Vom Lebensimpuls der Landwirtschaft und seiner Gefährdung

01.07.2003

Die Konsumenten, die Politik und die Wirtschaft

Wir leben in einer Krisenzeit. Die Arbeitslosigkeit steigt, die Umsätze brechen ein. Selbst die Banken straucheln und entlassen Topmitarbeiter. Die Gürtel müssen enger geschnallt werden. Da ist man froh, wenn man beim Einkauf ein "Schnäppchen", ergattern kann. Die Discounter offerieren Angebote nahezu unter Einstandspreisen. Der Anteil, den die Haushalte für Ernährung ausgeben, sinkt weiter. Von 12 % ist mittlerweile die Rede. Der Trend, immer weniger für die Erzeugnisse der Landwirtschaft auszugeben, setzt sich fort. Ist unter diesen Umständen eine "Agrarwende" möglich?

Als Renate Künast am Anfang des Jahres andeutete, gegen die "Abwärtsspirale bei den Preisen" für Lebensmittel stärker vorzugehen zu wollen, wurde sie sogleich von Presse und Politikern abgestraft. Man wolle sich nicht die Schnäppchenjagd vermiesen lassen. "Die missbrauchten Verbraucher - Renate Künast irrt: Nicht der Discount ist das Problem, sondern die Politik", so titelte z.B. der ZEIT-Redakteur Fritz Vorholz. In seinem Artikel liest man: Renate Künast habe bei ihrem Amtsantritt während der BSE-Krise ganz auf die Verbraucher gesetzt. Anstatt zur teuren Bio-Ware zu greifen, ließen diese sie nun aber im Stich und knauserten. Mit ihrer Warnung vor Dumpingpreisen wolle Künast nur das Wohlverhalten der Käufer erzwingen. Doch die Konsumenten, so der Redakteur, seien mit einem eigenen Beitrag zur Agrarwende überfordert. Abgesehen von einigen wenigen "Überzeugungstätern" glaubten die Konsumenten "zu Recht", mit ihrer individuellen Kaufentscheidung so gut wie nichts zur Lösung der Probleme der Landwirtschaft beitragen zu können. Also greife man mit mehr oder weniger schlechtem Gewissens zur billigeren Ware und warte darauf, dass zunächst einmal die Millionen anderen Verbraucher ihr Konsumverhalten ändern (vgl. Die Zeit Nr. 5, 23. Januar 2003).

Nach dieser Logik, ist von den Konsumenten tatsächlich nichts für eine Agrarwende zu erwarten. Was aber hätte nach Ansicht des Journalisten zu geschehen? Der empfiehlt, die Hände von Preisregulierungsmaßnahmen zu lassen und sich auf Mindeststandards, Vorschriften und deren Überwachung zu beschränken.

In der Tat haben wirtschaftsdirigistische Maßnahmen seitens der Politik selten zu wirklichen Besserungen, oft jedoch zu Verschlimmerungen des Problems geführt. Die Agrarsubventionspolitik der EU gibt dafür ein beredtes Beispiel. Auch ist das gängige Verbraucherverhalten in seiner Gesamtheit von kurzsichtigen, eigennützigen Gesichtspunkten geleitet. Kann da die Politik imstande sein, eine Änderung herbeizuführen? Oder gilt nicht doch, dass erst das Bewusstsein sich ändern muss, wenn das Kaufverhalten sich ändern soll?

Das vergessene Glied im sozialen Organismus

Die heutige Zeit kennt eigentlich nur zwei Gestaltungsbereiche des sozialen Lebens: die Politik und die Wirtschaft. Politische und wirtschaftliche "Maßnahmen" geraten sehr leicht in die Gefahr, das Bewusstsein der Menschen zu manipulieren. Das Verhalten der Verbraucher ist jedoch der Ausdruck ihres individuellen Geisteslebens. Und dieses muss vor jeglicher Manipulation geschützt werden.

Wenn das Verhalten der Menschen einen Zug annimmt, den Vorholz wie eine Art Naturnotwendigkeit darstellt, dann wirft das ein Licht auf die Art und Weise des geistigen Lebens, welches herrschend geworden ist. Doch ist dies eine Naturnotwendigkeit? Unsere Kultur erhält gerade dadurch ihre maßgebliche Gestaltung, dass es überhaupt einige "Überzeugungstäter" gibt, die alles anders machen. Diese Überzeugungstäter – sowohl als Produzenten wie auch als Konsumenten – bilden ein Kulturferment. Das Vorhandensein eines entwickelten biologischen Landbaus ist nur möglich, weil es Menschen gibt, die weiter blicken. Doch diese "wenigen Überzeugungstäter" interessieren den ZEIT-Redakteur Vorholz nicht, da er keinen Begriff von dem geistigen Glied des sozialen Organismus hat. Das Geistesleben ist das vergessene Glied des sozialen Organismus.

