Beruf und Erwerb

Quelle: GA 056, S. 227-252, 2. Ausgabe 1985, 12.03.1908, Berlin

Viele, die oberflächlich von dem, was man Geisteswissenschaft oder Theosophie zu nennen pflegt, gehört haben, werden es einigermaßen verwunderlich finden, daß, nachdem schon von diesem Gesichtspunkte aus über die mannigfachsten praktischen Themen gesprochen worden ist, sogar der Versuch gemacht wird, von diesem geisteswissenschaftlichen Standpunkt aus über Beruf und Erwerb zu sprechen. Denn viele unserer Zeitgenossen haben aus einer solchen mehr oder weniger oberflächlichen Kenntnisnahme die Vorstellung erhalten, daß die Geisteswissenschaft etwas sei, was fernab liegt von allem praktischen Leben, so ungeeignet wie nur möglich, irgendwie einzugreifen in dieses praktische Leben des Alltags. Eine Vorstellung werden Sie nicht so selten antreffen, wie sie sich ausdrückt in den Worten: Ach, diese Geisteswissenschaft, sie ist etwas für einzelne Leute, die satt im Leben sind, die nichts Praktisches zu tun haben und die daher überflüssige Zeit genug haben, sich mit allerlei so verworrenen, phantastischen Spekulationen, wie die geisteswissenschaftlichen Ideen es sind, zu befassen.

Nun soll von Anfang an nicht geleugnet werden, daß im Grunde genommen ein solcher Vorwurf bei vielen Erscheinungen, die, sagen wir, als theosophisch auftreten, sogar gerechtfertigt ist, daß es vielfach zutrifft, daß diejenigen, welche sich mit theosophischen Dingen, theosophischen Ideen und Vorstellungen befassen, wirklich dem alltäglichen Leben so fremd als möglich gegenüberstehen. Aber selbst unter denjenigen, welche schwer zu kämpfen und zu arbeiten haben im alltäglichen Leben und sich nur mit Mühe durchringen, finden sich solche, die aus innerer Sympathie, aus einer Herzenssehnsucht heraus zur Geisteswissenschaft getrieben werden. Unter diesen wird es so manche geben, für die diese Zweiheit - der alltägliche Beruf, die alltägliche Arbeit, das mühselige Walten vom Morgen bis zum Abend, und dann das Aufgehen in den großen Ideen - etwas Herrliches hat. Für andere werden diese beiden Dinge recht unvermittelt nebeneinanderstehen, das eine wird sozusagen weit, weit abliegen von dem anderen. Derjenige aber, welcher in der Theosophie oder in der Geisteswissenschaft nicht bloß eine müßige Beschäftigung für einige Träumer und Phantasten sieht, sondern etwas, was geeignet ist, ganz tief in unsere ganze Kulturbewegung einzugreifen, sie zu erneuern, sie aufzufrischen von dem geistigen Standpunkte aus, der wird auch die Überzeugung streng vertreten müssen, daß diese Theosophie oder Geisteswissenschaft gerade das ist, was in die wahre, echte Erkenntnis der Wirklichkeit hineinführt, und auch etwas Wichtiges, Wesentliches zu sagen hat da, wo die großen Fragen des Alltags, wo diejenigen Dinge auftreten, die den Menschen vom Morgen bis zum Abend in seiner harten Arbeit betreffen.

Derjenige, der sich nicht oberflächlich, sondern tiefer einläßt in dasjenige, was die Theosophie oder die Geisteswissenschaft zeigen kann, der nicht nur einige abstrakte Ideen aus ihr gewinnt, sondern auch die tiefsten Lebensimpulse, der wird sehr bald zu der Einsicht kommen, daß im weitesten Umkreise des Lebens gerade durch die Geisteswissenschaft ein wahres, ein gesundes, ein richtiges Urteil zu gewinnen ist. Mit ein paar abstrakten Sätzen ist es allerdings nicht getan, am wenigsten mit dem Grundsatz von irgendeiner abstrakten Bruderschaft der Menschheit. Diese abstrakte allgemeine Bruderschaft der Menschheit ist etwas Selbstverständliches für jeden guten und richtig strebenden Menschen. Dasjenige aber, was der Theosophie oder der Geisteswissenschaft obliegt, ist nicht bloß, diese allgemeine, die Menschheit umfassende Bruderliebe zu predigen, sondern die Methode, die Bedingungen zu schaffen, durch welche wahre, echte Menschenbrüderschaft möglich ist und auch verwirklicht werden kann. Freilich gibt es viele in unserer Zeit, die auch so sagen; aber es fehlt ihnen der Überblick.

Betrachten wir nun das ganze menschliche Dasein von den uralten Zeiten bis heute, und vergleichen wir das alltägliche Leben unserer Gegenwart mit dem, was zu allen Zeiten da war, so finden wir, nach der Meinung vieler Leute, daß sich gewisse Formen des Lebens nicht geändert haben. Reich und arm habe es immer gegeben; Not und Elend auf der einen, Wohlleben und Zufriedenheit auf der anderen Seite seien immer dagewesen und durch keine menschliche Geistesbewegung jemals aus der Welt geschafft worden. Daher könne man auch nicht glauben, daß eine so - wie viele Leute sagen - « idealistische » Geistesbewegung wie die theosophische irgend etwas Erhebliches gerade über dasjenige, was unsere Zeit in bezug auf Beruf und Erwerb bewegen muß, aussagen könne.

Wir betrachten aber dieses unser heutiges Thema am besten dadurch, daß wir die beiden Vorstellungen von Beruf und Erwerb in echtem geisteswissenschaftlichem Sinne ins Auge fassen. Da wird sich uns zeigen, daß es vor allen Dingen recht sehr not tut, ein vertieftes Denken zu pflegen, um in das, was uns unser mannigraltiges und vielgestaltiges Leben in bezug auf Beruf und Erwerb darbietet, hineinzukommen. Die Phrase von « reich und arm » hat es natürlich immer gegeben. Das allein tut es nicht, wenn man das Leben verstehen will. Wenn wir aber einen Blick in unsere Umwelt werfen und sie vergleichen mit dem, was vor Jahrhunderten oder auch kürzeren Zeitspannen die Umwelt des Menschen war, dann zeigt sich uns allerdings, daß sich die Form des Lebens wesentlich geändert hat, daß dasjenige, was heute die Gründe von Not und Elend, von Jammer und Armut sind, durch eine durchaus neue Lebensform hervorgebracht worden ist. Es zeigt sich, daß es sehr nötig wäre, daß die Menschen im weitesten Umkreis gerade über diese Fragen der Änderung des Verhältnisses des Menschen zu Beruf und Erwerb mehr nachdenken würden. Wer dieses Leben überblickt, wie es sich durch Jahrhunderte nach und nach entwickelt hat, der wird sich bei gereiftem Denken sagen müssen, daß eine gewisse Menschenklasse, um die es sich heute vor allen Dingen handelt, wenn wir irgend etwas Erhebliches sagen wollen über diese Frage, erst in neuester Zeit geschaffen worden ist, und daß gerade in dieser einen Menschenklasse immer mehr und mehr eine Bedeutung gewinnt, was sich uns durch die Frage nach Beruf und Erwerb in unserer Zeit in aller Stärke und Intensität enthüllt. Wenn wir noch tiefer gehen, werden wir sehen, daß es in dieser Frage sich zeigt, was es heißt, wenn die Menschheit auf der einen Seite vorwärtsschreitet, und auf der anderen Seite nicht imstande ist, ihren eigenen Fortschritt mit der notwendigen Erkenntnis und dem notwendigen Interesse zu verfolgen. Dasjenige, was wir heute den modernen Arbeiter, den Industriearbeiter nennen, das ist in dieser Form, wie es heute existiert, eigentlich erst ein Ergebnis der Entwickelung der Menschheit in den letzten Jahrhunderten.

