Wandlung des Kapitalbegriffs

01.02.1950

Anmerkung der Redaktion

Die Schriften von Wilhelm Schmundt muss leider jeder kennen, der sich für die soziale Dreigliederung einsetzen will. Nicht etwa, weil sie irgend etwas zum Verständnis der sozialen Dreigliederung beigetragen haben. Sondern umgekehrt, weil sie vielen bei ihrem Verständnis der sozialen Dreigliederung im Wege standen - und immer noch stehen.

Rudolf Steiners Schriften und Vorträge zur sozialen Dreigliederung mögen eine noch so schwere Kost sein, man sollte nicht davor zurückschrecken, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Wer sich da durchbeisst, hat es auch nicht mehr so schwer, Wilhelm Schmundt als jemanden durchzuschauen, der das Spezifische des Wirtschaftslebens im Unterschied zum Rechtsleben nie verstanden hat, auch da wo er, wie hier, von Geld spricht, und erst recht da wo er das Wirtschaftsleben zum Allumfassenden hochstilisiert.

Berlin, 04.10.2015
Sylvain Coiplet

Die folgenden Ausführungen möchten als Studienergebnis des »Nationalökonomischen Kurses« gewertet werden, den Rudolf Steiner 1922 gehalten hat. Die Studie stellt sich die Aufgabe, den Begriff des Kapitals, den der zweite Vortrag des Kurses aus den urbildlichen Ordnungen der Wirtschaft heraus entwickelt, mit dem Begriff des Geldes zur Synthese zu bringen, zu dem der 12. Vortrag führen will.

1. Geld

Wir beginnen damit, die Eigenart der Geldschöpfung, wie sie sich in den neuzeitlichen geschlossenen Volkswirtschaften herausgebildet hat, zu skizzieren. - Die Emissionsstelle - wir wollen sie kurz »Geldbank« nennen - gibt Geld gegen Wechsel der Unternehmer heraus. Nach einer gewissen Zeit lösen die Unternehmer ihre Wechsel wieder ein, und die entsprechende Geldmenge gelangt so zur Geldbank zurück. Wendet man dieses Verfahren an, ohne die Menge des herauszugebenden Geldes zu beschränken, sorgt man dafür, daß Geld auf keinem anderen Wege als gegen -die Wechsel der Unternehmer herausgegeben wird, so kann weder eine Inflation noch eine Deflation entstehen. Natürlich muß dafür gesorgt werden, daß alle Wechsel voll und fristgerecht eingelöst werden-, das läßt sich aber (z. B. durch eine Kollektivhaftung aller Unternehmer) unschwer erreichen. Die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes ist dabei ebensowenig ein wesentliches Problem wie die Hortung (im eigentlichen Sinne: also das Liegenlassen des Geldes im Kasten). Die Wirtschaftspraxis meistert diese Vorgängemit dem, was wir weiter unten »Hilfsprozesse« nennen.

Alles Geld, das die Unternehmer ausgeben, ist übrigens in die Warenpreise einkalkuliert und kommt daher beim Verkauf der Waren in die Hand der Unternehmer zurück.

Das gilt auch für solche Unternehmer, die Produktionsmittel anfertigen. Das Geld, das diese ausgeben, ist zwar nicht von ihnen selbst, aber von anderen Unternehmern in Warenpreise einkalkuliert, nämlich als Kapitaldienst (Zinsen, Dividenden, Tilgung, Erneuerungsrücklagen), und fließt jenen Unternehmern z. B. in der Form der Anleihe zu.

