Zweites Memorandum – Zweite Fassung

22.07.1917

Die Memoranden liegen in drei Fassungen vor:

[ZWEITES MEMORANDUM, ZWEITE FASSUNG]

Manuskript
(Juli 1917)

«Kein Volk darf gezwungen werden, unter einer Herrschaft zu leben, der es widerstrebt. Besitzwechsel und Rückkehr in früher gültiges Hoheitsverhältnis ist nur in den Ländern zu gestatten, wo das Volk selbst zur Sicherung seiner Freiheit, seines Behagens und Zukunftsglückes Wechsel und Rückkehr verlangt ... Die befreiten Völker der ganzen Erde müssen sich in aufrichtigem Gemeinschaftsempfinden ... zu einem festen Bund verknüpfen, der mit den geeinten Kräften aller den Frieden und die Gerechtigkeit im Völkerverkehr zu schirmen vermag. Brüderlichkeit darf nicht länger ein leeres Wort sein: muss ein allgemein anerkannter Begriff werden, der auf dem Fels der Wirklichkeit ruht.»

So umschreibt Herr W. Wilson, was durch die Teilnahme Amerikas an diesem Kriege Wirklichkeit werden soll. Bestechende Worte sind es, denen gegenüber man sagen kann, dass sich jeder vernünftige Mensch mit gesundem Empfinden zu ihnen bekennen müsse. Schriebe sie ein schriftstellernder Menschenfreund zur Erbauung eines Leserkreises nieder, man könnte bei der Anerkennung ihrer Selbstverständlichkeit stehen bleiben. Man könnte auch mit der Geste des Moralisten versichern, dass der kein Freund des Fortschrittes und der Freiheit sein könne, der etwas dagegen einwenden will. Man kann sogar heute schon Stimmen vernehmen, die betonen, dass dieser Krieg doch die Lehre gebracht habe: Nur derjenige treibe gegenwärtig höhere, zeitgemäße Politik, der sich zu einem solchen oder einem ähnlichen Ideale bekenne und sein Handeln darnach einrichte.

Reden über «Anschauungen» und davon, dass diese oder jene Anschauung vertreten werden müsse, weil man an sie glaubt, führt niemals zu einer Grundlage für das praktische Handeln. Dazu taugt allein, die Wirklichkeit scharf ins Auge zu fassen. Für den Angehörigen der mitteleuropäischen Staaten kann keine Auseinandersetzung über die «allgemein-menschliche» Berechtigung der Ententeziele, gewissermaßen eine solche über ihre «Schönheit» von Wert sein, sondern allein die Erkenntnis von ihrem wirklichen Kräfteverhältnis im Völkerleben. Deshalb wird im Folgenden die für Europa wirkliche Gestalt der Ententeziele ins Auge gefasst ohne Rücksicht darauf, dass, was hier gesagt wird, den Ententeführern nicht angenehm klingen kann. Nur durch ein so orientiertes Denken kann man zu praktischen Impulsen kommen. Die Dinge werden etwas scharf formuliert werden, weil sie dieses aus den angegebenen Gründen müssen. Ausdrücklich bemerkt soll werden, dass vorhandene Stimmungen bei dieser Formulierung keine Rolle spielen sollen, sondern allein die nüchternen Beobachtungen der Tatsachen in den letzten Jahrzehnten. Was die Entente will, einzusehen, muss Grundlage sein für die in Mitteleuropa zu findenden Richtlinien; sich blenden lassen durch das, was sie sagt, führt auf die schlimmsten Abwege.

Es ist jedenfalls eine undankbare Aufgabe, gezwungen zu sein, sich gegen Vorstellungen wenden zu müssen, welche in hohem Grade die Vernunft und das Herz der Menschen für sich zu haben scheinen. Die noch dazu das Ergebnis der «wahren geschichtlichen Entwickelung der Menschheit zur edelsten Demokratie» zu sein scheinen. Und dennoch muss das Folgende auf der Grundlage erbaut sein, dass das Bekenntnis zu Wilsons Wollen nicht nur dem Angehörigen der mittel- und osteuropäischen Völker ein logisches Laster sein muss, sondern auch, dass innerhalb dieses Krieges und nach demselben jede einzelne Handlung und Maßnahme so geschehen müssen, dass dieses Wilson'sche und Entente-Wollen an der Gesundheit und Fruchtbarkeit dieser Maßnahmen und Handlungen sich brechen muss.

In den Ausdruck, den Herr Wilson seinem Wollen gegeben hat, sind die nach Verdunklung ihrer wahren Gestalt strebenden Kriegsziele der Entente auf fragwürdige Art hineingeheimnisst. Man hat es mit den Letztern zugleich zu tun, wenn man sich mit den Erstern zu schaffen macht. Auf eine noch so geistreiche begriffliche Widerlegung des Wilson'schen «Programmes» darf es in dieser Zeit nicht ankommen. Man hat es gegenwärtig nicht mit Auseinandersetzungen zu tun, die entscheiden sollen, wer recht oder unrecht hat. Auf dem Felde, um das es sich hier handelt, hat nur Wert, was geschieht oder was den Keim für das Geschehen in sich trägt. Und Gedanken, die in Mitteleuropa als Keime für das Handeln von heute und morgen gedacht und besprochen werden, haben nur Wert, wenn sie in diesem Sinne gehalten sind.

Wilsons Worte sind nicht von einem schriftstellernden Menschenfreund gesprochen. Sie sind die Fahne für Taten, zu denen sich die Amerikaner waffnen, und welche die Entente seit drei Jahren gegen Mitteleuropa vollbringt. Die Tatsachen stehen so, dass Mitteleuropa gegen das zu kämpfen hat, das hinter dieser Fahne behauptet, zum Heile der Menschheit, zur Befreiung der Völker zu Felde zu ziehen. Die Entente und Wilson sagen, wofür sie zu kämpfen vorgeben. Ihre Worte haben Werbekraft. Ihre Werbekraft wird immer bedenklicher. Es gibt Menschen in Mitteleuropa, die gewiss nicht eingestehen wollen, dass sie Wilson nachsprechen, deren Ideen aber dessen Worten nicht unähnlich klingen.

