Ein Christ für gerechte Wirtschaftsordnung

07.06.1994

Interview mit Prof. Dr. jur. Roland Geitmann / Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Kehl / Thema "Dreigliederung des sozialen Organismus", Mikro-, Makrokosmos, Christentum / am 07.06.1994 in Kehl privat / Interviewer (c) Sebastian Schöck Berlin, (c)-Vetorecht bei Publikationen hat der Interviewpartner / Kamera Friedel Hans / Bandformat: BetacamSP

Sebastian Schöck: Wir sprechen mit Prof. Dr. Geitmann, Oberbürgermeister der Stadt Kehl.

Roland Geitmann: Da muss ich gleich berichtigen. Ich war Oberbürgermeister der Stadt Schramberg 1974-82 und wohne jetzt in Kehl, arbeite in Kehl an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, bin Jurist und habe schon mehrere Berufsstadien durchlaufen.

Sebastian Schöck: Dann fangen wir jetzt mit Ihrer Person an und dann vielleicht zur Arbeit. Stellen Sie sich vielleicht gerade selbst vor?

Roland Geitmann: Ja, gern. Ich komme aus christlich-ländlichem Elternhaus, und das Fragen und Sich-kümmern um das, was außerhalb des eigenen Hauses ist, damit bin ich aufgewachsen auf einem Gut in Mecklenburg; da gehörte es dazu, sich um das ganze Dorf zu kümmern. Das zweite, ich bin in den Ost-West-Konflikt, Wanderungen und Zerrissenheit hineingeboren und -gestellt und bin mehrmals hin- und hergewandert als Kind und als Jugendlicher. Entschieden habe ich mich für das Jurastudium, Freiburg und Berlin, mit verfassungsrechtlichem Schwerpunkt, habe verfassungsrechtlich promoviert bei Konrad Hesse, dem späteren Bundesverfassungsrichter, also auch da schon die Frage berührt, wie ordnen wir unsere Gesellschaft.

Beruflich bin ich dann in die Innenverwaltung Baden-Württemberg gegangen an zwei Landratsämter und das Regierungspräsidium Tübingen, habe also mit Ordnungsfragen zu tun gehabt, aber auch mit Finanzen, mit Geldströmen, ohne das als Problem zu erkennen, und hatte Berührung mit kommunaler Selbstverwaltung. Und das zog mich dann sehr an - liegt natürlich nahe, weil ich immer schon politisch interessiert war. Ab 1970 in der SPD, 14 Jahre lang sehr engagiert, habe ich viel gelernt, vor allem, dass das Recht formbar ist. Als Jurist wird man positivistisch ausgebildet, und hier lernte ich und konnte ein wenig mitwirken an der Formung des Rechts im politischen Prozess.

Und so wurde mir angeboten, mich um die Stelle des Oberbürgermeisters in Schramberg im Schwarzwald zu bewerben. Das war eigentlich völlig verrückt, weil ich da gar nicht hinpasste: Viel zu jung, evangelisch, norddeutsch, konnte den Dialekt kaum verstehen, Sozialdemokrat - ganz unpassend in dieser Schwarzwaldlandschaft mit fast einer Zweidrittelmehrheit der CDU im Gemeinderat. Aber weil die CDU-Mehrheit so stark war, dass drei Kandidaten aus dieser Richtung ins Rennen gingen, zerfleischten die sich so wunderbar, dass ich als Außenseiter das Rennen machte, zum Entsetzen der besseren Hälfte der Stadt, und dort dann acht Jahre lang „gebürgermeistert“ habe: Eine sehr erfahrungsreiche Zeit, von der ich nichts mehr missen möchte.

Schwerpunkte lagen in Stadtplanung, Stadterneuerung, sozialen Aufgaben und Kulturpolitik, typisch sozialdemokratischer Kulturpolitik, „je intensiver, desto besser“. Das sehe ich heute ein bisschen anders. Anfang der 80er engagierte ich mich als Oberbürgermeister einer Stadt, die wesentlich von Rüstung lebte, in der Friedensbewegung, was sehr ungünstig aufgenommen wurde und wohl auch etwas unfair war, deutlich zu machen, dass man nicht gut fände, was die Menschen produzieren, ohne Alternativen anbieten zu können, zumal in einer Rezession, so dass es nicht ganz überraschend war, nach acht Jahren dann nicht mehr wiedergewählt zu werden, knapp zu unterliegen.

Der Wechsel tat der Stadt und auch mir gut. So hatte ich die Chance eines Sabbatjahres. Und dieses Jahr ist ganz wesentlich die Quelle späterer Beschäftigung mit sozialer Dreigliederung gewesen. Ich begegnete meinem früheren Geigenlehrer wieder, Adalbert Nauber in Freiburg, der als Anthroposoph mir Musik nahegebracht hat, was mir erst viel später in der tiefen Bedeutung aufgegangen ist. Durch 10 Jahre gemeinsames Streichquartett-Spielen ist mir vieles deutlicher geworden, was er schon damals angelegt hatte, und das war mir Anregung, mich mit Fragen zu beschäftigen, die durch Anthroposophie beleuchtet werden, eben Sozialwissenschaft, Stichwort Soziale Dreigliederung. Ein Buch von Leber war für mich sehr anregend: "Selbstverwirklichung, Mündigkeit, Sozialität", und so habe ich mich immer stärker da hineingelesen, und mein Engagement in der kommunalen Friedensarbeit richtete sich dann immer stärker auf die Frage:

„Was stimmt in den Strukturen insgesamt nicht, dass wir so zunehmende Friedensprobleme haben?“

Nach diesem Sabbatjahr hatte ich dann Gelegenheit, hier an die Fachhochschule für öffentliche Verwaltung zu gehen als Professor für öffentliches Recht und Kommunalpolitik. Mein Engagement in Richtung Grundfragen gesellschaftlicher Ordnung dort einzubringen, habe ich allerdings nur in Seminarform Gelegenheit und habe das dann sehr unvorsichtig gleich im ersten Jahr gemacht, und zwar mit dem Thema „Frieden als kommunale Aufgabe“. Das hat im Jahr 1983 Wellen geschlagen bis Stuttgart und hat dazu geführt, dass ich nach Abschluss des Probejahres als „potentieller Verfassungsfeind entlarvt“ und bis heute auch nicht wieder verbeamtet bin. Das ist mir gerade recht, weil mich die Angestelltensituation etwas freier stellt und mir mehr Distanz erlaubt, als es in der Beamtensituation wäre.

Weitere Seminare über Bürgerbeteiligung wurden angeregt durch mein Interesse für die Aktion Volksentscheid von Winfried Heidt in Achberg, mit dem ich längere Zeit in Kontakt stand. Auch machte ich Vorträge und Veröffentlichungen. "Aufgaben der Gemeinden" war ein Seminarthema, bei dem ich selbst einen Vortrag hielt über die Rolle der Gemeinden in einer dreigegliederten Gesellschaft. Das wurde durchaus mit Verständnis aufgenommen von den Studenten, die das dann in den weiteren Seminarabenden auch aufgegriffen haben. Sie überprüften kommunale Parteiprogramme unter dem Blickwinkel sozialer Dreigliederung, auf welchen Feldern kommunales Engagement angezeigt ist und wo nicht. Das war sehr konkret und anregend.

Zunehmend wurden die Themen Geld und Boden meine Themen:

Wie müssen wir das Geldwesen ordnen, wie müssen wir das Bodenrecht ordnen, damit nicht aus Gemeinschaftsgütern Einzelne immer mehr leistungslose Renten beziehen?

Vor allen Dingen das Thema Geld wurde zuerst im Rahmen der kommunalen Friedensarbeit und dann immer mehr sich verselbständigend mein Vortragsthema, und seit Jahren bin ich dazu außerhalb der Fachhochschule viel tätig. Aber auch Fragen direkter Demokratie, gelegentlich auch gezielt als Vortragsthema soziale Dreigliederung, bei Volkshochschulen, Dritte-Welt-Gruppen, Friedensgruppen, Ökogruppen, und zunehmend im kirchlichen Umfeld das Thema Geld. Ich habe dabei zusammengearbeitet mit Initiativen wie dem Seminar für freiheitliche Ordnung in Bad Boll, wo ich viel gelernt habe durch die Zeitschrift "Fragen der Freiheit", durch Veranstaltungen und im Kontakt mit freiwirtschaftlichen Organisationen.

Dabei bemerkte ich auch die Punkte, in denen man sich begegnet, und auch die Unterschiede, etwa in der Dreigliederungsinitiative Netzwerk Dreigliederung mit Udo Herrmannstorfer und Christoph Strawe. Sehr angeregt haben mich Bücher von Dieter Suhr, Augsburg, dem ich wiederholt begegnet bin, auch Helmut Creutz, von dem habe ich viel gelernt habe.

Da mich die ideengeschichtlichen und religiösen Erkenntnisströme zum Thema Geld und Boden interessierten, wurde ich gefragt, ob ich den Vorsitz einer Arbeitsgemeinschaft übernehmen wolle, die Arbeitsgemeinschaft frei-sozialer Christen (AfC) hieß und 1950 aus der Freiwirtschaftlichen Bewegung entstanden ist. In den 80er Jahren war sie biologisch fast ausgestorben und suchte einen Neubeginn. Den haben wir gemacht und uns unter einem treffenderen Namen neu konstituiert: Christen für gerechte Wirtschaftsordnung (CGW), und dies im Jahr 1989, in dem wichtigen und so entscheidenden Jahr. Wir waren damals zunächst 17 Mitglieder, sind jetzt 145 und nehmen laufend zu.

Wir verstehen uns als Bildungs- und Forschungseinrichtung, bieten vor allem Referenten an, Schriften, machen selbst Veröffentlichungen und Veranstaltungen, vor allen Dingen zu den Themen Geld und Boden. Aber in Vorträgen und Seminaren, die ich mache, zur Zeit etwa 30 bis 40 im Jahr außerhalb der Fachhochschule im ganzen Bundesgebiet, versuche ich die Ordnungsfragen um Geld und Boden immer auch in den Zusammenhang der sozialen Dreigliederung zu stellen, soweit das beim Veranstalter und Publikum Resonanz finden kann. Gelegentlich ist soziale Dreigliederung auch ausdrückliches Vortragsthema wie jüngst bei der Volkshochschule Offenburg oder auch bei anderen Volkshochschulen. Mit diesem Titel fanden seit 1987 ca. zehn Vorträge und Seminare statt, zu den Themen Geld und Boden mit Hinweisen auf die soziale Dreigliederung weit über hundert Veranstaltungen.

Ein halbes Jahr lang ließ ich mich für ein Forschungsprojekt freistellen und konnte mich einfädeln in die Erbbaurechts-Initiative des Seminars für freiheitliche Ordnung Bad Boll mit der Frage: „Sachgerechte Ausgestaltung kommunaler Erbbaurechtsverträge“. Es ging darum, in welcher Ausgestaltung Erbbaurechtsverträge ein hilfreiches Instrument sein könnten, um jetzt noch Restchancen in den neuen Bundesländern wahrzunehmen, was die Bodensituation anbetrifft. Dies wurde immerhin vom Land Baden-Württemberg als sinnvolles Projekt akzeptiert und finanziert. Das hat mich dann sehr viel herumgeführt und ist als ein Teilthema sozialer Dreigliederung ja auch bedeutsam: Wie müssen wir den Umgang mit Boden ordnen, damit wir das, was alle brauchen und was allen gemeinsam gehört, allen in gleicher Weise zugänglich machen und nicht zum Gegenstand der Ausbeutung. Ein Bericht hierüber erschien in der Zeitschrift „Fragen der Freiheit“.

