Ursachen und Wirkungen der Finanzkrise

01.12.2008

Was ist die Summe aus Äpfelchen und Birnchen?

Die Ursache der Finanzkrise ist ein falscher Umgang mit den primären Tatsachen des Wirtschaftslebens. Dieser falsche Umgang verbirgt sich hinter Begriffen, die so fundamental sind, dass niemand auf die Idee käme, man könne auch sie bei der Suche nach dem „system-immanenten“ Fehler hinterfragen. Eigenkapital zum Beispiel. Das ist ja ein ganz fundamentaler Begriff.

Das Eigenkapital ergibt sich aus folgender Rechnung: Ich kaufe mir ein Produktionsmittel, z.B. ein sog. „unproduziertes Produktionsmittel“ wie Grund und Boden. Das Geld ist dann weg, denn ich habe es ja dem Vorbesitzer gegeben. Mein Eigenkapital errechnet sich nun wie folgt: Der Wert des Bodens minus dem Geld, das ich mir für den Kauf des Bodens geliehen habe.

Entspricht dieser Rechnung aber irgendeine Realität? Kann ich das Geld, das ich jemandem schulde, und den Wert des Bodens überhaupt miteinander verrechnen?

Der Unternehmer sagt: Das Geld ist in dem Produktionsmittel „gebunden“. Also, ich habe Geld weggeben. Der, dem ich es gegeben habe, der hat es vielleicht versoffen oder verspielt, das weiß ich nicht. Aber doch ist das Geld in einem Stück Boden „gebunden“. Um jetzt den Boden mit meinen Geld-Schulden in eine gemeinsame Rechnung bringen zu können, muss ich das Geld, das im Boden „gebunden“ ist, im Geiste wieder entbinden. Erst dann haben Bodenwert und Geldwert einen gemeinsamen Nenner, den ich zählen kann.

Ich muss mir einen Kaufakt vorstellen, den Tausch des Bodens gegen Geld. Und erst dieses vorgestellte Geld, das Geld, das jemand anderer möglicherweise für meinen Boden bezahlen könnte, ist ein Wert, den ich mit meinen Geld-Schulden verrechnen kann. Mein Eigenkapital ist also nichts Reales. Es besteht in der Spekulation darauf, dass mir möglicherweise einmal jemand mehr Geld für mein Stück Boden bezahlen wird, als ich Schulden habe. Da greife ich für die Bewertung der Gegenwart vor in die Zukunft. Das ist keine Realität. Die Realität ist dieses Stück Erde unter meinen Füßen, und der Mensch, der mir sein Geld gegeben hat.

Was ist eine Ware?

Wenn ein Händler Tonnenweise Tomaten kauft, weil er glaubt, sie zu einem guten Preis verkaufen zu können, dann spekuliert er auch auf eine Art. Äußerlich sieht das ganz ähnlich aus, wie wenn sich jemand ausrechnet, zu welchem Preis er sein Grundstück eines Tages wieder verkaufen wird. Es sind aber dennoch zwei ganz verschiedene Vorgänge, und zwar deshalb, weil der Wert, mit dem der Grundbesitzer spekuliert, ein ganz anderer ist als der, mit dem der Gemüsehändler spekuliert. Beide Werte lassen sich nicht miteinander vergleichen.

Erstens befriedigt die Tomate eines meiner Bedürfnisse. Das tut auch der Pilz, den ich im Wald pflücke. Im Unterschied zur Tomate bezahle ich den Pilz aber nicht. Um den Wert zu fassen, der sich in Geld ausdrücken lässt, muss also noch etwas zu der Tatsache hinzukommen, dass etwas mein Bedürfnis befriedigt: Die Tatsache nämlich, dass der Konsumwert erst durch die Arbeit eines anderen Menschen für mich da ist.