Wer den Ursprung dieses Krieges in einem tieferen Sinne kennt, der kann nicht anders, als die Notwendigkeit betonen, dass das Entente-Wilson-Programm durch Mitteleuropa die schärfste Zurückweisung durch Tatsachen erfährt. Denn das real Aussichtsvolle dieses Programmes – neben seinem moralisch Blendenden – liegt darinnen, dass es die Instinkte der mittel- und osteuropäischen Völker dazu benützen will, diese Völker durch moralisch-politische Überrumpelung in wirtschaftliche Abhängigkeit von dem Anglo-Amerikanismus zu bringen. Die geistige Abhängigkeit würde dann nur die notwendige reale Folge sein. Wer weiß, dass man in eingeweihten englischen Kreisen seit dem vorigen Jahrhundert von dem «kommenden Weltkrieg» sprach als von dem Ereignis, das der anglo-amerikanischen Rasse die Weltherrschaft bringen müsse, der kann keinen besonderen Wert darauf legen, dass die Führer der Ententevölker sagen, sie seien von diesem Kriege überrascht worden oder sie haben ihn verhindern wollen, selbst wenn diese Versicherungen bei denen, die sie augenblicklich aussprechen, subjektive Wahrheit haben sollten. Denn diejenigen, welche von dem «kommenden Weltkrieg» als einem unabwendbaren Ereignis sprachen, rechneten mit den wirklichen historisch-völkischen Kräften Europas. Sie rechneten mit den Instinkten der europäischen, namentlich der slavischen Völker. Und sie wollten die Ideale dieser slavischen Völker so lenken und so benützen, dass sie dem Völkeregoismus des Anglo-Amerikanertums dienstbar seien. Sie rechneten ferner mit dem Untergang des Romanentums, auf dessen Trümmern sie sich selbst ausbreiten wollen. Sie rechneten also mit großzügigen historisch-völkischen Gesichtspunkten, die sie in den Dienst ihrer eigenen Ziele stellen wollen. Und diese Ziele führen, ob dieses auch noch so stark abgeleugnet wird von Ententeseite, zur Absicht, die mitteleuropäischen Staatengebilde zu zermalmen.

Das Richtige ist, ganz niichtern zu betonen, dass das Ziel der Ententeführer die Zerdrückung Mitteleuropas ist, denn nur die Betonung dieses Zieles kann die Antwort sein auf die so wirksamen Entente-Aussagen. Aber eine Antwort, die gewissermaßen negativ ist, weil sie das widerlegen will, was auf der Ententeseite gesagt wird, hat keinen Wert. Deshalb soll die folgende Antwort positiv sein, das heißt auf die Tatsachen hinweisen, die von Mitteleuropa aus der Entente gegenüberstehen.

Nur die Erkenntnis, dass dieses so ist, kann Mitteleuropa diejenigen Impulse bringen, welche aus dem Chaos der Gegenwart herausführen. Die mitteleuropäischen Staatsgebilde können sich nur auf den Standpunkt stellen, das Ententeprogramm durch ihre eigenen Maßnahmen unwirksam zu machen. Dieses Ententeprogramm beruht – ob mehr oder weniger ausgesprochen oder unausgesprochen – auf drei Voraussetzungen:

  1. dass die historisch gewordenen mitteleuropäischen Staatsgebilde nicht als diejenigen – vorn Standpunkte der Entente – anerkannt werden dürfen, welchen es obliegt, die europäischen Völkerprobleme zu lösen;
  2. dass diese mitteleuropäischen Staatsgebilde wirtschaftlich nicht in einem Konkurrenz-, sondern in einem Abhängigkeitsverhältnisse vorn Anglo-Amerikanertum stehen müssen;
  3. dass die kulturellen (geistigen) Verhältnisse Mittel- und Osteuropas so geordnet werden, wie es im Sinne des Volksegoismus des Anglo-Amerikanertums ist.

Nur wer vermag zu erkennen, dass die Übersetzung dieser drei Punkte in die Wilson-Entente-Sprache die ist, welche Wilson in seinem Sendschreiben an die Russen angewendet hat, der durchschaut, urn was es sich handelt.

Es könnte auch sein, dass wir durch die zwingende Lage der Tatsachen in der nächsten Zeit einen Frieden erhalten. Vielleicht, wenn England sieht, dass es sich augenblicklich nicht mehr länger halten kann, ohne seine Zustimmung zur Beendigung des Krieges zu geben. Das alles ändert am Wesentlichen auf Seite des Anglo-Amerikanertums nichts. Wenn es dieses Anglo-Amerikanerturn möglich findet, den Krieg fortzusetzen, dann wird es weiter die obigen drei Punkte in die Formel des Wilson'schen Sendschreibens kleiden: «Nach diesem Ziele haben wir immer hingestrebt, und knauserten wir jetzt mit Blut und Geld, so kämen wir vielleicht nie in die Einheit und Kraft, die im Kampfe für die große Sache der Menschheitsbefreiung notwendig sind.» Sind die führenden Mächte Englands genötigt, in der nächsten Zeit den Krieg zu Ende kommen zu lassen, dann wird die künftige Politik, die im Sinne der obigen drei Punkte weiter orientiert sein würde, in die Formel gebracht werden: «Wir haben für die Menschheitsbefreiung Geld und Blut opfern wollen, wir haben es in hohem Grade getan, während die mitteleuropäischen Mächte nur auf das Entgegengesetzte bedacht waren. Wir haben gegen die Gewalt vorläufig nur Teilweises erreichen können. Unser Ziel steht uns ungeschmälert vor Augen, weil es das Ziel der Menschheit selbst ist.»

Dem, was in diesen Absichten tatsächlich liegt, wird man nur wirklich gewachsen sein, wenn man in Mitteleuropa praktisch nach der Erkenntnis handelt: Im Westen nennt man die Herrschaft des Anglo-Amerikanerturns Menschheitsbefreiung und Demokratie. Und weil man dies tut, erzeugt man den Schein, als ob man auch wirklich ein Menschheitsbefreier sein wollte.

