft als dritte globale Kraft

Ein zentrales Thema dieses Buches fand seinen überzeugenden Ausdruck in dem dramatischen Zusammenbruch der Konferenz der Welthandelsorganisation (World Trade Organization = WTO) in Seattle im Dezember 1999. Kurz vor dem Ende des 20. Jahrhunderts wurden Millionen von Menschen auf der ganzen Welt Zeugen des plötzlichen Auftretens einer dritten globalen Kraft auf der Bühne der Weltgeschichte. Diese dritte Kraft hinderte die WTO Minister aus 135 Ländern daran, einen neuen Konsens zu schaffen, der das Tempo fragwürdiger Formen der Globalisierung in der Welt beschleunigt hätte. Diese dritte Kraft ist die globale Zivilgesellschaft, das zentrale Thema dieses Buches.

Das Schicksal der Welt wird nicht länger vom bi-polaren Machtkampf zwischen großen transnationalen Konzernen und mächtigen Nationalstaaten bestimmt - ein bi-polarer Kampf, der schon in der Struktur der WTO veranlagt ist. Die Niederlage der WTO in Seattle zeigt, dass die globale Zivilgesellschaft mit elementarer Stärke sich geltend gemacht hat, um die Monopolstellung der Weltwirtschaftsführer und Staatsoberhäupter, allein über das Schicksal der Welt zu entscheiden, anzugreifen. Wir leben jetzt in einer tri-polaren Welt mit großen Konzernen, mächtigen Regierungen und einer globalen Zivilgesellschaft. Wenn wir die zentrale Lehre aus der Niederlage der einflussreichen WTO in Seattle ziehen wollen, so ist es jetzt an der Zeit, die Eigenart der globalen Zivilgesellschaft als der dritten Kraft zu verstehen.

Aspekte des WTO Debakels in Seattle erfolgreich vorausgesagt

Einige Monate vor der «Schlacht von Seattle» entwickelte dieses Buch bereits Argumente, warum die Zivilgesellschaft als dritte Kraft im heutigen Weltgeschehen angesehen werden kann. Es sagt sogar erfolgreich voraus, dass aufgrund der aussergewöhnlichen Schlagkraft, welche die globale Zivilgesellschaft in den letzten Jahren entwickelt hatte, die Versuche scheitern würden, weitere ungerechte Investitionsvereinbarungen ähnlich denen des «Multilateralen Abkommens über Investitionen» (Multilateral Agreement on Investment = MAI) beim WTO Treffen in Seattle durchzudrücken.

Unterstützung für das Konzept der Zivilgesellschaft als führender Kulturkraft

Das Buch zeigt im weiteren auf, dass die Macht der Zivilgesellschaft aus der «Kulturkraft» entsteht. Und dass ein Weg, diese Kulturkraft anzuwenden, in dem Gebrauch der «symbolischen Verschmutzung» liegt. Es überrascht nicht, dass dies genau das Thema eines kürzlich erschienenen Newsweek-Artikels im Zusammenhang mit der Schlacht von Seattle war. In diesem Artikel wird der Begriff «Kulturblockade» («Culture Jamming») benutzt, der im wesentlichen das Gleiche besagt, wie die «symbolische Verschmutzung».

«Polizei in Schutzanzügen schützte Starbucks Filiale. Französische Bauern verteilten geschmuggelten Käse vor McDonalds. Oben-Ohne Protestierende hatte BETTER NAKED THAN NIKE (BESSER NACKT ALS NIKE) auf ihren Rücken geschmiert. Sicherlich war die Auseinandersetzung in Seattle ein Protest gegen die WTO, aber es war auch eine riesige (Kulturblockade), die einige unserer sorgsam gepflegtesten Logos zum Ziel hatte.»