Indem ich Geld für die Tomate gebe, ermögliche ich dem Menschen, der Tomaten anbaut, den Konsum. Wenn ich das nicht tun würde, wenn ich kein Geld für die Tomate geben würde, dann könnte niemand davon leben, dass er Tomaten anbaut. Dann wäre die Tomate, die ich kaufen will, gar nicht vorhanden.

Der reale Vorgang des Bezahlens ist also der, dass meine Leistung und die Leistung eines anderen Menschen in ein Verhältnis gebracht werden, und zwar idealerweise so, dass beide Leistungen sich gegenseitig ermöglichen. Nötig ist einfach, damit überhaupt die und die Güter da sein können, eine gewisse Verhältnismäßigkeit der Leistungen.

Man übersieht diesen schlichten Zusammenhang manchmal wegen des Geldes. Ich gebe ja bloß Geld. Das Geld habe ich aber doch, wenn ich es nicht gestohlen habe, dafür bekommen, dass ich für jemanden etwas getan habe. Und wenn ich mit diesem Geld jetzt eine Tomate kaufe, dann kann ich mir folgendes sagen: Der Gemüsehändler wird mit dem Geld genau zu dem Menschen gehen, für den ich gearbeitet habe, und der wird dann für den Gemüsehändler arbeiten. So schließt sich der Kreis. Der Kreis ist natürlich meistens viel größer. Aber es muss ein Kreis sein, wenn es überhaupt funktionieren soll.

Güter - und auch Dienstleistungen - werden miteinander verglichen, und zwar bezüglich dessen, was die Menschen, die an ihrem Zustandekommen beteiligt sind, verbrauchen müssen. Wenn es z.B. länger dauert, eine Gurke herzustellen als eine Tomate, dann bekommt bei gleichen Arbeitsbedingungen eine Gurke einen höheren Wert als eine Tomate. Das ist deshalb so, weil die Produzenten in einem längeren Zeitraum ja auch mehr verbrauchen müssen als in einem kurzen Zeitraum. Diesen Wert, den Güter und Dienstleistungen dadurch bekommen, dass man durch sie hindurch auf die Leistung ihrer Produzenten sieht, kann man mit Rudolf Steiner einen Warenwert nennen. Man ist dann freilich bei der Definition des Begriffs der Ware viel strenger als unser Recht, für das eine Ware ein Gegenstand des Handels ist. Wer glaubt, mit „Gegenstand des Handels“ irgendetwas Reales fassen zu können, mag sich daran halten. Wichtig ist nur, dass man sieht, wie in der Realität eben doch jener Wert in den Preis einfließt, wie auch immer man ihn nennen will.

Was ist der Wert von Grund und Boden?

Wann bezahle ich zu viel Miete und wann zu wenig? Die Frage ist absurd. Der Mietzahlung, sofern man von dem kleinen Teil für Betriebskosten und ähnlichem absieht, entspricht kein objekiver Wert. Man sieht zum Beispiel, wie die Mieten in einem Haus ansteigen, weil in das Nebenhaus ein berühmter Mann eingezogen ist. Das ist ganz subjektiv. Bei einer Ware ist die Frage nicht absurd. Wenn ich für eine Ware zu wenig bezahle, dann kann sie nicht wieder produziert werden, und verschwindet. Der Bezahlung einer Ware entspricht also ein objektiver Wert. Wenn ich dagegen für den Boden nichts bezahle, dann bleibt er trotzdem bestehen. Mein Vermieter hat nämlich mit dem Vorhandensein des Bodens gar nichts zu tun.

Der Boden ist eben da. Die Verbindung zwischen dem Boden und dem Menschen, dem man etwas vermeintlich „für den Boden“ bezahlt, ist bloß eine gedankliche Assoziation. Ein realer Zusammenhang besteht nicht. Ganz anders bei einer Ware: Da ist es gerade der reale Zusammenhang zwischen dem Wert der Ware und dem Menschen, den man für die Ware bezahlt, was den Preis definiert.