Wirksam gegen die Folgen dieses ungeheuerlicher Blendwerkes, gegen die Folgen eines selbstverständlichen Rassenegoismus im Gewande einer unmöglichen Moral kann nur sein die eigene Einstellung Mitteleuropas auf die volle Wahrheit der Tatsachen. Und diese Wahrheit ist:

  1. Mit der Erreichung der Ententeziele in Bezug auf die mitteleuropäischen Staatsgebilde geht die wirkliche europäische Freiheit verloren. Denn diese Staatsgebilde können sie verwirklichen, weil sie im Interesse dieser Staatsgebilde selbst liegt, und Staaten nicht anders handeln können, als indem sie ihre Interessen im Auge haben. Der Anglo-Amerikanismus kann diese Völkerfreiheit nicht verwirklichen, weil sie, sobald sie vorhanden ist, gegen das Interesse der anglo-amerikanischen Staatsgebilde ist, solange dieses Interesse so ist, wie es jetzt ist, und wie es diesem Kriege mit tatsächlicher Notwendigkeit sein Gepräge gegeben hat. Die anglo-amerikanischen Staaten müssen eben einsehen, dass sie das Interesse der mitteleuropäischen Staaten neben sich respektieren müssen, und dass sie die Ordnung der mitteleuropäischen Völkerfreiheiten den mitteleuropäischen Staaten überlassen müssen, die allein ihr wirkliches Staatsinteresse in der Förderung dieser Freiheiten sehen können.
  2. Dieser Krieg ist vom mitteleuropäischen Gesichtspunkt nach Osten hin ein Völkerkrieg, nach Westen – gegen England-Amerika – ein Wirtschaftskrieg. Der Revanchekrieg gegen Frankreich ist nur durch die Verquickung der Revancheidee mit den englisch-amerikanischen Wirtschaftsinteressen und den russisch-slavischen Völkeridealen möglich geworden.
  3. Die Völkerbefreiung ist möglich; sie kann aber nur das Ergebnis, nicht die Grundlage der Menschheitsbefreiung sein. Sind die Menschen befreit, so werden es durch sie die Völker.

Mitteleuropa kann, wenn es will, im Sinne dieser drei Grundlagen handeln. Und sein Handeln wird ein Tatsachenprogramm sein. Es wird so handeln, wenn es ein sachliches Programm der Menschheitsbefreiung dem Entente-Wilson'schen Programm entgegenstellen wird, welches ganz ohne alle Kenntnis der mitteleuropäischen Völkerkräfte von etwas spricht, das in der Welt der Tatsachen nicht, nur in den Aspirationen der angloamerikanischen Rassenegoismen vorhanden ist. Das hier für Mitteleuropa als richtig angesehene Programm ist nicht radikal in dem Sinne, in dem man in vielen Kreisen vor dem Radikalismus zurückschreckt. Es ist vielmehr nur ein Ausdruck für die Tatsachen, welche sich durch ihre eigene Kraft in Mitteleuropa verwirklichen wollen. Sie sollten mit vollem Bewusstsein verwirklicht werden, nicht verborgen gehalten werden, um im Nebel der Entente-Wilson-Ziele doch ihrer Verwirklichung durch ihre eigene Natur entgegenzustreben und dadurch korrumpiert zu werden, und zum Anstoß und Vorwand für kriegerische Verwickelungen zu werden.

Die rechte Verwirklichung wird nie geschehen, wenn das, was Mitteleuropa wollen muss, verdeckt bleibt durch die unnatürliche Vermischung von politischen, wirtschaftlichen und allgemein menschlichen Interessen.

Denn die politischen Verhältnisse fordern, wenn sie gedeihen sollen, den gesunden Konservatismus im Sinne der Erhaltung und des Ausbaues der historisch gewordenen Staatsgebilde. Gegen diesen Konservatismus, der für Mitteleuropa eine Lebensbedingung ist, sträuben sich die wirtschaftlichen und die allgemein-menschlichen Interessen nur so lange, als sie durch ihre Vermischung mit ihm zu leiden haben. Und der politische Konservatismus hat, wenn er sich auf sein wahres Interesse besinnt, nicht die geringste Veranlassung, sich durch das Zusammenwerfen mit wirtschaftlichen und allgemein-menschlichen Interessen seine berechtigten Kreise fortwährend stören zu lassen. Hört die Vermischung auf, dann versöhnen sich die wirtschaftlichen und die allgemein-menschlichen Verhältnisse mit dem politischen Konservatismus, und dieser kann sich seinem eigenen Wesen gemäß ruhig entwickeln.

Die wirtschaftlichen Verhältnisse fordern zu ihrem Gedeihen den Opportunismus, der ihre Ordnung nur nach ihrem eigenen Wesen zustande bringt. Es muss zu Konflikten führen, wenn die wirtschaftlichen Maßnahmen in einem anderen Zusammenhang mit politischen und allgemein-menschlichen Anforderungen stehen, als bloß in einem solchen, der sich bei ihnen zukommenden eigenen Gesetzgebungen und Verwaltungen durch den selbstverständlichen Lebenszusammenhang ergibt. Gemeint sind hier nicht etwa bloß innerstaatliche Konflikte, sondern vorwiegend solche, welche nach außen hin in politischen Schwierigkeiten und in kriegerischen Explosionen sich entladen.