Ist es vergessen, weil wirtschaftliche Dynamik und staatliche Eingriffe die Gestaltungskraft des Geisteslebens im Keim ersticken? Die maßgebliche Bedrohung des Geisteslebens ist im Inneren zu suchen. Es bedarf der Menschen, die auch die Kraft haben, geistige Impulse zu verwirklichen. Vor allem dieser Punkt war es, der Rudolf Steiner in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts die größten Sorgen bereitete. In der Zeit, in der er seine grundlegenden Vorträge zur Landwirtschaft in Koberwitz hielt, im Juni 1924, mussten gerade zwei anthroposophische Wirtschaftsunternehmen, die "Der Kommende Tag AG" in Deutschland und die "Futurum AG" in der Schweiz – beides Zusammenschlüsse verschiedener mittelständiger Unternehmen mit anthroposophisch gesinnter Leitung – liquidiert werden. In diesem Zusammenhang macht er vor den Landwirten diese Ausführung:

Gerade die Landwirtschaft ist ja auch in einer gewissen Weise betroffen, in ernstlicher Weise betroffen worden durch das ganze neuzeitliche Geistesleben. Sehen Sie, dieses ganze neuzeitliche Geistesleben hat ja insbesondere in bezug auf den wirtschaftlichen Charakter zerstörerische Formen angenommen, deren zerstörerische Bedeutung von vielen Leuten heute noch kaum geahnt wird. Und solchen Dingen hat entgegenarbeiten wollen dasjenige, was in den Absichten lag der wirtschaftlichen Unternehmungen aus unserer anthroposophischen Bewegung heraus. Diese wirtschaftlichen Unternehmungen sind von Wirtschaftern und Kommerziellen geschaffen worden; allein sie haben es nicht vermocht, dasjenige, was eigentlich ursprüngliche Intentionen waren, nach allen Seiten hin zu verwirklichen, einfach auch schon aus dem Grunde nicht, weil in unserer Gegenwart allzuviele widerstrebende Kräfte da sind, um das rechte Verständnis für eine solche Sache hervorzurufen. Der einzelne Mensch ist vielfach den wirksamen Mächten gegenüber machtlos, und dadurch ist eigentlich nicht einmal bis jetzt das Allerursprünglichste in diesen wirtschaftlichen Bestrebungen, die aus dem Schoße der anthroposophischen Bewegung hervorgegangen sind, es ist das Allerwesentlichste nicht einmal zur Diskussion gekommen." 1

Die Bedeutung des Kosmischen für Landwirtschaft und Wirtschaftsleben

Die Frage nach dem "Allerursprünglichsten der wirtschaftlichen Bestrebungen" stellte Rudolf Steiner vor Landwirten, die eine ganz neue Form des Landbaus suchten und nun die Grundlagen der biologisch-dynamischen Methode entwickelt bekamen. Sie mussten sich darauf einstellen, dass sie sich in ausgesprochen schwierige wirtschaftliche Verhältnisse hereinstellen werden.

Bei der Landwirtschaft komme es, so Steiner, nicht bloß darauf an, dass man die einzelnen Ackerpflanzen in ihren engen Grenzen beschreiben kann, sondern darauf, dass man das ganze Umfeld berücksichtigt, innerhalb dessen sie wachsen. Dieses ganze Umfeld sei aber mehr, als die irdische Umgebung: "Wenn Sie die Rübe in der Erde wachsen haben: sie so zu nehmen, wie sie ist, in ihren engen Grenzen, ist in dem Augenblick ein Unding, wenn die Rübe in ihrem Wachstum vielleicht abhängig ist von unzähligen Umständen, die gar nicht auf der Erde, sondern in der kosmischen Umgebung der Erde vorhanden sind."1 Genau diese kosmische Umgebung habe man in der neueren Zeit immer weniger berücksichtigt: "Und so erklärt man heute vieles, so richtet man vieles im praktischen Leben ein, als ob man es nur zu tun hätte mit den engumgrenzten Dingen und nicht mit den Wirkungen, die aus der ganzen Welt kommen." 1

Die ganze biologisch-dynamische Landwirtschaft baut nun darauf auf, dass sie Erkenntnisse der kosmischen Umgebung mitberücksichtigt, d.h. dass sie Bedingungen schafft, dass diese kosmische Umgebung überhaupt beim Pflanzenwachstum wieder wirksam werden kann. Damit steht sie in radikalem Gegensatz zu der modernen Gentechnik, die Manipulationen an den Pflanzen aus rein irdischen Gesichtspunkten vornimmt. Gerade die Einbeziehung des Kosmos aber gehört zu dem Allerwesentlichsten der biologisch-dynamischen Anbaumethode. Es ist ihr Lebensimpuls! In welcher Weise könnte ein solcher Aspekt bei den Fragen des Wirtschaftslebens Berücksichtigung finden? Wie sollte da die kosmische Umgebung mit eingebunden werden können?

