Boykott als Druckmittel des Wirtschaftslebens

Quelle: GA 330, S. 208-209, 2. Ausgabe 1983, 16.05.1919, Stuttgart

Sie können fragen, welche Mittel wird denn das vom Staat abgetrennte Wirtschaftsleben haben, um das, was als Maßnahme getroffen wird, auch in einem gewissen Sinne gegen die Widerstände der einzelnen Menschen durchzuführen? Heute denkt man sich allerdings, daß solche Durchführungen nur durch Zwangsmittel möglich sind. In dieser Beziehung ist man ja noch nicht sehr von den alten Denkgewohnheiten abgegangen. Ich weiß nicht, wieviele Menschen es bemerkt haben, daß in merkwürdiger Art sich solche alten Denkgewohnheiten fortsetzen. Wenn ich heute zum Beispiel eine gewisse Stelle aus einer gewissen Rede vorlese, so wird mancher Mensch erstaunt sein. Diese Stelle - sie ist eine Ansprache an einen Truppenbestand in Danzig - heißt: «Die Truppen sollen den Mann sehen, der für ihr Wohl und Wehe eintritt und für die militärische Zucht und Ordnung sich einsetzt. Wenn der richtige militärische Geist in der Truppe lebt, werde ich Treue mit Treue vergelten.» Sie werden sagen, in welcher alten Kaiserrede haben Sie denn das aufgegabelt? - Nein, das ist aus der Rede, die der Reichswehrminister Noske vor den freiwilligen Truppen in Danzig gehalten hat. So nisten sich die alten Denkgewohnheiten ein. Aber darauf kommt es an, daß wir über die alten Denkgewohnheiten hinauskommen. Heute bemerken die Menschen noch gar nicht, wie sie in den alten Denkgewohnheiten fortwursteln, wie wenig sie aus den alten Dingen herausgekommen sind. So fragt natürlich mancher, der sich nur vorstellen kann, daß durch irgendeine staatliche oder gar militärische Zwangsgewalt das ausgeführt werde, was als Maßnahme getroffen wird: Was hat der Wirtschaftskörper für Mittel, um das zur Durchführung zu bringen, was in solcher Art, wie geschildert, aus seinem Schoß geboren ist? - Er hat in der Zukunft ein sehr wirksames, aber zugleich ein sehr menschliches Mittel, den Boykott. Der Boykott, der noch nicht einmal durch Zwangsmittel unter solchen Voraussetzungen, wie ich es geschildert habe, verhängt zu werden braucht, sondern der sich einfach von selbst ergibt. Wenn eine Genossenschaft für irgendeinen Betrieb und Konsumtionszweig besteht und jemand wird sich auf die Seite stellen wollen, so wird er nicht produzieren können, gerade unter dem Gesetz, daß dann der Kreis, aus dem heraus er produziert, zu klein sein wird. Und in ähnlicher Weise werden andere Voraussetzungen einer Durchkreuzung der wirtschaftlichen Maßnahmen durch den selbstverständlichen Boykott aus der Welt geschafft werden können. Würde etwa jemand glauben, daß der Widerspenstige dann selbst zu einer so großen Genossenschaft kommen könnte, daß er konkurrieren könnte - jener braucht nur nachzudenken über die wirklichen Gesetze des Wirtschaftslebens und er wird wissen, daß er, bis er zu dieser Konkurrenz kommen würde, längst draufgegangen sein muß.