Dies hängt zusammen mit den bewunderungswürdigen, den herrlichsten, den größten Fortschritten innerhalb der Menschheitsentwickelung. Wir sehen heute die Erde übersät mit den Hervorbringungen des menschlichen Gedankens, der menschlichen Erfindungen, Entdeckungen und Künste. überall, wo die Menschen Fabriken und Unternehmungen aufbauen, wo hinuntergegraben wird in die Erde, wo man nach Bodenschätzen und Metallen sucht, überall haben wir ein Ergebnis des menschlichen Gedankens vor uns. Die Fortschritte des Naturerkennens, die Beherrschung der Naturgesetze, alles dasjenige, was menschliches Denken, menschliche Geistesarbeit im Laufe der Jahrhunderte geschaffen hat, das sehen wir wie kristallisiert in unserer Industrie, in den Fäden aller Art, die sich über die Erde hinspannen in unseren modernen Verkehrsmitteln. Alles das hat unserem Leben das Gepräge gegeben. Alles das, was so die menschliche Geisteskraft geschaffen hat, das hat erst den modernen Arbeiter, den man gewöhnlich den proletarischen Arbeiter nennt, hervorgebracht. Mit ihm ist in Wahrheit erst die moderne Form unserer Kalamität in bezug auf Beruf und Erwerb entstanden. Es gibt kaum irgendeine Schicht der Bevölkerung, kaum irgendeine Klasse und gehöre sie diesem oder jenem Felde des Lebens an die nicht irgendwie berührt würde von dem, was auf diese Weise für die Menschheit geschaffen worden ist.

Fragen wir uns jetzt: Hat menschliches Denken, hat menschliches Interesse auch vermocht, jene soziale Struktur zu schaffen, die in irgendeiner Harmonie, in irgendeiner Angemessenheit steht zu dem, was in den Gebieten der Technik und der Industrie die menschliche Geisteskraft geschaffen hat? Man denke sich einmal hypothetisch, was geworden wäre, wenn die Menschen, oder wenn eine menschliche Individualität imstande gewesen wäre, ihre Geisteskraft, die in so gewaltiger, so großartiger Weise sich kristallisiert hat in Maschinen, in Banken und im Verkehrswesen, dazu zu verwenden, um diejenigen, welche hineingestellt sind in diese Entwickelung, auch in eine entsprechende soziale Struktur hineinzubringen. Wir wollen uns nicht auf den Standpunkt stellen, auf den sich ein vielgenannter Naturforscher stellt, der sagt, daß alle großartigen, gewaltigen Fortschritte des menschlichen Geistes, der menschlichen Wissenschaft, der menschlichen Industrie, des menschlichen Verkehrs gar nichts zum Fortschritt der moralischen Menschheitsentwickelung beigetragen haben, sondern wenn wir auf dasjenige blickten, was die Menschen hervorgebracht haben in bezug auf Moral und Gesittung, so stünden wir heute noch auf dem urältesten Standpunkt der Barbarei. - Dieser Meinung wird sich keine tiefere Betrachtung anschließen; aber wahr ist es doch, daß allen den technischen und wissenschaftlichen Errungenschaften, die wir heute bewundern, auf äußerem und auf innerem Gebiete, nichts gegenübersteht auf dem Gebiete des sozialen Lebens, der sozialen Struktur. Wir sehen, wie sich in der Disharmonie zwischen menschlicher Sehnsucht, menschlichem Bedürfnis und menschlichem Ideale, ja sogar der einfach-natürlichen menschlichen Lebenshaltung, und dem, was für alle Menschen das Leben in seiner Realität heute bietet, in der mannigfaltigsten Weise die Unangemessenheit des sozialen Denkens in bezug auf die industrielle Tätigkeit ausprägt.

Eine Verpflichtung wäre es für die breitesten Schichten der Bevölkerung aller Klassen und Stände, gerade über diese Frage nachzudenken, weil in diesen Fragen etwas Welterschütterndes heute liegt. Das fühlen aber die weitesten Kreise, insbesondere gewisser Klassen und Stände, heute keineswegs. Gerade die theosophische Bewegung muß eine solche sein, die nicht mit ein paar abstrakten Dogmen, mit ein paar Rezepten aus der Gedankenfabrik hier etwas tun zu können glaubt, sondern sie muß versuchen, in selbstloser Hingabe, mit Erkenntnis des wahren Menschen, in der Welt gesundes, tiefes, eingehendes Denken auch auf diesem Gebiete zu verbreiten, zu entfalten. Das Wesentliche auf diesem Gebiete ist, daß sich die Menschen innerlich dazu erziehen, um die Dinge auf diesem Gebiete im rechten Lichte zu sehen.

Diejenigen, die heute von einem angeblich praktischen Gesichtspunkte aus gern achselzuckend auf solch eine unpraktische Geistesbewegung, wie die theosophische es ist, herabsehen möchten, die sollten doch einmal in das Leben blicken und sich an besonders charakteristischen Symptomen darüber belehren, wie sie sich eigentlich zu solchen Fragen stellen sollten. Das menschliche Denken ist heute dadurch, daß sich die Menschen gewöhnt haben, alles in materialistischen Denkformen zu sehen, in gewisser Beziehung kurz geworden. Wer auf geisteswissenschaftlichem Boden steht und glaubt, er könne mit ein paar hingepfahlten Begriffen die Rätsel des Daseins erkennen, wenige hingepfahlte Begriffe reichten aus, um das ganze Weltgebäude zu konstruieren bis herauf zu dem Menschen, der täuscht sich. Ja, für ein oberflächliches Begreifen reichen ein paar Begriffe aus; aber nicht für die intime, genaue Beurteilung des Lebens. Geisteswissenschaft ist unbequem. Zwar nicht für diejenigen, die sich nur an das halten, was in Worten verbreitet ist, und sich dann auf eine abstrakte Lebensanschauung beschränken; aber für die, welche sich tiefer in sie hineinwagen, ist sie unbequem. Sie hat es nicht zu tun mit ein paar mechanischen Vorstellungen, sondern sie zwingt dazu, sich für die verschiedensten Stufen des Daseins besondere Begriffe anzueignen. Dafür sind aber diese besonderen Begriffe gute Führer im Leben.