Die Überschau über die Prozesse des Geldumlaufes kann man sich dadurch erleichtern, daß man sich die Gesamtheit der Unternehmen als Produktionsseite gegenüberstehend der Gesamtheit der Konsumenten vorstellt und sich sagt: Die Produktionsseite der geschlossenen Wirtschaft hat keine andere Aufgabe, als die Bedürfnisse der Konsumenten zu befriedigen. Damit sich diese Bedürfnisse geltend machen können, muß sie Geld an die Konsumenten herausgeben. Sie tut das durch alle Lohnund Gehaltszahlungen, durch die mannigfachen Abgaben und Steuern an die öffentlichen Körperschaften, auch durch Zinszahlungen an Konsumenten. Alle solche Geldherausgaben der Produktionsseite an die Konsumseite wollen wir kurz »Lohnungen« oder Lohnprozesse nennen. Alle diese Lohnungen sind - das kann man sich leicht klarmachen - in die Preise der Konsumwaren einkalkuliert, ganz gleich, ob die Lohnungen von Rohstoff-, Halbfabrikate-, Produktionsmittel- oder Fertigwarenuntemehmen vollzogen werden. Das Geld in der Hand der Konsumenten ist daher durch Konsumwaren gedeckt. Es verliert diesen Warenwert, wenn es beim Kaufprozeß zur Produktionsseite zurückkommt.

Auf dem Wege vom Lohnprozeß zum Kaufprozeß kann das Geld mannigfache andere Prozesse durchlaufen: Schenkungsprozesse (d. h. Einkommenbildung von Konsumenten, die nicht an der wirtschaftlichen Produktion beteiligt sind), Sparund Leihprozesse (wobei wir hier vorerst lediglich Spar- und Leihvorgänge zwischen Konsumenten meinen, also vorzüglich das Sparen nach dem Prinzip der gegenseitigen Hilfe). Das Geld kann aber auch auf diesem Wege zum Tauschen benutzt werden, da es doch selbst einen Warenwert besitzt. Um hier zur Klarheit zu kommen, ist es wichtig, gewahr zu werden, wie sich im Hinblick auf diese möglichen Tauschprozesse eine ganz andere Art von wirtschaftlicher Produktion in die Konsumseite der geschlossenen Wirtschaft hineinschiebt, eine Produktion, die berechtigt nach den Vorstellungen der Tauschordnung arbeitet: die gesamte Kleinwirtschaft (Bauern-, Handwerks- und Kleinhandelsbetriebe) und übrigens auch der Außenhandel. Dieser tauschwirtschaftliche Produktionssektor ist ebensowenig an der Geldschöpfung durch Unternehmerwechsel beteiligt wie die Konsumenten. In der Hand der Tauschwirtschaftsbetriebe behält das Kaufgeld diejenige Warenbedeutung bei, die ihm durch die Kalkulation der Unternehmer auf der Produktionsseite der Großwirtschaft mitgegeben ist. Mag es auch für die Wirtschaftspraxis ohne Bedeutung sein, zwischen Kaufen und Tauschen zu unterscheiden, für die Theorie stellen sich Kaufprozeß und Tauschprozeß als wesensverschieden dar. Ohne diese Wesensverschiedenheit zu sehen, kann man nicht hoffen, Klarheit über die Geldprozesse zu gewinnen.

Man sieht übrigens, es ist gar nicht so, daß man sagen kann: Geldstrom und Warenstrom einer Volkswirtschaft müssen aufeinander abgestimmt werden. Die Waren des tauschwirtschaftlichen Produktionssektors machen dabei nicht mit, und deren Menge ist durchaus bedeutend. Auch würde es für die Zügelung des Geldes keineswegs genügen, wenn man etwa die Geldemission nach der voraussichtlichen Produktionskapazität eines Unternehmens bei seiner Gründung einmalig besorgt und das so emittierte Geld nach einigen Jahrzehnten wieder aus der Zirkulation herauszieht. Die Warenproduktion muß vielmehr laufend mit der Geldemission verknüpft sein, wie dies durch das Verfahren der unbeschränkten Wechseldiskontierung geschieht oder doch geschehen könnte, ohne daß irgendeine neue Einrichtung des Geldwesens notwendig wird. Auch macht es keinen Unterschied für die Geldemission, ob es sich um Giralgeld oder um Banknoten oder um Hartgeld handelt. Das ist ausschließlich eine Sache der zweckmäßigen Handhabung.

