Versuch über die Zukunft der „Bezahlung“ digitaler Werke

01.09.2015

Bei der Veröffentlichung des Buches „Rudolf Steiner - Was ist eine „freie“ Schule?“ entschieden wir uns dafür, zunächst eine Online-Ausgabe als kostenlosen Download anzubieten, und die Print-Ausgabe später folgen zu lassen (diese ist mittlerweile hier erhältlich). „Kostenlos“ ist freilich nicht ganz das richtige Wort, denn selbstverständlich kostet uns die Online-Ausgabe etwas - Satz, Layout und natürlich das Schreiben selbst sind kostenintensiver als der heutzutage sehr günstige Druck eines Buches.

Diese Kosten müssen bezahlt werden. Deswegen habe ich Verständnis dafür, dass der vor einigen Jahren noch so lebendige Commons-Gedanke aus der Internetgemeinde schwindet, und auch anthroposophische Verlage und Zeitschriften dazu übergehen, Geld für PDFs oder E-Books zu verlangen. Allerdings bin ich überzeugt davon, dass sich insbesondere Kulturträger schaden, wenn sie digitale Werke als Waren verkaufen, und zwar gerade auch ökonomisch schaden. Anhand des bescheidenen Beispiels unserer kleinen Buchveröffentlichung möchte ich kurz skizzieren, warum.

Die Milchmädchen-Rechnung zukünftiger Kochbuchverlage

Festzuhalten ist zunächst: Der kostenlose Download unseres E-Books führte zu einer schnellen Verbreitung. Inzwischen wird das E-Book z.B. unter Waldorfpädagogen per Email weitergereicht. Die selbe Verbreitung könnten wir nicht erreichen, wenn wir einen Preis verlangten. Als Kulturträger ist unser Ziel aber eben die Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Buches, nicht der Verkauf des Produkts.

Zweitens: Die Leser des kostenlosen E-Books spendeten bisher insgesamt 2.025 Euro für das Buch. Größter Spender war mit 1.500 Euro die Freie Waldorfschule Landsberg. Die Restsumme setzt sich aus kleineren Einzelspenden zusammen. Das ist mit Sicherheit mehr, als wir angesichts des speziellen Themas bei einem kostenpflichtigen Download hätten erwarten können, zumindest in der selben, kurzen Zeit.

Damit ist aber noch nichts bewiesen, denn selbstverständlich deckt die Summe von 2.025 Euro bei weitem nicht die tatsächlichen Kosten. Wie oben angedeutet, sind Posten wie Satz, Layout, Vertrieb usw. jeweils für sich genommen kostenintensiver als der Druck eines Buches. Und die eigentliche Arbeit, das Forschen und Schreiben, ist dann noch gar nicht bedacht!

Dennoch - alle diese Kosten in den Preis eines E-Books einfliessen zu lassen ist eine Milchmädchen-Rechnung. Man „rechnet“ im Internet-Zeitalter nur richtig, wenn man zunächst das geistige Produkt von der Ware unterscheiden kann, und auch die jeweiligen Kosten ganz unterschiedlich betrachtet. Im folgenden will ich anhand meines E-Books eine Differenzierung versuchen, die dann vielleicht auf gesunde Wege der „Bezahlung“ digitaler Werke schliessen lässt.

Das Forschen und Schreiben ist eine rein geistige Tätigkeit, mit stets offenem Ausgang. Diese Tätigkeit kann nur dann eine gewissenhafte und freie sein, wenn sie nicht über den Verkauf des Produkts re-finanziert werden muss, sondern sich auf die unmittelbare Anerkennung stützt. Wer geistig produktiv werden will, ist auf eine Finanzierung angewiesen, die ihm selbst und seinen Fähigkeiten gilt und nicht dem „Kauf“ des erhofften Ergebnisses - er braucht Schenkgeld, nicht Kaufgeld.