Wenn die Leute einmal ein geisteswissenschaftliches Buch aufschlagen, wo ihnen die physische Welt, die astralische Welt und noch höhere geistige Welten vorgeführt werden, die in der unsrigen verborgen sind, und dann weiter gesagt wird, daß der Mensch bestehen soll nicht nur aus dem, was man mit Augen sieht und mit Händen greifen kann, sondern daß man noch auf höheren Gebieten leben kann, so sagen sie, das sei zu kompliziert, da werde alles so eingeschachtelt. Die Welt sei einfach, und der, welcher die Welt nicht einfach darstellt, der erregt schon von vornherein ihr Mißtrauen. Die Welt ist einfach, ist bequem! - Das kann man wohl sagen, nur wahr ist es nicht! Ungeeignet sind diese Begriffe zum wirklichen Eindringen in das wirkliche Leben, in das, was uns wirklich umgibt. Es gibt viele Menschen, die nicht weiter reichen mit ihren Begriffen als die paar Schritte, die sie täglich gehen. Daß solche Menschen zu ganz sonderbaren Vorstellungen über das Leben kommen, ist ja verständlich. Solche Menschen werden sich natürlich erst verraten, wenn sie reden oder schreiben. Ich könnte Ihnen da mannigfaltige Beispiele anführen.

Zwei Beispiele will ich Ihnen aus der großen Menge herausgreifen, die Ihnen zeigen mögen, wie rasch diejenigen Menschen, die eigentlich berufen sein sollten, über das Leben zu urteilen, oder die sich selbst dazu berufen fühlen, mit dem Leben fertig werden.

Da gibt es einen Menschen, der hat ein Buch geschrieben. Das ist heute nichts Besonderes, es ist manchmal schwer, in einer Gesellschaft diejenigen herauszufinden, die noch kein Buch geschrieben haben. Dieser Mensch hat nun ein Buch geschrieben über das Leben. Er sagt darin, daß er viel darüber nachgedacht habe, wie die Funktionen des Geldes sind und was es für eine Bedeutung in unserem äußeren Leben habe. Nun habe er aber an einer besonderen Erfahrung erst lernen müssen, daß das Geld nur eine Art Mittel sei innerhalb eines gewissen Gesellschaftskreises, und daß es eigentlich keine reale Bedeutung habe. Das hätte er dadurch gelernt, daß er einmal in Südamerika reiste. Er hätte hundert Dollar bei sich gehabt, aber er hätte trotzdem furchtbar hungern müssen, nichts habe er bekommen können für sein Geld. Und als er einmal an eine Hütte kam und da etwas zu essen erhielt, da sagte man ihm, er solle sich nicht mit seinen Dollars bemühen, mit denen könne man doch nichts anfangen.

Dieser Mensch hat so « klare » Begriffe, daß er, um solches festzustellen, erst in einen brasilianischen Urwald reisen muß! Aber weiter: Sie wissen, daß ein Buch von einem gewissen Regierungsrat Kolb geschrieben wurde. Diesem Buche soll alle Anerkennung zuteil werden. Es soll anerkannt werden, daß ein Regierungsrat es über sich bringt, als gewöhnlicher Arbeiter in Amerika zu arbeiten, unter anderem in einer Fahrradfabrik, und mit den Arbeitern in all den Mühseligkeiten zusammenzuleben, die er früher nicht gekannt hat. Der hat also auch ein Buch geschrieben, in dem er sagt: Jetzt lerne ich das Leben anders beurteilen, als ich es früher gewohnt war. Wenn ich früher einen Menschen auf der Straße betteln sah, so sagte ich: Warum arbeitet der Lump nicht? jetzt wußte ich es! - Und er fügt bedeutsam hinzu: Ja, mit den schönsten, bedeutsamsten Problemen der Nationalökonomen läßt sich am grünen Tisch gut und bequem wirtschaften; aber im Leben nehmen sie sich anders aus. - Alle Anerkennung dafür, wenn jemand aus seinen gesellschaftlichen Kreisen heraus solches unternimmt, und alle Anerkennung für die Tat, dies offen und frei zu bekennen!

Aber jetzt die Kehrseite. Sehen wir ab von dem Mann, sehen wir die Tatsache als solche an. Was heißt es, wenn jemand, der in Europa lebt, einen verantwortungsvollen Posten hat, von dessen Maßnahmen vieles abhängt, Leid, Freude, Glück und Unglück von mancherlei Menschen, wenn der hier wie mit verbundenen Augen durch die Welt geht? Muß man nicht fragen: Wie ist er eigentlich durch die Welt gegangen? Wie hat er sie studiert? Wie hat er sich herangebildet? Wenn man nur die Augen offen hält und sieht, was er hätte sehen müssen - denn wenn man im Leben steht, muß man solche Dinge wissen -, dann, muß man fragen: Sind diese Leute mit verbundenen Augen durch die Welt gegangen, und haben sie erst nach Amerika gehen müssen, um zu erfahren, daß man im Urwald mit Geld nicht bezahlen kann, und um zu erfahren, warum der « Lump » nicht arbeitet, wenn er bettelt? Muß man nicht sagen, daß eine Zeit, in der diese Symptome möglich sind, in der die Gedanken so kurz sind, daß eine solche Zeit ebenso klare und sichere Gedanken in bezug auf die soziale Struktur braucht, wie man sie in bewundernswerter Weise durch die Jahrhunderte bis herauf in unsere Zeit hervorbringen konnte in bezug auf Maschinen und Industrie? Wenn die Theosophie oder Geisteswissenschaft nicht aufgefaßt wird als Abstraktion, als eine Predigt schöner Phrasen, sondern als eine Verkündigung dessen, was unserer ganzen Welt in Wirklichkeit zugrunde liegt, dann gibt gerade sie diese reale Menschenkenntnis.