Fügen wir hier die Äußerung Rudolf Steiners ein, die er im Anschluß an den 12. Vortrag jenes Kurses im sozialwissenschaftlichen Seminar machte: »Es handelt sich wirklich nicht darum, daß man die Abnutzung (des Geldes) durch solche äußeren Zeichen (wie die des Schwundgeldes oder die der Jahreszahl) herbeiführt, sondern daß der reale Verlauf der Dinge von selbst diese Wertigkeit bewirkt. Dies geschieht, wenn Sie einfach dem Geld, aller Art von Geld, mehr oder weniger den Wechselcharakter geben, - also ich meine insofern Wechselcharakter, als ein Endtermin da ist.« - Der reale Verlauf der Dinge muß von selbst die Zügelung des Geldes, wie sie im geschlossenen Wirtschaftsraum notwendig ist, bewirken!

Man könnte auf Geldprozesse hinweisen, die sich dem Dargelegten scheinbar nicht einfügen, wird aber finden, daß es sich dabei um Hilfsprozesse handelt, die wohl für die Praxis, nicht aber für das Wesen der Sache von Belang sind. - Es wird in großem Maße vorkommen, daß zwei (oder mehr) Unternehmer für ein und dieselbe Lohnung jeder gegen seinen eigenen Wechsel Geld bei der Geldbank empfangen, dann nämlich, wenn eine Ware beim ersten Unternehmer gefertigt und vom zweiten als Vorprodukt bestellt wird. Die Geldbank hat dann doppelt soviel Geld ausgegeben, als der erzeugten Ware entspricht. Dieser »Irrtum« korrigiert sich aber selbsttätig dadurch, daß der erste Unternehmer seinen Wechsel einlöst mit dem Gelde, das er vom zweiten empfängt. Das Gleiche hätte dadurch erreicht werden können, daß nur der zweite Unternehmer einen Wechsel ausstellt, ihn aber nicht der Geldbank, sondern dem ersten Unternehmer gibt, der ihn nun bei der Geldbank diskontieren läßt. Auf der Produktionsseite gibt es also Geldkreisläufe, die nur eine das Wirtschaften erleichternde Hilfe bedeuten, aber keine Wirtschaftswerte begründen. - Auch der in der Tauschwirtschaft stehende Kleinbetrieb könnte grundsätzlich an der unmittelbaren Geldschöpfung bei der Geldbank beteiligt werden. Man muß aber sehen, daß dann dem Wesen nach ein völlig anderer Prozeß vorliegt, nämlich wiederum ein Hilfsprozeß, der keine Wirtschaftswerte begründet. Denn das Geld, das der Kleinbetrieb aufnimmt, wird nicht durch die von ihm erzeugten Waren gedeckt, sondem ist in Waren der Großunternehmen einkalkuliert und zwar in diejenigen, für welche das Geld Ausdruck war, das der Kleinbetrieb im Tauschprozeß einnehmen wird und mit dem er dann seinen Wechsel einlöst. - In der Wirtschaftspraxis laufen alle diese Geldschöpfungsprozesse, die eigentlichen und die Hilfsprozesse, ununterscheidbar durcheinander. Will man jedoch zu klarer Übersicht und zum Meistern der Prozesse kommen, so muß man ihrer Wesensverschiedenheit gedanklich gewahr werden.

