Assoziatives Wirtschaften
die Suche nach sozialer Gerechtigkeit

01.01.1987

Eine Universalarznei zur Ordnung der sozialen Verhältnisse gibt es so wenig wie ein Nahrungsmittel, das für alle Zeiten sättigt. Aber die Menschen können in solche Gemeinschaften eintreten, daß durch ihr lebendiges Zusammenwirken dem Dasein immer wieder die Richtung zum Sozialen gegeben wird.
Rudof Steiner, Die Kernpunkte der sozialen Frage.

Wirtschaftswissenschaft ist die Suche nach den dem Wirtschaftsleben zugrunde liegenden Gesetzen und damit gleichzeitig der Versuch, den wirtschaftlichen Handlungen des Menschen eine objektiv-gesetzliche Grundlage zu verschaffen. In diesem Doppelcharakter von theoretischer (die wirtschaftlichen Vorgänge werden hier wie ein vorgefundenes Naturgeschehen betrachtet) und praktischer Wissenschaft (das wirtschaftliche Tun soll sich nach den wissenschaftlichen Erkenntnissen richten und dem Geschehen eine entsprechende Richtung geben) liegt nicht nur deren Eigenart, sondern auch ihr Dilemma begründet - vergleichbar mit dem zentralen Problem der Philosophie, eine Brücke zwischen Wahrheit der Erkenntnis und Ethik des menschlichen Handelns zu schlagen. [1] Denn die Art, wie die gewordene Natur betrachtet wird, ist ja selbst erst die Folge menschlichen Verhaltens, so daß dasjenige im Wirtschaftsleben als «objektive» Gesetzmäßigkeit erscheint, was wir zuvor «subjektiv» durch unsere Handlungen hineingelegt haben. Die Suche nach sozialen Gesetzmäßigkeiten im ökonomischen Leben - sie dürfen nicht verwechselt werden mit naturwissenschaftlich-technischen Gesetzen, wie sie z. B. in der Produktion angewendet werden - ist also in Wahrheit eine Suche nach Gesetzmäßigkeiten im Innern des Menschen.

Aus diesem Grunde ist es auch falsch, zu verlangen, daß wir uns «vor der so häufigen Verquickung sachlicher Untersuchung mit sozialpolitischer Wertung hüten müssen». [2] Diese Verquickung ist, dem Grunde nach, gerade das Kennzeichen des Wirtschaftsleben, denn Wirtschaft kann man nicht von außen anschauen, sondern als die sie Bewirkenden nur von innen, so «als ob wir selbst in der Retorte die darin ablaufenden Prozesse mitmachen». [3] Es gilt sogar das Gegenteil: Wer künstlich erst trennt, was der Sache nach eine Einheit bildet, muß sich am Ende seiner Untersuchungen fragen, wie er die Menschen nun dazu bringen will, sich gemäß der «nur sachlichen» Gesetze zu verhalten. So stehen am Ende dieser dualistischen Denkweise entweder die moralische Forderung nach freiwilliger Unterwerfung unter die gefundenen oder behaupteten Gesetze (Pflicht) oder die Anwendung äußeren Zwanges «zum Besten aller» (Verpflichtung). Beides aber ist unverträglich mit der Würde der freien, dem Einzelfall gerecht werden wollenden Individualität, auf deren Entwicklungsmöglichkeit unsere Menschenrechte bauen.

Leben, d. h. hier vor allem wirtschaftliches Leben, braucht individuelle Formkräfte, damit es sich nicht wucherungsartig ausbreitet. Was gibt unserem Wirtschaftsleben mit seinen wuchernden Produktivkräften seine Sozialgestalt? Von der Antwort auf diese Frage hängt der Gesundheitszustand des sozialen Organismus entscheidend ab. Eines kann dazu schon vorab gesagt werden: Die sich zur Freiheit entwickelnde Individualität wird darin nicht nur Gegenstand der Gestaltung sein können, sondern selbst Träger der Gestaltungsimpulse sein müssen. Man muß sich dem Wirtschaftsleben gestaltend gegenüberstellen, sonst gerät man unter seine Knechtschaft. Das Ergreifen dieser Aufgabe durch die im Wirtschaftsleben Tätigen - die Selbstgestaltung - ist eine von der gegenwärtigen Zeit geforderte und benötigte Not-Wendigkeit.

Die Frage nach Gerechtigkeit im Wirtschaftsleben

Die Menschheit strebt im Anfang der Kulturzustände nach Entstehung sozialer Verbände; dem Interesse dieser Verbände wird zunächst das Interesse des Individuums geopfert; die weitere Entwicklung führt zur Befreiung des Individuums von dem Interesse der Verbände und zur freien Entfaltung der Bedürfnisse und Kräfte des Einzelnen. [4]

Mit diesen schlichten Worten, bekannt als «Soziologisches Grundgesetz», weist Rudolf Steiner auf die revolutionäre Veränderung im Verhältnis des einzelnen zur Gemeinschaft hin, wie sie sich vor allem in jüngster Zeit vollzogen hat und noch vollzieht.

In der alle Lebensbereiche umschließenden Hülle von Gemeinschaften früherer Art empfand sich der einzelne nur insoweit als Individualität, als er Teil des ganzen Zusammenhangs war; im Hinblick auf diese Ganzheit erschien sie ihm als übergeordnete Autorität; von deren Repräsentanten empfing er wie selbstverständlich und zutiefst berechtigt die Richtlinien seiner allgemeinen Lebensführung. Für die Ordnung der sozialen Verhältnisse war der einzelne nicht verantwortlich. Was er - aus höheren Regionen der Priesterweisheit oder gewachsener Traditionen stammend - vorfand, war deshalb auch «gerecht», d. h. «richtig» bis hinein in die wirtschaftlichen Verhältnisse.

