Das „soziale Hauptgesetz“ als Grundlage und Wegweiser des Initiativkontos

01.03.1995

Als vor bald 5 Jahren, aus vielfältigen Gesprächen und Erfahrungen, das Initiativkonto in kleinst-möglicher "Besetzung" von Diana-Maria Sagvosdkina und Thomas Brunner begründet wurde, da war vor allem noch Ahnung, welcher Impuls nun langsam bewußter be- und ergriffen werden kann. Eine Erkenntnis stand uns damals allerdings schon deutlich vor Augen: daß eine der Hauptursachen unserer sozialen und ökologischen Krise die ist, daß es für die meisten Menschen nicht möglich ist, ihre Tätigkeit aus eigener Verantwortlichkeit und Liebe zu wählen, weil sie um ihres Lebensunterhaltes willen genötigt sind, die Arbeit anzu-"nehmen", die ihnen aus einer systembedingten oder aus einer sonstigen Machtposition heraus gegeben" wird (Staatsdirektion des Bildungslebens, Privatbesitz an Produktionsmitteln, Käuflichkeit des Bodens etc.). Es lohnt sich, in diesem Zusammenhang einmal die Wortwahl der zwei "Positionen" ernsthaft anzuschauen, die sich heute als selbstverständlich eingebürgert haben: Arbeitgeber (!) - Arbeitnehmer(!) Man wird über diese Pervertierung der Begriffe erschauern, denn wer gibt hier die Arbeit ...?

Es war uns also deutlich, daß, wenn dem individuellen Menschen die Verantwortung für sein Handeln wieder zugestanden werden soll, er erst einmal wieder aus dem Sklavenzwang befreit werden muß, seine Arbeitskraft um seines eigenen Erhalts willen verkaufen zu müssen (und in diesem Zwang steckt heute auch der Bankier). Hier wird schon die Grundforderung unserer Zeit deutlich, die Bedingung zur Überwindung des "Circulos Vitiosus": daß nämlich die kulturwirksame Befreiung aus diesen Zwängen nicht durch die Aktivität eines einzelnen, noch so genialen Menschen vollzogen werden kann, sondern nur aus dem in einem Menschenzusammenhang wach werdenden neuen Rechtsempfinden und -bewußtsein: das aus der Anerkennung des geistigen Ursprungs jedes Menschen die Bedingung eines freien Geisteslebens in einem brüderlich-schwesterlichen (d.h. assoziativen) Wirtschaftslebens erkennt.

Interessanterweise war uns dieses "Urbild" damals wohl noch nicht in seiner vollen Konsequenz deutlich, denn obwohl wir zwar einen "Keim für einen Organismus" legen wollten, so bauten wir doch noch, zwar gut gemeint, aber in gewisser Weise aus dem alten, "schizophrenen" Bewußtsein von "-gebern" und "-nehmern" eine strikte Trennung zwischen "Förderern" und "Tätigen" in die Satzung ein(1) und gaben dem Initiativkonto den Untertitel: "zur Förderung freitätiger Künstler". Mit der Neufassung vom 7.3.95 ist die notwendige Metamorphose zur Überwindung dieses Dualismus bis in den Titel gegeben: "Initiativkonto für selbstbestimmtes Handeln durch Gegenseitigkeit".

Nun scheint mir, indem jeder Beteiligte nun gleichberechtigt im Ganzen steht und auch die vorherige Innen-Außen-Trennung aufgegeben wurde, die Grundlage entwickelt zu sein, die es ermöglicht, das Wesen des sozialen Organismus wirklichkeitsgemäß zu denken, denn bei allen entstehenden "praktischen" Möglichkeiten ist das Initiativkonto doch vor allem ein "Bewußtseins-Schulungsorgan", das eine Quelle für wesensgemäße Begriffe sein kann, um evolutionär tätig zu werden.(2)