Sebastian Schöck: Was motiviert Sie denn zu dieser aktiven Nebenbeschäftigung neben Ihren beruflichen Aufgaben, und was ist denn eigentlich Dreigliederung?

Roland Geitmann: Dass andere etwas wissen wollen von mir, ist außerordentlich belebend, und ich merke in den Veranstaltungen, wenn ich auf diese Grundfragen komme, wie Gesellschaft eigentlich geordnet werden müsste, die Idee der sozialen Dreigliederung als etwas Wesentliches empfunden wird. Da ist dann spürbar hohe Aufmerksamkeit im Publikum.

Was ist eigentlich das Leitbild von Wirtschaft, wozu wirtschaften wir? Es sind ja alle darauf gedrillt zu meinen, Wirtschaft sei dazu da Gewinne zu machen, zu erwerben und Reichtümer anzuhäufen. Wenn man dann auf die ganz einfache, grundlegende Erkenntnis zurückkommt, dass Wirtschaft dazu da ist, Bedürfnisse zu befriedigen, und zwar wechselseitig, jeder dem anderen und dass deswegen Wirtschaft von der Sache her auf Geschwisterlichkeit angelegt ist, ist das für viele Menschen regelrecht befreiend.

Und ähnlich gehts mit der Frage, wo sich eigentlich Freiheit entwickeln kann, und der Feststellung, dass das eigentlich der ganze Bereich der Kultur und des Bildungswesens ist, der darauf angelegt ist und dies auch braucht und es höchst fragwürdig ist, wie wir es organisieren; dass unser Grundgesetz eigentlich viel klüger ist mit Artikel 7 etwa ("Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates"). Der Staat darf mal draufschauen; da steht nichts von inhaltlichem Bestimmungsrecht. Wir sind erst dabei, das Grundgesetz in seiner Weisheit zu erkennen.

Schließlich die Frage, was ist Leitbild des Staates, und dies ist ja durchgängige Frage bei uns an der Fachhochschule: Wozu sind wir eigentlich da, wir Verwaltungsleute, und was ist der Zweck eigentlich unseres Tuns? Da ist ja die Verführung naheliegend, sich das immer weiter ausgedehnt vorzustellen, weil das ja auch Stellen gibt für die Leute, die wir da ausbilden, und weil das Einflussmöglichkeiten gibt, und doch leuchtet auch den jungen Menschen ein, die diesen Beruf ergreifen, dass es vielleicht ihre Aufgabe sein könnte, sich für viele Bereiche überflüssig zu machen, und dass es gar nicht der Sinn sein kann, diese Riesenbürokratie immer weiter auszudehnen, sondern dass der Staat ein ordnendes Element ist, das wir brauchen, und dass er vor allen Dingen Gleichberechtigung gewährleisten muss.

S.: Jetzt könnten Sie vielleicht diese drei Bereiche etwas vertiefen, insbesondere die Demokratiefrage.

Roland Geitmann: Ja. Baden-Württemberg war ja lange Zeit das Land, wo man auf kommunaler Ebene als einziges Land Formen der direkten Demokratie in der Gemeindeordnung angeboten und in den letzten Jahren auch zunehmend praktiziert hat.

Sebastian Schöck: Auf Gemeindebene.

Roland Geitmann: Auf Gemeindeebene. Inzwischen haben es auch andere Bundesländer. Das war für mein Lehrfach zum Beispiel ein Zugang zu diesen Fragen auch in der Fachhochschule Stellung zu beziehen und darüber zu reden: „Wie müsste Demokratie eigentlich aussehen?“. Warum können nicht die, die dann von Gesetzen betroffen sind, darüber auch entscheiden? Zumindest sollte man ihnen auch die Möglichkeit geben, darüber zu entscheiden. Unsere Studenten sind von ihrer Ausbildung her fixiert auf repräsentative Demokratie, und der vollgestopfte Studienplan zeigt auch, dass die Dinge anscheinend so kompliziert sind, dass sie ein Bürger gar nicht verstehen kann.

Die Idee, dass man das, was die öffentliche Hand tut, vielleicht auf das einschränken müsste, was alle verstehen könnten, und dass dem Staat nur das zukommt, was alle mündigen Bürger auch zur Not entscheiden könnten, das fällt in einer solchen Fachhochschule für öffentliche Verwaltung natürlich besonders schwer sich vorzustellen. Aber auf kommunaler Ebene lässt sich das erleben, dass man über Planungsfragen, über die Frage, eine öffentliche Einrichtung zu schaffen oder nicht zu schaffen, durchaus entscheiden kann und auf diesem Wege zu durchaus sinnvollen Ergebnissen kommt.

Formen direkter Demokratie auf Landesebene sind ja in Baden-Württemberg kaum praktiziert, auf Bundesebene besonders brisant und wären wichtig einzuführen. Darum habe auch ich mich im Rahmen meiner Möglichkeiten im politischen Umfeld und durch Veröffentlichungen bemüht. Inzwischen ist es eine so breite Bewegung, dass eigentlich keine der Parteien mehr daran vorbeikommt, sich dem Thema irgendwie zu stellen. Es ist ja bekannt, wie die Haltung der Grünen ist, wie die Haltung immerhin auch weiter Teile der SPD ist und die FDP sich da selbst verleugnet und zurückgefallen ist hinter früheren Erkenntnisstand. Die CDU ist auch hierin bekanntlich zurückhaltend. Aber es ist doch zu einem Thema geworden, und insofern können wir da Fortschritte feststellen. Und dann ist es eigentlich nur noch die Frage: „Sind wir so weit, dass wir dies einführen können, oder sind wir noch nicht so weit?“

Gleichzeitig müssen wir die staatlichen Aufgaben begrenzen, weil andernfalls der Bürger es schwer hätte zu entscheiden und die Auswirkungen nicht mehr erkennt. Zur Zeit muss man schon Fachjurist sein um zu erkennen, welche Auswirkungen eine Gesetzesänderung auf das dichte Gesetzesnetz hat, das über uns liegt. Jedes Änderungsgesetz hat ja umfängliche Überleitungs- und Anpassungsvorschriften in anderen Gesetzen zur Folge. Ein Gesetz zu entwerfen ist für eine Bürgerinitiative heute ein nahezu unmögliches Unterfangen, weil alles so verrechtlicht und dies Netz des Rechts so eng geworden ist. Deswegen kann man wahrscheinlich nur über Grundzüge entscheiden. Man muss sich auf das konzentrieren, was dem Staat und den Kommunen zu entscheiden zusteht, und das ausklammern, was auf andere Weise, in der Wirtschaft oder im Kultursektor, entschieden werden muss.

Sebastian Schöck: Welche praktischen oder praktikablen Möglichkeiten der direkten Demokratie gibt es denn heute, zum Beispiel auf kommunaler Ebene in Baden-Württemberg?

Roland Geitmann: Ja. Eingeschränkt, aber möglich.

Sebastian Schöck: Wahrscheinlich sehr eingeschränkt, weil ja die meisten Gesetze eben von Land oder Bund oder EG oder EU gemacht werden. Was könnte man denn kommunal noch entscheiden?

Roland Geitmann: Das sind dann Investitionen, ob man eine Stadthalle baut oder nicht oder ob man ein Parkhaus als Zivilschutzraum ausbaut oder nicht, das sind kommunale Investitionsentscheidungen. Aber daran kann man direkte Demokratie einüben, das ist gar nicht schlecht. Es ist leider in Baden-Württemberg nur eingeschränkt möglich. Andere Bundesländer sind inzwischen da weiter, haben uns überholt, insbesondere Schleswig-Holstein und die neuen Bundesländer, andere bereiten dies vor und haben es auch auf Landesebene; besonders wichtig wäre es auf Bundesebene.

Sebastian Schöck: EU-Ebene?

Roland Geitmann: Da wirds dann echt kompliziert und wird doch - so wie sich die Richtlinienkompetenz verlagert - immer wichtiger, nehmen wir nur die Energiesteuer. Immer stärker wird die Einsicht, dass wir das Steuerrecht verändern müssen, die Steuerlast verlagern weg von der Arbeit und hin auf Ressourcenverbrauch. Deutlich ist auf der anderen Seite, dass das unsere Konkurrenzfähigkeit berührt, wenn wir das machen würden. Also muss man da europaweit einen solchen Schritt ins Auge fassen. Das wäre zum Beispiel eine Marschrichtung, die man zudem für viele Jahre schrittweise ins Auge fassen muss, wozu auch auf europäischer Ebene so eine Grundsatzentscheidung wünschenswert wäre. Dies könnte man eigentlich als Grundfrage jedem deutlich machen. Wollen wir unser Steuerrecht schwerpunktmäßig so verändern? Das wäre eine Fragestellung, die auf europäischer Ebene auch in direkter Demokratie entscheidbar wäre.

Sebastian Schöck: Die IDEE-Leute (Initiative Demokratie Entwickeln) sagen ganz scharf, es ist eine krankhafte Karikatur der Demokratie auf Landesebene geworden, indem die Parteien scheinheilig den Gedanken aufgenommen haben mit der direkten Demokratie, aber mit so hohen Quoren, dass es schlicht und einfach unmöglich ist für das Volk, irgendwie mitzuentscheiden.

Roland Geitmann: Na, unmöglich nicht, aber sehr erschwert, das ist unglücklich und aus einer Ängstlichkeit und einem Herrschaftsbedürfnis der Parteien, das ist sehr bedauerlich. Trotzdem ist es ein Schritt in die richtige Richtung. Ich denke, dass man selbst mit unzureichenden gesetzlichen Regelungen in Sachen direkter Demokratie Lernschritte in der Richtung machen kann, und dass dann Verbesserungen kommen, also die Quoren niedriger werden oder wegfallen.

Sebastian Schöck: Sie haben den Gedanken einer Umweltsteuer erwähnt, das heißt also, dass nicht mehr die Arbeit oder das Einkommen besteuert wird, sondern mehr die Ausgaben, also wenn etwas verbraucht wird. Da greift doch deutlich die Wirtschaftsfrage mit einer Rechtsfrage ineinander. Wie kann man denn das aus der Sicht der Dreigliederung betrachten? Ist denn das eine Frage des Rechts oder der Wirtschaft? Das ist mir dann manchmal nicht ganz klar. Zum Beispiel die Kernkraft ist doch eine Wirtschaftsfrage, andererseits aber auch eine Frage, die alle Menschen betrifft, also auch irgendwie dann wieder klar eine Rechtsfrage. Ist das ganz normal oder...?