Eine Antwort auf diese Frage kann in dem liegen was Steiner unter "menschlicher Individualität" versteht. Um seine Individualität ausbilden zu können, musste der Mensch ein Welt- und Selbsterleben ausbilden, welches ihn ganz vom Kosmos absonderte. Dieses vollzog sich mit der Entwicklung des auf Beobachtung der äußeren Tatsachen gestützten Denkens. Auch das Denken der Wirtschaftspraktiker ist durch dieses naturwissenschaftliche Denken geformt. Eine Beziehung zum Kosmos, die auf eigenes Erleben gründet, ging verloren. Die Individualität gründet sich nun aber nicht auf das Ablösungserlebnis selbst; im Gegenteil: sie geht in der Ablösung mehr und mehr unter. Gelingt es dem Menschen, sein Denken aus eigener Kraft so umzuarbeiten, dass er sich zu seiner kosmischen Umgebung in ein bewusstes Verhältnis setzen kann, dass er also aus dieser die Impulse seines Handelns nimmt, dann beginnt er erst, seine Individualität zu verwirklichen.

Den Landwirten gab Rudolf Steiner Hinweise, wie der Kosmos im ganzen Naturgeschehen wirksam ist, und mit welchen Maßnahmen diese Wirksamkeit zu unterstützen sei. Diese geisteswissenschaftlichen Hinweise müssen in der Praxis zum konkreten individuellen Erleben werden. Genau aber durch eine solche geistige und zugleich praxisbezogene Arbeit kann die eigene Individualität entwickelt werden. Die Landwirtschaft hat hier durch ihre Nähe zur Natur einen großen Vorzug gegenüber anderen Wirtschaftsbetrieben. Je mehr sich nämlich das Wirtschaftsgeschehen vom Naturpol ablöst, desto schwerer wird es, einen solchen Bezug zu einer kosmischen Umgebung zu finden. An die Stelle setzt sich die rein äußerlich organisierende Tätigkeit, die dem Leben nicht mehr gerecht wird.

Ganzheitliches Wirtschaften heute

Die biologisch-dynamische Landwirtschaft kann in Bezug auf das Geistesleben, welches ihr zugrunde liegt, ein Vorbild für die ökonomische Tätigkeit in anderen Bereichen des Wirtschaftslebens werden. Vom Gesichtspunkt des Geisteslebens hat man darauf zu sehen, wie sich der individuelle Mensch mit seinen konkreten Fähigkeiten in einen Zusammenhang - hier also der Landwirt in seinen Hoforganismus - hineinstellt. Vom Gesichtspunkt des Wirtschaftslebens aus hat man darauf zu sehen, wie sich die Landwirtschaft in den wirtschaftlichen Gesamtprozess eingliedert.

Dem Landwirt, der nach biologisch-dynamischer Methode arbeiten will, wäre beispielsweise die "wirtschaftliche" Frage: "Wie hoch ist der Schweinepreis? Wie viel Schweine muss ich halten, damit ich einen guten Ertrag habe?", ein Unding. Er fragt anders, d.h. vermeintlich "unwirtschaftlich", nämlich: Wie viel und welche Tiere muss ich auf meinem Hof halten, damit der Hoforganismus sich gesund entwickeln kann? Das heißt nicht, dass er keine Ertragsziele hat. Dennoch sind diese dem allgemeinen Ziel, das der Hoforganismus als Ganzes gesund sein muss, untergeordnet. Er steht in seinem Hoforganismus eigentlich wie ein Künstler, der während der Arbeit ständig empfinden muss: "Wie wirkt das, was ich jetzt mache, auf das Ganze? Wird es aus dem Gleichgewicht gebracht oder fügt es sich harmonisch ein?" Er weiß aber auch, dass ein gesunder Hoforganismus, vor allem langfristig (also nachhaltig!) genügend Überschüsse abwirft. Die sollten sich entsprechend vermarkten lassen.