Nach dem Übergang des Führungsanspruchs an den «Jedermann» der Allgemeinen Menschenrechte unserer Verfassungen müßten sich diese, vorher mit voller Berechtigung praktizierten Verhaltensweisen, würden sie weiterhin beibehalten, in ihr Gegenteil verkehren. - Das Einsetzen des Ich in seine individuellen Rechte in den modernen Verfassungen verlangt vielmehr neue Verhaltensformen: Daß der einzelne sich selbst zur Individualität aus- und fortbildet und damit innerlich begründet, was ihm früher von außen zukam; daß er den Willen zur Über- oder Unterordnung verwandelt in die Kraft, seiner eigenen Einsicht gemäß zu handeln; daß die Gemeinschaft nur soviel Substanz hat, als er ihr durch Initiative und Tatkraft verleiht. Der einzelne wird zum Ausgangspunkt und Verantwortungsträger sozialer Umgestaltung. Eine solche Veränderung der Beziehungsverhältnisse kann man nicht von «oben» verordnen, sondern sie vollzieht sich in dem Ausmaß, als Menschen sie in ihrem freien Willen ergreifen.

Die Auflösung bisheriger sozialer Verbände führt nicht nur zu einem Bedeutungszuwachs der Persönlichkeit in geistiger und rechtlicher Hinsicht, sondern gleichzeitig auch zu ihrer sozialen Isolierung. Ohne tragfähigen Gemeinschaftsgeist wird das Ich viel mehr als früher dazu veranlaßt, für sich selbst zu sorgen. In diesem Moment sozialer Beziehungslosigkeit beginnt der Egoismus, sich der vor allem des sozial-wirtschaftlichen Organismus zu bemächtigen: Ich arbeite, weil ich meine Bedürfnisse befriedigen muß; die Arbeit wird zum Erwerb. Gleichzeitig aber bildet sich das soziale Leben, vor allem durch die Ausdehnung des Wirtschaftslebens über die ganze Erde und die Nutzbarmachung von Natur- und Geisteskräften in der Technik, arbeitsteilig aus. Jeder macht nur noch Weniges, aber dies für viele. Der einzelne kann die von ihm gefertigten Giiter gar nicht mehr für sich verwenden, und was er braucht, stellen andere her. Damit entsteht ein explosionsartig anwachsendes Tauschbedürfnis. Nicht mehr nur Überschuß-oder Mangelprodukte gehen durch Verkauf und Kauf, sondern im Grunde alles, was erarbeitet wird.

Was aber ist die Arbeit wert? Erhielte und behielte jeder die tatsächlichen Produkte seiner Arbeit, würde sich die Frage erübrigen. Doch da sie allgemein getauscht werden müssen, kommt ihr eine zentrale Bedeutung zu. Allerdings müssen wir sie dazu umformulieren; nicht Arbeit tauscht sich gegen Arbeit direkt, sondern nur die erzeugten Produkte; deshalb muß die Frage heißen «Was sind die Produkte meiner Arbeit wert?» (Obwohl dies selbstverständlich erscheint, hat doch die Frage nach dem direkten Wert der Arbeit bis heute zu unzähligen Theorien geführt.) - Das Verhältnis zweier zu tauschender Waren drückt ihr soziales Wertverhältnis aus. Durch das Dazwischentreten des Geldes drückt sich dieser Wert in Geld aus: als Preis. Da sich Preise vergleichen lassen, zeigen sie an, wieviel jeder an Produkten selbst hergeben (verkaufen) muß, um die Produkte des oder der anderen erwerben (kaufen) zu können. Wird dieses Verhältnis als gleichgewichtig erlebt, sprechen wir von gerechten Preisen, Ungleichgewichtigkeiten erleben wir dagegen als ungerecht. Die Preisgerechtigkeit bezieht sich also auf das Maß gegenseitiger Produktzuteilung, d. h. aber auf das Maß gegenseitig zu leistender Arbeit. Die Frage nach der gerechten Beziehung des Ich zu seinen Mitmenschen wird im arbeitsteiligen Wirtschaftsprozeß zur Frage nach dem Preis und wird daher auch dort die Antwort finden, wo wir es mit den preisbildenden Kräften zu tun haben.

Wie kommen wir zu gerechten Preisen? Die gegenwärtige Weltwirtschaftssituation stellt diese Frage mit großem Nachdruck: Preisungerechtigkeiten haben die Arbeiterschaft über lange Zeit zutiefst empört und damit eine schwere Krise im sozialen Leben ausgelöst, deren zersplitternde Wirkung auch heute noch andauert und sich in den politischen Blockbildungen der Weh zeigt. [5]

Preisungerechtigkeiten haben die Landwirtschaft in vielen Teilen der Welt zu einem nur unwillig am Leben erhaltenen Bankrotteur gemacht, der im Überschuß verhungert; unerträgliche Preisrnißverhältnisse sind ursächlich für einen großen Teil der Verschuldungsprobleme der dritten Welt verantwortlich, usw.