Auch der Boden kann einen Warenwert bekommen, sobald eine Arbeit an ihm verrichtet wird. Im Hinblick auf den Konsumbedarf des arbeitenden Menschen muss der Boden dann auch einen Preis bekommen. Wenn man aber der unbearbeiteten Natur bloß einen Preis gibt, stellt man die Wirklichkeit auf den Kopf. Denn dadurch, dass man der unbearbeiteten Natur einen Preis gegeben hat, ist ja kein Wert entstanden.

Der vermeintliche „Kauf“ von Grund und Boden ist in Wirklichkeit eine falsch etikettierte Schenkung. Man schenkt jemandem Geld. Man rechnet mit dieser Schenkung aber wie mit einem Kauf. Man rechnet so, als ob auf der Seite, zu der das Geld hingeht, durch die Zahlung ein Warenwert entstünde. Dabei weiß man gar nicht, ob der Beschenkte mit dem Geld Warenwerte erzeugen wird.

Der Boden hat jedenfalls dadurch, dass man sein Geld verschenkt hat, noch keinen Warenwert bekommen. Wenn der Boden einen Wert bekommen soll, dann muss vielmehr der, der sein Geld verschenkt hat, erst noch Arbeit in den Boden investieren. Wertbildend ist immer erst die menschliche Arbeit.

Daran denkt man aber für gewöhnlich nicht. Man projiziert lieber das verschenkte Geld in den unbearbeiteten Boden hinein. Das Geld muss irgendwie in dem Boden gebunden sein, denkt man sich. Und durch einen bloßen Verkaufsakt will man es wieder herauszaubern. In Wahrheit will man dann aber von einem anderen Menschen wieder Geld geschenkt bekommen. Das ist ein fauler Zauber: Man schenkt jemandem Geld, und hofft dann, dass man zu einem späteren Zeitpunkt wiederum etwas geschenkt bekommt.

Dieser Rechenfehler ist das Fundament unserer Wirtschaft. Jedes Unternehmen hat Kauf und Verkauf von Grund und Boden zu seiner Voraussetzung. Jedes Unternehmen muss nämlich wenigstens den Preis des Bodens, auf dem es selbst stattfindet, zur Berechnung seines Eigenkapitals heranziehen. Und deshalb muss sich jedes Unternehmen verrechnen. In jeder Bilanz jedes Unternehmens stecken Scheinwerte in Form von Imaginationen von Geld, das im Boden oder in den Maschinen „gebunden“ sei. Darum stimmen nirgendwo die Bilanzen.

Kredit

Dem entspricht nichts Reales, wenn ich sage: der Wert meines Bodens minus meine Schulden, das ist das was ich habe. Mit diesem eingebildeten Wert kann ich niemanden bezahlen. Wenn ich als angehender Unternehmer jemanden bezahlen will, dann brauche ich einen Kredit.

Was ist das aber überhaupt, ein Kredit? Angenommen, man hätte ein geschlossenes Wirtschaftssystem mit 10 Menschen. Jeder dieser Menschen bearbeitet ein Stück des Bodens. Nach getaner Arbeit gibt jeder die Früchte seiner Arbeit in einen gemeinsamen Topf, und nimmt dafür etwas anderes heraus.

Jetzt hat einer von den 10 eine Idee. Er glaubt, dass diese Idee für alle von Wert sein wird, wenn er sie umsetzen kann. Aber um seine Idee zu verwirklichen, muss er aufhören, das zu arbeiten, was er bisher gearbeitet hat. Trotzdem wird er etwas aus dem gemeinsamen Topf nehmen müssen, um zu überleben. Das macht er auch. Und anstelle der Waren, die er bisher erzeugt hatte, legt er jetzt in den gemeinsamen Topf einen Zettel. Auf den Zettel schreibt er, was er aus dem Topf entnommen hat.

Insgesamt erzeugen jetzt 9 Menschen die Werte, die 10 Menschen verbrauchen. Das heißt, von den 9 Menschen muss jeder mehr arbeiten als vorher, um das Projekt des 10. zu ermöglichen. Die 9 bekommen für ihre Mehrleistung von dem, der keine Waren in den Topf gibt, nur diese Zettel. Etwas anderes führt der 10. der Wirtschaft erstmal gar nicht zu, nur diese Zettel, auf denen drauf steht, was er den anderen schuldet.

Ausgeglichen wird die Mehrleistung der 9 Menschen erst dann, wenn der 10. Warenwerte erzeugt und sie in den gemeinsamen Topf gibt. Diese müssen dann aber entweder entsprechend höherwertig sein, oder dazu führen, dass die Arbeitszeit insgesamt zurückgeht. Denn die 9 Menschen werden für den 10. nur dann mehr Arbeitszeit aufwenden, wenn dessen Idee entweder etwas hervorbringt, das ihnen mehr Wert ist, oder etwas, das ihnen wieder Zeit zurück gibt. Sonst wäre es nämlich gesamtwirtschaftlich das beste gewesen, der 10. hätte am Boden gearbeitet wie eh und je.

Dann aber, wenn der 10. Warenwerte in den Topf geben kann, dann bekommen die Zettel, die er den Menschen früher einmal für ihre Arbeit gegeben hat, einen Wert. Mit den Zetteln könnten die Menschen dann etwas kaufen. Wenn das dagegen ausbliebe, dann wäre gesamtwirtschaftlich einfach weniger da. Das, was man am Anfang auf die Zettel geschrieben hat, wäre ja nicht drin, sondern würde fehlen. Auch mit den Zetteln könnte daher jeder nur weniger aus dem Topf herausnehmen, als er hinein gegeben hat.

Wenn nun einer viele Zettel in den Topf geben kann, dann kann er auch viele Menschen von anderer Arbeit abziehen und für sein Projekt arbeiten lassen. Dann versorgen eben nur noch 8 oder 7 oder noch weniger alle 10 Menschen. Solange dabei keine neuen Werte entstehen, ist die Last dann für diejenigen, die nicht an dem Projekt beteiligt sind, groß, und entsprechend groß ist die Verantwortung des Ideengebers, dass seine Idee fruchtbar ist. Das ist ein Kredit.

Kredit bekommt man in Wahrheit nie von der Bank. Die Bank gibt nur die Zettel (heute in Form von Bits) aus. Von der Bank bekommt man Geld. Und solange man das Geld bloß ausgibt, bekommt man Kredit von den Menschen, bei denen man es ausgibt. Das Geld, das der Kreditnehmer diesen Menschen für ihre Waren gibt, ist ein Schuldversprechen. Und wenn er in der Zeit, in der er die Waren konsumiert, selbst etwas leistet, das diesen Warenwerten entspricht, dann hält er damit sein Versprechen. Er fügt dem Wirtschaftskreislauf einen entsprechenden Wert hinzu. Das Geld hat dann erst eine Deckung bekommen.

Die Sicherheit

Wir haben uns an die Vorstellung gewöhnt, dass man einen Kredit nur für Sicherheiten bekommt, dass man also ein Eigenkapital haben muss. Denn falls der Kreditnehmer unfähig sein sollte, mit dem geliehenen Geld Werte zu erzeugen, und daher den Kredit nicht zurückbezahlen kann, dann ist es doch gut, wenn man auf einen bereits vorhandenen Wert zurückgreifen kann. So denkt man. Und darum haben wir Realkredite, Kredite also, für die Sicherheiten genommen werden, wie z.B. eine Hypothek oder eine Grundschuld. Stimmt die Rechnung aber, kann man sich überhaupt in dieser Weise absichern?

Was geschieht zunächst, wenn derjenige, der einen Zettel in den Topf legt und sich dafür Waren herausnimmt, selbst keine Waren erzeugt? Dann ist er eine Belastung für die anderen. Was passiert aber, wenn er zwar keine Waren erzeugt, aber zum Ersatz dafür den Boden verkauft, auf dem er arbeiten sollte? Er hat bis dahin ja auch Waren in Anspruch genommen, ohne eine Gegenleistung zu erbringen. Jetzt will er zum Ausgleich für seine fehlende Leistung, dass seine Mitmenschen auch noch den unbearbeiteten Boden bezahlen. Ist da irgendeine Logik drin? Der nächste, der jetzt den Boden bearbeiten soll, der vielleicht sogar fähig wäre, ihn zu bearbeiten, der muss sich nicht nur einen Kredit für seinen Verbrauch aufnehmen, sondern darüber hinaus noch einen zusätzlichen Kredit für den Boden, den sein Vorgänger an Stelle von Waren verkaufen will. Die unnötige Mehrleistung der Menschen, die tatsächlich wirtschaftliche Werte erzeugen, vervielfältigt sich. Das ist verrückt. Dadurch, dass die Bank eine Sicherheit für die Ausgabe von Geld bekommt, vergrößert sich der wirtschaftliche Schaden.

Wenn ein Kreditnehmer seine Geldschulden bei der Bank dadurch zurückbezahlen kann, dass er sein Grundstück verkauft, oder wenn die Bank es gar selber verkaufen muss, dann hat das Geld, das der Kreditnehmer ausgegeben hat, noch keinen Wert. Der Kreditnehmer hat Warenwerte verbraucht, aber keine Warenwerte erzeugt. Das Geld, das er für die Warenwerte gegeben hat, ist damit in den Händen derer, die die Warenwerte erzeugt haben, wertlos. Gesamtwirtschaftlich wurde dann durch den Kredit Geld vermehrt, aber es wurden keine Werte vermehrt. Es fehlt einfach auf dem Markt ein entsprechender Gegenwert für das Geld. So etwas nennt man eine Inflation.

Die Immobilienkrise

Durch den Verkauf von Grund und Boden kann der Kreditnehmer seine Geldschulden zurückbezahlen und ist aus dem Schneider. Die Schulden gegenüber den Menschen, bei denen er seinen Geld-Kredit ausgegeben hat, sind dann aber noch offen. Für diese Waren-Schulden muss jetzt der neue Nutzer des Bodens aufkommen, er muss Werte erzeugen, die sowohl seinen eigenen Ausgaben, als auch denen seines Vorgängers entsprechen. Durch den Verkauf von Grund und Boden kann ein Kreditnehmer also seine Schulden schieben.

In den USA ist jetzt folgendes geschehen: Die Banken haben Kredite für den Kauf von Grund und Boden gegeben. Die mit den Krediten gekauften Grundstücke dienten gleichzeitig als Sicherheiten für die Kredite. Ob die Kreditnehmer imstande waren, dem Boden einen Wert zu geben oder sonstwie einen Wert zu erzeugen, das blieb unberücksichtigt.

An den Böden, die in den USA wie Waren gehandelt wurden, wurde nicht gearbeitet, zumindest nicht entsprechend der Höhe der Kredite. Es entstanden keine Waren, aus deren Verkauf die Schuldner das Geld zum Ausgleich ihrer Kreditschulden hätten nehmen können.

Die Banken mussten deswegen aber nicht auf die Sicherheiten zugreifen, weil die Kreditnehmer diese Sicherheiten selber weiterverkauften. Ob eine Bank ihr Geld zurückbekam, das hing also davon ab, ob der Kreditnehmer seinen Boden teurer weiterverkaufen konnte. Die Bank musste nur dafür sorgen, dass die Nachfrage anhielt und der Wert des Bodens stieg. Worin bestand aber der Wert des Bodens? Eben darin, dass man ihn mit einem Kredit kaufen und dann teurer weiterverkaufen konnte. Der Boden erhielt gerade dadurch, dass man ihn als Sicherheit für einen Kredit benutzen konnte, einen Marktwert, und zwar eben in Höhe des Kredits.