Nun, dass meine geistige Arbeit bereits bezahlt wurde, beweist das Vorhandensein des Produkts meiner geistigen Arbeit! Und zwar wurde sie bezahlt durch die Unterstützung der Menschen, die mit ihren Spenden die laufenden Kosten unseres Instituts mittrugen. Das Ergebnis meiner Arbeit kann deshalb seinerseits nur ein Geschenk sein.

Falls allerdings dieses Ergebnis den einen oder anderen Leser zu der Meinung veranlasst, dass ich erneut in dieser Art tätig werden soll, dann darf er dasjenige spenden, was mir dann ermöglicht, von neuem geistig produktiv zu werden. Der unternehmerische „Gewinn“ der kostenlosen Weggabe unseres E-Books ist also nicht die explizit dafür gespendete Summe von bisher 2.025 Euro, sondern die Möglichkeit der Wahrnehmung, die sich in anderer Beziehung dann durchaus wieder finanziell auswirken kann, indem zum Beispiel unsere Arbeit als solche Unterstützung findet.

Viele Software-Entwickler (wie z.B. die Entwickler von Ruby on Rails) haben diesen Zusammenhang bereits begriffen, und geben daher oftmals Software, die Millionen Euro Entwicklungskosten verschlang, kostenlos ab, allerdings um dann ein Geschäft z.B. mit der Schulung zu machen.

Dass ein Geschenk auch angenommen wird, kann man sich freilich nicht ausrechnen, wie mir der Geschäftsführer eines großen anthroposophischen Verlags einmal zu Recht entgegnete. Sinngemäß sagte er: „Von Commons zu reden, macht erst Sinn, wenn die Leute uns auch schenken, solange sie uns aber nichts schenken, müssen wir auf das geistige Eigentum bauen“. (Ich hatte darum gebeten, ein vergriffenes Werk jenes Verlags in einer digitalen Version kostenlos verbreiten, einen Spendenaufruf damit verbinden und die Spenden dann dem Urheber zukommen lassen zu dürfen. Das ist einige Jahre her, und das Werk ist nach wie vor vergriffen.)

Wie gesagt, verstehen kann ich diese Rechnung, sie ist ja nicht sehr kompliziert. Aber sie geht für einen Kulturträger eben nicht auf. Zwar ist es richtig, dass ich mir nicht ausrechnen kann, etwas zurückzubekommen, wenn ich mein geistiges Erzeugnis verschenke. Ich muss eben erstmal selbst wirklich schenken, um das herauszufinden! Und selbstverständlich ist es dann möglich, dass meine Arbeit keine Resonanz findet. Nur dann ist es aber auch umgekehrt möglich, dass meine geistige Arbeit tatsächlich Anerkennung findet, und sich langfristig trägt.

Wer wahrhaftig um geistigen Fortschritt bemüht ist, hat nicht das allergeringste Interesse daran, sich trotz mangelnden Verständnisses zu halten, etwa indem er sein „geistiges Eigentum“ zu Markte trägt (oder zurückhält, falls er dafür keinen angemessenen Preis findet). Dadurch wird der Geist nämlich seinerseits den Marktgesetzen unterworfen. Ein ehemals anthroposophischer Verlag findet sich dann schnell als Kochbuchverlag wieder. Das Wagnis, die eigene geistige Produktivität auch vom freien Verständnis individueller Menschen abhängig zu machen, ist eben die notwendige ökonomische Bedingung des Geisteslebens.

Echtes Schenken macht den qualitativen Unterschied

Ökonomisch gesehen beruht auch gegenwärtig alles kulturelle und wissenschaftliche Leben ausschliesslich auf Schenkgeld. Im wesentlichen ist das die Steuer, die in Bildung, Kultur und Wissenschaft fliesst. Genau genommen ist aber auch der Preis, den der Käufer eines Buches für den darin enthaltenen Anteil „geistigen Eigentums“ bezahlt, eine Schenkung. Sofern nämlich sowohl Steuern als auch Abgaben für Eigentumsrechte nicht in die Re-Produktion der gekauften Ware, sondern in die Förderung zukünftiger geistiger Arbeit mit tendenziell ungewissem Ausgang fliessen, handelt es sich nicht um Kaufakte, sondern um Schenkakte.

Die soziale Aufgabe im Sinne der sozialen Dreigliederung ist also nicht das „Einführen“ von Schenkgeld, sondern das Individualisieren des Schenkgelds, das als ökonomische Kategorie längst da ist.

In der gegenwärtigen Form der Zwangsschenkung können die Schenkenden (z.B. die Steuerzahler) den Beschenkten (z.B. das Forschungsinstitut) nicht wahrnehmen, geschweige denn wirklich „meinen“. Und der Beschenkte wiederum ist somit nicht dem konkreten Individuum verantwortlich, sondern allgemein aufgestellten Normen. Er unterliegt dann ebenfalls Zwängen. Ganz anders bei individuellen Schenkungen: wer seine geistige Arbeit von der bewussten und freiwilligen Zuwendung konkreter Individuen abhängig macht, löst sich zwar einerseits auch vom Zwang der „Produktivität“ im ökonomischen Sinn, nicht jedoch von der konkreten Verantwortlichkeit gegenüber denjenigen, die sein Einkommen erwirtschaften. Und das macht für das Ergebnis den feinen, aber wesentlichen Unterschied.

Eine Reihe von Menschen unterstützen die Arbeit des Instituts für soziale Dreigliederung, auch durch regelmäßige, monatliche Beiträge. Das ermöglichte mir die Herausgabe des nun vorliegenden Buches über die freie Waldorfschule. Ich meine nun, dass man dem Ergebnis jenen feinen Unterschied anmerkt. Inhalt und Stil tragen nämlich keine Spur akademischer Gewohnheiten mehr, dafür aber um so mehr das Gepräge konkreter Individualitäten, die mir während der Arbeit vor dem inneren Auge standen und gewissermaßen als mein moralisches Gewissen mitarbeiteten.

Die Ware muss bezahlt werden!

Von dieser geistigen Arbeit muss jedoch scharf unterschieden werden, was in das Buch an körperliche Arbeit eingeflossen ist. Denn für körperliche Arbeit ist es wiederum gerade schädlich, wenn sie von Schenkgeld (Subventionen) leben kann. Körperliche Arbeit, d.h. Arbeit, die in die Materie eingreift, die Ressourcen verbraucht usw., muss sich davon abhängig machen, ob das Endprodukt vom Konsumenten auch entsprechend bewertet wird. Die einzige Rechtfertigung solcher Arbeit ist der Bedarf. Bücher, die weggeschmissen werden können, weil der Produzent nicht auf das Kaufgeld angewiesen ist, sind zu Unrecht produzierte Bücher, so wie Milch, die für 25 Cent verkauft werden kann, zu Unrecht produzierte Milch ist.

Gesund ist der ganze Vorgang also dann, wenn dasjenige, was als geistige Arbeit in das Buch fliesst, durch persönliche Zuwendungen für den Schreibenden aufgebracht wird, während dasjenige, was dann als Preis für die Ware „Buch“ übrig bleibt, bloß die fortlaufende materielle Produktion des Verlags finanziert. Das hatte bereits Rudolf Steiner erkannt:

„Wie ein bestimmter Zeitungsverleger zu einem bestimmten Redakteur wird kommen können, hängt von dem Vertrag ab, welcher abgeschlossen werden kann zwischen dem Zeitungsverleger und dem Redakteur, wobei der Redakteur, weil er der Selbstverwaltung des geistigen Organismus zugehört, mit Bezug auf sein ganzes materielles Leben unabhängig ist von der Zeitungsverlegerschaft. Der Redakteur wird bloß ein Interesse daran haben, überhaupt seinen Beruf ausüben zu können. Ginge er diesem Interesse nicht nach, seinen Beruf auszuüben, so würde er ja brotlos sein. Aber in dem Augenblicke, wo es ihm gelingt, einen Vertrag abzuschließen mit irgendeiner Administration, wird er nicht die Entschädigung für diesen Beruf aus den Interessen dieser Administration heraus erhalten, sondern aus den Interessen des sich selbstverwaltenden Geisteslebens.“

Dieser Gedanke Rudolf Steiners enthält nichts weiter als die realen Bedingungen der Arbeit in der gegenwärtigen, globalisierten Weltwirtschaft, und wird deshalb zunehmend Realität. Dass er ausgerechnet in den Ohren mancher anthroposophischer Verlage noch wie Zukunftsmusik klingt, könnte u.a. auch daran liegen, dass jene Differenzierung gerade im konkreten Fall einer E-Book-Veröffentlichung zunächst recht schwierig erscheint.

Bei einer Print-Ausgabe sind die Anteile körperlicher und geistiger Arbeit leicht zu unterscheiden. Der Druck ist im hier bezeichneten Sinn körperliche Arbeit, Satz und Layoutgestaltung sind Grenzfälle, das Forschen und Erdenken des Inhalts rein geistige Tätigkeiten. Beim E-Book fällt nun der Druck weg, und übrig bleiben neben der unzweifelbar rein geistigen Tätigkeit jene „Grenzfälle“, insbesondere Satz und Layout, die ebenso in die Online-Version von „Was ist eine „freie“ Schule?“ einflossen. Wie nun aber mit solchen „Grenzfällen“ umgehen?

Charakterisierende Begriffe statt Begriffs-Definitionen

Solange man bloß auf den Arbeiter schaut, wird man zu keiner exakten Begriffsbildung kommen. Denn an der geistigen Arbeit ist selbstverständlich der Körper beteiligt, und die körperliche Arbeit geschieht (hoffentlich) unter der Regie des Geistes. Dass Rudolf Steiner beide Tätigkeiten dennoch so scharf voneinander trennt, liegt daran, dass er das Ziel der Arbeit, den Verbrauch durch den Konsumenten, in die Beobachtung miteinbezieht.

Körperliche Arbeit im Steinerschen Sinn ist nicht „geistlose“ Arbeit, sondern solche Arbeit, die so in die Materie eingreift, dass Materie dem Konsum zugeführt werden kann. Für den Konsumenten ist der Stoff das Wesentliche, den er aber erst in der durch den Arbeiter verwandelten Form aufnehmen kann. Der Geist des körperlich Arbeitenden veredelt also gewissermaßen den Stoff. Genau umgekehrt verhält es sich bei geistiger Arbeit: Wissenschaftler, Künstler, Lehrer etc. verwenden den Stoff lediglich als Medium für den Geist. Der Stoff ist das Unwesentliche. (Dem widerspricht nicht, dass Steiners Kunstbegriff an die Schillersche Ästhetik anschliesst, denn es kommt hier nicht auf die Aufstellung eines Kunstbegriffs an, sondern auf den ökonomischen Vorgang - Der Kunstbetrachter „verbraucht“ das Bild nicht.)

Sehen wir auf den Konsumenten eines Buches, können wir uns darüber klar werden: Physisch gesehen konsumiert der Leser nicht die Buchstaben, den Satz oder das Layout. Er schaut sie an, liest - und erkennt. Das Wesentliche ist der Erkenntnisvorgang. Allenfalls das Buch selbst, das bedruckte Papier, nutzt sich mehr oder weniger ab, und wird also auch physisch gesehen konsumiert - das ist aber gerade das Unwesentliche!

Rudolf Steiner versucht den Unterschied zwischen körperlicher und geistiger Arbeit am Beispiel des Lehrers klar zu machen: obwohl der Lehrer vorne an der Tafel steht und die Kreide schwingt, so ist doch die Kreide als Stoff ökonomisch gesehen irrelevant. Ökonomisch relevant ist das, was die Schüler später im Leben leisten, woran aber der durch den Lehrer angeregte Erkenntnisprozess seinen Anteil hat. Der Vorgang ist also der Warenproduktion von z.B. Brot, Autos etc. diametral entgegengesetzt.