Die Verbindung zweier anscheinend so weit auseinanderliegender Gesichtspunkte wie Gerechtigkeit und Preis muß naturgemäß Widerstände hervorrufen. Zwei Haupteinwände sind es vor allem: Der eine richtet sich gegen die Verbindung eines rational-objektiven Gesichtspunktes (Preis) mit einem subjektiven Empfinden (Gerechtigkeit). Der andere hält die Preisfrage generell für rational unlösbar, schon gar nicht durch «die irrende Vernunft des Menschen, und dazu des heutigen, heruntergekommenen Menschen». [6] Die Selbständigkeit der demokratischen Mündigkeit nützt jedoch in der Lebensrealität nichts, wenn nicht auch die Frage des wirtschaftlichen Anteiles des einzelnen am Leisten und Verbrauchen gerecht geregelt wird. Wer dies durch menschliche Einsicht für nicht regelbar hält, verurteilt den einzelnen geradezu zum Egoismus und läßt damit das Fundament unserer Gesellschaft, die freie Mündigkeit, zur IllusIon werden. Der inneren Entmündigung wird dann bald auch die äußere folgen. Wer dagegen die Gerechtigkeitsfrage aus dem Wirtschaften heraushalten möchte, übersieht, daß sie mit dem Tauschen untrennbar verbunden ist.

Damit zeigt sich der eigentliche Hintergrund der beiden Einwände. Es geht nämlich allein um die Verantwortung für die auftretenden sozialen Verhältnisse. Wer die Vernunft aussperrt, spricht sich gleichzeitig vom sozialen Gestaltungsauftrag los; denn Vernünftigkeit ist die Grundlage unserer Mündigkeit und damit der Möglichkeit und Tatsächlichkeit der Verantwortungsübernahme für eigenes Tun. Wirtschaftsleben aber ist unser eigenes Tun. Die ausschließliche Berufung auf «objektive» Prozesse, die dies oder jenes hervorbringen, weist immer auf uns zurück als deren letztendliche Verursacher. «Soll ich der Hüter meines Bruders sein?» - Die Bejahung dieser Frage wird von der gegenwärtigen Realität des sozialen Lebens geradezu gefordert; der Wille, sie als Aufgabe zu ergreifen, ist der Ausgangspunkt zukünftiger Sozialgestaltung.

... Darum muß alles seinen Preis haben

«Denn ohne Tausch wäre keine Gemeinschaft möglich, und kein Tausch ohne Gleichheit, und keine Gleichheit ohne messende Vergleichbarkeit. .. Darum muß alles seinen Preis haben.» [7] Diese knappste Zusammenfassung der Verbindung von Gerechtigkeit und Preis zeigt die treffende Denksicherheit, mit der Aristoteles die innere Problematik des damals ja erst langsam heraufziehenden Wirtschaftslebens erfaßte.

«Denn ohne Tausch wäre keine Gemeinschaft möglich» - Seitdem hat sich die Bewußtseinslage der Menschheit erheblich verändert. Und auch der Prozeß der Arbeitsteilung hat sich zwischenzeitlich auf den Flügeln moderner Technik über die ganze Welt ausgebreitet. Niemand, der nicht durch die vielfältigsten Warenströme und Produktionsverhältnisse mit der ganzen Welt durch sichtbare und unsichtbare Fäden verknüpft wäre. Wirtschaftlich ist die Welt eine Einheit geworden, die daran beteiligten Menschen bilden eine Weltgemeinschaft. Die Forderung nach freiem Welthandel wurzelt, bei aller Problematik der gegenwärtig praktizierten Lösungen, letztlich in dem Gefühl und Wissen, daß diese Weltwirtschaftsgemeinschaft ohne ihn schweren Schaden nähme, ja gar unmöglich wäre. - Die Wirtschaftswissenschaft nimmt davon nur zögernd Kenntnis. Noch immer wird «National»-Ökonomie betrieben, d. h. man geht von Volkswirtschaften aus, die miteinander nur ausgleichenden Handel treiben. Das Steckenbleiben des Wirtschaftsdenkens im National-Politischen, z. B. in Form des um sich greifenden Protektionismus, ist derzeitig das größte Hindernis auf dem Weg zu einer Weltwirtschaftsgemeinschaft.

«Kein Tausch ohne Gleichheit» - Freier Welthandel kann aber auch nicht heißen, den chaotisch-wuchernden Wirtschaftskräften einfach ihren Lauf zu lassen. - Jeder Mensch kann nur das nach seinen Fähigkeiten Mögliche leisten. Bringt er etwas hervor, wonach Bedarf besteht, so muß er in der arbeitsteiligen Wirtschaft im Tauschakt soviel an Gegenwert erhalten, «daß er seine Bedürfnisse, die Summe seiner Bedürfnisse, worin natürlich eingeschlossen sind die Bedürfnisse derjenigen, die zu ihm gehören, befriedigen kann, solange, bis er wiederum ein gleiches Produkt verfertigt haben wird». Rudolf Steiner nennt dies auch die soziale Zelle oder den Urbanstein des Wirtschaftlichen, das soziale Atom. [8] Dies ist die notwendige Bedingung dafür, daß das Wirtschaftsleben für den einzelnen und die Gemeinschaft seinen Fortgang finden kann. Dem gesamtwirtschaftlich geforderten Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage liegt demnach das Lebensgleichgewicht der einzelnen zwischen ihrem Fähigkeitspotential und den zu dessen Entfaltung notwendigen Bedürfnissen zugrunde. Wenn jeder über den Preis das Seinige als Gegenleistung erhält, dann ist die qualitative Gleichheit, d. h. Gerechtigkeit, erreicht.

