Ökonomismus statt Freiheit

01.04.2011

Erweiterte Fassung einer Rezension in der Zeitschrift Die Drei, Ausgabe 4/2011

Die Bildungslandschaft in Deutschland ist in Bewegung. Ob die bereits erfolgten Veränderungen auch Verbesserungen sind, ist nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich, denn die Befreiung aus der staatlichen Bevormundung ist kein Selbstzweck. Auch wenn das Vokabular der Reformen meist neue Freiheiten suggeriert, stellt sich dabei die Frage, ob nicht lediglich die Abhängigkeiten ausgetauscht werden und man der Autonomie des Bildungswesens trotz eines gewaltigen Aufwands keinen Schritt näher gekommen ist. Die Veränderungen werden medial und auch wissenschaftlich vielfach kritisch begleitet. Die Kritik erfolgt dabei von verschiedensten Gesichtspunkten. Einer davon ist der, den Richard Münch, Professor für Soziologie an der Universität Bamberg, einnimmt. Das Ziel eines freien Geisteslebens, als Bestandteil des Dreigliederungsgedankens wird von ihm zwar nicht explizit formuliert, und es erscheint fraglich ob er sich mit diesem Gedanken bei bewusster Konfrontation anfreunden könnte; und doch scheint dieses Motiv durch die gesamte Analyse, die er in seinem Buch «Globale Eliten, lokale Autoritäten» vornimmt, ist implizite Richtschnur. Vor diesem Hintergrund lässt sich aus seiner Schrift ein nicht geringer Nutzen hinsichtlich der Erkenntnis der aktuellen Situation ziehen.

Pierre Bourdieu umschrieb sein Selbstverständnis der Soziologie einmal mit den Worten «Soziologie ist ein Kampfsport».
Richard Münch, scheint sich diese Definition als Motto für sein letztes Buch angeeignet zu haben. Entstanden ist ein Buch voll engagierter Kampfeslust, welches trotz seiner Leidenschaft mit einer Fülle eindringlicher Analysen aufwartet. Die Sprache ist scharf und klar und Gegner sowie Streitpunkt der Auseinandersetzung schon im Untertitel der Schrift benannt: « Bildung und Wissenschaft unter dem Regime von PISA, McKinsey & Co».
Münch widmet sich dieser Problematik in zwei großen Kapiteln: Im ersten geht er dem Prozess der Transformation von Bildung in Humankapital im Schulwesen nach, im zweiten der Entstehung eines akademischen Kapitalismus. In einem umfangreichen Anhang finden sich dann noch überaus informative Statistiken zu beiden Themen.
Münchs Buch verfällt dabei zu keinem Zeitpunkt in ein staubtrockenes Soziologenidiom, wie man es etwa bei Niklas Luhmann durchleiden muss, und ist zudem von einer fesselnden Dramaturgie durchzogen.
Die Spannung entsteht durch die Skizzierung einer Weltmacht und ihrer Wirkungskräfte, gegen die sich lokale Strukturen, ob traditionell oder auch innovativ, immer weniger behaupten können. Es entstehen dadurch hybride Systeme, welche den alten Selektionsdruck mit einem gesteigerten Leistungsanspruch verkoppeln, dabei das individuelle Versagen mit der Bedrohung der sozialen Exclusion verknüpfen und alle Teilnehmer: Schüler, Lehrer, Studenten, Eltern, Professoren vollständig überfordern.
In immer neuen Anläufen deckt Münch ein globales Regime der Wissenschaft auf, welches unter dem alles erklärenden Diktat des ökonomischen Denkens, über Programme wie PISA, Bologna etc. seine Ideologie seit Jahren nun auch auf die Bildung ausweitet, in der sich Investitionen auch messbar auszahlen müssen, Wissens- und Kompetenzerwerb lediglich Mittel zum Zweck der Wettbewerbsfähigkeit sind.
PISA ist ja, was immer wieder gerne vergessen wird, da die Empfehlungen im Rahmen dieser Tests ja nicht selten auch dem Gemüt von Reformpädagogen schmeicheln, kein Programm einer Kulturinstitution sondern der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, mit entsprechender Zielrichtung.
«Unter dem Regime von PISA wird die Gesellschaft zu einer Art totaler Besserungsanstalt, die auf dem Weg des lebenslangen Lernens dafür sorgt, dass niemand ausfällt, der oder die im internationalen Wettbewerb gebraucht wird»(S. 205). Das Individuum ist hier das kleinste Unternehmen, welches in seine Bildung investiert um aus diesem Humankapital dann seine Rendite zu schlagen.
Ein internationales Netzwerk von Experten, Evaluatoren, Beratern und Institutionen treibt die Verbreitung des Leitbildes «Wissensgesellschaft als ökonomische Ressource» voran und etabliert dabei den normativen Druck des globalen ökonomistischen Paradigmas.
Das Verständnis von Bildung, als Kulturgut und Fachwissen, als kreativer Teil der Persönlichkeitsentwicklung, bleibt dabei auf der Strecke, da es im Unterschied zu den standardisierten Verfahren nicht eindeutig messbar ist. «Es stellt sich das Beharren auf Bildung als Kulturgut in mehrerer Hinsicht als unzeitgemäß dar – die Idee bekommt beinahe etwas Museales, gilt nun als Hindernis im internationalen Wettbewerb»(S.58).
Doch genau für dieses Verständnis engagiert sich Münch. Dabei ist seine Haltung keineswegs nostalgisch rückwärts gewandt. Deutlich weist er auf die Missstände des Systems hin, verweist auf den Bericht des UN-Sonderbotschafters 2007, der dem deutschen Schulsystem die Verletzung des Menschenrechts auf Bildung vorwarf, verwirft das dreigliedrige, selektierende System und greift die alten Machthaber und Autoritäten, deren Einfluss unter dem Modernisierungszwang zusehends schwindet, schonungslos an.
Doch was tritt an die Stelle des Alten? Paradoxe Prozesse und Wechsel der Abhängigkeiten: Mehr Autonomie geht einher mit totalisierender Überwachung. Aus den Zwängen einer bürokratischen Steuerung der pädagogischen Arbeit gerät Bildung unter die totale, Form wie Inhalt erfassende, internationalisierte Kontrolle der Expertenschaft.
Münch geht diesem Wandel der Abhängigkeiten fundiert und treffend analysiert nach.

Man muss nicht in allem Münchs Meinung sein, aber sein Einsatz für Bildung als Kulturgut und gegen die «instrumentelle Perfektionierung des Menschen im Interesse der möglichst breiten Ausschöpfung des Humankapitals einer Gesellschaft»(S. 171), ist letztlich über alle wissenschaftliche Fundierung hinaus ein fulminantes und menschlich authentisches Plädoyer für die Freiheit des Individuums. Dies macht seinen Wert aus.

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