Roland Geitmann: Also ich denke, Wirtschaft braucht Ordnung, wird nicht von selbst das, worauf sie angelegt ist, nämlich geschwisterliches Miteinander, sondern braucht Rahmen, und diese Rahmen werden sich vor allem auf das beziehen müssen, was eigentlich allen gehört, und das ist vor allen Dingen die Erde, die uns Menschen geschenkt ist. Das sind die Ressourcen, die Bodenschätze, die Energie, Wasser, das ist auch der Boden. Ein Steuersystem zu haben, das dies so lenkt, dass - wie die Ökonomen sagen - externe Kosten internalisiert werden, so dass das Autofahren tatsächlich so teuer ist, wie es uns gesellschaftlich und ökologisch kommt, das wäre eine Ordnungsfrage des Staates, des Rechts. Nicht umsonst heißt es „Steuerrecht“. Man soll damit „steuern“, weil sich nicht alles von selber regelt, die Wirtschaft so ordnen, dass die Benutzung von Boden und von anderen Gemeinschaftsgütern behutsam, rücksichtsvoll, vor allem auch in Rücksicht auf spätere Generationen, erfolgt.

Und zu diesen notwendigen Rechtsrahmenregelungen für die Wirtschaft gehört auch das Geld, das auch ein Gemeinschaftsgut ist und im Verhältnis zu Naturressourcen ein Schwesterproblem darstellt. Die Erde ist ein Geschenk Gottes an die Menschheit, die wir durch Rechtsordnung behutsam zu handhaben lernen, und das Geld ist nach einer sinnreichen Fabel das Geschenk des Teufels an die Menschheit, das außerordentlich brisant und auch ordnungsbedürftig ist.

Sebastian Schöck: Was ist denn Geld oder können Sie vielleicht diese Fabel mal kurz erzählen?

Roland Geitmann: Sie ist eigentlich damit schon erzählt, nämlich dass der Menschheit die Erde zur Verfügung gestellt wurde und dass auch der Teufel der Menschheit ein Geschenk machen wollte und der Menschheit das Geld schenkte, das nun die entsprechenden Kräfte entfaltet, indem es sich als außerordentlich entwicklungsfördernd erweist. Geld fördert die Arbeitsteilung und damit individuelle Entfaltung, ist aber auch sehr gefährlich, weil es die Menschen zusätzlich abhängig macht, nicht nur voneinander, sondern auch noch von stetigem Geldfluss. Sie kommen jetzt gar nicht mehr zueinander, wenn nicht Geld zwischen ihnen vermittelt. Und dadurch sind wir in eine Abhängigkeit geraten, die uns jetzt sehr zu schaffen macht. Nicht umsonst ist ja Geld in Goethes „Faust“, 2. Teil, ein zentrales Thema. Höchst anregend und tiefsinnig ist dazu das Buch von Hans-Christoph Binswanger, "Geld und Magie", im Untertitel "Deutung und Kritik unserer Wirtschaft anhand von Goethes Faust", wo deutlich wird, dass es mit dem Geld eine ganz tiefe Bewandtnis hat, dass es außerordentlich gefährlich und ordnungsbedürftig ist und wir diese Aufgabe noch nicht erfüllt haben.

Wir denken uns und lassen uns einreden und haben in Ost und West in merkwürdiger Übereinstimmung durch marxistisch und durch kapitalistisch geschulte Ökonomen bislang gehört, Geld sei ein ganz neutrales Element, sei ein Schleier über der Wirtschaft, habe eigentlich keine eigene Wirkung; aber in Wirklichkeit ist es ganz anders. Vom Geld gehen ungeheure Wirkungen aus. Das merken wir ja in den letzten Jahren immer mehr, wie sich da etwas verselbständigt und um die Erde schwappt und die Wirtschaft beunruhigt, eine Sphäre, die sich abgekoppelt hat. Man spekuliert mit einem öffentlichen Transportmittel, mit Geld, und diese Spekulationen haben Auswirkungen auf die weltwirtschaftlichen Verhältnisse. Das ist ganz schlimm, wie da ein öffentliches Medium, ein Kommunikationsmittel, zum privaten Spekulationsobjekt denaturierte.

Sebastian Schöck: Was gibt es denn da für eine sinnvolle Aufgabe der Banken im Umgang mit Geld?

Roland Geitmann: Es ist ja zu beobachten, dass die Kritik gegenüber Banken a) eine berechtigte Tradition und b) intensiver wird, ja, dass sie sich manchmal in wütenden Protesten oder gar in Anschlägen äußert, und davor möchte ich warnen. Ich denke, Banken nehmen uns ein Geschäft ab, und zwar ein sehr unangenehmes Geschäft. Wenn ein Freund oder ein Bekannter zu uns käme, um Geld zu entleihen, wären wir unangenehm berührt und würden dennoch wahrscheinlich nicht über die Lippen bringen, „nun, sechs Prozent Zinsen sollte ich dafür haben oder sieben“, sondern würden denken, soll er doch zur Bank gehen, da liegt mein Geld, das kann er leihen. Im direkten Gegenüber bringt man das nicht übers Herz, von ihm nun Zinsen zu verlangen.

Die Banken nehmen uns ein unangenehmes Geschäft ab, das wir uns genieren würden zu tun, und wenn man sieht die tiefenpsychologische Verknüpfung von Geld, Gold und Kot, dann nehmen sie uns ein schmutziges Geschäft ab. Sie bewirtschaften das, von dem wir uns nicht so richtig trennen wollen, was wir eigentlich in uns ablagern und speichern, obwohl es eigentlich etwas ist, was wir weitergeben sollten. Kot ist ja etwas, was, wenn man es regelmäßig loslässt und auf die Felder bringt, sehr fruchtbar ist. Wenn man ihn aber festhält, vergiften wir uns. Und das ist unsere Situation: Wir haben eine gesellschaftliche Verstopfungssituation, und die wird von den Banken bewirtschaftet, diese sich anstauende Kotanhäufung, weil uns das selbst etwas zu unangenehm ist. Die Banken machen deshalb ein ziemlich problematisches Geschäft für uns und wir sollten sie sehr behutsam behandeln. Sie sind ja auch nicht umsonst so überaus korrekt gekleidet, weil sie zu kompensieren versuchen, dass sie eigentlich im Kot Wühlende sind.

Sebastian Schöck: Aber wird Geld nicht gerade dadurch zu Kot, dass es eben falsch angewendet wird, und ist es nicht treffender, einen Vergleich oder ein Bild zu benutzen, dass das Geld eigentlich die Aufgabe, die vermittelnde Aufgabe des Blutes in einem Organismus haben sollte.

Roland Geitmann: Ja, man kann Einzelaspekte mit verschiedenen Bildern beleuchten, und da ist das Blut als Transportmittel sicher ein sehr hilfreiches Bild, das ist völlig richtig. Ein anderer Aspekt des Geldes wird vielleicht mit dem Bild Kot beleuchtet, das ja auch im Märchen auftaucht. Beim Goldesel kommen die Dukaten wohlgemerkt hinten heraus und nicht vorne, wie es eine Bank mal dargestellt hat, weil sie sich irgendwie genierte, das richtig darzustellen. Diese Eigenschaft hat Geld ohne Zweifel auch, nämlich fruchtbar zu sein im Weitergeben, im Verteilen, im Loslassen. Wenn man die Volkswirtschaft sieht, dann ist Blut sicher der richtige Vergleich. Wie Blut im Organismus fungiert Blut im Wirtschaftlichen - in der Gesellschaft. Wenn man es individuell sieht, dann ist Geld sicher eher mit Kot zu vergleichen, weil es etwas ist, was man aufnimmt, vielleicht umwandelt, dann aber wieder weitergibt. Das sind einfach zwei Ebenen.

Sebastian Schöck: Können Sie vielleicht noch einmal auf die Demokratiefrage etwas näher eingehen, und zwar auf den Aspekt der Parteiendemokratie, also welchen Problemen oder Einschränkungen ein Parteipolitiker vielleicht unterworfen ist, und vielleicht auch die positiven Entwicklungsmöglichkeiten der Parteien mal darstellen?

Roland Geitmann: Ich kenne eine Partei aus vierzehn Jahren Mitarbeit von innen, die SPD, und kenne manche Parteien von außen, und denke, dass dies eine zur Zeit noch unverzichtbare Organisationsform unseres politischen Lebens ist, aber nicht auf Dauer sein wird. Was dort an Arbeit geschieht, ist notwendig und befördert sehr wichtige Lernprozesse, das könnte ich an mir selbst schildern, wie ich durch die Arbeit in der SPD auf verschiedenen Ebenen, in Arbeitskreisen, kommunalpolitischen Gruppierungen usw. gelernt habe; und diese Möglichkeit steht jedem offen. Es ist in der Politik die Aufgabe, zu Entscheidungen zu kommen, und Meinungen zusammenzuführen, Kompromisse zu suchen. Ohne eine solche Zwischenebene zwischen dem eigentlich entscheidenden Parlament oder Gemeinderat und der Bevölkerung könnte man heute in einer Mittelstadt weder in einem Gemeinderat, noch könnte man auf Landesebene, geschweige denn auf Bundesebene zu Entscheidungen kommen.

Aber ich denke, das wird nicht auf Dauer die richtige Form sein, weil immer mehr Bürger nach Möglichkeiten suchen, sich sachbezogen einzubringen. Man hat dort Kenntnisse oder dort Interessen und möchte sich entsprechend engagieren und nicht fürs ganze Leben ideologisch in eine Richtung gezwängt werden. Deswegen bräuchten wir viel beweglichere Formen sachbezogener Arbeit an gesellschaftlichen Problemen. Und die würden durch Angebote direkter Demokratie dann von selbst entstehen: Formen, Gruppierungen, Organisationen, die dann Träger für Volksbegehren und Volksentscheide auf den verschiedenen politischen Ebenen sind und sich z.B. für Umweltschutz oder innere Sicherheit einsetzen. Sie würden quer zu den Parteien liegen und wir sollten offen dafür sein, dass das eine langsam das andere ablöst. Immer mehr Menschen merken, dass wir in der reinen Form der Parteiendemokratie nicht mehr auf der Höhe der Zeit sind und den gestiegenen Bedürfnissen von Menschen, sich zu beteiligen, und auch dem Problemdruck nicht mehr gerecht werden.

Sebastian Schöck: Sie meinen also, die Parteien müssten eigentlich langfristig sich in Sachparteien oder Sachbürgerinitiativen auflösen?

Roland Geitmann: Es ist vielleicht wie ein Generationenwechsel. Die Parteien sollten eigentlich jedes politische Engagement lebhaft bejahen und sehen, dass da eine nächste Generation, was die Form politischen Engagements betrifft, ansteht, nämlich solche mehr sachbezogenen, vorübergehenden Formen, und es sollten da die Eltern gegenüber Kindern eigentlich diese Anfänge fördern und ermöglichen, statt sich dagegen zu sperren. Noch sperren sich die meisten Parteien, einige, insbesondere die Grünen, habens begriffen.

Sebastian Schöck: Wollen Sie vielleicht noch einen speziellen Tipp an die Politiker geben, wie sie das hinkriegen können?