« Die Idee der Kulturblockade ist so alt wie der Aktivismus selbst. Er hat im letzten Jahrzehnt Aufschwung bekommen und ist jetzt die bevorzugte Taktik von Kampagnen gegen Unternehmen auf der ganzen Welt. Ihre meistgebrauchte Form ist das "Ad Busting" [1] , ein Verfahren, Werbung zu parodieren und Reklametafeln zu entführen. In einem berühmten Fall verdreht der New Yorker Künstler Ron English die Anziehungskraft eines Spielzeugkamels auf Kinder. Er bringt das Kamel als kleines "knuddeliges Krebskind", das mit Bausteinen statt mit Sportwagen und Billard spielt .... »

«Die Idee der Kulturblockade soll die Botschaft eines Unternehmens gegen es selbst wenden. Kalle Lasn, der Herausgeber des Vancouver Adbuster Magazins, benutzt die Kampfkunst des Juijitsu, als Lieblingsmetapher, um die Vorgänge dieser Verdrehung zu beschreiben. " Mit einer einzigen geschickten Bewegung bringst Du den Riesen zu Fall. Wir nutzen den Schwung des Gegners. " »

«Immer mehr bewegen sich die "Kulturblockierer" weg vom bloßen Parodieren hin in die reale Welt politischer Auseinandersetzungen, wie wir es in Seattle gesehen haben ... In Wirklichkeit mögen die blockierten Unternehmen noch nicht einmal die schlimmsten Sünder sein, aber sie sind diejenigen, die ihre Logos im strahlendsten Licht erscheinen lassen. Es mag unfair erscheinen, aber für solche Firmen ist die Macht ihres eigenen Markennamens eine seltsame Art der Belastung geworden.» [2]

Versuche, die Macht der Zivilgesellschaft an die Leine zu legen und/oder in Beschlag zu nehmen

Im Buch wird weiter detailliert ausgeführt, warum die Kräfte hinter der elitären Globalisierung - welche, wie in Kapitel 2 beschrieben, eine außerordentlich schädliche Form der Globalisierung darstellt - begonnen haben, die Macht der globalen Zivilgesellschaft anzuerkennen, wenn auch nur sehr widerwillig. In der Newsweck-Ausgabe vom 6. Dezember 1999 wird zum Beispiel beklagt, dass Nichtregierungsorganisationen (Non Governmental Organizations = NGOs), die ein Schlüsselelement der Zivilgesellschaft bilden, keine Wahlkreise repräsentieren. Es wird gefragt, warum NG0s das Recht erhalten, soviel Macht auszuüben, ohne demokratisch gewählt worden zu sein.

Diese Meinung von Newsweck hat weder ein Verständnis für die Betätigung der «Kulturkraft» noch für die der «Kulturblockade» wie in den Ereignissen von Seattle. Wenn die Kulturkraft aktiv wird, arbeitet sie nicht im Bereich von Wählerstimmen und Wahlen. Sie beleuchtet vielmehr Hintergründe zu Themen, die Sinn, Wahrheit, Ethik, Moral, Authentizität, Legitimation usw. betreffen. Da die öffentliche Artikulation solcher Anliegen die Politiker und Wirtschaftsführer in ihrem Bewusstsein und in ihrem Verhalten zutiefst trifft, kann die Kulturkraft in der Gesellschaft große Wirkungen haben. Das ist der Grund, warum die elitäre Globalisierung sicherstellen will, dass das kulturelle Leben unterdrückt wird.

Claude Smadja, leitender Direktor des Weltwirtschaftsforum (World Economic Forum = WEF) schlägt einen positiveren Ton an. Auch wenn er nur für sich selbst spricht, sind seine Aussagen höchst bezeichnend. Das WEF ist das Forum auf der Welt, in dem sich die Sieger der elitären Globalisierung jährlich in Davos in der Schweiz treffen, um ihre Vorstellungen über die Zukunft des Globalisierungsprozesses auszutauschen.