Vielleicht ist aus diesen skizzierten Gedanken schon eines deutlich: obwohl die soziale Frage nur gemeinschaftlich zu lösen ist, so ist doch der einzelne, individuelle Mensch der Ausgangspunkt aller Entwicklungen im sozialen Organismus. Dieser Gedanke ist aber von tiefster Bedeutung, denn hier wird deutlich, daß der Mensch, wenn er wieder heilsam an der Erdenentwicklung mitwirken will, sich nicht mehr auf seine Natur verlassen kann (denn er hat sich aus den ursprünglichen Zusammenhängen gelöst und in die Vereinzelung der Wahrnehmung "heraus-"entwickelt), sondern einen neuen Zusammenhang aus seiner "Geist-Befähigung" bilden muß. An diesem Freiheitspunkt aber stehen wir Alle! Die Natur (lat. Geburt) bringt aus dem in ihr wirksamen Geist die Vielfalt der Organismen und die Blüten ihrer Entwicklung hervor; der Mensch jedoch kommt offensichtlich auf natürlichem Wege kaum mehr zur reifen Ausbildung seiner leiblichen Organisation, geschweige denn zur Entfaltung seiner höheren Fähigkeiten, die ihn Organisches erkennen ließen, weil für ihn dieser Geist erloschen ist, er sich abgesondert hat (Sündenfall ..) - so daß er um seiner Freiheit willen zum Egoisten werden mußte. (In diesem Sinne sind die "Egoismus-Thesen" eines Adam Smith tatsächlich als Natur-Tatsachen zu betrachten, die jedoch keinen Hinweis auf eine zu entwickelnde Geistes-Kraft des Menschen geben können...). Es liegt also am Menschen, ob sein Schöpferauftrag Chance wird oder Fluch (bleiben wird)! Der Mensch selbst ist Baumeister jeder weiteren Entwicklung! (Bewußt spreche ich an dieser Stelle nicht vom einzelnen Menschen, sondern vom Menschen als der Menschheit, denn der einzelne Mensch wird in diesem Sinne erst dann zum Ausgangspunkt der Entwicklung, wenn er sich als Individualität im Ganzen findet.). Wer also erkennt, daß der Mensch sich nicht mehr naturgegeben zu einem "wertschöpfenden Wesen" entwickelt, ja nicht einmal die leibliche Organisation sich natürlich-selbständig entfaltet, der begreift, daß die Ermöglichung eines menschengemäßen Lebens die Grundlage aller weiterführenden Menschen- (d.h. Kunst- und eben nicht Natur-)Werke ist und daß die individuell-künstlerisch sich ausbildende Biographie im Interesse der Gemeinschaft liegen muß! "Individuell-künstlerisch" heißt aber: selbstbestimmt! (Hier wird oft der bekannte "Widerspruch" zwischen Individualität und Gemeinschaft erlebt, da vergessen wird, daß nur der einen Organismus erkennen kann, der selbst in sich die Erfahrung des Organismus entwickeln konnte.). Indem also das menschliche Leben selbst als der Kern der Kunst (der Geist-Wirksamkeit) erkannt wird, ist der Ausgangspunkt für eine evolutionär-menschliche Tätigkeit gefunden, und "Freiheit des Geisteslebens" erst in seiner vollen Bedeutung begriffen. Denn erst, wenn sich ein Leben in diesem Sinne zum Kunstwerk ausbilden kann, wird es der Gemeinschaft "ernährende Früchte" bringen können.

So ist ersichtlich, daß die individuelle Initiative (d.h. die aus eigener Einsicht entsprungene Tätigkeit) die eigentliche Aufgabe der Gemeinschaft ist!

Somit wäre ein großer Bogen wieder hin zum Initiativkonto gespannt. Doch wird nun vielleicht die Frage auftauchen, was denn diese umfassende Perspektive mit diesem kleinen Projekt zu tun hat, ob es nicht etwas hochgestapelt sei, von diesen paarmal 30 DM eine solche Entwicklung zu erwarten? (!)