«Keine Gleichheit ohne vergleichende Meßbarkeit (Kommensurabilität)». - Das Meßproblem hat zwei Seiten. Zum einen braucht es ein Meßinstrument, zum anderen eine Verständigung über die Maßeinheiten. Letzteres wird bewirkt durch die durch Lebenserfahrung erworbene Kenntnis der konkreten Lebensverhältnisse aller Beteiligten. Was Menschen können und brauchen, hängt eben ab von der Art der Lebensumstände. Die kleinen, überschaubaren Verhältnisse früherer Lebens-und Kulturgemeinschaften haben es in dieser Hinsicht viel leichter gehabt. Das stete Zusammenleben lieferte von selbst den Erfahrungsstoff für die Wertung der Tauschbeziehungen, die deshalb oft auch langfristig Bestand hatten. In der modernen Weltwirtschaft wird der ursprünglich durch persönliche Beziehungen und Bekanntschaften durchwobene Markt zu einem entpersonalisierten, abstrakten Begriffsgebilde, dessen Beteiligte in gegenseitiger Anonymität versinken. Ohne Rückgewinnung des lebendurchtränkten Erfahrungspotentials der am Wirtschaftsleben Beteiligten, wird die Preisgerechtigkeitsfrage kaum lösbar sein. - Mit dem Geld steht uns ein ideales Meßgerät zur Verfügung, jedenfalls solange es ausschließlich und selbstlos der Meßfunktion dient. Im Vergleich zum Naturaltausch ermöglicht es die kürzeste aller möglichen Tauschbeziehungen: Mit nur einem Tauschakt (Verkauf und Kauf sind ja nur die Hälften des ganzen Tausches) läßt sich eine von mir hergestellte, aber nicht gebrauchte Ware in eine durch andere hergestellte, aber von mir begehrte verwandeln. Da sich Verkauf und Kauf aber zwischen verschiedenen Personen und zu verschiedenen Zeiten abspielen, muß das Geld die rechtliche Sicherheit verkörpern, daß es im Bedarfsfalle in eine reale Leistung zurückverwandelt werden kann. Daher darf es sich nicht nur um eine nominale Einlösungsgarantie des Geldes handeln, sondern sie muß auch die reale Kaufkraft berücksichtigen. Eine Inflation wirkt z. B. so, als ob jemand das Meßgerät verstellt hätte. Die Nichtverläßlichkeit des Instrumentes aber erzeugt ein soziales Klima des Mißtrauens in die Zukunft. - Noch problematischer ist die Entwicklung von Geld und Kapital zu einer «Als-ob-Ware» mit eigenen Geld-und Kapitalmärkten. Diese Entkoppelung von der sozialen Realität, für die doch letztlich Geld nur ein Ausdruck sein kann, macht das Geld zu einem «unreellen Konkurrenten» des Waren-und Leistungsstromes, dem es die Lebensbedingungen seiner eigenen, abstrakten Wesenheit aufzuzwingen versucht. (Als Beispiel mag einer dieser Geldmärkte, der Devisenmarkt, dienen. Die irrlichterisierenden Bewegungen der Wechselkurse sind Folgen einer mit Computergeschwindigkeit hin- und herschwappenden, sozial nicht gebundenen Geldkapitalmasse, deren Volumen ein vielfaches der realen Leistungsströme betragen kann. Die dadurch ausgelösten Devisenkursschwankungen aber chaotisieren die Waren- und Investitionsgüter-Ströme, deren Mittel- und Langfristigkeit der Kurzfristigkeit ungebundenen Kapitals hoffnungslos unterlegen ist.) Auf das Meßinstrument und den Meßvorgang übertragen heißt dies, daß das Instrument seine Neutralität und Objektivität eingebüßt hat. Deren Wiederherstellung, die Rückbindung des Geldes in den ausschließlichen Dienst sozial-realer Leistungsströme, ist deshalb ebenfalls eine Aufgabe, die mit der Lösung der Gerechtigkeitsfrage der Preise eng verkoppelt ist.

«Darum muß alles seinen Preis haben» - «seinen» meint offenbar den gerechten Preis, denn langfristig wird nur eine Gemeinschaft bestehen können, wenn ihre sozialen Verhältnisse von allen Beteiligten als gerecht empfunden werden. Ist der Weg zur Gerechtigkeit über den komplizierten Preisbildungsvorgang aber der richtige? Wäre es nicht leichter, man würde die Preise, in denen sich Ungerechtigkeiten manifestieren können, einfach abschaffen? Abschaffen könnte man den Geldpreis nur, indem man das Geld abschafft. Sobald man aber nicht am Preisetikett hängen bleibt, erkennt man, daß das Preisfestsetzungsproblem als Ausdruck der Tauschverhältnisse solange da ist, als Leistungen getauscht werden. Preise abschaffen hieße daher entweder Rückfall in alte Formen der Selbstversorgung oder aber Vorwärts zu neuen Zusammenarbeitsformen ohne die bisherige Form des Tauschens, etwa so, daß wir nun alles verschenken würden. -

Zweifellos wird die Verteilungsfrage durch den Verzicht des einzelnen auf den Anspruch auf seine Arbeitserträgnisse auf eine sittlich höhere Ebene gehoben. Für die Preisfrage aber ist dies kein Ersatz; denn solange nicht beliebig viele Güter zur Verfügung stehen, muß ja nach wie vor beantwortet werden, wer wieviel erhält. Die schenkende Tugend der Liebe ist nicht die Aufhebung der Gerechtigkeit, sondern ihre Weiterbildung. Einem Menschen kann man weder gerecht werden noch ihn lieben, wenn man ihn nicht kennt. Erkennendes Bewußtsein ist deshalb die Grundlage sowohl der Gerechtigkeit als auch der Liebe: «Der Weg zum Herzen führt über den Kopf.» [9] Soll die sich verschenkende Liebe nicht von Absichten, Vorlieben oder Willkür werden, so muß sie erst zum klaren, die sozialen Verhältnisse durchschauenden Bewußtsein erzogen werden. Diese Aufgabe der Erziehung von sozialer Blindheit zur sozialen Wachheit kommt dem Preis zu.

Indem eine Ware einen Preis erhält, tritt sie im sozialen Zusammenhang von Erzeugung und Verbrauch aus dem Dunkel der Empfindung in die Helligkeit unseres Wachbewußtseins. Dieses wache Bewußtsein für das soziale Beziehungsgefüge erreichen wir, indem wir das wirtschaftliche Leben im Momente des Tausches «anhalten», ihm seine Lebendigkeit nehmen. Wieviel vom sozialen Leben scheint noch durch den als bloße Zahl auf einem Etikett vorhandenen Preis hindurch? Es ist daher eine zunächst berechtigte Empfindung vieler Menschen, wenn sie das Preiswesen als sozial erkältend und das «warme» soziale Leben zerstörend wahrnehmen. - Und dennoch: Wer so empfindet, bleibt mit seinem Bewußtsein an der Oberfläche der Preise stehen. Er erkennt nicht, daß dies nur die Schattenseite des Preisbildungsprozesses selbst ist, in dem die Gerechtigkeitsfrage ihren Ausdruck sucht und auch finden kann, wenn wir mit warmer innerer Anteilnahme in die dem Preisgeschehen zugrunde liegenden Wirtschafts- und Lebensvorgänge verantwortlichgestaltend eintreten. Der Preis ist zwar das Ende des Wirtschafts-Lebens, aber zugleich auch der Anfang der Wirtschafts-Gestaltung.

Freispruch von sozialer Verantwortung - das Modell der Marktwirtschaft

In alten Kulturen wie Sumer haben noch Priester im Tempel die richtigen Preise der auszutauschenden Güter festgelegt und damit das soziale Leben nach damaligen Vorstellungen und Empfindungen gerecht geregelt. Wer aber legt den Preis fest zwischen gleichberechtigten Menschen, deren wirtschaftlich-soziale Beziehung nur noch durch den Faden von Verkauf und Kauf verknüpft ist?

Vor allem die industrielle Revolution hat die wirtschaftlichen Zustände auf vielfältigste Weise radikal verändert:

  • mit den alten Sozialstrukturen zerfielen auch die bisherigen Erfahrungsfundamente der Gerechtigkeitsempfindungen im wirtschaftlichen Austausch;
  • für die neuen Produkte und Produktionsverhältnisse waren noch gar keine Erfahrungen da, an denen sich Empfindungen hätten entzünden können;
  • die technische Massenproduktion beschleunigte die Arbeitsteilung. Dadurch mußte allmählich unsere gesamte wirtschaftliche Existenz durch Verkauf und Kauf geregelt werden, deren zeitlich und personell versetzter Zusammenhang vom einzelnen nicht mehr vollständig erfaßt werden konnte; gleichzeitig wurde durch die aufkommende Lohnarbeit der größte Teil der arbeitenden Menschen von den realen Tauschverhältnissen «Ware gegen Ware» ausgeschlossen und mußte sich auf das irreale, menschenunwürdige Tauschverhältnis «Arbeit gegen Ware» einlassen;
  • die Tauschpartner entschwanden in der Anonymität und räumlichen Ferne der Weltmärkte, für die man zwar herstellt und von denen man herstellen läßt, deren Spuren sich aber auf den langen Handelswegen verwischen und deren soziale Lebensumstände dadurch der eigenen Erfahrung nicht mehr zugänglich sind;
  • Produktion und Verkauf, Konsumtion und Kauf trieben weltarbeitsteilig auseinander, bis sie sich als in Haß-Liebe vereinte und gleichzeitig getrennte Marktmächte «Angebot» und «Nachfrage» gegenüberstanden;
  • Produktionsfreiheit als Erlaubnis, daß jeder alles produzieren darf, wenn er nur einen Käufer findet, und Konsumfreiheit als Berechtigung, jedes Produkt nach Belieben kaufen zu können, wenn man es nur bezahlen kann, zerstörten endgültig alle festen Verbindungen zwischen den Wirtschaftspartnern und machten das Spontanprinzip zur Gestaltungskraft der Sozialordnung. Planende Gestaltung ist für das Ganze nicht mehr möglich und damit auch keine bewußte Preisgestaltung d.h. kein gerechtes Verhalten mehr.