«Seattle brachte zwei unterschiedliche Proteste ans Licht. Der erste ist eine Reaktion in den Industrieländern gegen die Art, wie die wirtschaftliche Logik an die Stelle sozialer und politischer Probleme treten durfte. Große Teile der Öffentlichkeit glauben, dass mit dem Fehlen eines korrigierenden Einflusses sich die Globalisierung in eine Richtung bewegt, die uns mehr und mehr zwingt, eher in einem Wohlstandssystem, als in einem Gesellschaftssystem zu leben. Diese Beobachtung erklärt, warum die meisten Umfragen in den USA eine Angst vor der Zukunft enthüllen in einer Zeit nie dagewesenen wirtschaftlichen Wachstums. Dasselbe spiegelt auch die oft zitierte Bemerkung des französischen Premierministers Lionel Jospin wieder: Ja zur Marktwirtschaft. Nein zur Marktgesellschaft ... »

«Mit der wachsenden Wahrnehmung des Zusammenbruchs der ausgleichenden Mechanismen, die in unseren Gesellschaftssystemen existierten, sehen viele jetzt in der direkten Aktion die einzige Zuflucht, die geblieben ist, um Frustrationen und Sorgen Luft zu machen, und um Hoffnungen auszudrücken. Das erklärt die Zunahme der NGOs und das Wachsen ihrer Auswirkungen. Deshalb liegen Kommentare und Artikel, die Vorteile und Nutzen des freien Handels preisen, weit daneben: Die Menschen reagieren gegen den Globalisierungsprozess nicht aus Unkenntnis, sondern weil sie nur zu gut erkennen, wie dieser Prozess, wenn er seiner eigenen Logik überlassen bleibt, ihr Leben bedroht. » [3]

Anhaltende Dringlichkeit für die Zivilgesellschaft, ihre eigene Identität zu erkennen

Das Buch sagt ebenso voraus, dass diese elitären Mächte ihre eigenen Anstrengungen erhöhen werden, um der Zivilgesellschaft entweder zu widerstehen, sie zu vereinnahmen oder mit ihr zusammenzuarbeiten. Als sein zentrales Anliegen beschreibt das Buch die Notwendigkeit der globalen Zivilgesellschaft, sich ihrer eigenen Identität und ihrer Stellung innerhalb der Gesellschaft bewusst zu werden, um angemessen und kreativ auf die Gegenmaßnahmen der Mächte hinter der elitären Globalisierung zu antworten.

Die Dringlichkeit dieses Hauptanliegens des Buches fand dramatische Bestätigung in einem ausführlichen Artikel im Economist in der Ausgabe vom 29.01.-4.02.2000. Laut dieses vielgelesenen und aufschlussreichen Bollwerkes für WTO gemäße Wertvorstellungen, sind NGOs hauptsächlich «Puppen» der Regierungen und Instrumente der Konzerne im «Geschäft des Helfens».

« Der Hintergrund für das gegenwärtige Anwachsen der NGOs; liegt in ihrer Finanzierung durch westliche Regierungen. Das ist keine Frage der Wohlfahrt, sondern eine der Privatisierung: Viele nicht-regierende Gruppen werden zu Auftragnehmern der Regierungen. Denn die Regierungen ziehen es vor, Hilfe durch NGOs leisten zu lassen, weil das billiger und wirksamer ist als die öffentliche Hilfe, und weil dadurch die Nöte und Bedürfnisse auf angemessener Distanz bleiben.»

«Für Regierungen sind die NGOs über das bloße Austeilen von Essen und Decken hinaus nützlich. Einige bringen wertvolle Informationen zurück und machen dies sogar zum Teil ihres Auftrages ... In einigen Fällen nehmen die NG0s den Diplomaten direkt die Arbeit ab: Sie versuchen nicht nur den Opfern des Krieges zu helfen, sondern den Krieg selbst zu beenden ... »

«Das vielleicht hervorstechendste Merkmal der Nähe zwischen den NGOs und den Regierungen, neben ihren finanziellen Verbindungen, ist der Austausch von Personal untereinander ... In der Ersten Welt, ... nimmt eine wachsende Anzahl von Staatsbeamten Urlaub, um für NGOs zu arbeiten und umgekehrt: Oxfam hat ehemalige Mitarbeiter sowohl in der Britischen Regierung als auch im Finanzministerium Ugandas.»