Ich sage: Ja, natürlich - nicht!

Denn gerade, weil mit dem Initiativkonto die Eigeninitiative nicht durch eine inhaltliche Vorgabe der Gemeinschaft bestimmt werden soll und kann, beruht ja alles auf der individuellen Aktivität, denkend einen sinnerfüllten Zusammenhang zu bilden. Indem also Gemeinschaft hier nicht als Zwang zu einer bestimmten Handlung auftritt, sondern als Wahrnehmungsfeld, ist ja überhaupt erst die Möglichkeit gegeben, wirklich die einzelne Handlung als freie Leistung in die Wahrnehmung des Zusammenhangs entstehen zu lassen. Je individueller in diesem Sinne die Aktivitäten der Mitglieder sich gestalten werden, um so realer wird auch die Erfahrung des Rechtslebens werden, in dem wirklich jeder Mensch als gleichberechtigt dem anderen begegnen kann. So bleibt das Initiativkonto nicht der "Club der unverbesserlichen Idealisten", sondern wird, je reicher und vielfältiger die Beteiligung ist, zu einem immer praktischeren Organ auf die große Perspektive hin.

Daß es nur 30 DM monatlicher Mitgliedsbeitrag ist, kann so gerade als Zeichen der Offenheit und als Möglichkeit gesehen werden, die Tendenz auf die gesamte Erneuerung des gesellschaftlichen Rechtslebens nicht aus den Augen zu verlieren. Denn in der Realisation des reinen Prinzips in seiner Totalität ("Komm! Wir schaffen jetzt die ideale Gemeinschaft!") liegt ja gerade immer die Gefahr zur Entropie der Kräfte. Dann aber wäre der Egoismus nur zum Gruppenegoismus ausgeweitet, und die Idee würde zur bindenden Ideologie. Indem das Initiativkonto keine Idee in seiner Ganzheit realisiert, bleibt gerade die Form für Veränderungen empfänglich und als künstlerische, d.h. bewegliche Aufgabe erhalten und der Zusammenhang mit den umfassenden gesellschaftlichen Aufgaben real erlebbar. Um dieses Spannungsfeld geht es, denn

"In der Wirklichkeit haben wir, so wie mit einem Ineinanderspiel von Evolution und Devolution, es zu tun mit einem Ineinanderspielen, und zwar einem harten Kampfe der Schönheit gegen die Häßlichkeit. Und wollen wir Kunst wirklich fassen, so dürfen wir niemals vergessen, daß das letzte Künstlerische in der Welt das Ineinanderspielen, das Im-Kampfe-Zeigen des Schönen mit dem Häßlichen sein muß."(Rudolf Steiner: Die Sendung Michaels. Dornach 1983. Vortr. v. 23.11.1919. Seite 57.)

Anmerkungen

(1) So stand in der damaligen Satzung der Paragraph I,3: "Die Mitglieder erklären sich bereit, nur Menschen zu fördern, die nicht selbst zum Kreis der Konto-Mitglieder zählen."

(2) Z.B. kann durch die gleichberechtigt-gemeinschaftliche Verwaltung des Initiativkontos erfahren werden, daß Geld nicht gewöhnliches Eigentum sein kann, sondern der Rechtssphäre angehört; in diesem Sinne aber auch nicht der Veranlasser der Initiative ist, denn jedem Mitglied steht mit seinem Anteil ein gleiches Grundrecht zur Initiative zu und der Stichtag ist nur Vollzugsmoment und Möglichkeit zur Wahrnehmung des Bedarfs. Im Sinne des "sozialen Hauptgesetzes" kann im Mitgliedsbeitrag schon die entscheidende Gegenbewegung erkannt werden (... je mehr er von diesen Erträgnissen an seine Mitarbeiter abgibt ...) usw.


Quelle: Beiträge zur Dreigliederung, Anthroposophie und Kunst, Heft 45, 1995. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers.