Vom Geist ausgehen statt von Ideen

Quelle: GA 339, S. 113-114, 3. Ausgabe 1984, 16.10.1921, Dornach

Was soll man denn eigentlich dreigliedern? Denken Sie sich nur einmal, in einem solchen Territorium, in dem, sagen wir, ein Staat auf der einen Seite ganz in seiner Hand hat das Schulwesen, auf der anderen Seite das Wirtschaftsleben, so daß zwischendurchgefallen ist das Rechtsleben - ja, denken Sie nur einmal, es könnte das Unwahrscheinliche eintreten, daß da nun dreigegliedert würde! Es würde ja auf dem Gebiet des Schulwesens, das nun selbständig wäre, wahrscheinlich in kürzester Zeit zu der Wahl eines Schulmonarchen und Schulministers geschritten werden, und das freie Geistesleben würde in kürzester Zeit in einen Staat verwandelt! Solche Dinge lassen sich nicht formal nehmen, sie müssen in dem ganzen Lebendigen der Menschen ruhen. Es muß doch erst etwas da sein als freies Geistesleben, in dem die Menschen drinnenstehen, wenn man das Geistesleben auf sich selbst in dem sozialen Organismus stellen will. Nur dann, wenn das Geistesleben auch im anthroposophischen Sinne gehandhabt wird, wie zum Beispiel in der Freien Waldorfschule in Stuttgart, kann davon geredet sein, daß man da etwas hat, was ein kleiner Keim ist für ein freies Geistesleben. Aber in der Freien Waldorfschule hat man weder einen Rektor, noch hat man Lehrpläne, noch hat man irgend etwas anderes dieser Art, sondern das Leben ist da, und es ist durchaus Rücksicht genommen auf dasjenige, was man eben bedenken muß gegenüber dem Leben.

Ich bin ganz überzeugt davon, daß über ein ideales freies Schulwesen sich jeweilig drei, sieben, zwölf, dreizehn oder fünfzehn Menschen, die sich zusammensetzen, die allerallerschönsten Gedanken machen können, und ein Programm aufstellen können: Erstens, zweitens, drittens - viele Punkte. Dieses Programm könnte so sein, daß man sich eigentlich nichts Schöneres vorstellen könnte. Die Leute, die dieses Programm ausdenken, brauchten nicht einmal besonders gescheit zu sein, könnten zum Beispiel durchaus Durchschnittsparlamentarier sein, brauchten nicht einmal solche zu sein, könnten Wirtshauspolitiker sein unter Umständen, und die könnten dreißig, vierzig Punkte herausfinden, die die höchsten Ideale erfüllen für ein tadelloses Schulwesen - aber anfangen kann man damit nichts! Es ist ganz unnötig, Paragraphen und Statuten in dieser Weise zu formen, wenn man damit nichts anfangen kann. Man kann nur etwas anfangen mit einem zusammengestellten Lehrerkollegium, wenn man gar nicht nach Statuten rechnet, sondern nach dem, was man halt eben hat, und daraus in aller Lebendigkeit das Beste macht. Freies Geistesleben muß eben ein wirkliches Geistesleben sein. Wenn die Menschen heute von Geistesleben reden, reden sie gar nicht vom Geiste, redensie von Ideen; sie reden ja nur immer von Ideen.

Also wenn schon Anthroposophie dazu da ist, in den Menschen wiederum die Empfindung von einem realen Geistesleben hervorzurufen, so kann sie nicht entbehrt werden, wenn man überhaupt die Forderung der Dreigliederung des sozialen Organismus aufstellt. Also muß im Grunde genommen in einem gehen: Förderung der Anthroposophie, Förderung der Dreigliederung des sozialen Organismus.