Roland Geitmann: Ich könnte schon sagen, wie man die Instrumente, Volksentscheid auf Landesebene, vor allem auf Bundesebene, ausgestalten sollte, habe selbst da mitgearbeitet. Der Hofgeismarer Entwurf enthält nicht nur für das Grundgesetz, sondern auch für einen entsprechenden Gesetzentwurf, der die Dinge im Einzelnen regelt, Vorschläge; also dazu liegen genügend Erkenntnisse auf dem Tisch, wie man das nach dem heutigen Erkenntnisstand regeln sollte, vor allen Dingen auch unter Berücksichtigung der Erfahrungen, die man ja nun in vielen Ländern dazu hat. Und ich wüsste auch zu sagen, was man zum Beispiel an den Regelungen in der Gemeindeordnung Baden-Württemberg ändern sollte. Manchmal versuche ich es in Klausurform, so dass die Studenten selbst sich so etwas ausdenken. Wenn man dann das als Artikel anbietet für eine Zeitschrift, wird es als so subversiv empfunden, dass das gar nicht angenommen wird. Da merkt man, da ist eine empfindliche Stelle der Veränderung.

Sebastian Schöck: Können Sie da vielleicht ein paar Grundgedanken zu dieser direkten Demokratie sagen, wie das ablaufen könnte?

Roland Geitmann: Ja, gern. Ich denke, das wird mehrstufig sein müssen. In der Anfangsstufe sollte man mit geringem Organisationsgrad und relativ wenig Aufwand schon mal etwas in Gang bringen können. Auf Landes- und Bundesebene braucht man drei Stufen: nach einer Initiativstufe eine Begehrensstufe, das Volksbegehren, das dann schon formell und offiziell läuft; auch da gibt es mancherlei Regelungen, die hemmend sind in den Gesetzen, und schließlich die Entscheidungsstufe.

Das Zweite: Es sollte von den Inhalten her nicht beschränkt sein. Manchmal werden - so haben wir es in Baden-Württemberg auf kommunaler Ebene - sehr einschränkende sog. Positiv-Kataloge im Gesetz aufgeführt über Dinge, die allein abstimmungsfähig sind. Auch gibt es Negativkataloge, die einem aufzählen, über was man nicht abstimmen darf. Auch die sind höchst fragwürdig. Da steht dann zum Beispiel für die kommunale Ebene, dass wir über die Rechtsverhältnisse der Gemeinderäte, sprich über die Diäten, nicht abstimmen dürfen; über den Haushaltsplan, das Wichtigste, was ein in der Gemeinde entschieden wird, darf man nicht abstimmen; über die Steuern darf man nicht abstimmen. Also das eigentlich Brisante wird dann oft noch wieder herausgenommen. Diese inhaltlichen Beschränkungen sollten alle wegfallen. Das sollten die Bürger selbst wissen, was ihnen so wichtig ist, dass sie darüber abstimmen wollen.

Sicher braucht man Quoren, um von der einen Stufe zur nächsten zu kommen, von der Initiativstufe in die Begehrensstufe und von dort in die Entscheidungsstufe. Diese Quoren dürfen aber nicht zu hoch sein, doch oft sind sie verhindernd hoch. Wichtig ist, dass man nicht Beteiligungs- oder Zustimmungsquoren in der Entscheidungsstufe macht, weil nicht alle Fragen alle interessieren. Und es wird je nach Fragestellung vielleicht nur ein Teil der Bevölkerung angesprochen werden durch eine Frage. Das muss einen gar nicht enttäuschen. Das sieht man such in der Schweiz. Von daher ist es unsachgerecht, einen Entscheid nur dann als erfolgreich anzusehen, wenn ihm 25 oder 30 Prozent zustimmen. Allenfalls für Verfassungsänderungen wäre das zu rechtfertigen.

Sebastian Schöck: Sie meinen also, es soll keine Frage ausgeschlossen werden von der direkten Demokratie?

Roland Geitmann: Wenn wir den Mut fassen und sagen, wir werden jetzt allmählich erwachsen, dann ist es ja doch wohl der Souverän, das Volk, das über sein Schicksal entscheiden können muss. Wer denn sonst, und wer denn wohl besser? Da kann man Befürchtungen haben, die in diesen Zusammenhängen ja dann auch immer wieder genannt werden: die Einführung der Todesstrafe würde dann kommen oder anderes. Umfragen zeigen, dass diese Befürchtungen unbegründet sind. Und im Übrigen gelten auch für das Volk die Bindungen des Grundgesetzes. Man kann sich sehr unerfreuliche Initiativen und vielleicht auch Entscheidungen vorstellen, das gebe ich zu. Doch ich denke, dass in solchen Verfahren sich mehr bereinigt an latenten Regressionsneigungen und bedenklichen Haltungen, als wenn man diese Verfahren nicht zur Verfügung stellen würde. Wenn man es nicht tut, dann kommt es in Schüben plötzlich explosiv zum Vorschein, wie es zur Zeit geschieht, dass man nach 45 Jahren Grundgesetz plötzlich in der Bevölkerung eine besorgniserregend breite Neigung zu rechtsradikalen Ansichten verspürt. Das würde eher verschwinden, wenn es Wege gäbe, so was zu äußern, der Diskussion auszusetzen und dann selbst dabei zu wachsen und klüger zu werden.

Sebastian Schöck: Jetzt gibt es aus dem Gesichtspunkt der Dreigliederung das Argument, dass also bestimmte Fragen eigentlich nicht nach dem demokratischen Prinzip beantwortet werden können, z. B. dass auf keinen Fall mehrheitlich abgestimmt werden darf, welche Bücher wer liest, oder vielleicht auch, welche Lehrinhalte der Einzelne liest; dass eigentlich dabei der Einzelne immer für sich und nicht für andere entscheiden darf, wie er sich geistig oder kulturell, bildungsmäßig weiterentwickeln möchte.

Roland Geitmann: Also das habe ich dabei vorausgesetzt, wenn ich sagte, der Souverän müsste über alles entscheiden können, über alles, was man dem Staat der Demokratie an Aufgaben und Fragestellungen zubilligt. Da wird uns jetzt etwas ausgespart, das billigt sich das Parlament zu, aber lässt es nicht dem Souverän. Über alles, was wir dem Staat zubilligen - und dem dürfen wir allerdings viel weniger zubilligen als wirs jetzt tun. Der größte Bereich aller Fragen des menschlichen Lebens ist nicht demokratisch entscheidbar. Es ist eigentlich mengenmäßig ein kleiner Ausschnitt, über den alle gemeinsam entscheiden können, nämlich über das Recht, was Recht sein soll, und klar ist, dass sich diese Formen direkter Demokratie im Rahmen einer selbst gesetzten Verfassung bewegen müssen, oder man muss die Verfassung ändern. Im Rahmen unserer Verfassung ist es unmöglich, dass der Staat - seis der Souverän oder ein Parlament - entscheidet, was wir lesen sollen. Also dieser Rahmen wäre natürlich - der ist dabei zugrundegelegt, und dieser Rahmen müsste im Sinne der Dreigliederung noch enger werden, was man dem Staat, was man einem Parlament oder auch dem Volk zu entscheiden zubilligt.

Sebastian Schöck: Wer hätte denn jetzt das Recht oder auch die Möglichkeit, dieses Kulturleben mal abzugrenzen von den staatlichen Aufgaben? Die Parteien wollen es wohl nicht machen, also ist es denn nicht dann doch wieder eine Mehrheitsfrage, weil es niemand akzeptieren würde, wenn irgendein Führer für die Mehrheit des Volkes entscheiden würde. Der Staat hat in die Schulbildung und in die wirtschaftliche Bildung nichts reinzureden. Viele Bürger würden sich wahrscheinlich jetzt übergangen fühlen, wenn das die SPD oder die Grünen stellvertretend für uns machen. Es kann natürlich vielleicht auch richtig sein. Aber irgendwo muss ja diese entscheidende Frage eigentlich mal gestellt werden, und von den Parteien wird sie wahrscheinlich nicht gestellt, weil sie damit wieder einen Machtverlust verknüpfen, höchstens wieder die Mehrheit, also das Volk, könnte sich quasi vielleicht mal dazu entscheiden. Also, wer ist legitimiert oder wer ist eigentlich der Entscheidungsträger, oder wer darf denn so was entscheiden, weil wir ja jetzt keinen Kulturrat haben? Oder jeder kann es für sich auch nur sehr begrenzt entscheiden, nämlich vielleicht, welches Buch er liest. Wir haben ja eigentlich nur Religionsfreiheit, und die andere geistige Freiheit, die ist ja sehr zurückgeblieben.

Roland Geitmann: Also vielleicht haben wir doch ein bisschen mehr, vor allem ist im Grundgesetz viel mehr angelegt als wir ahnen. Angefangen von der Menschenwürde und dem leider unterbewerteten Artikel 2, Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Ein wunderbarer Satz in unserem Grundgesetz, was könnte man daraus machen und für Schlussfolgerungen ziehen, gerade für die Frage sozialer Dreigliederung. Was erfordert eigentlich dieser Satz für ein Bildungswesen, dass dies möglich wird? Dass man nicht Menschen zurichtet auf einen Bedarf hin in der Wirtschaft, sondern sich entfalten lässt auf das hin, was in ihm angelegt ist. Wie muss das Schulwesen sein, damit dies so die Fragestellung von Schule wird?

Und dann nehmen wir den Artikel 7, den schon genannten: Der Staat hat die „Aufsicht“ über die Schule, da ist eigentlich schon ein künftiger Zustand vorweggenommen. Was heißt eigentlich „Aufsicht“? Das kann ja wohl auf keinen Fall inhaltliches Bestimmungsrecht bedeuten. Damit wir dazu kommen, das, was in unserer Verfassung eigentlich schon an Weisheit drinsteckt, schrittweise zu realisieren, bedarf es langfristiger Bildungsarbeit und Erfahrung, die Menschen in freien Schulen sammeln oder die man mit Menschen sammelt, die etwas freier aufgewachsen sind, die man mit solchen Schulen sammelt, die man durch andere Erfahrungen in anderen Ländern sammeln kann, nämlich dass es sehr anregend ist, wenn es ein vielfältiges Schulwesen gibt.

Das wird eine langfristige Entwicklung sein. Das steht nicht morgen an für irgendeinen Parlamentsbeschluss: Ab jetzt ist das Schulwesen nicht mehr Sache des Staates. Das wird ein langer Prozess sein. Anders kann ich mir das nicht vorstellen, so dass sich die Frage so nicht stellt, denke ich, wer darf das nun entscheiden. Das wird sich dahin entwickeln, entsprechend dem, was sich im Bewusstsein der Menschen tut, und das Bewusstsein der Menschen wird sich in der Weise entwickeln, wie immer mehr Menschen entweder durch einen günstigen Schulweg, oder durch spätere Erfahrungen merken, da ist ein Entwicklungsbedarf in Richtung mehr Freiheit im Schulwesen. Das sehe ich als ganz langfristige Entwicklung, in der wir stehen, und ich denke, wir bewegen uns da immerhin in der richtigen Richtung, wenn man so die letzten 40,45 Jahre sieht, dann gibt es Anzeichen für eine positive Entwicklung.

Sebastian Schöck: Können Sie uns etwas erzählen über den berechtigten Platz eines Nationalgefühles? Wo gehört das denn hin, oder was kann man denn aus der Verschiedenheit der Menschen machen, wenn die Menschen immer gleich gemacht werden in den Schulen? Gibts eine positive Vision dieser Verschiedenheit der Menschen, also die nicht nur auf der Individualität beruht, sondern vielleicht auf der Zugehörigkeit zu einem Volk oder wie mans auch nennen mag?

Roland Geitmann: Also ganz bestimmt, das ist ja auch das Faszinierende, denke ich, in der Begegnung zwischen Menschen, dass sie feststellen, sie sind unterschiedlich und bereichern ihr Zusammenwirken durch ihre Unterschiedlichkeit, und das erlebt man in engerem Rahmen und das erlebt man in weltweitem Rahmen. Ich denke, das fängt schon in ganz engem Rahmen an, etwa an unserer Fachhochschule mit der Unterschiedlichkeit von Badenern und Schwaben. Wir bilden vor allen Dingen Menschen aus und für Baden aus, aber haben immer auch Württemberger bei uns, also Schwaben, die schon anders sprechen, die meistens sehr lebendig sind. Deswegen kommen sie auch zu uns, weil sie nicht nur treu zu ihrer Fachhochschule in Ludwigsburg gehen. Dieses reizvolle und liebevolle Geplänkel zwischen diesen beiden Gruppen ist außerordentlich belebend.

Die Unterschiede zwischen den Stämmen, also zwischen Bayern und Franken und Schwaben und Badenern und Hessen sind ein Reichtum; nicht zu Unrecht pflegt man Dialekte, Sprache. Ich selbst komme aus Norddeutschland, ich bin noch mit Plattdeutsch aufgewachsen, gelegentlich gebe ich ein Fritz-Reuter-Gedicht zum Besten in der Fachhochschule. Obwohl sies nicht verstehen, finden sie es doch belebend.

Die Einzigartigkeit der nationalen Ebene kann ich nicht erkennen. Sie ist nur eine weitere Stufe von Unterschieden vom Individuum bis zu Rassen, und die nationale Ebene ist eine Ebene die nun bei uns bezeichnenderweise sehr diffus verläuft. Wo wollen wir sie denn festmachen? Für mich sind Sprache und Kultur wesentliche Orientierung. Eine Fehlorientierung wäre für mich ein staatlicher Zusammenschluss in der Vergangenheit. Also etwa das Bismarckreich ist für mich eine Fehlorientierung, und ich hoffe, dass das auch nicht für das jetzt vereinigte Deutschland in irgendeiner Weise eine Orientierung wird, wie ich überhaupt diese Vereinigung für höchst problematisch halte. Ich denke, wir brauchen die Vielfalt und wir werden dann erträglich für unsere Nachbarn, wenn wir sehr intensiv Föderalismus leben und praktizieren und werden umso unerträglicher für uns und andere, wenn wir so tun, als ob wir so ein Einheitsklumpatsch wären wie andere Nationen es durch ihre Geschichte oder ihre geographische Lage schon seit langem stärker waren.

Deswegen haben wir eine Stolperentwicklung mit ganz tragischen Fehlentwicklungen gehabt, und es ist nicht umsonst so, dass bei uns diese Ebene nicht die am stärksten identitätsstiftende ist, sondern, dass es eher Ebenen darunter sind, wie die besagten Stämme Bayern, Hessen oder eine darüber ist, wie Europa oder christliches Abendland oder eben die Menschheitsebene. Weil wir uns aus unserer Geschichte nicht so sehr als Nation fühlen, können wir uns stärker a) als Individuum und b) als Menschheitsglieder sehen und von daher hilfreich sein auf dieser Erde. Denn, da hatte Schiller denke ich recht, Nation zu bilden war nicht unsere Aufgabe und ist es auch heute nicht.

Sebastian Schöck: Welche Stärke haben denn die verschiedenen Völkerschaften, vielleicht können Sie dazu was sagen.

Roland Geitmann: Da würde ich mich im Einzelnen auf ein Feld begeben, das ich nicht beherrsche. Aber weil wir anregende und wechselseitig befruchtende Unterschiede haben, reisen wir doch auch so viel in der Welt herum, weil wir das brauchen und dies wahrnehmen wollen. Und deswegen haben wir ja auch ein weltweites Kommunikationsnetz, um zu verfolgen, was läuft. Deshalb schaut man sich Auslandskorrespondenten im Fernsehen an als einzige Sendung, weil das als das Wichtigste erscheint, was läuft auf dieser Erde an Strömungen und Problemen und Krisen und so weiter. Wenn das alles eine Strickart wäre, dann würde es ja genügen, sich auf den eigenen Herd zu beschränken.

Sebastian Schöck: Wenn wir jetzt einen dreigliedrigen Organismus entwickeln würden hier, vielleicht mal in Deutschland, dann ergäben sich wohl drei getrennte Subsysteme. Wie können sich dann diese drei Bereiche in der internationalen Begegnung zeigen?

Roland Geitmann: Wir werden nicht heute oder morgen soziale Dreigliederung einführen, sondern das wird sich ganz langsam in Schritten entwickeln, so dass sich diese Frage der Ungleichzeitigkeit wahrscheinlich gar nicht stellt, weil das keine deutsche Sonderentwicklung ist, sondern weil das eine sehr viel breitere, allerdings auch sehr viel langsamere Entwicklung sein wird. Aber ansatzweise kann man solche Fragen natürlich jetzt da stellen, wo man Strukturen verändert, z.B. für die europäische Einigung. Wie könnte man diese Gedanken da einbringen? Ich denke, das wäre sehr dringlich, wie es genauso dringlich wäre, diese Idee zu verbreiten in den Ländern des ehemaligen Jugoslawien und der ehemaligen Sowjetunion, weil die sich an Staatsformen orientieren, die sie aus dem Westen haben und die längst überholt sind, statt ein viel flexibleres Miteinander auf verschiedenen Ebenen anzustreben.

In der ehemaligen Sowjetunion merkt man ja: Man ist wirtschaftlich so miteinander verflochten; das war ja verrückt, das zu zerschneiden, und hat allen geschadet. Da wird man wieder zusammenfinden müssen auf der wirtschaftlichen Ebene. Auf der anderen Seite, im kulturellen, im Bildungsbereich war man schon immer sehr unterschiedlich, so dass man vielleicht die große Chance erkennt, jetzt größere Selbständigkeit zu haben und verschiedene Entwicklungen zu machen. Und die Frage ist dann, wo setzen wir Recht, wo machen wir Gesetze, wo hat der Staat seine Funktion, seine Grenzen, wenn er sich mal löst von wirtschaftlichen Aufgaben und lösen würde von kulturellen Aufgaben. Dann ist die Frage der staatlichen Einheit gar nicht mehr so brisant und so bedeutsam, und das würde, denke ich, manches entspannen können, was noch auf Staatsvorstellungen des 19. Jahrhunderts beruht. Immerhin, in Jugoslawien tut sich was und ist hoffnungsvoll, dass man da das Kantonsprinzip für Bosnien als hilfreich empfindet und ausprobiert, ob das da angewendet werden könnte.

Sebastian Schöck: Aber das ist doch ein Scheitern. Das ist doch genau das Gegenteil von einer dreigliedrigen Entwicklung. Also das heißt, dass die Menschen nach ihrer Volkszugehörigkeit sortiert und geographisch getrennt werden. In einer Stadt kriegt halt jedes Volk seine eigene Schule mit seiner eigenen Sprache und dann können die wunderbar ihre Verschiedenheit ausleben.

Roland Geitmann: Föderalismus statt Einheitsstaat ist dennoch sehr berechtigt. Das Übergewicht des deutschsprachigen Elements ist in der Schweiz dadurch kein Problem, weil die starke Stellung der Kantone es gar nicht zum Problem werden lässt, dass zwei Drittel deutschsprachig sind in diesem Land. Wenn man in Kantonen denkt und lebt, ist gar nicht so wichtig, wie viele davon deutschsprachig und wie viele französischsprachig und wie viele italienischsprachig sind. Und dieser Gedanke ist möglicherweise auch hilfreich in Jugoslawien, wenngleich verquickt mit ganz unglücklichen Separationsentwicklungen.

Sebastian Schöck: Gehen nicht die meisten Entwicklungen der Europäischen Union dahin, dass es unmöglich wird für einen einzelnen Staat, eine Vorreiterrolle zu spielen, weil er eben durch elf andere Staaten schlicht überstimmt wird? Das heißt also, je mehr dieser Überstaat kräftig wird, desto weniger können kürzere oder schnelle Entscheidungen getroffen werden.

Roland Geitmann: Das ist immer so, wenn man sich zusammenschließt, dass dann das Tempo des langsamsten große Bedeutung bekommt. Aber selbst in einem solchen Zusammenschluss gibt es vorantreibende und retardierende Kräfte. Da braucht man dann vielleicht größere Kraft, größere Ausdauer, und da müssen wir eben längeren Atem haben, wenn wir z.B. im Umweltschutz nicht nur die Richtung halten, sondern auch Fortschritte erzielen wollen. Dafür hats ja dann aber auch größere Breitenwirkung. Ich denke, da lohnen sich größte Anstrengungen selbst für kleinste Fortschritte, wenn es in die richtige Richtung geht.

Manches wird man bedauern, weil es langsamer geht. Manches ist auch unnötig. Wenn die Transportkosten durch Energiesteuern höher wären, würde man nicht so viel Güter durch ganz Europa karren, dann wäre die Arbeitsteilung nicht so extrem wie sie jetzt ist. Dann würde man stärker regionalbezogen produzieren und konsumieren. Dann bräuchte man nicht so viele einheitliche Rechtsregeln für die Wirtschaft. So wie es sich jetzt entwickelt hat, braucht man einheitliche Rahmenregeln für die Wirtschaft, zum Beispiel auch für das Steuerrecht, für den Umweltschutz, und dann bestimmt natürlich der Langsamste das Tempo des Gesamtzuges.

Sebastian Schöck: Wäre es nicht viel sinnvoller, in einer kleinen Staatseinheit oder in einer kleinen Region die Dreigliederung mal gezielt weiterzuentwickeln, statt gleich zu versuchen, mit so einer Idee Millionen Bürger Europas und die Hunderttausend Politiker in Europa zu beschäftigen?

Roland Geitmann: Für mich ist soziale Dreigliederung nicht etwas, was man machen kann oder überhaupt umsetzen kann. Das hat ja Steiner auch sehr nachhaltig deutlich gemacht: Das ist kein Programm, das ist nicht etwas Machbares, sondern das ist etwas, worauf gesellschaftliche Entwicklung angelegt ist und was sich ergibt. Man kann nicht nur zulassen, man kann darum wissen, man kann erkennen, das sind Tendenzen, das ist eine richtige Richtung, man kann dazu auch Bildungsarbeit machen, man kann analysieren und man kann im Kleinem vielleicht auch etwas bewegen. Aber dass man da nun so einen sauberen Modellstaat von Übermorgen macht, darin sehe ich überhaupt kein realistisches Vorhaben, sondern mehr darin, dass man deutlich macht, dass dies eigentlich dem Denken und Streben von immer mehr Menschen durchaus zugrunde liegt und dass es sich in kleinen Schritten auch hier und dort realisiert. Und das ist schon genug.