Was machte die Bank also? Richtig. Sie gab immer mehr und immer billigere Kredite aus. So schlug sie zwei Fliegen mit einer Klappe: In dem Maße, da die Bank den Zins für Kredite senkte, stieg der Preis der Immobilien. Und in dem Maß, als die Bank Kredite vergab, waren dann auch neue Käufer da. Die alten Kreditnehmer konnten ihre Grundstücke teuer weiterverkaufen, und zwar an die, die jetzt einen Kredit genommen hatten. Die ehemaligen Grundbesitzer beglichen ihre Schulden bei der Bank einfach mit dem Geld, das die neuen Grundbesitzer ihrerseits von der Bank geliehen hatten. Und bei jedem Kaufakt entstanden Gewinne, für die echte Warenwerte konsumiert werden konnten.

Anfang 2006 ging der Verkauf plötzlich nicht mehr weiter. Die Kreditnehmer standen da und konnten ihre Grundstücke nicht mehr weiterverkaufen. Sie hätten in diesem Augenblick theoretisch alle Werte erzeugen müssen, die sie selbst und ihre Vorgänger verbraucht haben. Sie taten es aber nicht. Sie konnten es gar nicht. Das ist die Situation am Übergang von der Immobilienkrise zur Finanzkrise gewesen. Es wurde plötzlich offenbar, dass irgendein amerikanischer Arbeiter die Millionen, die er ausgegeben hat, selbstverständlich nicht erarbeiten wird, weil das ganz unmöglich ist. Das bedeutet aber, dass das Geld, das er ausgegeben hatte, in diesem Augenblick in den Taschen der Menschen, die für dieses Geld Waren erzeugt hatten, wertlos wurde.

Die Bilanz

Die amerikanischen Haushalte haben Warenwerte verbraucht, ohne Warenwerte zurückzuführen, und zwar in einem unvorstellbaren Ausmaß. Nach Schätzungen der Bank von England mussten die Banken Sicherheiten im Wert von 2800 Milliarden oder 2,8 Billionen Dollar abschreiben. Auf der anderen Seite stehen in den USA 4,7 Millionen neu errichtete Häuser leer. Der Bau eines dieser Häuser hat im Durchschnitt 212.000 Dollar gekostet. Das bedeutet, dass Bauarbeiter, Architekten, Ingeneure usw. dieses Geld ausgegeben haben. Sie haben konsumiert. Und so haben alle rund um die Kreditquelle konsumiert. Lebensmittel, Kleider, Öl, was man halt zum Leben braucht.

Das Wenigste davon wurde in den USA hergestellt. Es wurde vor allem in der sog. dritten Welt hergestellt, hauptsächlich in China, Korea, Südamerika und Afrika. Diese Länder warten vergebens darauf, dass die USA Gegenleistungen für die gelieferten Waren erbringen. Das Außenhandelsdefizit der USA gegenüber China z.B. hat 2006 bereits 200 Milliarden Dollar betragen, d.h., in diesem Zeitraum haben die Chinesen Waren im Wert von 200 Milliarden Dollar mehr in die USA geliefert als die USA nach China.

Jetzt würde man denken, dass die hungernden Menschen ja irgendwann damit aufhören müssten, ihre Waren an die „1. Welt“ zu verschenken. Das können sie aber nicht. An dieser Stelle kommt nämlich das Recht ins Spiel. Das Geld ist zwar nicht durch Produktivität gedeckt. Aber es erfährt durch die Staatsgewalt der westlichen Staaten doch wieder eine Art Deckung.

Das geschieht so: Das Geld, das die Amerikaner für die Waren bezahlen, das kommt nie bei den Menschen an, die die Waren erzeugen. Es ist ohnehin nichts wert, aber es kommt auch nie an. Es staut sich vorher. An den Produktionsmitteln, die für die Erzeugung der Waren vorausgesetzt werden müssen, haben nämlich wieder Amerikaner das Eigentumsrecht. Von Produktionsschritt zu Produktionsschritt wird so das Geld wieder für Eigentumsrechte an der unbearbeiteten Natur ausgegeben. Dieses Geld geht wieder zurück in die USA, in die selben Kredite hinein, von denen es kommt. Und durch diesen Rückstau des Geldes hat dann das bisschen, das ankommt, doch wieder einen Wert.