2. Konsumkapital

Wir wollen zunächst eine Verständigung über den Begriff »Kapital« herbeiführen und ganz allgemein überall da und nur da von Kapital sprechen, wo eine rechtsgültige Anweisung und ein realer Wirtschaftswert einander zugeordnet sind. »Rechtsgültige Anweisung und Wirtschaftswert, aufeinander bezogen und als Einheit gedacht, ist Kapital.« Diese Definition wollen wir unserer Betrachtung zugrunde legen ohne Rücksicht darauf, ob sie üblich oder nicht üblich ist. - Der Hypothekenbrief beispielsweise ist offenbar Ausdruck für ein Kapital, denn er und das Wohnhaus, auf das er ausgestellt ist, sind aufeinander bezogen und werden, wenn wir von Kapital sprechen, als Einheit gedacht. Alle Wertpapiere erweisen sich vor dieser Definition als Kapitalträger; denn sie alle haben irgendwie den Charakter des rechtsgültigen Pfandbriefes, der eben mit dem Pfand, auf das er sich bezieht, zu einer höheren Einheit verschmolzen ist. - Das Geld der Tauschwirtschaft ist in unserem Sinne kein Kapital-, denn es trägt seinen Wirtschaftswert mit sich und zwar auch da, wo es nicht selbst ein Goldstück ist, sondern seine Golddeckung im Keller der Emissionsstelle liegen hat. Wohl aber müssen wir nun das Geld der geschlossenen Wirtschaft als Ausdruck eines Kapitals ansehen; es trägt seinen Wirtschaftswert nicht mit sich, ist vielmehr eine rechtsgültige Anweisung, der, grundsätzlich in der gleichen Weise wie einem Wertpapier, ein Wirtschaftswert zugeordnet ist. Diese Ausdehnung des Kapitalbegriffes auf das Geld ist in der Volkswirtschaftswissenschaft nicht üblich; die Notwendigkeit der neuen Begriffsbestimmung folgt aber aus dem Wesen der neuzeitlichen, geschlossenen Volkswirtschaft.

Für das Geld von dem Augenblicke an, wo es im Lohnprozeß die Grenze der Produktionsseite zur Konsumseite hin überschreitet, bis zu dem Augenblicke, wo es im Kaufprozeß über diese Grenze zurückgeht, erweist sich die Konsumware, in deren Preis es einkalkuliert wurde, als der Wirtschaftswert, mit dem es zur Einheit verbunden ist. Welche Konsumware das im Einzelfall ist, kann man erst sagen, wenn das Geld im Kaufprozeß mit dieser Ware zusammentrifft. Wir wollen also das Geld auf der Konsumseite der Wirtschaft ein Warenkapital oder Konsumkapital nennen. Man kann dieses Geld nicht sachgemäß betrachten, ohne es zugleich als Warenkapital zu sehen. (Wir erinnern, daß keineswegs alle Konsumwaren diese Synthese mit dem Gelde zum Kapital eingehen; denn die Waren, die im tauschwirtschaftlichen Produktionssektor erzeugt werden, sind nicht kalkulatorisch mit dem Gelde verbunden, sondern begegnen sich mit ihm nur im Tausch). So stellen sich also der Lohnprozeß der geschlossenen Wirtschaft (also die Geldausgabe ihrer Produktionsseite an die Konsumseite) als Ausdruck für den Aufbau des Warenkapitals und der Kaufprozeß als Ausdruck für den Abbau dieses Kapitals dar. Dort wird die Zuordnung von Geld und Ware vorgenommen (die Produktionsseite gibt den geldempfangenden Konsumenten das Recht auf Ware); hier wird diese Zuordnung gelöst (das Geld verliert seine Warenbedeutung, und die Ware scheidet aus dem volkswirtschaftlichen Prozeß aus.

Nun besteht die Möglichkeit, die in das Eigentum der Konsumenten übergegangenen Wirtschaftsgüter wieder zu Kapital zu machen dadurch, daß man sie - soweit es ihre Haltbarkeit zuläßt - im Leihprozeß verpfändet. Man schreibt ein Wertpapier aus (auf der Konsumseite und im tauschwirtschaftlichen Produktionssektor handelt es sich dabei meist um Hypothekenbriefe) und hat damit ein Kapital geschaffen. Wir wollen es »Wertpapierkapital« nennen. Das Wertpapier als solches ist unter diesem Gesichtspunkt durchaus Geld; man kann mit ihm Tauschprozesse vollziehen, denn es ist durch Sachwerte gedeckt. Man ist daher berechtigt, den Geldbegriff über die Wertpapiere hin auszudehnen. - Für den tauschwirtschaftlichen Produktionssektor der Kleinwirtschaft bildet dieses Wertpapierkapital oftmals eine Notwendigkeit. Denn hier sind die Produktionsmittel geradeso Privateigentum, wie es das Wohnhaus oder die Möbel für den reinen Konsumenten sind, und es kann niemandem verwehrt werden, sein Privateigentum zu verpfänden, wenn er Geld leihen will. Dieses Wertpapiergeld, das also Konsumgüter zu Kapital macht, wird in der Wirtschaftspraxis durchweg mit der Tilgungspflicht versehen und trägt insofern der Tatsache Rechnung, daß die Sachwerte, auf die es bezogen ist, im allgemeinen mit der Zeit im Wert abnehmen.