Verkauf und Kauf sind die beiden sich im Verkehr mit den anderen Mit-Wirkenden der arbeitsteiligen Wirtschaft abspielenden, preisbildenden Hälften eines Tauschvorganges, deren Entsprechung oder Deckungsgleichheit den gerechten Lohn darstellt, weil er den Fortgang des Wirtschaftsprozesses ermöglicht. Das Verblassen der Beziehungen zu den Tauschpartnern rückt die Bedeutung und das Wohlergehen des eigenen Ego immer stärker in den Vordergrund. Die Isolation führt zur ich-zentrierten «Selbstversorgung» im übertragenen Sinne, die aber jetzt nicht mehr wie früher natural stattfindet (ich produziere für mich, was ich brauche), sondern im Umfeld der Arbeitsteilung sich auf den Gelderwerb richtet. Der einzelne mit seinem Wohlergehen steht jetzt im Vordergrund; die Gerechtigkeit wird zur Selbstgerechtigkeit, zum Egoismus. Wer teuer verkaufen und billig einkaufen kann, ist nicht ungerecht, sondern erfolgreich. Der Egoismus wurde zur wohl für alle Zukunft geltenden alleinigen Triebkraft wirtschaftlicher Betätigung erklärt. [10]

Die moderne Arbeitsteilung schafft extreme Abhängigkeiten und zugleich ein dichtes Netz von Austauschbeziehungen. Wie aber soll eine Gemeinschaft von Gleichberechtigten und Aufeinanderangewiesenen existieren, wenn ihr Fundament der Wille des einzelnen zur Übervorteilung, also zur Ungerechtigkeit ist? Übervorteilungen können nur über die Preise verwirklicht werden; ihre Gestaltung und Beherrschung muß deshalb das Ziel sein. - Mit dem Marktwirtschafts-Modell fand Adam Smith einen Ausweg: Der Preis muß aus der direkten Beeinflussung durch die Beteiligten am Wirtschaftsleben herausgehoben werden. - Der einzelne bemerkt in seinem Lebensumfeld einen Preis, der ihm einen Gewinn verspricht. Diese Aussicht auf einen Preisvorteil aktiviert und beflügelt ihn - gleichsam automatisch -, den ständig auf Gewinn lauernden Egoismus in wirtschaftlichen Handlungen einzubringen. Doch zunächst handelt es sich nur um Gewinnerwartung, einen vorgestellten Gewinn. Solche Vorstellungen aber kann man nach Belieben haben und vervielfältigen. Sorgt man nun dafür, daß die Gewinnaussicht veröffentlicht wird, so daß viele von ihr ergriffen werden, daß niemand daran gehindert wird, sich um deren Realisierung zu seinen Gunsten zu bemühen, wobei keiner vom anderen wissen oder sich mit ihm verständigen darf, dann sind die wesentlichen Marktbedingungen der vollständigen Konkurrenz erfüllt. Die Summe der von jedem erhofften Vorteile ist dabei größer als die Möglichkeit zu ihrer Erfüllung. Da in der Arbeitsteilung aber niemand in seiner Position beharren kann, jeder den Tausch zum Fortgang seiner Existenz benötigt, besteht praktisch Tauschzwang. Die nun einsetzende Konkurrenz um die wenigen Tauschpartner treibt den Preis in die den Erwartungen jeweils entgegengesetzte Richtung, je nach Konstellation sogar weit über den gerechten Preis hinaus. Das Handlungsergebnis widerspricht der Handlungserwartung: Was der einzelne wollte, ist ungewollt der Gemeinschaft in der Person der Tauschpartner zugeflossen. In diesem Prinzip der «gesellschaftlichen Aneignung privater Produktionserfolge» wird geradezu der Sinn der Marktwirtschaft gesehen. [11]

Die Gerechtigkeitsfrage hat nun eine überraschende Wendung genommen. Aristoteles versuchte bereits eine Definition des gerechten Preises und findet sie in einer geometrischen Proportionalität, die besagt, daß die Preise den vollständigen gegenseitigen Austausch des Tagewerks ermöglichen sollen. Gleichzeitig aber ist für ihn die Gerechtigkeit die höchste der menschlichen Tugenden. Keine Gerechtigkeit ohne gerechtes Verhalten. - Ganz anders Adam Smith: Ob wegen der realen nicht mehr zu überschauenden Verhältnisse oder des unausrottbaren Egoismus in der menschlichen Seele - ein gerechtes Handeln ist nicht möglich, aber auch nicht mehr nötig. Denn der Marktmechanismus als über dem Menschen stehende, mit mathematisch-unbestechlicher Objektivität den Egoismus zur Herausgabe seiner Beute zwingende Instanz, sorgt dafür, daß kein Egoismus überbordet. Gerechtigkeit wird so zum Gleichgewicht der Egoismen. (Diese Art, wünschenswerte Zustände nicht von innen, sondern von außen als Paralysierung zweier aufeinanderprallender Kräfte gleichen Wollens, herbeizuführen, ist heute sehr verbreitet, z. B. als Gleichgewicht des Schreckens, in der Tarifautonomie usw.)

Mit der Schaffung des Marktmodells hat Adam Smith versucht, der modernen Menschheit die quälende Verantwortung für die soziale Gerechtigkeit dem Mitmenschen gegenüber abzunehmen. Der Preis für diesen «Ablaß» erscheint klein: Es ist die bedingungslose Unterwerfung unter die Gesetze des freien Marktes. Dafür aber ist plötzlich der Egoismus kein zu verbergender Makel mehr, sondern soziale Pflicht, zu deren Erfüllung man sich offen und stolz bekennen darf.