Dazu ein Beispiel: Da wird als Zusatzstudium in Ludwigsburg angeboten und möglicherweise künftig auch bei uns: „Kulturmanagement“. Schon das Wort ist ja grauenvoll. Dass man das problematisiert und den Menschen, die nun künftige „Kulturmanager“ sind, dies problematisch macht, ob das eigentlich die richtige Haltung ist, mit Kultur umzugehen, oder ob sie, wenn Sie den Begriff schon belassen wollen, etwas daraus machen, was mehr im Sinne von „Rahmen und Räume zur Verfügung stellen“, aber nicht „managen“ wie Marionettenspiel ist, das ist doch schon etwas wert und nur dadurch möglich, dass jemand, der da beteiligt ist an der Ausbildung, mal etwas von sozialer Dreigliederung erfahren hat.

Oder ein anderes Beispiel: Dass man als Leiter einer Verwaltung das Gespür entwickelt, dass ein Museum oder eine Volkshochschule oder eine Musikschule nicht wie eine Abteilung ist, der man Weisungen gibt, sondern dass das Einrichtungen sind, die eigentlich gar nicht in so ein Organisationsschema hineinpassen, dass die viel größere Freiheit brauchen und man sich da auch gar nicht anmaßt, als Verwaltungsmensch da hineinzuregieren, darauf wird man dann aufmerksam machen können, wenn man mal von sozialer Dreigliederung gehört hat. Nämlich dass das Bereiche sind, die Freiheit brauchen, und wenn sie denn nun schon öffentlich finanziert sind, dass sich das ins Positive kehren lässt als Schutzschirm für ein sich frei entfaltendes Kulturleben auf dem Bereich der Musik oder der Erwachsenenbildung. Ich denke, da kann man in der Ausbildung einiges tun, um das Bewusstsein zu schärfen, was einzelne Funktionen in unserer Gesellschaft brauchen, um sich entwickeln zu können. Ich denke deswegen nicht, dass soziale Dreigliederung etwas ist, was man von heute auf morgen macht.

Sebastian Schöck: Können Sie jetzt vielleicht noch etwas auf diese Unterschiede oder auf - vielleicht eher auf die Gemeinsamkeiten zwischen den gesellschaftlichen Reformansätzen Steiners und Silvio Gesells eingehen?

Roland Geitmann: Es ist ja anregend zu sehen, dass es Zeitgenossen waren, die sich nicht persönlich begegnet sind, wohl aber voneinander wussten, Rudolf Steiner und Silvio Gesell, und dass sie punktuell gleiche Themen bearbeiteten, aber eben nur punktuell. Zum Beispiel das Thema Geldwesen, das Thema, wie man mit dem Boden umgeht. Im übrigen sind die Unterschiede so groß, dass man kaum Vergleiche anstellen kann. Aber anregend ist ein Zweites, dass Menschen durch beide sich befruchtet fühlen, da Menschen aus der einen Richtung Menschen aus der anderen Richtung begegnen und zusammenarbeiten. So kann man an Organisationen feststellen, wie dem Seminar für freiheitliche Ordnung, dass da Strömungen zusammengeflossen sind - Ideenströme aus der anthroposophischen Richtung und aus der freiwirtschaftlichen, von Silvio Gesell inspirierten.

Und so ist es auch bei den Christen für gerechte Wirtschaftsordnung. Da sind eigentlich drei Gedankenströme, die von den Kirchen gepflegten Weisheitsschätze, dann freiwirtschaftliche Erkenntnisse und auch anthroposophische Sozialwissenschaft. Alle drei fließen hier zusammen. Und da werden dann Ähnlichkeiten, aber auch Unterschiede deutlich. Eine Bildungseinrichtung wie diese kann diese Unterschiede ganz gut ertragen und erlebt es als Anregung, und man kann es auch in sich selbst ganz gut unterbringen, so geht es mir auch.

Manches, was Geld und Boden anbetrifft, ist aus der freiwirtschaftlichen Sicht konkreter und präziser gefasst und durchdacht worden, als es bisher von anthroposophischer Seite vorliegt. Auf der anderen Seite sehe ich mich ganz wesentlich angezogen von anthroposophischer Sicht, insbesondere die Fragen des Geldwesens und der Bodenordnung nicht zu mechanistisch zu sehen, also nicht zu meinen, man könne dadurch Ordnung allein paradiesische Zustände schaffen. Es müssen wohl zusammenkommen eine sinnvolle, sachgerechte Rahmenordnung, zum Beispiel zu den Themen Geld und Boden, mit dem sozialen Wollen. Und letzteres wird aus der freiwirtschaftlichen Bewegung unterbelichtet, dass dies von Bedeutung sei: Das soziale Wollen der Menschen.

Vielleicht ist das auch mehr von den Nachfahren unterschätzt als von Silvio Gesell selbst, indem betont wird daß in der Wirtschaft sich der Eigennutz betätigen könne und solle, während mir wichtig ist zu erkennen: Wirtschaft ist eigentlich auf Liebe, auf Geschwisterlichkeit angelegt und sollte so ablaufen, dass sich diese auch betätigen kann. Und sicher wird da auch immer, und bei den Menschen unterschiedlich, Eigennutz eine Rolle spielen, aber das ist nicht die eigentliche Triebkraft und die eigentliche Zielsetzung. Und das kann man an den scheinbar gewinnsüchtigsten Kaufleuten ablesen und erleben, dass sie die tiefste Befriedigung doch eigentlich dann haben, wenn sie andere zufrieden stellen, wenn ihre Kundschaft zufrieden ist. Das befriedigt einen Menschen tiefer als das, was dann in klingender Münze erscheint. So ist es ein wechselseitiges Sich-befruchten, was da stattfindet, und dies hat nun seinen Niederschlag gefunden etwa in der Zeitschrift "Fragen der Freiheit", wo Unterschiede immer wieder beleuchtet wurden, und in vielen Menschen, in denen beide Strömungen sich niederschlagen. Gesell hat im Vergleich zu Steiner eine viel engere Fragestellung bearbeitet, und deswegen kann ich eigentlich keinen generellen Vergleich anstellen. Man kann es nur ganz punktuell machen, was sagt Steiner zum Geldwesen, zum Zins zum Beispiel, und was sagt Silvio Gesell dazu. Das kann man vergleichen. Aber die Menschen sind so unvergleichlich, dass man sie nicht insgesamt vergleichen kann.

Sebastian Schöck: Was wird denn von Gesell präziser gefasst?

Roland Geitmann: Ich denke, dass wir heute durch Gesell, aber auch durch J. M. Keynes, Dieter Suhr, Helmut Creutz und weitere Autoren präziser sagen können, was beim Geld das ist, was in immer größere Ungleichgewichte führt. Das ist nicht der Zins schlechthin, sondern das ist ein Bestandteil des Zinses, den Keynes den „Liquiditätsvorteil“ oder die „Liquiditätsverzichtsprämie“ nennt. Im Zins stecken mehrere Bestandteile, die ihre Berechtigung haben, die Abdeckung des Risikos, die Vermittlungskosten, Inflationsausgleich, ein Knappheitsaufschlag. Wir brauchen eine pendelnde Größe, die Angebot und Nachfrage von Geld in Einklang bringt. Dies alles ist nicht das Problem. Das Problem steckt, wie Dieter Suhr gesagt hat, im „Jokervorteil“ des Geldes. Und dieser Jokervorteil beruht nicht auf einer Leistung des Geldbesitzers, sondern ist ein Erfolg der Gemeinschaft, beruht auf Vertrauen und Rechtsordnung, die jeden Tag neu diesen Jokervorteil dieses läppischen Geldscheins hervorbringen, weil wir darauf vertrauen können ihn wieder loszuwerden, als Zahlungsmittel Annahmebereitschaft zu finden. Und dieser Vorteil stellt sich am Markt in Form eines Grundsockels im Zins heraus, das ist auch von Gesell herausgearbeitet worden. In diesem Urzins, diesem Grundsockel liegt das Problem. Das sind im Zins zwei bis vier Prozent.

Es geht also nicht darum den Zins insgesamt abzuschaffen. Sondern es geht darum, sehr präzis um diesen Grundsockel, um diesen Urzins, über diesen Liquiditätsvorteil des Geldes zu sprechen, den wir dem zufälligen Geldbesitzer in die Hände spielen und den er nun wieder ausspielt am Markt. Und dadurch wird derjenige, der einmal zu viel hat, immer reicher auf Kosten aller anderen, die eher zu wenig haben, indem er verleiht, eine Gegenleistung fordert, und diesen von der Gemeinschaft geschaffenen Jokervorteil des Geldes sich bezahlen lässt. Und dies ist in dieser Präzision aus der freiwirtschaftlichen Schule gekommen, von Keynes und Irving Fisher, den beiden bedeutenden Ökonomen dieses Jahrhunderts aufgegriffen, von Keynes ja sogar in seinem Vorschlag für den Weltwährungsfonds, und heute in sehr präzisen Vorschlägen, wie man das Geldwesen ordnen könnte, um diesen Jokervorteil des Geldes zu neutralisieren. Darum würde es eigentlich gehen, etwas zu neutralisieren, weil es sonst in der Hand der Geldbesitzer sich wuchernd ausdehnt und als Geldvermögen die Kehrseite von immer mehr Schulden ist und damit die Situation kennzeichnet, die wir heute national und international haben. Und das muss man der freiwirtschaftlichen Schule lassen, dies präziser als bisher von anthroposophischer Seite formuliert zu haben. Das wäre am Thema Geld deutlich gemacht. Zum Thema Boden könnte man auch interessante Unterschiede nennen.

Sebastian Schöck: Sind denn nicht die Unterscheidungen in die drei Geldfunktionen - des Konsumgeldes, des Leihgeldes und des Schenkungsgeldes, wenn man sie versteht - nicht viel weiterführend und umfassender und vor allem vielleicht organischer oder lebensgemäßer als diese einheitliche Geldbetrachtung mit einer einheitlichen Umlaufsicherung?

Roland Geitmann: Diese Umlaufsicherung mag eine zu technische Lösung sein, aber das Problem an dem Grundsockel des Zinses deutlich zu machen, ist schon hilfreich. Mindestens so hilfreich ist mir diese Unterscheidung der drei Verwendungsarten von Geld - kaufen, leihen und schenken, und es gibt keinen Vortrag, in dem ich das nicht verwende und wo das auch sehr hilfreich ist und sehr dankbar auch vom Publikum in aller Regel angenommen wird: Wenn ich jetzt Bedarf habe, kaufe ich, wenn ich jetzt keinen, aber später Bedarf habe, verleihe oder investiere ich, und wenn ich weder jetzt noch später Bedarf habe, dann sollte ich, bitte schön, schenken, damit ein anderer kaufen kann, weil es, wenn es bei mir liegen bleibt, woanders fehlt und als Transportmittel nicht zur Verfügung steht. Und zweitens ist auch für andere dann einleuchtend, dass hier ein Kreislauf besteht zwischen Kaufen, Leihen und Schenken, dass die Wirtschaft alle drei braucht und dass dieser Kreislauf unterbrochen wird in der Leihsphäre, weil Geld sich da auf merkwürdige Weise von selbst vermehrt und es sich deswegen ökonomisch nicht mehr anbietet, Geld, das man weder jetzt noch später braucht, zu verschenken, weil es sich über alle Bedürfnisse hinaus vermehren lässt und die Geldvermehrung zum Selbstzweck wird.