Die allgemein-menschlichen Verhältnisse und die mit ihnen zusammenhängenden Völkerfreiheitsfragen fordern im Sinne der Gegenwart und der Zukunft zu ihrer Grundlage die individuelle Freiheit des Menschen. In diesem Punkte wird man nicht einmal einen Anfang mit sachgemäßen Anschauungen machen, solange man glaubt, von einer Freiheit oder Befreiung der Völker könne gesprochen werden, ohne dass man diese auf der Grundlage der individuellen Freiheit des Einzelmenschen aufbaut, und solange man nicht einsieht, dass mit der wirklichen individuellen Freiheit die Befreiung der Völker auch notwendig gegeben ist, weil sie als Folge der ersteren durch einen naturgemäßen Zusammenhang sich einstellen muss. Der Mensch muss sich zu einem Volk, zu einer Religionsgemeinschaft, zu jedem Zusammenhange, der sich aus seinen allgemein-menschlichen Aspirationen ergibt, bekennen können, ohne dass er in diesem Bekenntnisse von seinem politischen oder wirtschaftlichen Zusammenhange durch die Staatsstruktur abgehalten wird. Darauf kommt es an, einzusehen, dass alle Formen der Staatsstruktur als historisch Gewordenes fähig sind, die Menschheitsbefreiung durchzuführen, wenn sie durch ihr eigenes Interesse darauf gewiesen sind, was im eminenten Sinne gerade bei den mitteleuropäischen Staaten der Fall ist. Eine parlamentarische Gestaltung dieser Staaten mag aus Gründen der Zeitentwickelung und des Völkerempfindens heute als notwendig angesehen werden. Mit den Fragen, die angesichts dieser Kriegswirren jetzt in die Weltöffentlichkeit geworfen werden müssen, hat nur die charakterisierte Dreigliederigkeit der Staatsstruktur zu schaffen. Die bloße Frage nach dem Parlamentarismus ändert an den Verhältnissen, die in das gegenwärtige Chaos geführt haben, nichts. Von diesem reden die westlichen Völker so viel, weil sie von den mitteleuropäischen Verhältnissen nichts verstehen und dem Glauben sich hingeben, was für ihre Interessen von ihnen für das richtige gehalten wird, müsse als Allerweltsschablone dienen. Für Mitteleuropa gilt, auch wenn Parlamentarismus herrschen soll, dann ein solcher, in dem die politischen, die wirtschaftlichen und die allgemeinmenschlichen Verhältnisse unabhängig voneinander in Gesetzgebung und Verwaltung sich entfalten, und so sich gegenseitig stützen, statt sich in ihren Wirkungen nach außen zu verstricken und in Konfliktsstoffen zu entladen. Mitteleuropa befreit sich und die Welt von solchen Konfliktsstoffen, wenn es die angedeutete gegenseitige Störung der drei menschlichen Lebensformen in seinen Staatsstrukturen ausschließt. Keine Entente-ziele und keine Wilsonischen Ziele können aufkommen gegenüber der Kraft, die von Mitteleuropa aufgezeigt wird, wenn dieses der Welt vorstellt, was nur es allein vermag, und was niemand anderer vollbringen kann. Die Menschheits- und damit die Völkerbefreiung wird als ein notwendiger Teil der mitteleuropäischen Staats- und Völkerinstinkte vor der Welt aufgestellt, wenn sie so, wie hier angedeutet, als tatsachenverbürgender Impuls in die Geschehnisse der Gegenwart hineingeworfen werden.

Was hier ausgeführt ist, soll nicht ein utopistisches Programm vorstellen. Es soll nicht historische Rechte und Rechtsgefüge aus der Welt schaffen. Es stellt für den, der es genau betrachtet, etwas dar, das mit völliger Beachtung aller historischen Berechtigungen bei Anerkennung der tatsächlichen Verhältnisse ohne irgendwelche Bedenken aus den gegenwärtigen Staatsstrukturen herauswachsen kann. Es ist daher selbstverständlich, dass sich das hier Auszuführende alles Eingehens auf Einzelheiten enthält. Solche Einzelheiten ergeben sich bei wirklich praktisch gedachten Impulsen erst in der Ausführung. Nur der Utopist kann im Einzelnen ausführen, dafür aber sind seine dem abstrakten Denken entsprungenen Aufstellungen auch nicht durchführbar. Was hier gesagt wird, darf nur in allgemeinen Richtlinien auftreten. Diese Richtlinien aber sind eben nicht erdacht, sondern an den mitteleuropäischen Lebensverhältnissen beobachtet. Das verbürgt, dass sie sich gerade dann bewähren werden, wenn die Praxis darangeht, sie als Richtlinien zu benützen. Wovon hier geredet wird, das ist gewissermaßen als Lebensbedürfnis schon da. Es handelt sich nur darum, diesem Lebensbedürfnis zu dienen. Und auch deswegen braucht über das einzelne jetzt nicht gesprochen zu werden, weil dieses eine innere Angelegenheit der mitteleuropäischen Staaten ist. In diesem Augenblick ist nur nötig, so viel von der Sache vor der Welt geltend zu machen, als Bedeutung nach außen hat. Worauf es ankommt, das ist, aus dem mitteleuropäischen Leben heraus die Impulse zu zeigen, die in diesem wirklich liegen, und dies so zu zeigen, dass die westlichen Gegner sehen, dass sie bei einer weiteren Fortsetzung des Krieges sich diesen unverwüstlichen Impulsen gegenübergestellt finden müssen. Es wird dadurch den Ententeführern etwas entgegengestellt, nicht bloß entgegengehalten, was ihnen bis jetzt nicht entgegengestellt worden ist, und was sie durch kein Kriegsprogramm von ihrer Seite bezwingen können. Eine solche vor der Welt geführte Sprache, wie sie hier gemeint ist, die den Keim von Tatsachen in sich trägt, muss Folgen haben. Die Ausgleichung mit Russland braucht im gegenwärtigen Augenblicke für das hier angegebene nicht gesucht zu werden, denn diese Ausgleichung muss sich im Verfolg der Sache von selbst ergeben. Und die Einsicht, dass ein solches Ergebnis eintreten muss, wird bei den russischen Führern Impulse zeitigen, die nur günstige Folgen haben können. Immer muss bei alledem in Betracht gezogen werden, was das Angedeutete nicht zunächst als innere Staatsangelegenheit bedeutet, sondern was es bedeutet als Manifestation nach außen innerhalb des gegenwärtigen Weltkonfliktes zu seiner Beendigung, namentlich im politischen Kampfe mit den Manifestationen der Ententeführer und Wilsons. Das Innere kommt in diesem Falle in einem ähnlichen Sinne in Betracht, wie die Tatwirkungen des Denkens eines Menschen für andere Menschen eine Realität sind, trotzdem die Art, wie er denkt, nur eine innere Angelegenheit seiner Organisation ist. Er hat aber nur nötig, über die Wirkung seines Denkens mit andern sich auseinanderzusetzen, nicht über die Verfassung seines Inneren.

In Gesetzgebung, Verwaltung und sozialer Struktur die Trennung des Politischen, Wirtschaftlichen und des Allgemein-Menschlichen als Ziel des mitteleuropäischen [Strebens] anerkennen und annehmen, das paralysiert die Kräfte der Westmächte. Das zwingt sie, neben den europäischen Mittelmächten und den mit den letzteren unter solchen Bedingungen zusammengehenden Ostmächten sich in einem Verhältnisse zu denken, in dem die Westmächte sich darauf beschränken, sich im Gebiete ihrer Volksinstinkte die ihnen angemessene Struktur zu geben (als staatliche Gebilde), und die mittel- und osteuropäischen Völker ihre Gemeinsamkeiten im Sinne wirklicher Menschenbefreiung auch innerhalb des ihnen zukommenden naturgemäßen Raumes ohne Störung, wie sie als Ursache dieses Krieges vorhanden war, sich ausleben zu lassen, während sie jetzt allein ihren Willen glauben als das im Weltkonflikte maßgebende hinstellen zu können.

Es kommt alles darauf an, einzusehen, wie anders sich die Verhältnisse zwischen Staaten und Völkern und auch Einzelmenschen abspielen, wenn diesen Verhältnissen zugrunde liegt diejenige Wirkung nach außen, die aus der Trennung der drei Lebensfaktoren folgt, als wenn in diese Außenwirkung verstrickt sind die Konflikte, die sich aus ihrer Vermischung ergeben. Man wird in Zukunft die Vorgeschichte dieses Krieges nämlich so schreiben, dass man geradezu zeigen wird, wie derselbe durch die unglückselige gegenseitige Störung der drei Lebenskreise im Völkerverkehre entstanden ist. Bei ihrer Trennung wirkt nach außen hin die Kraft des einen Lebenskreises im Sinne der Harmonisierung auf die anderen; insbesondere gleichen die wirtschaftlichen Interessenkräfte Konflikte aus, die auf politischem Boden entstehen, und die allgemein-menschlichen Interessenkreise können ihre völkerverbindende Kraft entfalten, während gerade diese Kraft in völlige Unwirksamkeit getrieben wird, wenn sie nach außen belastet mit den politischen und wirtschaftlichen Konflikten auftreten muss. Über nichts hat man sich in der jüngsten Vergangenheit größeren Täuschungen hingegeben als über den letzteren Punkt. Man sah nicht, dass allgemeinmenschliche Verhältnisse nach außen ihre wahre Kraft nur entfalten können, wenn sie im Innern auf der Grundlage der freien Korporation aufgebaut sind. Sie wirken dann im Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Interessen so, dass im Verfolg dieser Wirkungen dasjenige sich im lebendigen Werden naturgemäß entwickelt, dem man durch die Schaffung von utopistischen, überstaatlichen Organisationen ein zweifelhaftes Zukunftsdasein geben will: Utopistische Schiedsgerichte, ein Wilsonischer «Völkerbund» und so weiter, die zu nichts anderem führen können als zu der fortdauernden Majorisierung Mitteleuropas durch die anderen Staaten. Solche Dinge leiden an dem Fehler, unter dem alles leidet, was aus Wunschabstraktionen den Tatsachen aufgedrängt wird, während man mit dem hier Gemeinten einer Entwickelung freie Bahn schafft, die aus den Tatsachen selbst heraus nach ihrer Verwirklichung strebt, und die daher sich auch verwirklichen kann.

Erkennt man dieses, dann wird vor allem klar, warum wir diesen Krieg haben und warum er unter der falschen Flagge der Völkerbefreiung ein Krieg ist zur Unterdrückung des deutschen Volkes. Im weiteren Sinne zur Unterdrückung alles selbstständigen Volkslebens in Mitteleuropa. Entkleidet man das Wilsonische Programm, das als die neueste Umschreibung aus den Deckprogrammen der Entente hervorgegangen ist, so kommt man darauf, dass seine Ausführung nichts anderes bedeuten würde als den Untergang dieser mitteleuropäischen Freiheit. Daran hindert nicht, dass Wilson von der Freiheit der Völker redet; denn die Welt richtet sich nie nach Worten, sondern nach den Tatsachen, die aus der Verwirklichung dieser Worte folgen. Mitteleuropa braucht wirkliche Freiheit. Wilson aber redet gar nicht von einer wirklichen Freiheit. Die ganze westliche Welt hat von dieser wirklich für Mitteleuropa nötigen Freiheit überhaupt keinen Begriff. Man redet da von Völkerfreiheit und man meint dabei nicht die wirkliche Freiheit der Menschen, sondern eine chimärische Kollektivfreiheit von Menschenzusammenhängen, wie sie sich in den westeuropäischen Staaten und in Amerika herausgebildet haben. Nach den besonderen Verhältnissen Mitteleuropas kann sich diese Kollektivfreiheit nicht aus internationalen Verhältnissen heraus ergeben, also darf sie nie und nimmer Gegenstand einer internationalen Abmachung sein, wie sie einem Friedensschlusse zugrunde liegen kann. In Mitteleuropa muss die Kollektivfreiheit der Völker aus der allgemeinen menschlichen Freiheit sich ergeben, und sie wird sich ergeben, wenn man durch Ablösung aller nicht zum rein politischen, militärischen und wirtschaftlichen Leben gehörigen Lebenskreise dafür freie Bahn schafft. Es ist ganz selbstverständlich, dass gegen solche Loslösung diejenigen, welche stets nur mit ihren Ideen, nicht mit der Wirklichkeit rechnen, solche Einwände erheben, wie man sie in einem eben erschienenen Buche findet, nämlich in Kriecks «Die deutsche Staatsidee» auf Seite 167: «Gelegentlich wurde früher, u. a. von E. von Hartmann, die Forderung nach einem Wirtschaftsparlament neben der Volksvertretung erhoben: der Gedanke liegt ganz in der Richtung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung. Abgesehen aber davon, dass ein neues großes Rad die ohnehin reichliche Unbeholfenheit und Reibung der Maschine vermehren würde, wäre die Zuständigkeit zweier Parlamente unmöglich gegeneinander abzugrenzen.» Bei diesem Gedanken sollte doch nun wohl darauf gesehen werden, dass hier zugegeben werden muss, er ergibt sich aus den wirklichen Verhältnissen der Entwicklung, muss also durchgeführt werden und darf nicht gegen die Entwicklung abgewiesen werden, weil man seine Verwirklichung schwer findet. Macht man nämlich in der Wirklichkeit vor solchen Schwierigkeiten halt, so schafft man sich Verwicklungen, die sich später gewaltsam entladen; und letzten Endes ist dieser Krieg in der Eigentümlichkeit, in der er sich auslebt, die Entladung von Schwierigkeiten, die man versäumt hat, auf dem richtigen, anderen Wege hinwegzuräumen, solange es dazu noch Zeit war.