Der Einsicht, daß das mit dem Marktmodell erreichte Wohlstandswachstum durch den Verzicht auf sittlichen Fortschritt der Menschheit erkauft wird, halten Modelldenker der Marktwirtschaft entgegen, eine solche Anschauung könne nur die Folge eines «idealistischen» aber «unrealistischen» Menschenbildes sein. «Dieses Menschenbild setzt den Glauben voraus, daß der Mensch ein in ständiger Entwicklung auf eine ausgedachte Vollkommenheit hin befindliches Wesen sei. Es offenbart also eine aszendente Anthropologie, die nur als anthropologische Überschätzung bewertet werden kann. Tatsächlich läßt sich ein solch vollkommenes Wesen bisher in der Geschichte, auch in der Geschichte sozialistischer Ordnungen, nicht auffinden und nachweisen.» [12] (Diese Feststellung zeigt, neben ihrer nicht stichhaltigen Beweisführung, auf, wie schnell manche bereit sind, um der Rettung eines Wirtschaftsmodells willen den eigentlichen Sinn des Menschseins preiszugeben.)

Das Motiv des Egoismus spürt jede für einen Vorteil nutzbare Chance auf und setzt sie in wirtschaftliche Aktivität um; der Egoismus ist nie befriedigt, sondern betrachtet seine Erfolge nur als ermunternde Zwischenstationen auf seinem Strebensweg. Der Markt verteilt die erreichten Erfolge auf die ganze Wirtschaftsgemeinschaft. Der Vorteil des einzelnen verwandelt sich dabei in die Billigkeit für die anderen. Solange der Egoismus nicht ruht, wird auch die Tendenz zur Verbilligung anhalten: Billigkeit ist die neue soziale Gerechtigkeit der Marktwirtschaft. Sie ist objektiv und kommt allen, Egoisten wie Idealisten, in gleicher Weise zugute. - Dem Preis kommt in diesem Modell noch eine zweite wichtige Rolle zu. Er sorgt nicht nur für das kurz- und langfristige Warengleichgewicht, sondern die durch ihn ausgelösten Gewinnaussichten sind auch Lenkungskraft für die «Produktionsfaktoren» Arbeit, Kapital und Boden. Wo die Gewinnaussichten hoch sind, da wandern diese Faktoren der Rendite wegen hin und sorgen für Produktions- oder Produktivitätsverbesserungen, bis sich auch in der Rendite ein langfristiges Gleichgewicht aller Produktionszweige einstellt und damit eine «gerechte» Verteilung der Produktionsfaktoren.

Ziel des Wirtschaftens ist es, die Bedürfnisse der Menschen durch Produkte zu befriedigen. Daraus würde folgen, daß man seitens der Produktion den Bedarf bereits vorher genau kennen sollte. Ein solches Vorher-Wissen hält man in der Marktwirtschaft für nicht möglich und nicht nötig. Die Kraft der Nachfrage zeigt sich vielmehr im Preis, dessen Attraktivität die Produktion ansaugt. Da der Egoist seine wirtschaftlichen Entscheidungen ausschließlich auf sein Verhalten zum Preis stützt und stützen muß, kann er nicht wahrnehmen, was seine Konkurrenten und seine Kontrahenten für sich entscheiden. Diese soziale Blindheit führt zur Ungleichgewichtigkeit von Angebot und Nachfrage. Der Marktmechanismus sorgt nun kurzfristig für ein Gleichgewicht, in dem der Preis so angepaßt wird, daß er Angebot und Nachfrage nachträglich zur Deckung bringt. Da die Produktion dann schon stattgefunden hat, handelt es sich lediglich um einen arithmetisch-quantitativen Ausgleich der Ungleichgewichtigkeit wie er z.B. stattfindet, wenn der Kaufmann zu den Feiertagen seinen Gemüsestand durch Preissenkungen räumen möchte. Dieses Räumungsgleichgewicht bedeutet marktwirtschaftlich gteichzeitig auch Marktgerechtigkeit. - Aristoteles kannte zwei Arten von Gerechtigkeit, das gerechte Verhalten (austeilende Gerechtigkeit als Tugend) und das Wiederherstellen der Gerechtigkeit nach ungerechtem Verhalten durch die Rechtsprechung (ausgleichende Gerechtigkeit). Die austeilende Gerechtigkeit strebt dabei von vornherein gerechte Preisverhältnisse an; bei der ausgleichenden Gerechtigkeit gibt der Richter dem durch einen ungerechten Preis Benachteiligten soviel vom Überschuß des Übervorteilenden, daß sich schließlich ein Vorteilsgleichgewicht ergibt. Dieser Ausgleich erfolgt arithmetisch proportional, jedoch erst nachträglich. So wird deutlich, daß die Marktwirtschaft durch und durch ein Modell juristisch hergestellter Gerechtigkeit ist, allerdings in eigenartiger Ausprägung: Erst fordert sie den Wirtschaftenden zum Egoismus und damit zum Unrecht der Übervorteilung auf (bzw. sie unterstellt, daß alles wirtschaftliche Handeln tendenziell ungerecht ist), um dieses Unrecht dann anschließend durch den «überpersönlichen Richter», den Markt, über den Marktpreis arithmetisch wieder auszugleichen. Das soziale Leben wird zur permanenten Gerichtsverhandlung, die den Angeklagten ständig freispricht, seinen Vorteil aber konfisziert.