«Dieses symbiotische Verhältnis mit dem Staat (was manchen Gruppen das Etikett GRINGOS einbrachte) mag die Regierungen von Entwicklungsländern besser arbeiten lassen. Es mag auch die Hilfsorganisationen befähigen, ihre Arbeit effektiver zu machen. Aber es ist kaum ein Ausdruck der Unabhängigkeit dieser Gruppen.»

«NG0s können sich auch zu nahe an die Welt der Konzerne anschließen. Einige, bei Kritikern als "UnternehmensNGOs" (Business NGOs = BINGOS) bekannt, gestalten sich selbst absichtlich zu Unternehmen um oder machen sich von bestimmten Konzernen abhängig ... Das Ziel solcher NGOs kann leicht umschwenken vom Finden von Lösungen und Helfen Bedürftiger zum Gefallen ihrer Stifter und Erlangen von Fernsehbeiträgen [als Hilfe für Spenden] ... »

«Jede saubere Trennung zwischen der Welt der Konzerne und der Welt der NGOs ist lange vorbei. Viele NGOs sind einander Konkurrenten geworden, in derselben harten Art wie alle anderen Unternehmen auch, im Wettstreit bei der Suche nach Verträgen auf dem Markt für Hilfe, beim Eintreiben von Spenden mittels glanzvoller Medienkampagnen und in der Lobbyarbeit bei Regierungen. Die Regierungen und die UN Körperschaften könnten jetzt, theoretisch, sowohl bei Unternehmen als auch bei NG0s Angebote einholen, um ihre Programme durchführen zu lassen. Es scheint nur noch eine Frage der Zeit, wann dies geschieht. Wenn NGOs Nahrung und ärztlichen Dienst in Krisengebieten billig und gut verteilen, müssten sie die Aufträge leicht für sich gewinnen können.» 4 Basierend auf der Logik dieser Tatsachen und Analysen, schließt der Artikel: «Man könnte argumentieren, dass es nichts besagt, wenn selbst NGOs ihre Unabhängigkeit verlieren und nur ein weiterer Arm des Staates oder irgendeines Unternehmens werden. Denn GRINGOS und BINGOS könnten am Ende effizienter sein als die alte Sorte von Wohltätigkeit ... »

« [Jedoch] können NGOs auch zu ihrem eigenen Selbstzweck werden. Wenn das Problem, für das sie sich gegründet haben, gelöst ist, suchen sie neue Kampagnen und Spendenmittel. Obwohl ihre Arbeit abgeschlossen war, löste sich die alte Anti-Apartheid-Bewegung nicht auf, sondern wurde eine zusätzliche einflussreiche Lobby in Südafrika. Da die NGOs auf dem Schauplatz der Welt ständig mächtiger werden, wäre das beste Gegenmittel für Übermut und Institutionalisierung folgendes: Selbstauflösung, wenn die Arbeit beendet ist. Das Hauptziel der NGOs sollte ihre eigene Abschaffung sein.» [5]

Tatsächlich gibt es eigentlich keine stichhaltige Entgegnung auf diese Herausforderung des Economist, solange Aktivisten der Zivilgesellschaft ihre lnstitutionen einfach nur als solche ansehen, die direkt in innovative Formen des Regierens einbezogen werden, oder die in sozial verantwortlichen Unternehmen engagiert sind. Nur wenn sich die Zivilgesellschaft selbst als Verteidiger und Weiterentwickler kultureller Räume und kultureller Substanz versteht, wird ihr wirkliches Wesen sich mit machtvoller Stärke in das Bewußtsein der Welt einbringen.