Das Wilson'sche Programm geht davon aus, das in der Welt unmöglich zu machen, was die berechtigte Aufgabe und die Lebensbedingung der mitteleuropäischen Staaten ist. Ihm muss entgegengesetzt werden, was in Mitteleuropa geschehen wird, wenn dieses Geschehen nicht gestört wird durch die gewaltsame Zerstörung des mitteleuropäischen Lebens. Es muss ihm gezeigt werden, was nur Mitteleuropa aufgrund des hier historisch Gewordenen tun kann, wenn es sich nicht mit der Entente verbindet, die gar kein Interesse daran haben kann, Mitteleuropa seiner naturgemäßen Entwicklung entgegenzuführen.

So wie die Dinge heute liegen, haben Deutschland und Österreich nur die Wahl zwischen den folgenden drei Dingen:

  1. Unter allen Umständen auf einen Sieg ihrer Waffen zu warten, und von ihm die Möglichkeit zu erhoffen, ihre mitteleuropäische Aufgabe ausführen zu können.
  2. Mit der Entente aufgrund deren jetzigen Programmes einen Frieden einzugehen und damit ihrer sicheren Zerstörung entgegenzugehen.
  3. Zu sagen, was es im Sinne der wirklichen Verhältnisse als das Ergebnis eines Friedens betrachten wird, und damit die Welt vor die Möglichkeit zu stellen, nach klarer Einsicht in die Verhältnisse und in das Wollen Mitteleuropas die Völker wählen zu lassen zwischen einem Tatsachenprogramm, das den europäischen Menschen die wirkliche Freiheit und damit ganz selbstverständlich die Freiheit der Völker bringt, oder den Scheinprogrammen des Westens und Amerikas, die von Freiheit reden, in Wirklichkeit aber für ganz Europa die Unmöglichkeit des Lebens bringen. Wir in Mitteleuropa machen vorläufig den Eindruck, als ob wir uns vor dem Westen scheuten zu sagen, was wir wollen müssen, während dieser Westen uns nur so überschüttet mit den Kundgebungen seines Wollens. Dadurch ruft dieser Westen den Eindruck hervor, dass nur er etwas will für das Heil der Menschheit, und wir nur bestrebt seien, diese löblichen Bestrebungen durch allerlei solche Dinge wie Militarismus zu stören, während er dadurch, dass er sich seit lange darauf eingerichtet hat und weiter darauf noch besser einrichten will, uns zu Schattenmenschen zu machen, in Wahrheit der Schöpfer unseres Militarismus ist. Gewiss sind solche und ähnliche Dinge oft gesagt worden, doch darauf kommt es nicht an, dass sie von diesem oder jenem gesagt werden, sondern darauf, dass sie das Leitmotiv mitteleuropäischen Handelns wirklich werden und die Welt erkennen lernt, dass sie von Mitteleuropa kein anderes Handeln zu erwarten hat als ein solches, das zum Schwerte greifen muss, wenn die anderen ihm dieses Schwert in die Hände zwingen. Was jetzt die Westvölker deutschen Nlilitarismus nennen, haben sie in jahrhundertelanger Entwickelung geschmiedet, und nur an ihnen, nicht an Deutschland kann es sein, ihm für Mitteleuropa seinen Sinn zu nehmen. An Mitteleuropa aber ist es, sein Wollen für die Freiheit klar hinzustellen, ein Wollen, das nicht in Wilsonischer Art auf Programme gebaut sein kann, sondern auf die Wirklichkeit des Menschendaseins.