Die Schule ist nach Steiner ausdrücklich kein Wirtschaftsunternehmen, da sie weder Waren noch Dienstleistungen nach Steinerschem Verständnis hervorbringt. Der ökonomische Wert der Leistung des Lehrers liegt vielmehr in der Wirkung des reinen Geisteslebens auf das Wirtschaftsleben, sofern nämlich der gebildete Schüler später anders wirken kann als der ungebildete. Der Wert der Lehrtätigkeit lässt sich also kaum ermessen - es kann lediglich dafür gesorgt werden, dass dem Lehrer im Vertrauen auf seine geistigen Fähigkeiten dasjenige geschenkt wird, was er zum Leben benötigt.

Ist das E-Book nun eine Ware oder nicht?

Ich tendiere dazu, den Gestalter des Layouts als geistigen Arbeiter zu betrachten, und auch den Setzer, obwohl das Setzen eine sehr stupide, körperliche Tätigkeit sein kann. Für mich ist die Arbeit des Setzers gewissermaßen die Verlängerung meiner geistigen Tätigkeit, während ich das Drucken eines Buches als den Herstellungsprozess einer Ware, und in diesem Sinn als körperliche Arbeit betrachte.

Das digitale Werk hat für mich nur insofern noch Warencharakter, als hinter dem scheinbar so schwerelosen Internet tatsächlich ein enormer Ressourcenverbrauch und unzählige Stunden körperlicher Arbeit stehen. Das bezieht sich jedoch im Wesentlichen auf den PC, die Großrechner etc. selbst, die der Konsument des E-Books ja bereits auf anderen Wegen bezahlt (ob angemessen oder nicht ist eine andere Frage.)

Nach meinem Verständnis müssten also Grafiker und Setzer von Schenkgeld leben, bzw., es müsste der Schreibende eben so beschenkt werden, dass er Grafiker und Setzer mitfinanzieren kann.

Wie verhält es sich nun aber mit den 2.025 Euro, die von Lesern des kostenlosen E-Books „für“ das Buch gespendet wurden? Ist das Schenkgeld? Oder als Schenkgeld getarntes Kaufgeld?

Nun, beides - es kommt dabei eben auch auf das an, was der Spender mit dem Geld verbindet. Nur weil die Beträge freiwillig und in freier Höhe entrichtet werden, bedeutet das z.B. nicht, dass es sich ökonomisch gesehen um Schenkgeld handelt. Manche veranlasst das Buch, mich und meine geistige Arbeit zu unterstützen, was auch immer das nächste „Produkt“ sein mag. Das Buch ist dann nur der Anlass für die Förderung meiner Person oder der am Institut zusammenarbeitenden Menschen. Allein das verstehe ich als Schenkgeld. Bei anderen jedoch steht der Gedanke des Bezahlens im Vordergrund - sie möchten mir nichts „schuldig“ bleiben, also die vermuteten Kosten abgleichen und konkret die Produktion dieses Buches mittragen. Das hat dann schon den Charakter von Kaufgeld. Und sogar Leihgeld ist in den 2.025 Euro enthalten: Bei den 1.500 Euro von der Freien Waldorfschule Landsberg handelt es sich sachlich gesehen um einen Konsumentenkredit - diese Spende war mit der konkreten Bitte verbunden, eine Print-Ausgabe folgen zu lassen, und der freien Waldorfschule Landsberg einige Exemplare zu verkaufen. Erst später verwandelt sich dieses Leihgeld in Schenkgeld.

Ich könnte mir also leicht selbst den Einwand machen, dass die kostenlose Verbreitung eines digitalen Werks, verbunden mit der Bitte um eine „freie Selbsteinschätzung“ in Wahrheit Kaufen, Leihen und Schenken verschleiert. „Freie Selbsteinschätzung“ - das ist ein Kaufen, das die materiellen Notwendigkeiten nicht kennen will, oder ein Schenken, das sich vor der unmittelbaren Zuwendung geniert. So könnte man das sehen, und entsprechend problematisch erscheint dann auch die Vorgehensweise von taz, Wikipedia, Open-Office und anderen.