Darüber wollen wir uns heute einmal näher unterhalten. Wenn wir etwas tiefer hineinschauen in die Umwandlungen, die sich vollzogen haben seit Jahrhunderten und die mit den letzten Ausläufern noch hineinragen in unsere Gegenwart, dann müssen wir sagen: Beruf und Erwerb haben sich in ihrem Verhältnis zum Menschen sehr, sehr geändert. Freilich gibt es auch heute noch mancherlei Menschen, die das schöne Wort kennen, das Goethe ausgesprochen hat: « Lust und Liebe sind die Fittiche zu großen Taten.» Wahrhaftig, Lust und Liebe sind die Fittiche zu großen Taten! Sie müssen auch, wenn Menschenfortschritt und Menschenseligkeit gedeihen sollen, die Fittiche im menschlichen Leben sein. Würde nicht der Künstler, wenn er sein Intimstes ausspricht, jederzeit sagen: Nur dann kann ich wahrhaft arbeiten, Ersprießliches hervorbringen, wenn die Freude an der Arbeit mich beseelt. - Wahr, nur zu wahr! Aber wie weit ist unser Leben von dieser Wahrheit entfernt! Wir kommen auf ein trauriges Kapitel in bezug auf Beruf und Erwerb, wenn wir diese Frage vor unsere Seele stellen.

Vergleichen wir mit dem schaffenden Künstler, der aus Lust und Liebe zu der Menschen Heil, zu der Menschen Freude und Erhöhung seine Werke schafft, den in dumpfen Bergwerken, meinetwegen in Sizilien tätigen Arbeiter. Da finden Sie Arbeiter, und nicht etwa nur erwachsene Arbeiter, sondern es wimmelt darunter von Kindern von sieben, acht, neun und zehn Jahren, die auf die furchtbarste Art zugrunde gerichtet werden und ihr Leben - mit geringfügigen Ausnahmen - da unten verbringen. Und wenn Sie die Impulse erkennen, durch welche diese Menschen an die Arbeit getrieben werden, dann werden Sie etwas begreifen, was sonst furchtbar schwer zu begreifen ist. Es gibt eine furchtbare Stimmung von Lebensfeindlichkeit und Lebensgegnerschaft, wenn derartiges erfahren wird beim Erleben derjenigen Dinge, die sonst bestimmt sind, Lebensfreude und Lebensheiterkeit hervorzurufen. Der Mensch, der so arbeitet - ich erzähle keine Märchen und betonte ausdrücklich, daß es mir sehr wenig lieb ist, diese Wirklichkeiten schildern zu müssen -, der mag seine Stimmung, wie sie sonst bei anderen Menschen in einem schönen, frohen Liede zum Ausdruck kommt, in einem Liede wie diesem zum Ausdruck bringen:

Fluch der Mutter, die mich geboren,
Fluch dem Pfarrer, der mich getauft,
... wäre ich doch ein Sch geworden,
so würde ich doch. . . *

Lücke in der Nachschrift

Stellen Sie sich das zusammen mit den Worten: « Lust und Liebe sind die Fittiche zu großen Taten », und versuchen Sie, hieraus die Notwendigkeit einzusehen, nach einer Weltanschauung zu streben, welche die Herzen so zu vertiefen vermag, daß sie hinzugefügt werden muß zu unserer menschlichen materiellen Entwickelung, weil sie etwas ist, was zur Struktur des Lebens gehört und hineingehört in die Industrie, in den Verkehr und in die Technik.

Wir vermögen aber noch in anderer Weise das Heraufkommen der Maschinen in den letzten Jahrhunderten in bezug auf Beruf und Erwerb in unsere Seelen hineinzustellen. Man braucht nicht weit zurückzugehen, da findet man den Ausspruch: Das Handwerk hat einen goldenen Boden. - Warum? Es gab viele Leute, die hatten eine tiefe persönliche Verbindung ihrer Seele mit ihrer Arbeit und dem Produkte, das sie hervorbrachten. Versuchen Sie sich die mittelalterlichen Städte vorzustellen. Versuchen Sie, jedes Türschloß und jeden Schlüssel genau anzusehen, und versuchen Sie dann, hineinzusehen in die Werkstätten, wo diese Dinge gearbeitet worden sind. Stellen Sie sich vor, wie die Leute mit Lust und Liebe gearbeitet haben, wie der Arbeiter sozusagen ein Stück seiner Seele mitgegeben hat den Produkten, die er geschaffen hat.

Nun versuchen Sie sich dagegen den Arbeiter der Industrie, den Arbeiter in den Fabriken vorzustellen, der nur einen kleinen Teil, dessen Zusammenhang mit dem Ganzen er nicht überschaut, ausführt und bearbeitet. Ihm fehlt die Intimität des Zusammenhangs zwischen dem, was das Produkt ist, und seiner Arbeit. Dieses persönliche Verhältnis ist etwas außerordentlich Wichtiges. Es ist etwas, was uns diese beiden Begriffe - Beruf und Erwerb - immer klarer und klarer vor die Seele stellen wird. Es ist etwas anderes sowohl in bezug auf den Erwerb als auch in bezug auf den Arbeiter, wenn der Mensch einen persönlichen Anteil an den Produkten nehmen kann, an der Form, an der Einrichtung, an dem, was das Produkt darbietet für das Auge, als wenn das einzige Interesse an dem Produkt der Erwerb ist, das heißt, was man als Lohn dafür erhält. Das eine gibt den Beruf; der spricht sich aus in der Arbeit, die zum Produkte wird. Der Erwerb spricht sich aus in demjenigen, was der Egoismus, die Selbstsucht des Menschen als Lohn für das Produkt erhält. So müssen wir die beiden Begriffe nebeneinanderstellen, und sie stellen sich Ihnen bald nebeneinander, wenn Sie den Gewerbetreibenden von ehedem zusammenstellen mit dem modernen Arbeiter. Alles ist heute anders bis ins kleinste, was sie an sich tragen und um sich herum haben. Die ganze Tragik, die in diesen Maschinen in bezug auf den Beruf und den Erwerb im Menschenleben liegt, spricht sich aus in einem schönen kleinen Gedicht, das ein leider viel zu wenig bekannter Dichter unserer neueren Zeit gedichtet hat:

Verfallen steht im Waldesgrund,
Am Saumweg, eine Schmiede,
Draus tönt nicht mehr der Hammerschlag
Zum arbeitsfrohen Liede,
Nicht weit davon ragt in die Luft
Ein langgestreckt Gebäude,
Wo walten im Maschinenraum
Berußte Hammerleute.
Mit Nägeln aus der Dampffabrik
Wird zu der Sarg geschlagen,
In dem der verarmte Nagelschmied
Zu Grabe ward getragen.

In diesen zwölf Zeilen haben Sie den Umschwung in den letzten Jahrhunderten in bezug auf Beruf und Erwerb.