Es ist nicht nur so, dass der Kreditnehmer andere Menschen für sich arbeiten lässt, indem er ihnen einen Scheinwert berechnet. Grund und Boden ist zwar ein Scheinwert, wenn man ihn wie eine Ware bewertet. Aber er ist auch die Lebens- und Arbeitsgrundlage der Menschen. Wer sich in der dritten Welt in den Besitz des Bodens oder anderer Produktionsmittel bringt, der kann die Menschen, die Warenwerte für Scheinwerte geben müssen, auch die Erlaubnis geben, überhaupt arbeiten zu dürfen. Es ist also ein Privileg, seine Erzeugnisse an den Westen zu verschenken, weil man sonst überhaupt nicht arbeiten dürfte. Und deshalb nimmt man das stinkende Geld.

Der Eigentümer des Bodens hat einfach die Möglichkeit, die Waren, die die Menschen auf dem Boden erarbeitet haben, unter Wert zu bezahlen. Er kauft dadurch, dass ihm die Natur gehört, eigentlich nicht mehr Waren, sondern Arbeitszeit von Menschen. Wir haben uns schon so sehr an diese Vorstellung der käuflichen Arbeitszeit gewöhnt, dass wir gar nicht mehr von einem „Drücken der Warenpreise“ reden, sondern von einem „Drücken der Löhne.“

Dieses sog. „Drücken der Löhne“ ist in den westlichen Ländern nur bis zu einer bestimmten Grenze möglich. Hier stößt der „Unternehmer“ nämlich irgendwann auf das Recht. Es gibt Arbeitszeitregelungen, Mindestlöhne, und einen Sozialstaat, der gegebenenfalls einspringt. Wenn die Preise zu stark angehoben werden, dann streiken die Gewerkschaften, und die Löhne passen sich wieder an. In anderen Ländern herrschen dagegen andere Rechtsverhältnisse als hier. Da kann ein westlicher Eigentümer die Warenpreise so weit drücken, dass ein Großteil der Menschen verhungert. 40 Millionen Menschen sind allein letztes Jahr in diesen Ländern verhungert. Hier muss man also das Recht gewissermaßen als wertbildenden Faktor für die Volkswirtschaften der ersten Welt in die Rechnung mit aufnehmen.

Wenn die Waren nicht in unserem Land durch den Preis der Scheinwerte von Grund und Boden und Produktionsmitteln unverschämt teuer werden sollen, wenn die Löhne nicht hier gedrückt werden sollen, dann müssen die Löhne woanders gedrückt werden, und dann müssen die Waren woanders unverschämt teuer werden. Die Scheinwerte können nur dadurch bezahlt werden, dass andere Menschen nicht die selben Rechte haben wie Deutsche oder Amerikaner. Es gibt zwar innerhalb dessen, was hierzulande rechtlich möglich ist, auch eine Ungerechtigkeit zwischen Unternehmer und Arbeiter. Die Manager-Gehälter sind natürlich viel höher als die von Fabrikarbeitern. Insgesamt profitiert aber auch der Fabrikarbeiter von den Scheinwerten. Bilanzmäßig bekommt der Manager den größten Teil der Schenkung, der deutsche Arbeiter einen kleinen, und der Afrikaner schenkt eben.

Wenn wir sowohl Warenwerte zu den heutigen Preisen haben als auch Geld für Scheinwerte verschenken wollen, darf es in anderen Ländern keine Arbeitszeitbeschränkungen, keine Mindestlöhne und keinen Sozialstaat geben. Das ist gewissermaßen die Unterbilanz unserer Wirtschaft. So ist es möglich, dass Warenwerte für Scheinwerte nach Europa und in die USA kommen, und dann bei uns hängen bleiben.

