Vergöttlichung des Staates durch Unternehmer

Quelle: GA 330, S. 065-066, 2. Ausgabe 1983, 23.04.1919, Stuttgart

Nun, man hat so lange gefragt, was der Staat alles tun soll. Ja, sehen Sie, dieser Staat ist im Laufe der letzten drei bis vier Jahrhunderte für die herrschenden, führenden Klassen - und viele andere haben es ihnen nachgesagt - geradezu zu einer Art von Gott geworden. Bei vielem, was namentlich während dieses furchtbaren Krieges gesagt worden ist über den Staat, erinnert man sich an das Gespräch, das Faust mit dem sechzehnjährigen Gretchen hat. Da sagt der Faust von dem Gotte:

Der Allumfasser, der Allerhalter, faßt und erhält er nicht dich, mich, sich selbst?» Ja, mancher Unternehmer könnte heute oder vor kurzer Zeit so unterrichtet haben seinen Arbeitnehmer von dem Staat, daß er hätte sagen können: Hält er nicht mich, dich, sich selbst? - Er würde dann noch gedacht haben: besonders aber mich!

Ja, sehen Sie, das ist dasjenige, was wir in bezug auf diese, ich möchte sagen, Vergöttlichung des Staates lernen müssen. Denn der bürgerlichen Bevölkerung ist ja zum großen Teil unter dem Zwange der Tatsachen sehr rasch diese Vergöttlichung entflogen. Und wenn der Staat nicht mehr der große Protektor der Unternehmungen sein wird, dann wird die Staatsbegeisterung in diesem Kreise nicht mehr da sein. Aber es muß auch dem Proletarier klarwerden, daß man den Staat nicht als Gott behandeln darf. Man spricht natürlich nicht von ihm als von «Gott», aber man hält sehr viel davon. Den alten Rahmen des Staates benützt man, das Wirtschaftsleben hineinzuleiten. Das Gesunde ist aber, wenn man nicht das Wirtschaftsleben in den Staat überleitet, sondern wenn man nur das politische Leben, das reine Rechtsleben dem Staate überträgt. Da ist er auf seinem Boden. Da besteht er zu Recht. Das Wirtschaftsleben aber muß auf eigenen Grund gestellt werden, denn es muß in ganz anderer Weise verwaltet werden als das Rechtsleben des Staates. Dann können wir nur zu einer gesunden Grundlage für den sozialen Organismus kommen, wenn wir die Dreigliederung vornehmen. Auf der einen Seite das Geistesleben, das sich selbst sein Reit verschaffen muß, das keine Daseinsberechtigung hat, wenn nicht jeder, der etwas Geistiges leistet, das vor der Menschheit täglich erweisen muß. In der Mitte das Staatsleben, das demokratisch sein muß, so demokratisch als möglich. Da darf nichts anderes entschieden werden als das, was alle Menschen gleich angeht. Da muß das zur Sprache kommen, was jeden Menschen vor jedem Menschen als gleichberechtigt hinstellt. Deshalb muß man abtrennen den Staat. Wie sollen wir darüber verhandeln, ob einer das oder jenes besser kann? Das muß abgetrennt werden vom Staat. Im Staate kann nur die Rede sein von dem, worin alle Menschen gleich sind.