Nur steht dem ein Wirtschaftsleben entgegen, welches etwas anderes fordert. Dessen Devise ist: "Schau hin, was gebraucht wird und produziere dieses. Was gebraucht wird, signalisiert dir der Preis. Je mehr du von einer Sache herstellen kannst, desto höher wird dein Ertrag sein!" Diese Logik fordert den landwirtschaftlichen Spezialbetrieb in einer Weise, die sich immer mehr von dem, was die Natur fordert, ablöst. Mit den entsprechenden Folgen für die ganze Umwelt! Der landwirtschaftliche Produzent kann, wenn er auf diese Weise wirtschaftet und geschickt staatliche Zuschüsse einstreicht durchaus auch heute noch Gewinne machen. Der Konsument bekommt billige Ware und bezahlt über die Steuern die Folgekosten dieser Produktion. Der biologisch-dynamisch wirtschaftenden Landwirt hingegen, der seine Überschüsse vermarkten will, wird immer wieder feststellen müssen: Zwar habe ich hochwertige Produkte; der Preis aber, der für diese Produkte realisierbar ist, verschafft mir ein Einkommen, von dem ich nicht leben kann.

Ein "landwirtschaftszentrisches" Wirtschafts-Weltbild

Der Lebensimpuls der Landwirtschaft ist durch eine ihr fremde "wirtschaftliche Denkweise" in hohem Maße gefährdet. Zwar stehen auf der einen Seite immer mehr Produkte für den individuellen Konsum zur Verfügung. Doch die Lebensumwelt des Individuums wird immer ärmer. Ist wirklich die Wirtschaftsweise dem Menschen am zuträglichsten, die ihm die größte Vielzahl und differenziertesten Produkte zur Verfügung stellt? Die meisten Menschen werden diese Frage mit Nein beantworten. Und dennoch treibt uns das Wirtschaftsleben mit "naturhafter Selbstverständlichkeit" in diese Situation. Einen Ausweg wird es nur geben, wenn man Ansätze findet, diese "wirtschaftliche Denkweise" in ihren berechtigten Grenzen zu halten. Die Denkweise, die der biologisch-dynamischen Landwirtschaft zu-grunde liegt, kann hier eine Orientierung geben. Sie muss nur in richtiger Weise auf den ganzen Wirtschaftsorganismus angewendet werden können.

Heute wird nahezu jedes "wirtschaftliche Projekt" verwirklicht, wenn es einen angemessenen Ertrag verspricht. Die Frage, wie sich dieses Projekt denn in das wirtschaftliche Ganze einfügt, wird nicht gestellt; sie kann auch nicht gestellt werden, da es gar keine Instanz gibt, die diese Frage stellen könnte. Und dennoch müssten sich solche Instanzen aus der Wirtschaft herausbilden, wenn der Wirtschaftsorganismus gesund werden soll. Einer solchen Instanz würde die Landwirtschaft zum zentralen Parameter für die Gesundheit des gesamten Wirtschaftsorganismus werden. Kann die Landwirtschaft sich in einer Region gesund entfalten, dann stehen auch die industrielle Produktion sowie der Dienstleistungsbereich in einem gesunden Verhältnis zum Ganzen. Bestehen zu viele nicht-landwirtschaftliche Wirtschaftsinitiativen, dann wird die Landwirtschaft genötigt, ihre Ertragsziele der Frage nach dem, was der einzelne Hoforganismus verkraftet, überzuordnen. Denn das "Mehr" an solchen Wirtschaftsunternehmungen ist nur dadurch möglich, dass die Landwirtschaft weniger für Ihre Leistungen bekommt. Dieses Weniger müssen sie durch entsprechende Maßnahmen kompensieren. 2