Mit dieser Einleitung, die ich in der Tat stets mit diesen drei Funktionen des Geldes so mache, bin ich dann beim Thema Leihen und bei der Frage: Wieso staut sich das Geld im Leihen, was ist bei der Geldleihe anders als bei der Güterleihe? Dann komme ich auf die Entstehung des Zinses und auf diesen Jokervorteil des Geldes, durch den sich das Geld von anderen Gütern unterscheidet, und zu der hilfreichen Präzision, die ich vorhin ausführte.

Sebastian Schöck: Was würden Sie denn jetzt für einen Vorschlag machen, um dieses Problem der Selbstvermehrung des Geldes entgegenzuwirken?

Roland Geitmann: Man kann zum Einen Vorschläge entwickeln, was die Bundesbank tun sollte oder eine Europäische Zentralbank, und wird dann vielleicht rasch zu dem ernüchternden Ergebnis kommen, dass die das so schnell nicht einsehen werden oder aus - wenn sie es denn einsehen könnten - aus Gründen der Machtverhältnisse nicht realisieren können und werden, so dass man dann auf dezentrale Modelle kommt. Was man einer Notenbank wie der Bundesbank vorschlagen kann, wäre als Zwischenlösung, die mir einleuchtet, zu versuchen, Inflation zu verstetigen. Inflation zu verstetigen vielleicht bei etwa vier Prozent, damit wir uns alle besser darauf einstellen können und in unsere Verträge entsprechende Gleitklauseln aufnehmen, so dass wir Inflation einkalkulieren und zur selbstverständlichen Grundlage von Tarif- und sonstigen Vertragsanpassungen nehmen und damit eigentlich das günstiger praktizieren, was wir jetzt schon haben; denn wir haben ja Inflation, bloß leider nicht so richtig kalkulierbar, und auch nicht so richtig im Bewusstsein.

Mit dieser Zwischenlösung würde uns dann allmählich schimmern, dass dies arg umständlich ist, mit verstetigter Inflation zu arbeiten und dies als Umlaufsicherung des Geldes zu wählen, statt den Geldwert stabil zu halten und dem Geld selbst einen Alterungsprozess einzubauen, und dieser Gedanke ist ja nun auch bei Steiner da: Alterndes Geld. Dass Geld nicht auf ewig seinen Wert behalten könnte, sondern irgendwie auch einen Prozess des Alterns durchlaufen müsste, so dass sich mit diesem Gedanken ja Steiner und Gesell sehr nahe kommen. Über eine verstetigte Inflation würde man vielleicht einen gesellschaftlichen Lernprozess erleben, auch für die Ökonomen, auch für die Bundesbank, so dass man sich dann einfacher zu handhabende Geldalterungsverfahren überlegt, die es ermöglichen, dass eine Mark immer eine Mark bleibt und trotzdem das Geld in sich einen Verrostungsfaktor oder einen Anreiz hat, der zum Weitergeben anreizt.

Darum würde es ja gehen: Geld sollte in sich anreizen weitergegeben zu werden, kaufend, wenn ich jetzt Bedarf habe, leihend, wenn ich später Bedarf habe, und schenkend, wenn ich weder jetzt noch später Bedarf habe. Und vorerst wird man dazu dezentrale Modelle zu realisieren versuchen. Und da ist ja vielerlei am Werden und im Versuch. Da sind Leihgemeinschaften und Direktkreditvergabe und Anlagen bei der GLS und Tauschringe und LET-Systeme und was es da alles gibt - ganz wichtige Lernschritte und Demonstrationsmodelle. Ein Modell habe ich besonders im Auge, das von Dieter Suhr und Hugo Godschalk entwickelte Modell "Neutrales Geld", wo nun zusammen mit einer Bank, die schon am Markt ist, Giralgeldkonten solche Bedingungen haben könnten, dass ihnen ein Alterungs-, ein Verrostungsprozess eingebaut ist, so dass man geneigt ist, das Geld kaufend, leihend, schenkend weiterzugeben. Das wären einfach alternative Kontobedingungen, die morgen jede Bank machen könnte. Es bräuchten nur genügend Menschen in Kehl oder in Berlin dies mit einer Bank morgen beginnen. Dies erfordert zunächst Bildungsarbeit; daran versuche ich mich zu beteiligen.

Sebastian Schöck: Aber ist nicht gerade die Inflation eigentlich die Offenlegung der Alterung, so dass sich das erübrigen würde, eine Verrechnungseinheit zu erfinden, die dann vier Prozent altert? Ist das nicht genau das gleiche?

Roland Geitmann: Bloß es ist furchtbar umständlich mit Inflation. Wir müssen doch ständig umrechnen. Wir haben da einen Wertmesser, der sich ständig verändert, als ob wir im Metermaßstab jedes Jahr vier Prozent abschneiden. Wer will da noch einen Anzug bestellen? Wenn man wenigstens weiß, dass es jedes Jahr vier Zentimeter sind, dann kann man das berechnen, wie lang ich jetzt die Hose machen muss. Deswegen kann es nur ein Zwischenschritt und ein Lernschritt sein mit der verstetigten Inflation. In der Wirkung, wenn wir es schaffen würden, uns alle genau an diesen veränderten Wertmaßstab anzupassen, käme es aufs selbe hinaus, aber es ist sehr umständlich. Und als nächsten Schritt würde man dann etwas nehmen, was einfach intelligenter ist, dass man das Geld selbst altern lässt, aber den Wertmaßstab stabil hält.

Sebastian Schöck: Also, durch die Inflation ist eigentlich die Alterung gegenwärtig.

Roland Geitmann: Inflation ist eine schwankende, schwer kalkulierbare und auch nicht für jeden in gleicher Weise in seine Verträge und Einnahmechancen einbaubare Veränderung und ist deswegen unglücklich, vor allem wenn sie stark schwankt. Und das tut sie ja leider. Zweifellos hat die Inflation umlaufsichernde Wirkung.

Sebastian Schöck: Wie könnte man denn die Inflation genau auf vier Prozent festnageln?

Roland Geitmann: Indem man, wie ja auch bisher schon, die Preisverhältnisse sorgfältig beobachtet. Indem man zweitens das Ziel Nullinflation aufgibt; denn das kann man in der Tat nicht erreichen. Je näher wir der Deflation kommen, desto stockender wird die Wirtschaft. Wir brauchen nämlich diese Umlaufsicherung, Zins allein genügt nicht, wir brauchen ein zweites Element, das könnte in diesem Zwischenschritt die Inflation sein. Bei vier Prozent verstetigt geht sie dann auch stärker ins Bewusstsein, hat dann auch stärker diese umlaufsichernde Wirkung, so dass man sich sagt, es ist mir ausreichend, wenn ich denselben Wert bei der Leihe später zurückbekomme, ich muss nicht noch etwas dazubekommen. Dann wird auch die Schenkbereitschaft wachsen, wenn nämlich das Geld als Droge aufhört zu wirken. Wenn ich nicht mehr durch bloßes Liegenlassen den Wert erhalten und durch Leihen den Wert erhöhen kann, keine reale Vermehrung mehr habe, dann hört dies Drogenhafte auf, die Sucht, aus der Leihe Gewinn herauszuschlagen, und dann wird der Reiz, durch Schenken andere und sich glücklich zu machen, stärker wiegen. Was wir in der Wirtschaft und im Kulturleben vermehrt bräuchten, die Schenkbereitschaft, wird sich verbreitern. Denn jetzt ist die Inflation nur sehr schwach im Bewusstsein der Menschen, und die Menschen berauschen sich an der Steigerung ihrer Konten, ohne recht zu realisieren, dass es weitgehend nur eine nominelle Steigerung ist und eine reale für den kleinen Sparer ja nun kaum.

Sebastian Schöck: Können Sie noch etwas zu einer sinnvollen Bodenreform und anderen Naturgütern und auch zu einer Produktionsmittelreform sagen?

Roland Geitmann: Wenn man sieht, dass die ganze Erde das Geschenk Gottes an die Menschheit ist und das nicht nur für die Jetztlebenden, sondern für alle, die lebten und leben werden und wollen, dann werden wir dieses Geschenk so behutsam nutzen, dass es auch künftigen Generationen noch voll zur Verfügung steht, und sollten dies auch mit ökonomischen Instrumenten so steuern, dass es behutsam genutzt wird. Das würde heißen, dass nicht regenerierbare Bodenschätze und Energiequellen außerordentlich teuer werden müssen. Wir brauchen also ein System von Ökoabgaben. In dieses System würde sich einordnen auch ein Bodennutzungsentgelt.

Wir machen jetzt etwas, was allen gehört, nämlich diese Erde, die man ja auch gar nicht zerteilen und mitnehmen kann, zu Privateigentum, also etwas, das eigentlich gar nicht Privateigentum sein kann. Was kann man mit Boden machen? Man kann ihn nur nutzen und weitergeben. Wir alle brauchen Boden, er ist nicht vermehrbar, er ist von niemandem produziert. Man kann ihn nur nutzen. Man kann ihn nicht verbrauchen. An so etwas kann man eigentlich nicht Eigentum haben. So etwas kann man nur nutzen. Da wir aber gesicherte Nutzungsrechte brauchen und nicht wie Nomaden uns wechselseitig hier herumschubsen, wird man diese Nutzungsrechte auch auf lange Zeit vergeben, vielleicht auch auf viele Generationen, ja meinetwegen auch auf ewig. Aber es macht einen wesentlichen Unterschied, ob man einen Boden einmal erwirbt und dann zum Eigentum hat, oder ob man dauernd ein Nutzungsentgelt zahlt - weil dieses Nutzungsentgelt ein sanfter, aber stetiger Druck ist, diesen Boden optimal zu nutzen und das, was man nicht braucht, anderen zur Verfügung zu stellen. Und das wäre eigentlich das Grundmodell, wie Boden heute sinnvoll geordnet werden sollte, indem wir entgeltliche Nutzungsrechte vergeben.

Konsequent durchgeführt kann das nun aber zu Verdrängungsprozessen führen. Wenn man nämlich die Nutzungsentgelte ständig so bemisst und anpasst an das, was der Markt hergibt, so wie es von freiwirtschaftlicher Seite, zum Beispiel auch vom Seminar für freiheitliche Ordnung vorgeschlagen wird, verdrängen die Potenten die weniger Potenten. Man würde um das Rathaus herum Ringe des Bodennutzungsentgelts legen und im Zentrum wahrscheinlich nur Banken, Versicherungen und Juweliergeschäfte haben, bis ganz außen dann die Landwirtschaft kommt. Das kann auch keine erfreuliche Stadt ergeben. Deswegen brauchen wir als Korrektiv eine Reihe von Instrumenten, die ich in einem Forschungsbericht über die sachgerechte Ausgestaltung von Erbbaurechtsverträgen zusammengestellt habe, eine Reihe von korrigierenden und ausgleichenden Instrumenten.