Es gibt daher für Mitteleuropa nur ein Friedensprogramm, und das ist: die Welt wissen zu lassen, ein Friede ist sofort möglich, wenn die Entente an die Stelle ihres jetzigen, unwahren Friedensprogramms ein solches setzt, das wahr ist, weil es in seiner Verwirklichung nicht den Untergang, sondern die Lebensmöglichkeit Mitteleuropas herbeiführt. Alle anderen Fragen, die Gegenstand von Friedensbestrebungen werden können, lösen sich, wenn sie auf Grundlage dieser Voraussetzungen in Angriff genommen werden. Auf der Grundlage, die jetzt von der Entente uns dargeboten wird, und die von Wilson aufgenommen worden ist, ist ein Friede unmöglich: tritt kein anderes an die Stelle, so könnte das deutsche Volk nur durch Gewalt zur Annahme dieses Programmes gebracht werden, und der weitere Verlauf der europäischen Geschichte würde die Richtigkeit des hier Gesagten beweisen, denn bei Verwirklichung des Wilson'schen Programmes gehen die europäischen Völker zugrunde. Man muss eben in Mitteleuropa ohne Illusion dem ins Auge schauen, was diejenigen Persönlichkeiten seit vielen Jahren als ihren Glauben haben, den sie von ihrem Gesichtspunkte aus als das Gesetz der Weltentwicklung betrachten: dass der anglo-amerikanischen Rasse die Zukunft der Weltentwicklung gehört, und dass sie das Erbe der lateinisch-romanischen Rasse und die Erziehung des Russentums zu übernehmen hat. Bei der Anführung dieser weltpolitischen Formel durch einen sich eingeweiht dünkenden Engländer oder Amerikaner wird stets bemerklich gemacht, dass das deutsche Element bei der Ordnung der Welt nicht mitzusprechen hat wegen seiner Unbedeutendheit in weltpolitischen Dingen, dass das romanische Element nicht berücksichtigt werden braucht, weil es ohnedies im Aussterben ist, und dass das russische Element derjenige hat, der sich zu seinem welthistorischen Erzieher macht. Man könnte von einem solchen Glaubensbekenntnis gering denken, wenn es im Kopfe einiger für politische Fantasien oder Utopien zugänglicher Menschen lebte, allein die englische Politik benützt unzählige Wege, um dieses Programm praktisch zum Inhalte seiner wirklichen Weltpolitik zu machen, und vom Gesichtspunkte Englands aus könnte die gegenwärtige Koalition, in der es sich befindet, nicht günstiger sein, als sie ist, wenn es sich um die Verwirklichung dieses Programmes handelt. Es gibt aber nichts, das Mitteleuropa dem entgegensetzen kann, als ein wirklich menschenbefreiendes Programm, das in jedem Augenblicke Tat werden kann, wenn menschlicher Wille sich für seine Verwirklichung einsetzt. Man kann ja vielleicht denken, dass der Friede auch lange auf sich warten lassen werde, auch wenn das hier gemeinte Programm vor die europäischen Völker hingestellt wird, da es ja während des Krieges nicht ausgeführt werden kann und überdies es von den Entente-Völkern so hingestellt werden würde, als oh es von den Führern Mitteleuropas nur zur Täuschung der Völker hingestellt wäre, während nach dem Kriege einfach wieder das eintreten würde, was die Entente-Führer als das Schreckliche hinstellen, das sie aus moralischen Gründen in einem «Kampfe für Freiheit und Recht der Völker aus der Welt schaffen müssten». Aber wer die Welt richtig beurteilt nach den Tatsachen, und nicht nach seinen Lieblingsmeinungen, der kann wissen, dass alles, was Wirklichkeiten entspricht, einen ganz anderen Überzeugungswert hat als dasjenige, das aus der bloßen Willkür stammt. Und man kann ruhig abwarten, was sich bei denjenigen zeigen wird, die einsehen werden, mit dem Programm Mitteleuropas gehen den Völkern der Entente nur die Möglichkeiten verloren, Mitteleuropa zu zertrümmern, nicht aber fließt aus ihm irgendetwas, was mit irgendeinem wirklichen Lebensimpuls der Entente-Völker unverträglich wäre. Solange man sich im Gebiete der maskierten Bestrebungen befindet, wird eine Verständigung ausgeschlossen sein; sobald man hinter den Masken die Wirklichkeiten nicht nur militärisch, sondern auch politisch zeigen wird, wird eine ganz andere Gestalt der gegenwärtigen Ereignisse beginnen. Die Waffen Mitteleuropas hat die Welt zum Heile dieses Mitteleuropa kennen gelernt, das politische Wollen ist, soweit Mitteleuropa in Betracht kommt, der Welt ein Buch mit sieben Siegeln. Dafür bekommt die Welt jeden Tag die Schilderung eines Schreckbildes, welch ein furchtbares, zerstörungswürdiges Ding dieses Mitteleuropa eigentlich ist, und es sieht für die Welt so aus, als ob Mitteleuropa zu diesem Schreckbilde nur zu schweigen hätte, was selbstverständlich der Welt wie ein Ja-Sagen zu demselben erscheinen muss.

Es ist ganz selbstverständlich, dass vielen gegen das hier Vorgebrachte unzählige Bedenken aufsteigen werden. Allein solche Bedenken kämen nur in Betracht, wenn das Vorliegende als ein Programm gedacht wäre, an dessen Verwirklichung ein Einzelner oder eine Gesellschaft gehen sollte. So ist es aber nicht gedacht, ja, es widerlegte sich selber, wenn es so gedacht wäre. Es ist als der Ausdruck dessen gedacht, was die Völker Mitteleuropas tun werden, wenn man sich vonseiten der Regierungen die Aufgabe stellen wird, die Volkskräfte zu erkennen und zu entbinden. Was im Einzelnen geschehen wird, das zeigt sich bei solchen Dingen immer dann, wenn sie sich auf den Weg der Verwirklichung begeben. Denn sie sind nicht Vorschriften über etwas, was zu geschehen hat, sondern Voraussagen dessen, was geschehen wird, wenn [man] die Dinge auf ihre durch die eigene Wirklichkeit geforderte Bahn gehen lässt. Und diese eigene Wirklichkeit schreibt vor bezüglich aller religiösen und geistig-kulturellen Angelegenheiten, wozu auch das Nationale gehört: Verwaltung durch Korporationen, zu denen sich die einzelne Person aus freiem Willen bekennt und die in ihrem Parlamente als Korporationen verwaltet werden, sodass dieses Parlament es nur mit der betreffenden Korporation, nie aber mit der Beziehung dieser Korporation zu der einzelnen Person zu tun hat. Und nie darf es eine Korporation mit einer unter demselben Gesichtspunkt zu einer anderen Korporation gehörigen Person zu tun haben. Solche Korporationen werden aufgenommen in den Kreis des Parlamentes, wenn sie eine bestimmte Anzahl von Personen vereinigen. Bis dahin bleiben sie Privatsache, in die sich keine Behörde oder Vertretung zu mischen hat. Für wen es ein saurer Apfel ist, dass von solchen Gesichtspunkten aus alle geistigen Kulturangelegenheiten künftig der Privilegierung entbehren müssen, der wird eben in diesen sauren Apfel zum Heile des Volksdaseins beißen müssen. Bei der immer weitergehenden Gewöhnung an diese Privilegierung wird man ja in weiten Kreisen schwer einsehen, dass man auf dem Wege von der Privilegierung gerade der geistigen Berufe zum guten alten, uralten Prinzip der freien Korporierung zurückkehren muss, und dass die Korporation zwar einen Menschen in seinem Berufe tüchtig machen soll, aber dass man die Ausübung dieses Berufes nicht privilegieren, sondern der freien Konkurrenz und [der] freien menschlichen Wahl überlassen muss, das wird von allen [denen] schwer einzusehen sein, die gerne davon sprechen, [dass die Menschen] doch zu dem oder jenem nicht reif seien. In der Wirklichkeit wird dieser Einwand ja ohnedies nicht in Betracht kommen, weil mit Ausnahme der notwendig freien Berufe über die Wahl der Petenten die Korporationen entscheiden werden.