Das Rettungspaket

Die Banken dürfen jetzt weiter Kredite für den Kauf von Scheinwerten ausgeben. Der amerikanische Staat und der deutsche Staat haben nämlich verkündet, für die Deckung des Geldes, mit dem weiter Warenwerte aus der ganzen Welt im goldenen Westen konzentriert werden sollen, zu garantieren. Aber ein Staat erzeugt keine Warenwerte. Was ist das also für eine Deckung?

Die Staaten werden das machen, was sie können: Politik. Sie werden die Grundlagen für Investitionen schaffen. Das bedeutet, sie werden die Bedingungen schaffen, unter denen aus Eigentumsrechten an Boden, Produktionsmitteln, Wasserquellen, Öl, Patenten und Genen die größtmögliche Zwangsschenkung herauszuholen ist. Die amerikanische Regierung und die deutsche Regierung werden jetzt zusammen dafür sorgen, dass in anderen Ländern Rechtsverhältnisse herrschen, unter denen die Warenwerte nicht mehr bezahlt werden müssen. Sie werden Unrechtsregime unterstützen. Sie werden Waffen verkaufen. Sie werden Krisenherde entfachen. Und sie werden Kriege vom Zaun brechen. Dann werden deutsche und amerikanische Investoren die unbearbeitete Natur in ihre Gewalt bringen. Und die Menschen, die von der Natur abhängen, werden ihr letztes für diese geben müssen. Im Westen wird man das so darstellen, als ob die dritte Welt Schulden bei der Ersten habe. Man wird hier Popkonzerte für einen Schuldenerlass veranstalten. Man wird sich solche Popkonzerte auch leisten können, weil die Rechtsverhältnisse so sind, dass wir diese Konzerte nicht bezahlen müssen.

Wir können diese Gewalt nicht mehr verhindern. Wir können aber zukünftige Kriege verhindern, und zwar nur dadurch, dass wir jetzt mit der Bilanzfälschung aufhören und die Scheinwerte aus unserer Wirtschaft herausnehmen. Das heißt, wir müssen bei uns selbst Schluss machen mit der Käuflichkeit von Grund und Boden. Wir müssen Schluss machen mit ungezielten Schenkungen. Wenn wir Frieden wollen, dann dürfen wir nicht für den Boden bezahlen, und wir dürfen uns nicht für ihn bezahlen lassen. Das ist ein notwendiger Zusammenhang, das ist für das Soziale ebenso ein Gesetz, wie irgendeine physikalische Formel ein Gesetz für die Natur ist.

Es gibt in Deutschland viele Initiativen, die unserem phantastischen System nicht bloß eine Ideologie entgegenstellen, sondern eine Wirklichkeit. Ganz real entziehen Menschen in Deutschland Grund und Boden dem Immobilienmarkt, z.B. mit Hilfe des Mietshäuser Syndikats. Und ganz real schöpfen Menschen in Deutschland selber Geld und haben so die Garantie, dass dieses auch gedeckt ist. Die Nutzer des Chiemgauers oder der Spreeblüte können z.B. weitgehend auf schmutziges Geld verzichten. Von dieser Art gibt es viele Initiativen, sie sind aber alle noch sehr schwach. Wer mitmachen oder gar selber etwas in Gang bringen will, das Hunger und Krieg an der Wurzel bekämpft, kann sich unter www.dreigliederung.de/initiativen einen Überblick über einige der Initiativen verschaffen.


Erschienen in Kursiv, Vierteljahresschrift der Freien Waldorfschule Heilbronn

Diese Online-Version des Textes darf zu den unten angegebenen Bedingungen kostenlos verbreitet werden. Allerdings sollte man dabei im Bewusstsein haben, dass diese Online Fassung eine Baustelle ist und sich der Text also von Zeit zu Zeit verändern wird.