Wir brauchen nur die eine Zeile zu nehmen: « Aus der Schmiede tönt nicht mehr der Hammerschlag zum arbeitsfrohen Liede.» Sie drückt aus diesen Umschwung. Da tritt uns alles, um was es sich bei Beruf und Erwerb handelt, vor die Seele. Stellen wir uns einen Menschen vor, der zu seinem Hammerschlag das arbeitsfrohe Lied hat, und stellen wir uns die Seele vor, die die Seelenstimmung zu einem arbeitsfrohen Liede hat, und dann suchen wir uns die Stimmung eines Menschen zu vergegenwärtigen, der als berußter Arbeitsmann in der Fabrik steht. Nicht kann es das Amt der Geisteswissenschaft sein, etwa die Reaktion zu predigen, um die alten Verhältnisse wieder herzustellen oder Dinge zu verhindern, welche sich im Menschheitsfortschritt entwickelt haben, und die notwendigerweise kommen mußten. Nicht haben wir zu kritisieren, was notwendig geschehen mußte. Wir haben uns aber klarzumachen, daß es in dem Menschen liegt und von dem Menschen abhängt, aus ihrer geistigen Arbeit heraus für das Heil des Menschen und für den Menschheitsfortschritt aussichtsvoll zu arbeiten.

Nun werden viele sagen: Aber wir sehen doch in unserer Umgebung genügend Menschen, die gut vorbereitet sind, um nachzudenken über die soziale Frage, nachzudenken darüber, was geschehen soll. - Nun, es gibt einen gewissen Unterschied, der sehr gewaltig ist, zwischen dem, was die Geisteswissenschaft zu sagen hat, und dem, was die allgemeine Zeitstimmung ist. Diese allgemeine Zeitstimmung könnte man in allgemeinen Ausdrücken vor die Seele rücken. Die, welche studiert haben, sagen: Ihr Theosophen predigt, daß die Menschen besser werden sollen, daß sie Liebe entwickeln sollen und so weiter. Nun, mit solchen Kindereien von Menschenseelenentwickelung, von Menschen-Reifmachen für ein besseres Leben und zum Heil des Menschen, mit solchem befassen wir uns nicht, sondern wir wissen, daß nicht die Menschen, sondern daß es die Verhältnisse sind, auf die es ankommt. - So sagen viele, nicht bloß Professoren, sondern auch Leute an den grünen Tischen des Sozialismus. Was dort verkündigt wird, ist ebenso hochmütig wie das, was von den anderen grünen Tischen verbreitet wird. Überall wird gepredigt: Bessert die Verhältnisse, und dann kommt es schon, daß die Menschen sich bessern. - Man kann sie das deklamieren hören, die ganz gescheiten Leute, die immer wieder auftreten.

Ich könnte Ihnen viele Beispiele aus dem unmittelbaren Leben aufzählen. Nur drei Schritte von hier aus brauchte ich zu machen, und ich würde hindeuten können auf einen Punkt, wo einmal einer stand, der [von der Theosophie] sagte: Das sind törichte Ideen! Es kommt darauf an, daß die Verhältnisse gebessert werden. Wenn man ihnen bessere Lebensbedingungen gibt, dann werden die Menschen ganz von selber besser. - Dieses Lied hören wir in bezug auf die heutigen Berufs- und Erwerbsverhältnisse in allen Variationen immer wieder singen. Wenn etwas nicht stimmt, denkt man nicht, daß es an den Menschen liegt, sondern dann heißt es, man müsse ein neues Gesetz machen, damit die Verhältnisse anders werden. Und wenn etwas auf einem Gebiete nicht richtig ist, so reden sie, man müsse die unreife Menge, die, welche kein richtiges Urteil haben, schützen gegen die, welche sie auf diesem oder jenem Gebiete ausbeuten wollen. Wenn das zum Beispiel gegenüber irgendwelchen Heilsmethoden gesagt wird, dann möchte man doch fragen: Liegt es nicht näher und wäre es nicht selbstverständlicher zu sagen, daß es Pflicht ist derjenigen, welche in die Dinge hineinsehen, die Menschen aufzuklären, so daß sie sich aus eigenem Urteil an die wenden, an die sie sich wenden sollen? Nicht um die Verhältnisse kann es sich handeln, sondern einzig um die Entwicklung der Menschenseele.

Tief liegt in unserem Zeitdenken dieser Materialismus, der aus der atomistischen Denkweise herausgeholt und übertragen worden ist auf die sozialen Verhältnisse. Viele diskutieren über solche Sachen, doch führt das Diskutieren nur zu endlosen Debatten. Wer das Geheimnis der Diskutierkunst kennt, der weiß, daß sich über die Bedeutung des Menschen mit endlosem Für und Wider reden läßt. Es handelt sich aber nicht nur darum, daß man endlose Gründe für das Für und Wider anführen kann, sondern auch darum, daß man das Gewicht der Gründe empfindet. Ein Mensch, der berufen war, auf diesem Gebiete ein Urteil zu fällen, weil er ein genialer Mensch war, das ist der Engländer Robert Owen. Er war genial dadurch, daß er die Menschen glücklich machen wollte, aber auch dadurch, daß er ein warmes Herz hatte für das soziale Elend. Ihm ist es gelungen, geradezu eine Musterkolonie anzulegen. Da hat er Schönes erreicht. Er hat die Sache so klug gemacht, daß er zwischen die arbeitsamen Menschen, die durch ihr Beispiel wirken konnten, hingestellt hat diejenigen, welche trunksüchtig und so weiter waren. Es hat dadurch manches gute Resultat gegeben. Das hat ihn dann ermuntert, eine andere Kolonie zu gründen. Wiederum hat er es so gemacht, daß er gewisse Ideale verwirklichen wollte, die ihn erfüllten. Aber nach einiger Zeit war die Entwickelung in der Kolonie so, daß er sehen mußte, daß diejenigen, die nicht in ihrer Anlage Fleiß und Arbeitsamkeit hatten, zu Parasiten der Kolonie wurden. Da sagte er sich: Nein, - und es war wie ein Bekenntnis: Mit den allgemeinen Einrichtungen muß man warten, bis die Menschen, wie er selbst, in theoretischer Beziehung auf eine gewisse Höhe gebracht sind. Nur durch die Umgestaltung der Menschenseele kann Heil und Fortschritt kommen, niemals durch bloße Einrichtungen. - Das hat ein Mann gesagt, der es sagen durfte, weil er von der vom warmen Herzen eingegebenen Auffassung ausgegangen und von der Erfahrung belehrt worden ist. Von solchen Tatsachen sollte man lernen, nicht von abstrakten Theorien. Aber was gibt ein inneres und lebensfähiges Denken auf diesem Gebiete? Ein genaues und lebensfähiges Denken auf diesem Gebiete zeigt uns, daß alle Einrichtungen, die drücken und schrecklich werden können für die Menschen, gemacht sind von Menschen. Es entstehen menschliche Einrichtungen, die die Ursache werden von Not und Elend, nur dadurch, daß sie zuerst von Menschen gemacht werden. Derjenige, der die Dinge wirklich durchschauen will, versuche einmal, den geschichtlichen Verlauf zu studieren, zu studieren, wie heute die Menschen zusammenleben, wie der eine so, der andere so gestellt ist im Leben. Wer hat sie dahin gestellt? Nicht unbestimmte soziale Mächte, sondern menschliche Gedanken, menschliche Empfindungen und menschliche Willensimpulse. Wir müssen den Satz schon einmal hinstellen: Der Mensch kann leiden nur durch den Menschen. Alles andere Leiden kommt sozial eigentlich nicht in Betracht.