Ebenso wenig können sich Schwierigkeiten ergeben bezüglich des Politischen und des Wirtschaftlichen, die nicht real behebbar wären bei der Verwirklichung des Intendierten. Wie zum Beispiel pädagogische Institutionen zustande kommen müssen, die in ihren Richtlinien die in den beiden nicht die eigentliche Pädagogik in sich schließenden Vertretungen berühren, das ist eine Sache des übergeordneten [Senates]. Alle einzelnen Einrichtungen, wie sie hier gedacht sind, lassen sich erreichen durch Ausbau der historisch gegebenen Faktoren, die in keinem Lande Mitteleuropas etwa beseitigt oder durch andere radikal ersetzt zu werden brauchen. In dem Bestehenden können überall die Punkte gefunden werden, welche, in der angedeuteten Richtung verfolgt, die Völkerbefreiung aufgrund der Menschenbefreiung ergeben. Hier zu «beweisen», dass das Gesagte «richtig» ist, wäre widersinnig; denn diese Richtigkeit muss sich ergeben aus der Tatsache der Verwirklichung. Die nächste Verwirklichung wäre das Sich-Bekennen zu diesen Impulsen an autoritativer Stelle. Darüber, dass schon dieses offene Bekenntnis eine ungeheure, für die mitteleuropäischen Staaten günstige Wirkung haben muss, braucht niemand bange zu sein. Man kann vielmehr ruhig abwarten, was die Entente-Führer tun (nicht sagen) werden, wenn ihnen dieses offene Bekenntnis entgegensteht. Mit ihm müssen sie anders rechnen, als sie mit allem gerechnet haben, was bisher von Mitteleuropa ausging. Bisher brauchten sic bloß mit dem Waffen-Erfolge Mitteleuropas zu rechnen; sie sollen auch rechnen mit dessen politischem Wollen.

Wer das hier Angedeutete in wirklich praktischem Sinne denkt, das heißt im Einklang mit den tatsächlichen Verhältnissen, der wird finden können, dass damit eine Grundlage geschaffen ist, auf der auch so komplizierte Fragen wie die der österreichischen Sprachenfrage – einschließlich der Staats- und Verkehrssprache – und der deutschen Kolonialfragen ruhen können. Denn mit dem hier Gedachten wird der Fehler vermieden, den man bisher immer gemacht hat, nämlich dass man an eine Lösung solcher Fragen dachte, ehe man die Tatsachen-Grundlagen geschaffen hatte, auf denen sich eine Lösung erst aufbauen lässt. Man ging bisher stets darauf aus, ein erstes Hausstockwerk aufzubauen, ohne an das Erdgeschoss zu denken. Dieses Erdgeschoss aber ist für die mitteleuropäischen Staaten die Anerkennung ihrer naturgemäß notwendigen Struktur in konservativ-historisch-politische Vertretung und Verwaltung, abgetrennt von der Organisation des opportunistisch-wirtschaftlichen und des geistig-kulturellen Elementes. Steht man auf diesem Boden fest, dann erst kann auf dieser Grundlage von Parlamentarismus, Demokratismus und ähnlichem gesprochen werden. Denn diese Dinge werden an sich nicht anders, ob sie der Ausdruck einer in Mitteleuropa für die Dauer unmöglichen Verquickung der politischen, wirtschaftlichen und geistig-kulturellen Elemente sind oder derjenige der naturgemäßen Gliederung dieser Elemente. – Gerade an der Wirkung, die ein in diesem Sinne gehaltenes offenes Bekenntnis auf die Führer der Entente hervorbringen würde, könnte man bei Eintritt dieser Wirkung sehen, wie man mit diesem Bekenntnis auf dem realen Boden der Tatsachen steht.

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Die Ausführbarkeit des in dieser Darstellung Gegebenen wird niemand bezweifeln, der aus den wirklichen Verhältnissen Mitteleuropas heraus denkt. Denn hier wird nichts «als Programm» gefordert, sondern es ist nur aufgezeigt, was sich durchführen will, und was in demselben Augenblicke gelingt, in dem man ihm freie Bahn gibt.

Träte an die Stelle der Entente-Wilson'schen Friedensformel dasjenige, was ohne Maske das Wesen dieser Formel ist, so käme das Folgende heraus: «Wir Anglo-Amerikaner wollen, dass die Welt werde, wie wir sie wünschen. In diesen Wunsch hat sich Mitteleuropa zu fügen.» Diese unmaskierte Friedensformel zeigt, dass Mitteleuropa in den Krieg getrieben werden musste. Siegte die Entente, so wäre Mitteleuropas Entwickelung ausgelöscht. Fügt Mitteleuropa zu der Unbesieglichkeit seiner Waffen als Friedensangebot gegenüber der Welt die unbedingteste Absicht, zu verwirklichen, was nur Mitteleuropa in Europa verwirklichen kann, die Völkerbefreiung durch die Menschenbefreiung, dann kann dieses Mitteleuropa dem Gerede von «dem Rechte und der Freiheit der Völker» das tatsächliche, wahre Wort entgegensetzen: «Wir kämpfen für unser Recht und unsere Freiheit und die Verwirklichung dieser Menschheitsgüter, die wir uns nicht nehmen lassen können und wollen, beeinträchtigt durch ihr eigenes Wesen kein wirkliches Recht und keine Freiheit eines andern. Denn was wir wollen werden, wird die Bürgschaft davon in sich selbst tragen. Könnt ihr Westvölker euch mit uns auf dieser Grundlage verständigen und seht ihr Ostvölker ein, dass wir nichts anderes wollen als ihr selbst, wenn ihr euch erst recht selbst versteht, dann ist morgen der Friede möglich.»