Vertrauen statt Kontrolle als Grundlage des Wirtschaftslebens

Quelle: GA 331, S. 281-282, 1. Ausgabe 1989, 23.07.1919, Stuttgart

Die Betriebsräteschaft soll aber nicht so strukturiert werden, wie man sich das heute noch denkt, denn bei manchen der Vorschläge, würde man sie verwirklichen, käme schon etwas Ungeheuerliches heraus. Denken Sie einmal, daß es sogar Vorschläge gibt wie: In der Zukunft muß in jedem Betrieb eine technische Kontrolle, eine ökonomische Kontrolle und eine politische Kontrolle dasein. - Es sind insgesamt wohl sogar fünf bis sechs solcher Kontrollen vorgesehen. Hier geht man wohl davon aus, daß eigentlich jeder ein unehrlicher, ein schlechter Kerl ist und deshalb kontrolliert werden muß. Wenn dieses System der fünf- bis sechsfachen Kontrolle durchgeführt wird, werden Sie in Zukunft überhaupt nichts mehr produzieren, denn dieses Kontrollsystem ist im eminentesten Sinne auf Mißtrauen aufgebaut. Wenn Sie aber darauf bauen wollen im künftigen Wirtschaftsleben, dann kommen Sie nicht vorwärts. Sie kommen nur vorwärts, wenn Sie auf das Vertrauen bauen, und darauf wird man bauen können, wenn mit dem Egoismus des einzelnen der rationelle Betrieb zusammenfällt, also daß jeder in Zukunft weiß, daß ihm seine Arbeit am besten bekommt, wenn der beste Leiter da ist. Und durch dieses System wird eben der beste Leiter delegiert werden können.

Das gewöhnliche Wählen wird sich nach und nach in eine Art Delegation verwandeln. Man wird ein Interesse daran haben, daß derjenige, der den größten Sachverstand hat, auch die Leitung innehat. Durch dieses System wird sich schon herausstellen, wer der beste Leiter ist, und das wird auch der wissen, der selber nicht leiten kann. Dieses System eröffnet andere Möglichkeiten als ein bloßes demokratisches Wählertum oder ein Rätesystem, wie es sich die Menschen heute denken. Denn beides würde nur zum Spitzeltum, zur Streberei führen, und in beiden würde es dem Arbeiter nicht besser gehen als heute.