Nicht zu verlangen ist es, daß der Geisteswissenschafter sich als Kritiker über die historischen Notwendigkeiten aufstellen soll. Es ist nötig, sich klarzuwerden, daß die Verhältnisse durch Menschen geschaffen werden und daß, wenn sie geschaffen sind, Elend einzig und allein durch falsche Gedanken in diese Verhältnisse hineingebracht wird. Es ist nicht schwer einzusehen, daß ein kurzes Denken, ein Denken, das keine Ahnung hat von den großen, gewaltigen Weltenzusammenhängen, keine Einrichtungen schaffen kann, die Glück und Heil in die Menschheit bringen können. Mit dem Satze, daß man selbstlos sein soll, daß man die Menschen lieben soll, ist es so, wie wenn Sie zu einem Ofen sagen: Du bist ein Ofen, sei lieb und warm; es ist deine moralische Pflicht, das Zimmer zu wärmen. - Es wird nicht warm werden! Aber wenn Sie einheizen, wird es warm! Predigen von allgemeiner Menschenliebe, das ist etwas, was man mit Selbstverständlichkeit in die Welt setzen kann. Aber das praktische Handhaben, dasjenige, was sie befähigt, in der Außenwelt so gestaltend einzugreifen, daß Heil und Segen für die Menschheit daraus erwachsen, das hängt ab von der Beziehung vom Menschen zum Menschen.

Eine materialistische Zeit wird in dem Menschen nur dasjenige sehen, was man mit den Händen greifen, mit Augen wahrnehmen kann. Der Mensch ist aber mehr als das. Er ist ein geistiges, seelisches und physisches Wesen. Und alles, was den Menschen Heil und Segen bringen kann, kann nur daraus hervorgehen, daß man die gesamte menschliche Wesenheit berücksichtigt, namentlich in den komplizierten und immer komplizierter werdenden Verhältnissen der Gegenwart und Zukunft. Die Geisteswissenschaft zeigt uns dieses wahre Wesen des Menschen, zeigt uns seine Grundlage, und führt uns dadurch in ganz anderer Weise als sonst etwas zu einem Verständnis von Mensch und Welt. Dasjenige, was uns umgibt, was wir in Beruf und Erwerb in der Welt hervorbringen können, wir können es nicht anders hervorbringen als in einem arbeitsfrohen Leben. Denken Sie sich, was es ausmacht, wenn die Arbeiter wie in dem Gedicht bei dem arbeitsfrohen Lied ihre Arbeit vollbringen können. Der einzelne Hammerschmied konnte das. Er kannte die Arbeit von ihrem Anfang bis zum fertigen Produkt. Die Arbeit kann nicht aus dem Erwerb erwachsen, keinerlei Arbeit ist aus dem Erwerb erwachsen. Versuchen Sie den Blick auf die einfache Arbeit zurückzuwerfen: Im Rhythmus vollzog sie sich, der Hammer des Schmiedes schlug im Rhythmus, und das Lied begleitete den Rhythmus. Die Impulse, die zu vergleichen sind mit Lust und Liebe, die waren es, die zur Arbeit trieben. Je weiter Sie zurückgehen, desto mehr finden Sie, daß Erwerb und Beruf zwei ganz und gar verschiedene Dinge sind.

Dasjenige, was der Mensch als Arbeit leistet, tut er aus einem Impuls gegenüber der Sache heraus. Etwas anderes ist es, sich einen Erwerb zu verschaffen. Das ist aber der Grund unseres modernen Elends, daß Erwerb und Beruf, daß Lohn und Arbeit eins geworden sind, zusammengefallen sind. Das ist dasjenige, worin unsere Betrachtung einmal gipfeln muß. Ein Mensch, der ein kleines Glied in der Fabrik verarbeitet in der heutigen Art und Weise, wird nimmermehr die Hingabe haben können für das Produkt, das den früheren Handwerker kennzeichnete; das ist unwiederbringlich dahin. Niemals wird es bei unseren komplizierten Verhältnissen in der Zukunft möglich sein, daß das Arbeitsfeld durchflutet wird von einem arbeitsfrohen Liede. Das ist verklungen, das Lied, das an das Produkt sich anschließt!

Wir fragen: Gibt es einen anderen Impuls, der als Ersatz hinzutreten kann? Wenn wir den Blick auf die Reihe der Jahre werfen, wo immer mehr Fabriken geschaffen wurden und immer mehr Menschen in die Stätten des modernen Elends zu Betrieben und Erwerb zusammengetrieben worden sind, wenn wir das alles an uns vorüberziehen lassen, dann sehen wir - mag auch vieles anders geworden sein -, daß man meint, die künftige Entwickelung an die Vergangenheit, als Lust und Liebe noch die Impulse der Arbeit waren, einfach anstücken zu können. Die Menschheit hat aber nicht einen Ersatz schaffen können, der den Menschen wieder anschließt an das Produkt. Das kann auch nicht wiedergebracht werden. Aber etwas anderes kann gemacht werden. Was kann an die Stelle treten? Wie können wieder Lust und Liebe Impulse werden, die Fittiche werden für die Tagesarbeit? Wie können sie geschaffen werden?