Die Grundnatur der Zivilgesellschaft

In ihrer modernen Form umfasst die Zivilgesellschaft die aktiven und organisierten Zusammenschlüsse und Vereinigungen im kulturellen Bereich. Das würde unter anderen NG0s, POs (People's Organizations = Bürgerinitiativen), Akademien, Medien und kirchliche Gruppen einbeziehen, in Unterscheidung aber nicht notwendigerweise im Gegensatz zu dem formellen Regierungsapparat im politischen Bereich und dem Netz von Wirtschaftsunternehmen im wirtschaftlichen Bereich. Unternehmen haben die wirtschaftliche Macht. Regierungen üben die politische Macht aus. Aber die Zivilgesellschaft gebraucht die kulturelle Macht.

Kultur befasst sich mit dem Bereich von Ideen in ihren unterschiedlichen, vielfältigen Formen einschließlich Weltanschauungen, Wissen, Bedeutungen, Symbolen, Identität, Ethik, Kunst, Spiritualität und vieles mehr. Der «kulturelle Bereich» der Gesellschaft ist das Untersystem der Gesellschaft, das sich der Entwicklung aller menschlichen Fähigkeiten und der Entstehung von Wissen und Bedeutung, einem Sinn für das Heilige, der Kunst und der Ethik widmet.

Kultur ist der soziale Raum, in dem Identität und Sinn entstehen. Diese beiden sind untrennbar. Identität und Sinn geben den Menschen ihre kognitive, affektive und ethische Orientierung. Kurz, sie sind der Brunnen, der alles menschliche Verhalten bestimmt und erhält. Verlust von Sinn und Bedeutung endet in einer Häufung voll anomalem und destruktivem Verhalten. Sinnfindung mündet in größere Kreativität, Mitgefühl und Produktivität. Es ist einleuchtend, dass die Institution, in diesem Fall die Zivilgesellschaft, welche Bedeutung und Identität pflegt und entwickelt, und damit auch das Verhalten, enorme Schlagkraft haben wird bezüglich der Ausrichtung und der Belange sowohl der nationalen Gesellschaften als auch der Weltgesellschaft als Ganzer.

Bedenken bezüglich der Zivilgesellschaft als einer kulturellen Institution

Das Buch entwickelt diese kulturelle Identität der Zivilgesellschaft indem es zwei große Einwände berücksichtigt, die aus zwei verschiedenen Denkweisen innerhalb der Zivilgesellschaft selbst kommen.

Die eine Denkweise sagt, dass dieses kulturelle Selbstverständnis der Zivilgesellschaft sie unpolitisch und unwirksam gegenüber den Kräften des Staates und des Marktes macht. Dieses Identitätsverständnis würde eine Art Flucht vor politischem Engagement sein, eine Art Passivität gegenüber den Taten des Staates und des Marktes. Das muss nicht der Fall sein. Zivilgesellschaftsorganisationen (Civil Society Organisations = CS0s) können sich aktiv und bewusst in dem Prozess der «Institutionalisierung» betätigen. In diesem sozialen Prozess der Institutionalisierung finden Werte, die im kulturellen Leben entwickelt und artikuliert werden, immer stärkeren Ausdruck in der Art, wie sich politische Angelegenheiten und Unternehmensaktivitäten entfalten. Zum Beispiel kann die oben diskutierte «Kulturblockade» ein Weg sein, CSO Werte in der Politik oder der Wirtschaft zu institutionalisieren. Kapitel 5 des Buches führt diesen Prozess im Detail aus.