Eines ist eine verdichtete Bauleitplanung, die dann eine größere Rolle spielt. Nicht nur in grober Form wie bisher, sondern die wird sich in der Weise verdichten müssen, dass auch in der Innenstadt noch weniger rentable Dienstleistungsbetriebe und auch noch Wohnen möglich bleiben, und zwar nicht nur für reiche Leute, sondern in sozialer Mischung, also auch Wohnen für weniger Leistungsfähige. Es darf nicht rein nach Geld gehen, sondern muss planerisch gestaltet werden. Und dies wäre eigentlich das geistige Element, wie es ja von Steiner auch vorgeschlagen wurde.

Die Bodennutzung wäre dann einerseits Sache des Rechts und andererseits Sache des Geisteslebens und nicht Sache des Wirtschaftslebens. Vielleicht kann das Geld hier in einem gewissen Rahmen eine Rolle spielen, den a) das Recht und b) die Bauleitplanung als geistiges Element bilden. Denn Planung ist ja auch ein künstlerisches Element, in dessen Rahmen dann das Geldwesen und damit das wirtschaftliche auch eine gewisse mitsteuernde Rolle spielen kann. Weitere Instrumente können hinzukommen, neben der Bauleitplanung zum Beispiel Subventionen oder ein Hinausschieben der Anpassung an den Marktwert; Subventionen zum Beispiel zugunsten gemeinnütziger Dienstleistungen und vielleicht auch für landwirtschaftliche Nutzung, wie sich überhaupt das Nutzungsentgelt auch ins Negative entwickeln könnte, so dass die Subventionierung der Landwirtschaft in dieses System hineinpassen würde.

Sebastian Schöck: Wird denn nicht gerade die Subventionierung von Wirtschaftszweigen zur planwirtschaftlichen Steuerung, bei der ein zentrales Organ entscheidet und Kundenorientierung fehlt. Ich glaube, dass die EG-Landwirtschaftspolitik gerade zur Zerstörung und zur Enteignung der Bauern geführt hat, indem sie auf der einen Seite die Milchproduktion fördern durch Subventionen und dann bemerken sie durch ihre Statistiken, die ja immer in die Vergangenheit gerichtet ist, dass es dann wieder zu viel ist, und dann fördern sie wieder die das Schlachten von Kühen und dann haben sie die Butterberge. Also die steuern immer fünf Jahre hinterher, und die Kundenorientierung fehlt. Die Frage ist, wie kann man eigentlich das Bedürfnis oder den Kunden in dieses Wirtschaftssystem sinnvoller als heute integrieren.

Roland Geitmann: Man kann jedes Instrument ins Absurde verzerren, und das ist in der Agrarpoltik der EG sicher seit langem geschehen. Aber wenn wir wollen, dass Landschaft offen gehalten und gepflegt wird, dann werden wir in unseren Breiten die Landschaftspflege honorieren müssen, entweder in Form von bezahlter Landschaftspflege oder in Form von Subventionen für eine dort betriebene Landwirtschaft. Das sind ja Arbeiten für die Allgemeinheit, und die wird die Allgemeinheit durch solche Zuweisungen auch honorieren müssen. Hinzu kommt, wenn man die Sicherheit will, dass eine gewisse Selbstversorgung mit landwirtschaftlichen Produkten hier stattfindet und keine vernichtende, die Landwirtschaft völlig wegfegende weltweite Konkurrenz, dann geht es nicht anders als durch Subventionen. Wenn unsere Landwirtschaft der weltweiten Konkurrenz ausgesetzt wäre, dann hätten wir hier überhaupt keine Landwirtschaft mehr.

Sebastian Schöck: Da möchte ich Sie an Ihr eigenes Argument erinnern, dass ja unsere Preise lügen. Das heißt, wir hätten überhaupt keine Konkurrenz aus dem Ausland, die könnten noch so billig produzieren, wenn Energie- und Ressourcenverbrauch entsprechend besteuert würden.

Roland Geitmann: Ja, sicher, das würde die Konkurrenz erheblich zurückzudrängen. Das sehe ich auch so. Das ist richtig. Aber wie die Dinge jetzt noch sind und wahrscheinlich auch, selbst wenn man die Transportkosten erheblich erhöht, wird man diese Sicherheit, die man haben will, und die Landschaftspflege und andere Vorteile, die man dadurch hat, dass hier Landwirtschaft stattfindet, bei diesen Unterschieden, die wir durch verschiedene Entwicklungen haben, durch Subventionen ausgleichen müssen.

Sebastian Schöck: Wie würden Sie das Problem der Arbeitslosigkeit angehen?

(Es ist eigentlich die letzte Frage, und dann würde ich Sie vielleicht noch fragen, was ist Anthroposophie.)

Roland Geitmann: Also zur Arbeitslosigkeit will ich dann gern noch etwas sagen. Dieter Suhr hat schon 1983 einen Aufsatz veröffentlicht mit dem Titel „Auf Arbeitslosigkeit programmierte Wirtschaft“. Und so sehe ich es auch, dass unsere Wirtschaft durch das Geldwesen auf Arbeitslosigkeit programmiert ist, nämlich darauf angelegt, menschliche Arbeitskraft überflüssig zu machen. Das führt immer stärker in Ungleichgewichte, indem sich Geld immer stärker bei denen anhäuft, die eh zu viel haben, die es leihend vor sich herschieben, indem sie sich weitere Schuldner suchen, statt es zu verschenken und damit Kaufkraft zu ermöglichen, und sie ziehen es weg bei denen, die Bedarf haben.

Es ist ja nicht so, dass uns die Arbeit auf der Erde ausgeht. Wir haben ja genügend Arbeit für Humandienstleistungen und Umweltpflege und im Kulturellen schier unbegrenzt. Auf der anderen Seite haben wir technische Fortschritte, die in großer Geschwindigkeit aufeinander folgen und Arbeit ersparen. Was früher noch viel Arbeitskraft band, tut es heute nicht mehr. Das könnte ja ein erfreulicher Prozess sein. Nur geht er so schnell und führt in solche Ungleichgewichte, dass wir in immer größere Massenarbeitslosigkeit hineinstolpern. Wir werden dies nicht lösen, wenn wir nicht auch das Geldproblem angehen. Das ist nicht allein die Ursache, aber ganz wesentliche Bedingung für immer stärkere Massenarbeitslosigkeit.

Wenn ich gefragt werde, was ich zu tun vorschlage, versuche ich, die Aufmerksamkeit auf dieses Thema „Geld“ zu lenken, weil es überhaupt nicht in der öffentlichen Diskussion ist. Vieles andere ist in der Diskussion, was Arbeitszeit anbetrifft, etwa das Teilen von Arbeitsplätzen oder der zweite Arbeitsmarkt. Berechtigt ist auch die Forderung, jedem Menschen die Existenz mit einem Bürgergeld zu sichern. Was er darüber hinaus erstrebt, das mag er sich durch Arbeit für andere anschaffen, so dass wir den Druck nehmen aus dem Wirtschaftsleben, Existenzsicherung für alle haben und es den Menschen freigestellt ist, ob sie für Entgelt arbeiten wollen oder ob sie für sich oder andere ohne Entgelt arbeiten und zu welchen Bedingungen sie dies tun wollen. Eine solche Grundsicherung wäre ein sehr wichtiger Ansatz und kommt ja auch aus anthroposophischer Sozialwissenschaft. Das ist zum Glück in der Diskussion – im Unterschied zu den Wirkungen, die vom Geldwesen ausgehen, und deswegen ist das mein Schwerpunkt zu diesem Thema.

Sebastian Schöck: Ist der Umgang mit Geld nicht eine Folge des Konkurrenzdenkens?

Roland Geitmann: Das stachelt sich möglicherweise wechselseitig an, wie überhaupt der Umgang mit Geld nur eine Erscheinung der seelisch-geistigen Verfassung der Menschen ist. Was da das Primäre ist, darüber sollten wir uns nicht zergrübeln. Wenn man im Geldwesen etwas ändert, dann ist es ganz sicher etwas Äußeres; aber es ist eine ganz wichtige Rahmenbedingung, indem man dieses sich beschleunigende Rad, in dem wir wie weiße Mäuse rennen, verlangsamt beziehungsweise den Beschleunigungsdrall herausnimmt und dann auch die Konkurrenz mindert. Es ist ja jetzt so, dass wir als diese weißen Mäuse nur dann Überlebenschancen haben, wenn wir in der ersten Reihe rennen. Als Deutsche, die in der Weltwirtschaft vorne anstehen, klagen wir über unsere schwindenden Standortvorteile. Das ist ja verrückt. Was andere mit geringeren Chancen in der Weltwirtschaft doch viel mehr beklagen müssten, machen wir zu einer Standortdiskussion, während wir ängstlich in der Konkurrenz der vordersten Reihe rennen. Wenn wir die Geschwindigkeit dieses Rades, das sich bedingt durch das Geldwesen immer schneller drehen muss, dämpfen würden, dann würde Konkurrenz und Beschleunigungseffekte schwinden, dann könnte wieder stärker zur Geltung kommen, dass Zufriedenheit dadurch entsteht, dass wir uns wechselseitig zufrieden stellen und füreinander arbeiten. Von daher scheint mir im Konkurrenzdenken kein unmittelbarer Ansatzpunkt für Veränderung zu liegen. Doch wenn wir das Geldwesen wie aufgezeigt ändern, dann wird sich das Konkurrenzdenken abmildern, weil die Geschwindigkeit dieses Rades nachlässt und der Zwang zur ständigen Beschleunigung entfällt.

Sebastian Schöck: Doch wenn die wundersame Geldvermehrung über das Geldsystem nicht mehr so stattfinden würde, dann kauft man sich doch Aktien und dann läuft es schön weiter.

Roland Geitmann: Dann werden Sie über Aktiendividenden um das weniger bekommen, was sie jetzt über garantierten Zins bekommen. Da werden sicher auch Aktiendividenden nach unten schwinden. Dann ist Aktie für eine Übergangszeit eine Form unter anderen, wie man Geld bestenfalls im Wert erhalten kann, indem man sich an Gewinnen und auch an Verlusten der Wirtschaft beteiligt. Das entspricht ja auch dem Weg in der islamischen Welt, wo Islamische Banken statt garantierter Zinsen Formen der Gewinn- und Verlustbeteiligung anbieten. Ein um Null pendelnder Realhabenzins stärkt die Stellung des unternehmerischen Menschen im Verhältnis zum Geldgeber, der froh sein wird, junge Menschen mit guten Ideen zu finden, die ihm seinen Geldwert annähernd erhalten. Bei einem solchen Kapitalmarkt kann sich der junge und vertrauenswürdige Unternehmer 100%ig mittels Darlehen finanzieren, ohne dass sich damit Eigentumsansprüche und Einflussnahmen der Kapitalgeber verbinden. Das Aktienrecht wird dann allmählich verschwinden und der Betrieb gehört sich selbst bzw. denen, die darin gemeinsam arbeiten und ihre unterschiedlichen Fähigkeiten einbringen.