Ja, wird mancher einwenden, schaffe einmal Impulse für eine Arbeit, welche schmutzig, schlecht und abscheulich ist! - Es gibt solche Impulse. Man versuche nur daran zu denken, was Mütter tun, wenn sie die Arbeit aus Liebe zum Kinde tun. Denken Sie daran, wozu der Mensch imstande ist, wenn er aus Liebe zu anderen Menschen etwas tut. Da braucht es keine Liebe zum Produkt der Arbeit, da braucht es ein Band zwischen Mensch und Mensch. Die Liebe zum Produkt können Sie bei der Menschheit nicht zurückbringen, denn die war an primitive, einfache Verhältnisse gebunden. Dasjenige aber, was die Zukunft bringen muß, das ist die große, allumfassende Verständigung und Liebe von Mensch zu Mensch. Ehe nicht ein jeder Mensch aus den tiefsten Impulsen, die nur eine geistige Weltbewegung zu geben vermag, den Antrieb für seine Tätigkeit finden kann, ehe er nicht imstande ist, die Arbeit aus Liebe für seine Mitmenschen zu tun, eher ist es nicht möglich, echte Impulse für eine Zukunftsentwickelung im Sinne des Menschenheils zu schaffen.

So haben wir als Impuls hingestellt, was alle Geheimwissenschaft seit urvordenklichen Zeiten weiß. Es gibt nämlich ein Geistesgesetz, das lautet: Im sozialen Leben ist nur dasjenige für das Heil der Menschen ersprießlich, was die Menschen nicht für sich, sondern für die Gesamtheit der Menschen tun. Alle Arbeit muß zum Unheil gereichen, die die Menschen nur für sich tun. Das ist scheinbar ein harter Grundsatz, aber dieser harte Grundsatz ist das Ergebnis wahrer Erkenntnis.

Das ist es, was die Theosophie oder Geisteswissenschaft der heutigen Menschheit zu bringen hat: wiederum einen solchen Satz verstehen zu lernen. Etwas, was alle Menschen oder Gruppen von Menschen umfassen soll, das ist in der materialistischen Auffassung ein ganz abstrakter Begriff geworden. Das kann keinen moralischen Impuls mehr abgeben. Besinnen Sie sich einmal, wie man von Volksseelen oder Gruppenseelen spricht. Das ist nichts Reales! Die Menschen müssen wieder Klarheit bekommen darüber, daß es Wesenheiten gibt, die in geistigen Welten leben, und daß solche Gruppenseelen leben und Realitäten sind. Wir sind in unserer Entwickelung so weit vorgeschritten, daß wir gerade in unserer Zeit dahin gekommen sind, daß es Anschauungen gibt, die genau das Gegenteil von der Geisteswissenschaft sind, die zum Beispiel in allem, was eine Gruppe, eine Zusammengehörigkeit umfaßt in der Welt, nur Formalien sehen. Die Geisteswissenschaft aber zeigt, daß in dem Sichtbaren, in dem Physischen nicht das ganze Um und Auf des Daseins enthalten ist, sondern daß allem Sichtbaren zugrunde liegt das Überphysische, das Unsinnliche, das Übersinnliche, so daß solche Dinge wie Gemeinsamkeitsgeister und Gruppengeister für uns keine Abstraktionen mehr sind. So wird es uns zu einem genauen Begriff, wenn wir sagen: Auf die Arbeit, und wenn sie noch so sehr bewertet wird, kommt es nicht an. Auf die Arbeit kommt es nur an im Menschheitszusammenhang, wenn diese Arbeit eine für die anderen Menschen ersprießliche, wie wir sagen, produktive Arbeit ist.

Machen Sie sich das durch ein einfaches Beispiel klar: Auf einer Insel leben zwei Menschen. Der eine bringt Dinge hervor, welche für den einen und den anderen den Hunger stillen, das Dasein möglich machen. Der andere arbeitet auch furchtbar, gräßlich viel; er beschäftigt sich damit, daß er Steine von dem einen Ort zum anderen wirft, sie emsig und arbeitsam hinwirft und schnell wieder zurückwirft. Er ist furchtbar emsig und arbeitsam, er kann schrecklich fleißig sein. Seine Arbeit hat aber gar keine Bedeutung, ist ganz wesenlos. Nicht darauf kommt es an, daß wir arbeiten, sondern darauf, daß wir Arbeit leisten, die dem anderen ersprießlich ist. Ersprießlich ist die Arbeit des Steine-Hin-und-Herwerfens nur dann, wenn sie dem Menschen, der sie verrichtet, Freude macht. Wenn er aber durch irgendwelche Einrichtungen gezwungen wird, sich für die Arbeit entlohnen zu lassen, dann ist die Arbeit bedeutungslos für den Zusammenhang. Sie muß in einem durch Weisheit und Struktur geregelten Zusammenhang stehen. Wer in den Zusammenhang hineinsieht, der weiß, daß die wichtigsten Arbeiten die sind, welche geleistet werden unabhängig vom Erwerb. Erwerb muß für sich stehen. Wie die Menschen sich gegenseitig erhalten, das ist eine Frage für sich. Der Arbeitsimpuls darf nicht im Egoismus und kann nicht im Egoismus liegen, sondern er muß aus dem Hinblick auf die Gesamtheit entstehen.

Das, was der eine Mensch tut, wird von anderen Menschen benötigt. Wenn die Menschen nach dem verlangen, was ich durch meine Arbeit hervorbringe, dann mag meine Arbeit meiner Fähigkeit entsprechen, sie mag geringer sein, wenn ich geringe Fähigkeiten habe, sie kann bedeutend sein, wenn ich hohe Fähigkeiten habe, wenn die Menschen aber diese Arbeit brauchen, so ist das ein Impuls für die Arbeit, der mich zu einem arbeitsfrohen Liede stimmen kann. Dazu müssen wir aber erst die Impulse und die Fähigkeiten haben, in die Herzen der Menschen hineinzuschauen und zu sehen, daß das Herz der Menschen für uns etwas werden kann. Wenn wir uns in die Herzen der Menschen hineinzuleben verstehen, wissen wir, was das Wesen der Menschen ist; dann arbeiten wir auch in Gemeinschaft und eignen uns das soziale Denken an. Sie werden sagen, das tut kein Mensch: Steine von einem Ort zum anderen werfen. - Fortwährend geschieht das in unseren Verhältnissen, nur sehen es die Menschen nicht! Sie sehen zu kurz.

Dem, der lernt, sozial zu denken, kommt es bald zum Bewußtsein. Denken Sie sich, sie säßen irgendwo und fänden eine schöne Ansichtspostkarte und Sie schrieben dann zwanzig Ansichtspostkarten, ohne etwas Besonderes mitzuteilen zu haben. Wer da tiefer hineinschaut, sieht nicht nur die Ansichtspostkarten mit den Bildern, er sieht die vielen Briefträger, welche Treppen herauf-, Treppen heruntergehen müssen. Wieviel Arbeit würde gespart werden, wenn die Karten nicht geschrieben würden!