Die zweite Denkweise sagt, dass das kulturelle Selbstverständnis der Zivilgesellschaft nicht stimmt, besonders unter NG0s nicht, weil viele von ihnen sich in politischer Aktivität engagieren und manche sich sogar als politische Institution verstehen. Diese Denkweise beinhaltet ein Wahrheitselement, insofern als es tatsächlich CS0S gibt, die ihre Identität politisch verstehen. Aber genau hierin liegt der Grund, warum dieses Buch geschrieben wird, und warum Kapitel 4 die Gefahr beschreibt, bei der Illusion einer Zivilgesellschaft als einem rein politischen Phänomen stehenzubleiben. Darüberhinaus betrachten sich eine größere Anzahl von Institutionen der Zivilgesellschaft weder als eine politische Institution noch als ein Unternehmen. Sie sehen sich selbst eher als ein «dritter Sektor», als einer, der klar unterschieden werden muss vom Staat und vom Markt. Und schließlich gibt es diejenigen CS0s, die sich selbst ganz eindeutig als kulturelle Institutionen beschreiben. In der Philippinischen Agenda 21, dem offiziellen Richtliniendokument für nachhaltige Entwicklung der Philippinischen Regierung, haben sich Zivilgesellschaftsorganisationen erfolgreich für die Aufnahme der Definition der Zivilgesellschaft als der Schlüsselinstitution der Kultur eingesetzt.

Die Zivilgesellschaft, die «Schlacht von Seattle» und die Notwendigkeit von Dreigliederungsprozessen in der Weltentwicklung

Das WTO Debakel in Seattle zeigt die wirkliche Rolle und Zukunft der globalen Zivilgesellschaft in der Weltentwicklung. In unserer Zeit, am Ende des 20. Jahrhunderts, waren wir mit eigenen Augen Zeugen der Emanzipation der Kultur durch die starke Aktivität der globalen Zivilgesellschaft. Diese Emanzipation des kulturellen Lebens auf der Erde wird eine bedeutende und starke Rolle in der gesamten Richtung der menschlichen Evolution spielen.

Das befreite und wirksame kulturelle Leben hat zwei Aufgaben, die beide gleich wichtig sind, und die beide einander auf entscheidende Weise ergänzen, selbst wenn sie äußerlich Welten voneinander entfernt zu liegen scheinen.

Die erste Aufgabe besteht darin, das Leben und die Rolle der Kultur in der globalen Gesellschaft zu verteidigen und auszudehnen. Die erfolgreiche Bewältigung dieser Aufgabe durch die steigenden Aktivitäten und die zunehmende Verbreitung der CS0s in den meisten Ländern der Welt ist gegenwärtig offensichtlich. Dies ist der erste wesentliche Schritt, denn durch ihn werden die räuberischen Tendenzen vieler mächtiger Nationalstaaten und Konzerne in Schach gehalten.

Aber nach der Schlacht von Seattle ist die zweite Aufgabe der Zivilgesellschaft nun genauso dringend und notwendig geworden wie die Aufgabe der Selbstverteidigung, welche nur die erste Phase des modernen Ausdrucks der Kultur in der Welt darstellt. Mit der weitgehenden Entlegitimisierung der führenden wirtschaftlichen Entwicklungspolitik, die von solchen Institutionen wie der WTO favorisiert wird, wird nun eine brennende Frage im Zentrum politischer Debatten in den Hauptstädten der Welt immer lauter: Was ist die Alternative und wie wird sie in der Welt verwirklicht?

Diese zweite Aufgabe der globalen Zivilgesellschaft ist das Hauptthema in Kapitel 8 des Buches. Es beschreibt, wie die Inhalte und Prozesse der Dreigliederung wichtig sind für die Verfolgung authentischer, umfassender und grundlegender nachhaltiger Entwicklung.

Kurz gesagt bedeuten Dreigliederungsprozesse, dass die drei Schlüsselinstitutionen der Gesellschaft - Geschäftswelt, Regierung und Zivilgesellschaft - welche die drei wesentlichen Dimensionen der Gesellschaft, nämlich Wirtschaft, Politik und Kultur repräsentieren, einen Weg finden müssen, um die Differenzen zwischen ihnen auszugleichen, in allerersten Grundsätzen übereinzustimmen und in ein prinzipienorientiertes und kritisches Engagement im Streben nach nachhaltiger Entwicklung einzutreten. Dreigliederungsinhalte bedeuten, dass die nachhaltige Entwicklung als eine ganzheitliche angegangen wird, dass nicht nur wirtschaftliche Anliegen, sondern ebenso politische und kulturelle, wie auch ökologische, soziale, menschliche und spirituelle Dimensionen der Entwicklung berücksichtigt werden. Kapitel 8 und 9 enthalten eine genaue Behandlung dieser Themen.