Das scheinen mir aber lediglich die Kinderkrankheiten eines gesunden Entwicklungsprozesses zu sein. Zudem liegt für mich auf der anderen Seite der Waagschale ein viel gewichtigeres Argument, das m.E. noch viel zu wenig verstanden wird. Beim Internet kommt nämlich außer Stoff und Geist noch etwas Drittes in Betracht:

Das Wesen des Internets liegt darin, dass hier das geistige Gut neutral gegenüber der Veröffentlichungsform und dennoch „physisch“ existent, also „Information“ wird. Das heisst, es kommt hier nicht nur der oben skizzierte Aspekt der Unwesentlichkeit des Stoffes in Betracht, sondern es kommt außerdem ein neuer Aspekt von Stofflichkeit hinzu. Denn eine Online-Veröffentlichung ist nicht nur im veröffentlichten Format, sondern automatisch auch als Geist gewissermaßen materiell existent geworden. Das digitale Werk ist im Wesentlichen ahrimanisierter Geist, der jederzeit und überall in eine beliebige Erscheinung oder auch Ware (E-Book, Druckwerk, Hörbuch, etc.) verwandelt werden kann.

Die entscheidende Frage ist für mich gegenwärtig, wie man sich zunächst gesund zu diesem gewissermaßen materiell gewordenen Geist stellt. Die Tendenz der Gegenwart geht dahin, den persönlichen Egoismus mit ihm zu verbinden. So liegt ja z.B. auch ein Kernpunkt von TTIP in der Commodifizierung der Information. Ich bin jedoch überzeugt, dass man sich selbst als geistiges Wesen nur erhalten kann, wenn man jenem ahrimanisierten Geist mit Selbstlosigkeit begegnet. Nur dann können aber wiederum soziale Verhältnisse entstehen, die auch eine gerechte Entlohnung für das ermöglichen, was an körperliche Arbeit in unsere digitale Welt einfliesst. Wem das zu wenig materialistisch gedacht erscheint, der möge noch einmal die oben aufgestellte „Rechnung“ durchdenken - es beweist sich nämlich ganz physisch.

Mag eine assoziative Wirtschaft der Zukunft den Warenanteil aus dem digitalen Gut herausrechnen und so für „Gerechtigkeit“ sorgen. Gegenwärtig jedoch konfundiert jeder auf den Warencharakter zielende Anspruch an dieser Stelle zwangsläufig das geistige Gut, das aber frei sein und sich frei verbreiten muss, wenn Kultur entstehen soll. Wirksam gegen die immer stärker werdende Commodifizierung von Rechten ist deshalb nur die eigene Schenk-Geste. Wer gegenüber TTIP die eigenen Ansprüche geltend macht, zieht am selben Strang. Anders gesagt: Wer seine Interessen verteidigen will, verliert sie.

Die Sache stellt sich für mich also genau umgekehrt dar als für jenen anthroposophischen Verlag: Schenken ist die Praxis der Gegenwart, das Ausrechnen der gerechten Entlohnung dagegen Zukunftsmusik.

Nachtrag

Ich habe diesen Text einen „Versuch“ genannt, weil ich hier ganz bewusst den ersten, unvollkommenen Wurf stehen lasse. So unvollkommen ist mein Gedanke auch. Ich weiß aber, dass gerade das Mitdenken und Weiterdenken manchen Lesern dieser Webseite am Wertvollsten ist. Dass das kleine Beispiel der Veröffentlichung des Buches „Rudolf Steiner - Was ist eine „freie“ Schule?“ nicht ohne weiteres auf größere Zusammenhänge übertragbar ist, versteht sich von selbst. Ich glaube aber, dass man gerade in größeren Zusammenhängen sehr weit damit käme, das Prinzip dieses Beispiels (das Umgehen-Wollen mit den wirklich vorhandenen, unterschiedlichen Qualitäten von Kaufen, Leihen und Schenken) zu durchschauen.