Bedeutsam kann es sein, das Augenmerk darauf zu lenken, daß - vom tauschwirtschaftlichen Produktionssektor abgesehen - die Bildung von Wertpapierkapital recht oft mit unsozialen Zuständen zusammenhängt. Spare ich Z. B. dadurch, daß ich mir Hypotheken auf Miethäuser kaufe, so mache ich zu Kapital, was andere, nämlich die Mieter, als Konsumgut verzehren, was also deren genossenschaftliches Eigentum sein müßte; ich komme also in ein ungutes soziales Verhältnis zu diesen Konsumenten. Außerdem aber entziehe ich mich dadurch, daß ich in Sachwertkapital spare, dem allgemeinen Schicksal der sozialen Gemeinschaft. Den anderen - so sage ich mir - mögen in Notzeiten die Rechte, die sie sich durch Sparen auf Gegenseitigkeit erwirkt haben, mehr oder weniger gekürzt werden, ich aber behalte meinen vollen Anspruch auf den Anteil an der Warenproduktion, den ich mir, als ich sparte, erworben habe. In Wahrheit kann niemand, der gespart hat, das verzehren, worauf er sich damals das Verfügungsrecht erwarb, es ist immer die soziale Gemeinschaft, die ihm dann, wenn er das Ersparte verzehren will, das abgeben muß, was er nun beansprucht. Man täuscht sich, wenn man meint, mit den tauschwirtschaftlichen Geldanlagen in Sachwerten die Hilfe der anderen nicht zu gebrauchen. - Das Sparwesen der geschlossenen Wirtschaft in seiner sozialen Form ist daher immer ein solches, das auf dem Prinzip der gegenseitigen Hilfe beruht, wie es sich etwa in Alters-, Kranken-, Invaliden- und anderen Versicherungszweigen oder in Bausparkassen ausgebildet hat und in den Bestrebungen zu einer umfassenden Sozialversicherung in fortschrittlicher und heilsamer Weise äußert. Hier liegt keine Kapitalbildung vor. Es wird kein neues Geld im Sinne eines Wertpapiers geschaffen; für den Sparer mit seinem Versicherungspapier liegt lediglich das Recht vor, Geld (Warenkapital) zu empfangen, wenn der Versorgungsfall eintritt. Wiederum täuscht man sich, wenn man die Versicherungspapiere als Geld behandelt und sie also an Geldentwertungen meint teilnehmen lassen zu müssen. Selbstverständlich können Versicherungsansprüche während der Zeit wirtschaftlichen Niederganges nicht in voller Höhe aufrecht erhalten werden-, die gegenseitige Hilfe senkt und hebt sich mit den Möglichkeiten, die die jeweilige Konsumwarenerzeugung bietet. Diese Sachlage mit Geldentwertungen zu steuern, ist offenbar ein armseliges Mittel, das die soziale Gemeinschaft da zerstörend trifft, wo sie sich zu einer ihrer schönsten Blüten, der gegenseitigen Hilfe, entfaltet. Die Versicherungsgesellschaften kennen das Verfahren der »Gewinnbeteiligung«, mit welchem sie dem wirtschaftlichen Aufstieg und seinem Einfluß auf die Hebung der gegenseitigen Hilfe gerecht werden, es wird ihnen nicht schwer sein, ein Mittel zu finden, das die Folgen wirtschaftlichen Notstandes berücksichtigt.

Fassen wir zusammen, was sich auf der Konsumseite der Wirtschaft im Hinblick auf die Kapitalbildung ergibt:

Die Konsumseite der Wirtschaft - vom tauschwirtschaftlichen Produktionssektor abgesehen - bedarf nur des Warenkapitals, das sich im Gelde ausdrückt. Die Bildung von Wertpapierkapital ist zwar möglich, aber nicht notwendig und birgt die Gefahr sozialer Mißstände.