CSO Aktivisten zögern verständlicherweise, sich der zweiten Aufgabe zu stellen - die Artikulation und die Realisation einer anderen Welt. Denn die Dreigliederung ist, während sie einerseits einen Prozess darstellt, zentrale Anliegen der Zivilgesellschaft in die ganze Gesellschaft einzuführen, gleichzeitig auch ein Raum, in dem die Zivilgesellschaft von problematischen Agenden und Programmen der Geschäftswelt und/oder der Regierung vereinnahmt werden kann. Trotz dieser Schwierigkeiten kann jedoch die Dreigliederungsaufgabe der Zivilgesellschaft nicht vermieden werden, da klar ist, dass Protest allein keine bessere Welt erschaffen kann. Protest allein kann nur schützen oder verteidigen: aber er kann keine neue Welt zur Erscheinung bringen. Denn eine neue Welt kann nur geschaffen werden durch die Teilnahme anderer legitimer Institutionen der Gesellschaft, einschließlich derjenigen, die legitime wirtschaftliche und politische Funktionen ausüben, beides Verantwortungen, die außerhalb des Bereiches der direkten Einwirkung durch die Zivilgesellschaft liegen.

Anhaltende Relevanz diese Buches

Aus dem Obigem geht klar hervor, dass die wesentlichen Themen dieses Buches so aktuell und relevant sind, wie die Titelseiten der führenden Tages- und Wochenausgaben von Zeitungen und Zeitschriften auf der ganzen Welt. Deshalb ist es wichtig, dass die zentralen Anliegen dieses Buches jetzt mit der Veröffentlichung der deutschen Ausgabe auch ihren Ausdruck in der deutschsprachigen Welt finden. Dies kann den wichtigen Dialog erweitern, der heute weltweit sowohl zwischen allen CS0s stattfinden muss, als auch mit den Staats und Wirtschaftsinstitutionen, die bereits die Unvermeidbarkeit erkennen, sich mit der globalen Zivilgesellschaft zu einigen.

Während dieses Buch seinen Weg in die deutschsprachige Welt findet, hofft der Autor, dass es das verborgene Potenzial in der deutschsprachigen Bevölkerung anregen wird, eine Vision der Welt voranzubringen, die ganz anders ist als die Überbleibsel des «Washington Konsens», der das Denken hinter solchen Institutionen wie der WTO ernährt. Meine eigene Erfahrung beim Vortragen der Inhalte dieses Buches vor deutschem Publikum überzeugt mich, dass auch die deutschsprachige Welt sich mitten in einer intensiven Suche nach einer anderen, neuen Art der Welt befindet. Hoffentlich kann dieses Buch zu dieser Suche beitragen und einen stärkeren Widerstand gegenüber der elitären Globalisierung auslösen und dazu verhelfen, einen innovativeren Ansatz hervorzubringen, um die Globalisierung zum Wohl der Menschheit und der Erde zu gestalten.

Nicanor Perlas
Februar 2000
Metro Manila, Philippinen

Anmerkungen

[1] Ad (Abkürzung von Advertisement) = Anzeige, bust = auffliegen lassen.
[2] Naomi Klein, « 'Busting' the Big Brands. Protesters commandeer famous brand names and turn them on the corporate world.», Newsweck, 31.Januar 2000, S.20f.
[3] Claude Smadja, «Time to Learn from Seattle: In the coming year, we need to recognize that 'globalization machismo' has had its day.», Newsweek, 17. Januar 2000, S.52.
[4] «NG0s: Sins of the Secular Missionaries», The Economist, 29. Januar - 4. Februar 2000, S.25ff.
[5] Ebd.,S.27.