Die Zirkulation der Produktionsmittel als die eigentliche Währungsgrundlage

Quelle: GA 329, S. 100-102, 1. Ausgabe 1985, 19.03.1919, Winterthur

Und das dritte unabhängige Gebiet wird das Wirtschaftsleben selbst sein. Ich kann der Kürze der Zeit willen nur andeuten, wie bedeutsam diese Umgestaltung des Wirtschaftslebens ist. Ich will ein konkretes Beispiel anführen, damit Sie sehen, daß ich Ihnen hier nicht vertrackte Theorien vortrage, sondern dasjenige, was aus dem praktischen Leben heraus ablesbar ist und in das praktische Leben hinein kann. Man braucht nur ein Wort zu nennen, dann steht in diesem Worte mit seinen Gedanken jeder Mensch sogleich im Wirtschaftsleben drinnen - nun, der eine in anderer Art als der andere -, man braucht nur das Wort «Geld» zu nennen. Aber sehen Sie, das Geld kennen ja die meisten Menschen; manche kennen es von den reichlichen Mengen, in denen sie es haben, manchen von den geringen Mengen, in denen sie es haben; aber sie glauben es zu kennen. Was aber Geld im sozialen Organismus eigentlich ist, davon haben, ich will nicht nur sagen, die Alltagsmenschen keine rechte Ahnung, sondern es haben unsere heutigen gelehrten Volkswirtschaftslehrer recht wenig Ahnung von dem, was eigentlich Geld ist.

Die einen sind der Ansicht, das Geld beruhe auf dem Metallwert des Goldes oder des Silbers, der zugrunde liegt; die anderen sind der Ansicht, es sei eine bloße Marke, je nachdem der Staat mehr oder weniger dünne Anweisungen auf Waren und so weiter abstempelt. Man spricht von einem metaphysischen Prozeß des Geldes und so weiter, wie alle die Dinge sind; man hat ja in der Wissenschaft immer das Bedürfnis, recht gelehrte Worte zu wählen. Aber auf das alles kommt es nicht an; sondern die gelehrtesten Herren sind heute darinnen einverstanden, daß für das Austauschmittel Geld etwas da sein müsse. Dasjenige, was da sein müsse, sei der Goldschatz, auf den man immer wieder zurückkommen müsse, damit das Geld einen Wert habe.

Nun läßt sich ja heute, nicht wahr, da England die Weltmacht besitzt und auf Gold besteht, im internationalen Verkehr selbstverständlich die Goldwährung nicht von heute auf morgen überwinden. Aber die Frage muß man doch gerade gegenüber der Gesundung des Wirtschaftslebens aufwerfen: Wie verhält es sich eigentlich damit, daß die Leute sagen, das zirkulierende Geld, gleichgültig in welcher Form, muß immer wieder zurückbezogen werden auf die Menge von Gold, die vorhanden ist in irgendeinem Staat, denn, so sagt man, Gold ist eine beliebte Ware, eine Ware, die längere Zeit ihren Wert nicht verändert. - Alle diese Theorien können Sie ja nachlesen. Man bezieht sich eben darauf, welche vorzüglichen Eigenschaften das Gold hat, um sich repräsentieren zu lassen durch das Geld.

Nun, was ist es denn aber eigentlich, worauf in Wirklichkeit Geld sich bezieht, so bezieht, wie die Nationalökonomen glauben, daß sich das Geld auf das Gold bezieht? Hier ist ein größerer Fortschritt der Wissenschaft notwendig. Eine Antwort ist notwendig, an die die Leute heute noch nicht glauben werden. Ich werde ausführlicher in meinem demnächst erscheinenden Büchelchen über die soziale Frage auch von diesem sprechen. Die Leute behaupten heute noch, nicht an diese Antwort zu glauben. Allein, wer unbefangen hinblickt auf das Wirtschaftsleben, der bekommt zur Antwort, wenn er fragt: Was ist eigentlich der wirkliche, der reale Gegenwert für das zirkulierende Geld? - er bekommt die Antwort, so sonderbar es dem heutigen Menschen noch klingt: Gold ist nur ein Scheinwert, wo er auch sein mag. - Dasjenige, was in Wahrheit dem Gelde entspricht, das ist die Summe aller in einem sozialen Territorium vorhandenen Produktionsmittel, einschließlich Grund und Boden. Darauf bezieht sich alles das, was durch Geld nur ausgedrückt wird. Alle die schönen Eigenschaften, die die Nationalökonomen dem Golde zuschreiben, damit es die Währung abgeben kann, alle diese Eigenschaften, sie sind in Wahrheit zuzuschreiben den Produktionsmitteln. Daher muß gerade aus der Warenzirkulation mit Hilfe des Geldes die Frage resultieren: Wie kann werden dasjenige, was allerdings in immer fortgehender Verwandlung, in immer fortgehender Neugestaltung, aber als ein bester Wert, aller Volkswirtschaft zugrundeliegt, wie kann werden solch eine einheitliche Grundlage des Wirtschaftslebens, wie das Geld selbst, das nur der Repräsentant ist? Alles, was in den Produktionsmitteln lebt, so gemeinsam, wie seiner Art nach das Geld ist, so gemeinsam müssen die Produktionsmittel sein. Das heißt, ihre Zirkulation muß eine solche sein, welche dem entspricht, daß niemand an Produktionsmitteln arbeiten kann als dadurch, daß der gesamte soziale Organismus mitarbeitet.

Zweierlei ist zu berücksichtigen dabei. Erstens, daß dem gesellschaftlichen Organismus Unendliches verloren gehen würde, wenn man die individuellen Fähigkeiten ausschließen würde. Der Mensch soll durch seine individuellen Fähigkeiten, solange er sie hat und solange er sie gebrauchen will, für den sozialen Organismus arbeiten. Aber in dem Augenblicke, wo er nicht mehr für den sozialen Organismus arbeitet, müssen die Produktionsmittel, die er verwaltet, übergeführt werden durch den Rechtsstaat in die Allgemeinheit des sozialen Organismus.