Da kommt aber ein ganz Gescheiter, der sagt: Dadurch, daß man so viele Postkarten schreibt, dadurch erreicht man, daß ein Arbeiter nicht mehr genügt. Es wird ein anderer eingestellt, und dieser andere bekommt dadurch Brot. - Kein Mensch überlegt sich, daß auf diese Weise keine produktive Arbeit geleistet wird. Das ist die Arbeit, durch die nichts hervorgebracht wird. Dadurch, daß Sie einen Menschen zu einer Arbeit zwingen und ihm eine Entlohnung dafür verschaffen, dadurch schaffen Sie kein Heil für die Menschheit. Aber man muß in die Struktur des Daseins hineinsehen, wie sie uns nur die geisteswissenschaftliche Erziehung geben kann. Man muß sich klar sein, daß nicht bloß ein paar Nationalökonomen in diese Dinge hineinsehen sollten. Es muß jeder einzelne Mensch dahin gebracht werden, dieses soziale Denken zu entfalten, und das ist es, was aus der geisteswissenschaftlichen Weisheit als geisteswissenschaftliche Gesinnung fließt, daß des Menschen Seele offen und frei wird, daß sie dann um sich sieht Dinge, um sie zu Ende zu denken, zu schauen und zu studieren, so daß es nicht mehr heißt, man müsse für die Arbeitslosen Arbeit schaffen. Es kommt nicht darauf an, diesem oder jenem Arbeit zu geben, sondern darauf, was für Arbeit geleistet wird, eben Arbeit, die Bedürfnis ist für die Gesamtheit. Wenn wir die Sache so ansehen, dann zeigt sich uns klar, daß dasjenige, was für unsere Arbeit in Zukunft zum Impuls werden muß, was in unseren Beruf aufgenommen werden muß, die aus wirklicher Weisheit fließende Zusammengehörigkeitsempfindung mit menschlichen Gruppen sein muß, das lebendige soziale Gefühl, dasjenige, was in jeder Menschenseele Platz greifen muß. Nicht die abstrakte Liebe, nicht diejenige Liebe, die bloß von Liebe redet und bloß so weit sieht, wie ihre Nase geht, sondern nur die von Erkenntnis durchleuchtete Liebe kann eine Besserung der Verhältnisse der Menschen herbeiführen.

Daher kann die Geisteswissenschaft nicht ein Zusammenhang sein von Dogmen, von Ideen. Die Ideen sind da um der Seele willen. Dasjenige, worauf es ankommt, sind die lebendigen Menschen. Je mehr Menschen von dieser Weisheit ergriffen und von ihr entzündet werden, desto mehr wird es wahre, reale Liebe geben, desto mehr wird es zum Fortschritt, zum Heile der Menschen dienen. So werden wir finden, daß dadurch, daß der Beruf fußt auf der Hingabe an die Menschheit, und der Erwerb fußt auf der Sorge für den Unterhalt des Menschen, daß dadurch, daß ganz in dieser Richtung gedacht wird, der Menschheit das Heil zuteil werden wird. Nicht wird der Geisteswissenschafter denken, daß das von heute auf morgen durch Dogmen geändert werden kann. Klar ist sich der, welcher fest auf dem Boden der Geisteswissenschaft steht, daß sich die Seele einleben kann in die tätige Liebe, und daß dadurch, daß Menschen da sind, die Erkentnisse begründen, zum Heile der Menschheit gewirkt werden kann. Dann wird ein Mensch wie Kolb nicht erst nach Amerika gehen müssen, um zu erfahren, daß es sich am grünen Tisch leicht über soziale Dinge urteilen läßt, sondern da wird eine Strömung im öffentlichen Leben ihm die Augen öffnen, er wird dann nicht mit verbundenen Augen durch die Welt gehen müssen.

Das wird die beste und schönste Frucht sein der geisteswissenschaftlichen Weltanschauung, wenn sie die Menschen nicht zum sentimentalen Predigen von Menschenliebe und Brüderschaft verführt, sondern sie dahin bringt, mit offenem und freiem Sinn die wahre und geistige Wirklichkeit zu schauen. Dadurch wird die Menschheit mehr und mehr den Goetheschen Ausspruch erfüllen: « Von der Gewalt, die alle Wesen bindet, befreit der Mensch sich, der sich überwindet.»

Dieser Ausspruch gilt im umfassenden Sinne auf nationalem, beruflichem und gewerblichem Gebiet. Er gilt so, daß nur dann, wenn unsere soziale Struktur ganz beherrscht ist von diesem Grundsatz, daß unsere Arbeit nicht in den Dienst des Lohnes und Erwerbs gestellt wird, sondern unabhängig gemacht wird vom Erwerb, Ersprießliches geschaffen werden kann.

Nun gibt es natürlich Leute, die sagen, man bemühe sich allerorts, dem subjektiven Erwerbstrieb allerlei Dinge abzunehmen und sie auf die Gemeinschaft zu übertragen. Wer das sagt, könnte im Beamten das Ideal des Menschen sehen, bei dem Erwerb und Beruf getrennt sind. Es kommt aber darauf an, daß jeder einzelne Mensch die Impulse hat, aus denen das charakterisierte Heil entspringen kann. Die Einheit darf nicht als abstraktes Schemen, wie eine Wolke über dem Ganzen schweben, sondern sie muß in jeder einzelnen Seele leben, die immer hinweist auf die geistige Höhe des Weltenalls, wie sie sich spiegelt in jeder Menschenseele. Nur einer solchen Weltanschauung kann es gelingen, das zu verwirklichen, was möglich ist an Heilsamem in dem menschlichen Zusammenleben.

Das haben die großen Menschen gefühlt, gefühlt hat es ein großer Geist, von dem man heute wieder mehr redet, manche Leute um so mehr, je weniger sie ihn verstehen. Dieser Geist hat gesagt, daß durch das Aufgehen in der realen, wahren Einheit die Seligkeit über den Menschen kommt, und daß durch das Zerstreuen in die Mannigfaltigkeit und die Unterschiede alles Elend entsteht. Am meisten kommt das Elend, wenn die Menschen so in das Unterscheiden hineingetrieben werden, daß keiner etwas tut als nur um des Egoismus willen. Erst wenn der einzelne fühlt, daß er das, was er tun kann, niederlegen muß am Altar der Menschheit, wenn dieses Gefühl und dieses Denken den Menschen durchflutet, dann kann es auch im äußersten Ausmaß die Menschheit durchfluten. Wahr ist es, was Fichte gesagt hat: Alle Seligkeit liegt im Aufgehen im wahren Einen, und alle Not und alles Elend liegt im Leben im Getrenntsein und in der Unterscheidung; denn die wahre Liebe kann nur erreicht werden, wenn die Seele nicht verhärtet in dem Getrenntsein und in der Mannigfaltigkeit, sondern wenn sie die Ruhe und den Frieden findet in der wahren Gesamtheit und im gesamten Geist.