Im tauschwirtschaftlichen Produktionssektor (Kleinwirtschaft) spielt das Geld die Rolle des Tauschmittels. Hier ist die Bildung von Wertpapierkapital berechtigt und oft notwendig. Der übliche Kapitalbegriff (mit den Begriffen Wertpapier, Zins, Tilgung verbunden) hat auf diesem Gebiet und - wie sich uns ergeben wird - nur auf diesem Gebiet ein berechtigtes Feld.

3. Produktionskapital

Das Geld in der Hand der Emissionsstelle, der Geldbank, ist kein Kapital; es verbindet sich bei seiner Schöpfung nicht mit Wirtschaftswerten, sondern mit der Rechtsbedeutung, die es befähigt, die Prozesse, durch die es hindurchgehen wird, rechtsgültig zu machen. Das Geld in der Hand des Konsumenten ist Kapital in seiner Synthese mit den Konsumwaren, in deren Preis es einkalkuliert wurde. Wie steht es mit dem Geld in der Hand des Produzenten, des Unternehmers, insofern er nicht Konsument, sondern eben Unternehmer ist? Verbindet sich das Geld in seiner Hand auch mit einem Wirtschaftswert und, wenn ja, mit welchem? - Das Geld in der Hand des Konsumenten ist konkret mit ganz bestimmten Konsumwaren verbunden, nämlich denen, auf die es im Kaufprozeß treffen wird; es gibt dem Konsumenten das Recht auf Verfügung über Waren. Auf welchen Wirtschaftswert aber trifft das Geld, das die Hand des Produzenten im Lohnprozeß verläßt? Welches ist das Verfügungsrecht, das es dem Unternehmer gewährt? Offenbar doch nichts anderes als das Recht, bestimmte individuelle Fähigkeiten von Menschen auf bestimmte Zeit in dem Produktionsprozeß einzusetzen! Dabei handelt es sich bei näherem Zusehen nicht einmal um ein Recht nur, mehr noch um eine Pflicht: Die Konsumenten nämlich verpflichten durch ihre Warenbedürfnisse die Produzenten, also alle in der wirtschaftlichen Produktion Tätigen, zum Einsatz ihrer Fähigkeiten in der Arbeit. Die Unternehmer organisieren den Einsatz dieser Fähigkeiten in der Produktion, indem sie ihren Bedarf an Fähigkeiten durch das Geld, das in ihrer Hand ist, geltend machen. Es gibt keinen Prozeß auf der Produktionsseite der Wirtschaft, bei dem das Geld eine kapitalmäßige Verbindung mit irgendwelchen Sachwerten eingeht. Bezahlt der Unternehmer eine Ware, die er als Rohstoff, Halbfabrikate oder Betriebsmittel von einem anderen Unternehmer bezieht, so handelt es sich bei dieser Begegnung von Ware und Geld nicht um einen Kaufprozeß, sondern um die Bestätigung einer aufgegebenen Bestellung, also um die Bestätigung der bei der Bestellung ausgesprochenen Verpflichtung zum Einsatz von Fähigkeiten. - Wir müssen also den Mut haben, auf die Synthese von Geld und konkretem Fähigkeitseinsatz zu blicken und, getreu unserer Kapitaldefinition, davon sprechen, daß das Geld in der Hand des Produzenten ein Fähigkeitenkapital zum Ausdruck bringt. Wir können sagen: Das Warenkapital wird im Lohnprozeß (mit der Berechtigung der Konsumenten auf Warenverfügung) aufgebaut und baut sich im Kaufprozeß ab; das Fähigkeitskapital wird umgekehrt im Kaufprozeß (mit der Verpflichtung der Produzenten zum Fähigkeiteneinsatz) aufgebaut und baut sich Im Lohnprozeß ab. Doch haben wir zu bedenken, daß wir, indem wir dies so aussprechen, die Geldausgabe der Geldbank zum Kaufprozeß hinzudenken müssen; die Ausgabe des Geldes durch die Geldbank an die Unternehmer nimmt die Verpflichtung zum Fähigkeiteneinsatz vorweg, die beim eigentlichen Kaufvorgang dann vom Konsumenten bestätigt wird.