Die Ausbildung der Assoziation - so bezeichnet Steiner die beschriebene Instanz - ist daran gebunden, dass im Geistesleben Entwicklungen im angedeuteten Sinne stattfinden (vgl. auch Kasten S. 5). Sie wird dann in den jeweiligen Regionen beginnen. Die Menschen in den Regionen können eine unmittelbare Wahrnehmung davon haben, wie es um ihre ortsansässige Landwirtschaft bestellt ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die verschiedenen Regionen völlig unterschiedliche Landwirtschaften zulassen und dass bei gleichem Arbeitsaufwand ganz verschiedene Erträge zu erwarten sind. Bei der Landwirtschaft geht es aber, wie oben schon gezeigt, um mehr als bloß um den Ertrag. Die wirtschaftenden Menschen müssen einsehen lernen, dass durch die Landwirtschaft sich das Wirtschaftsleben in die Natur eingliedert und dass die richtige Eingliederung einen wesentlich höheren Wert darstellt, als kurzfristige Ertragsziele. Nur macht das notwendig, dass im Wirtschaftsleben bewusst Ausgleiche zwischen den Regionen hergestellt werden. Aus den "Marktkräften" heraus kann sich ein solcher Ausgleich niemals ergeben. Ebenso wenig ist der Staat die geeignete Instanz. Es geht nur, wenn die betroffenen Menschen der verschiedenen Regionen sich in überregionalen Assoziationen zusammenfinden und die entsprechenden Ausgleiche verhandeln. Es liegt in der Natur der Sache, dass man, je mehr man in die Fragen der regionalen Assoziationen hereinkommt, desto mehr mit Fragen der Landwirtschaft zu tun hat und umgekehrt: je mehr man es mit überregionalen Fragen zu tun hat, desto mehr ist die Fragen des Kapitals betroffen . Das Kapital tendiert zum Globalen; es ist die dynamisierende Kraft des Wirtschaftslebens; die Landwirtschaft tendiert zum Regionalen; sie bildet den Ruhepol, um den das ganze Wirtschaftsleben kreisen können sollte. Der Ruhepol selbst darf nicht in das dynamische Geschehen herein gezogen werden, wenn der Wirtschaftsorganismus gesund bleiben soll.

In der Tat ist das Kapital der (heimliche) Gestalter des Wirtschaftslebens. Wird es wie eine Ware auf "Kapitalmärkten" gehandelt, dann begibt sich der Mensch der Möglichkeit einer bewussten Gestaltung der Wirtschaftsprozesse. Die Kapitalprozesse verselbständigen sich dann und können allenfalls von kleinen, mächtigen Gruppen so manipuliert werden, dass sie deren Interessen dienen. Gelingt es hingegen, das Kapital in die Verwaltung der Individualität zu bringen, dann ist durch diese die Verbindung zum Kosmos hergestellt. Es sind dann nicht irdische egoistische Wirtschaftsimpulse, die sich durch den Kapitaleinsatz verwirklichen, sondern solche, die, vom menschlichen Bewusstsein her geleitet die Gesamtheit des Wirtschaftsorganismus und die echten Bedürfnisse der Menschen im Auge behalten.

Die Kraft der "Überzeugungstäter"

Die Gestaltung des Wirtschaftslebens durch Assoziationen wird erst möglich sein, wenn zuvor ein entsprechender geistiger Impuls im Kulturleben sich geltend gemacht hat. Es kann aber nicht angehen, nur darauf zu warten, bis ein solches Ereignis eintritt. Gerade weil die Situation für die Landwirte ausgesprochen schwierig ist, brauchen sie die Unterstützung solcher Konsumenten, die in der Lage sind, die Dimension dieser Landwirtschaftsaufgabe zu begreifen.

Produkte aus biologisch-dynamischem Anbau sind selbstverständlich teuerer als der Einkauf im Discounter. Und Familien, die vielleicht schon Schulgeld für die Waldorfschule zahlen, vielleicht noch auf die musikalische Ausbildung ihrer Kinder großen Wert legen, können schnell auch an ihre finanzielle Grenzen kommen. Doch in vielen Budgets ist mehr Spielraum, als man denkt. Und für die Landwirtschaft ist es ein Segen, wenn sie ihre Kulturleistungen über den Verkaufspreis ihrer Produkte entgolten bekommt. Ein Fluch ist es, wenn sie als Bittsteller um "Zuschüsse" bei staatlichen Instanzen anbetteln muss.

Natürlich werden es immer wenige sein, die aus Überzeugung bereit sind, auf diesem Wege den biologisch-dynamischen Anbau mitzutragen. Aber diese Überzeugungstäter – sowohl die Produzenten als auch die Konsumenten – bilden ein Kulturferment. Und dieses Kulturferment bereitet die Grundlage für die zukünftige Entwicklung der Menschheit. Dazu kann jeder einzelne durch sein bewusstes Verhalten beitragen.

1 Rudolf Steiner, Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft – Landwirtschaftlicher Kurs (GA 327), Vortrag vom 7. Juni 1924, S. 27f.

2 vgl. Martin Hollerbach, "Vom falschen Preis und seiner Wirkung", in: Landwirtschaft & Ernährung, Ausgabe 2002, Seite 5 (Heft kann noch nachbestellt werden!)


Weiterführender Links
Zum Verhältnis von Geistesleben und Wirtschaftsleben: www.dreigliederung.de/essays/2003-07-002.html


Quelle: Gleichnamiger Aufsatz in "Landwirtschaf und Ernährung" 07/2003, vom Autoren genehmigter Nachdruck.