Es erweist sich als nicht ausreichend, die fundamentale Entdeckung Rudolf Steiners, daß Produktionskapital Geist sei (»Geist«: als Name für alles, was sich im Menschendasein als individuelle Fähigkeiten zur Erscheinung bringt), nur in allgemeiner Weise zu verstehen. Man muß es völlig konkret nehmen. Man kann das nicht nur, man muß es sogar; die Wirtschaftswirklichkeit verlangt diesen Begriff. Man findet z. B., daß wohl die »Gewinn- und Verlustrechnungen« der Unternehmen es mit Geld als Warenkapital zu tun haben, daß dagegen die »Vermögensbilanzen« überhaupt nur als Bilanzen von verfügbarem und verbrauchtem Fähigkeitenkapital zu verstehen sind. Was in ihnen als Sachwerte aufgeführt wird, die Produktionsmittel, ist nie eine kapitalmäßige Verbindung mit dem Gelde eingegangen. Man gibt sich hier in allergrößtem Ausmaß folgenschweren Täuschungen hin.

Indem wir diese revolutionierende Anschauung aussprechen, die sich in konsequentem Verfolgen der Wirtschaftstatsachen ergibt, tritt die Frage auf: was hat es denn für eine Bewandtnis mit dem Wertpapierkapital auf der Produktionsseite der geschlossenen Wirtschaft? Da existiert doch ein Geld (eben das Wertpapier), das sich mit den Produktionsmitteln kapitalmäßig verbunden hat! - Verfolgen wir, was geschieht, wenn ein Produktionsmittel, etwa eine Fabrikanlage, errichtet werden soll, und beschränken wir uns auf das Wesentliche, soweit es mit dem Gelde zusammenhängt. Der Unternehmer muß das Recht (die Verpflichtung) erhalten, direkt oder auf dem Bestellwege, Fähigkeiten für die Arbeit an der Errichtung der Fabrikanlage einzusetzen; er benötigt Geld, das in seiner Hand Fähigkeitenkapital einer konkreten Art darstellt. Die Ausgaben, die er und die durch Bestellung beteiligten Unternehmer über den Lohnprozeß machen werden, müssen selbstverständlich in die Konsumwaren einkalkuliert sein, die die gelohnten Konsumenten und die, an welche sie ihr Geld weitergeben, kaufen werden. Diese Ausgaben in die Produktionsmittel einzukalkulieren, wäre sinnlos; denn diese entsprechen doch keinem Konsumbedürfnis und werden nicht von Konsumenten gekauft. Die Wirtschaft löst das Problem bekanntlich dadurch, daß warenerzeugende Unternehmen einen gewissen Kapitaldienst (in Form von Zinsen, Dividenden, Tilgungsraten) etwa an eine Bank abführen, und daß diese mit den so gesammelten Geldern das Wertpapier beleiht, welches der neue Unternehmer als Aktie oder andersartige Industrieobligation ausstellt. Dieses Wertpapier verpflichtet den Unternehmer, dann, wenn er selbst zur Warenfertigung übergeht, seinerseits laufend einen Kapitaldienst zu entrichten und in die Preise seiner Waren einzukalkulieren. - Im Grunde handelt es sich bei dem ganzen Vorgang um leicht Überschaubares: erstens darum, daß der Unternehmer auf dem Wege des Kapitaldienstes und der sogenannten Anleihe Fähigkeitenkapital zugeleitet erhält, und zweitens darum, daß er, wenn er nun bestimmungsgemäß Waren fertigt, zu einem laufenden Kapitaldienst verpflichtet ist. Der erste Vorgang hat mit einem »Leihen« überhaupt nichts zu tun; der zweite Vorgang leitet seine Verpflichtung nicht aus dem Umstand ab, daß Fähigkeitenkapital bestimmter Höhe für die Errichtung der Anlage zugeleitet wurde, sondern aus ganz anderen Wirtschaftsnotwendigkeiten, die nicht im Vergangenen, sondern im Zukünftigen der Wirtschaft wurzeln. Die Anwendung der tauschwirtschaftlichen Begriffe von Anleihe, Verzinsung, Tilgung offenbart sich auf der Produktionsseite der Wirtschaft als widersinnig. - Aus der Widersinnigkeit folgt z. B. die groteske Ansicht, daß man Sparkapital (also Konsumwarenkapital) brauche, um Produktionsmittel zu erstellen. Eine solche Ansicht mag vielen Menschen sympathisch sein, doch stellt sie die neuzeitliche Volkswirtschaft eigentlich auf den Kopf. Die Produktionsseite der Wirtschaft verbraucht nicht Warenkapital, sondern baut es auf; was sie braucht, ist Fähigkeitenkapital. - Was in tauschwirtschaftlichen Zusammenhängen sinnvoll und berechtigt ist, hier in der Produktion der geschlossenen Wirtschaft verlangt es eine Wandlung, um nicht widersinnig und damit zerstörend zu wirken. Es gibt in Wahrheit kein Wertpapierkapital auf der Produktionsseite der Wirtschaft, sondern nur vom Gelde getragenes Fähigkeitenkapital. Das Wertpapier ist nur zum Scheine, nicht in Wirklichkeit mit einem Sachwert, den Produktionsmitteln, verbunden; es bildet kein Kapital, bestätigt vielmehr nur die Verpflichtung einerseits zum Einsatz von Fähigkeiten für die Produktionsmittelfertigung und andererseits zu laufendem Kapitaldienst. So wenig wie das Versicherungszertifikat auf der Konsumseite der Wirtschaft Kapital bildet, so wenig kann es die Industrieobligation auf der Produktionsseite; beide sind ihrem Wesen nach keine Wertpapiere, also kein Geld, und könnten daher, wenn sie ihrem Wesen entsprechen gehandhabt würden, durch irgendwelche Maßnahmen in der Geldordnung gar nicht getroffen werden. Die Frage: wie kann das als Wertpapier sich darstellende Geld auf der Produktionsseite der Wirtschaft gezügelt werden, beantwortet sich also mit dem Hinweis darauf, daß es gilt, Einrichtungen zu treffen, die der Wirtschaftswirklichkeit gemäß sind; dann nämlich tritt ein solches Geld überhaupt nicht auf.

Wir fassen wiederum zusammen:

Die Produktionsseite der Wirtschaft - von dem tauschwirtschaftlichen Produktionssektor abgesehen - bedarf nur des Fähigkeitenkapitals, das sich im Gelde ausdrückt. Die Bildung von Wertpapierkapital ist hier ein wirtschaftlicher Widersinn und kann nur zu sozialem Unheil führen.

4. Folgerungen

Wer sich auf das Dargestellte einläßt, wird finden können, daß es sich an keiner Stelle um irgendeinen Vorschlag handelt, wie man das Geld- und Kapitalwesen verbessern könne. Es wurde vielmehr nichts anderes getan, als die bestehenden Wirtschaftsverhältnisse mit anderen als den gewohnten Begriffen geschildert und zwar mit Begriffen, die sich mit innerer Notwendigkeit aus den Wirtschaftstatsachen selbst ergeben. Aber damit sind diese Begriffe zugleich geeignet, das Sinnvolle und das Sinnwidrige bestehender und auch solcher Verhältnisse, wie sie durch Programme irgendwelcher Art gefordert werden, zutreffend zu beurteilen. Zu ersinnen, welche Maßnahmen das Sinnvolle verwirklichen, das Sinnwidrige verhindern, wird die Theorie denen überlassen können, die zur Lenkung der sozialen Geschicke beauftragt und kraft ihres Könnens berufen sind. Welche Folgerungen jedoch sich aus der Wandlung des Kapitalbegriffs in bezug auf die Grundstruktur des Sozialen ergeben, wie die Tatsachen der Wirtschaft - wenn man sie nur sachgemäß beschreibt - zur Dreigliederung des sozialen Organismus drängen, wird in der Folge darzustellen sein.


Quelle: Die Drei, 02/1950