Den bisherigen Ausführungen kann man nun entgegenhalten, daß die Praxis doch längst über das abstrakte Modell hinausgeschritten sei. Allerdings: denn schon längst findet die Wissenschaft keine vollkommenen oder freien Märkte mehr vor; die Bewußtseinsgrenze zwischen den Marktpartnern wird durch Absprachen, Werbung oder Marktforschung längst überschritten; der Staat wirtschaftet überall mit, lenkt Investitionen oder beeinflußt Marktkorrekturen; Unternehmen produzieren mehr bei fallendem Preis oder konkurrieren unter Herstellkosten gegeneinander; die Sozialpolitik ist an die Stelle marktwirtschaftlicher Gerechtigkeit getreten und korrigiert, was der Markt nicht kann usw. Obwohl die Liste der Verfehlungen fast beliebig erweitert werden könnte, hat sich das Marktmodell dennoch mit seinen Basisvorstellungen vom ungezügelten und unverbesserlichen Egoismus und der freien Konkurrenz tief in das Vorstellungsleben des einen Teils der Menschheit eingefressen. Wenn die soziale Praxis ständig zur Korrektur und Veränderung drängt, dann muß doch wohl am Denkmodell etwas nicht stimmen. Ein neuer Denkansatz ist längst fällig, aber in welche Richtung?

Gerechtigkeit rational planen - das Modell sozialistischer Wirtschaften

Das komplexe Gebilde einer modernen Marktwirtschaft entspricht keinem vorgedachten Gesamtplan; vielmehr ergibt sich das Ganze als Folge unzähliger spontaner Einzelentscheidungen. Indem einerseits das Motiv wirtschaftlichen Handelns an den zweifellos im Menschen vorhandenen und im Gefolge stärker werdender Persönlichkeitsentfaltung wie als deren notwendiger Schatten auftretenden Egoismus gefesselt wird, andererseits durch den «Markt-Prozeß» der Konkurrenz die Früchte der egoistischen Betätigung der Allgemeinheit in Form langfristig gesicherter Billigkeit der Produkte zugeführt werden, kann der Gegenstand des individuellen Strebens völlig frei bleiben. Es braucht keine Planungsbehörde: La monde va de lui meme. Dies gilt auch für die Gerechtigkeit der Preise; ein individuelles Gerechtigkeitsempfinden würde den Gang der Marktwirtschaft nur empfindlich stören.

Solange sich solche Gedanken auf das Warengeschehen mit seinen Tauschvorgängen beziehen, eignet ihnen eine große Schlüssigkeit und sicher auch manches historische Verdienst. Die theoretische Ausklammerung der realen Lebens-und Produktionsverhältnisse aber hatte bis heute wirkende gravierende Folgen. Teilt man nämlich die Wirtschaftswelt in «Angebot» und «Nachfrage», so müßte dies doch eigentlich alle Arbeitenden mit einbeziehen, denn alle sind zur Lebensführung auf Verkauf und Kauf angewiesen. Was aber hat jemand zu verkaufen, der in einer Fabrik angestellt ist und dort nur einen kleinen Anteil an einem Produkt leistet? Eine wirklichkeitsgemäße Antwort hätte lauten müssen: Verkauft wird das gemeinsame Produkt und jeder einzelne erhält daran seinen Anteil. Statt dessen wurde die Arbeit vom Produktionsvorgang abgelöst und zu einem separaten, aber unwirklichen Markt, dem «Arbeitsmarkt», gemacht, auf dem sich Arbeitgebende und Arbeitsuchende gegenüberstehen, wobei der Marktpreis der «Lohn» ist. Durch den Arbeitsmarkt wurde der arbeitende Mensch selbst zur Ware gemacht; die im Bauernstand sich vollziehende langsame Aufhebung der Leibeigenschaft kehrte in der Industriearbeit wieder.

Durch die Abkoppelung des Lohnes vom Verkaufserlös konnte sich nun der Lohn nur nach der Konkurrenz der Arbeitsuchenden richten. Und wie im allgemeinen Marktwirtschaftsmodell der unaufhaltsame Trend zur Billigkeit verankert ist, so gilt dies natürlich auch hier. In der Folge entstanden Verelendungstheorien, deren schlüssigste das «eherne Lohngesetz» von Ferdinand Lassalle ist. Es formuliert den modelltheoretischen Schluß, daß unter dem Diktat des Arbeitsmarktes das absolute Existenzminimum zum langfristigen Lohngleichgewicht wird. An die Stelle der Preisgerechtigkeit war die Lohnungerechtigkeit getreten.

Wem gehört die Differenz zwischen Warenpreis und Lohn als Preis des Arbeitsmarktes? Im Sinne der Arbeitsteilung ist das Unternehmen eine Produktionsstätte, wo Arbeiter mit Hilfe von Werkzeugen und Maschinen, durch Arbeit und Verstand, unter der zusammenführenden und organisierenden Leitung von Unternehmern Waren herstellen (Güter für andere). Die Zeit bis zum Verkauf der fertigen Produkte, aber auch die Anschaffung der Produktionsmittel, muß in der Regel - durch während dieser Zeit anderswo nicht gebrauchtes - Kapital vorfinanziert werden. Während man beim Lohn keine Rücksicht auf die neuen Strukturen der Arbeitsteilung nahm, wurden die alten Eigentumsstrukturen um so mehr geschützt: Ein Unternehmen gehörte ausschließlich der einen Gruppe der Beteiligten, den Kapitalgebern. Aus dem Eigentum aber leitete sich natürlich auch der Anspruch an die Erträge des Verkaufes ab. Da in der Anfangsphase meistens der Unternehmer selber (oder Angehörige) der Eigentümer war, ist seine Rolle von Anfang an mit der Eigentumsfrage unselig verknüpft. - Angesichts der katastrophalen Lage der Arbeiter in den Industriebetrieben war es nur ein kleiner und verständlicher Schritt zu der Aussage: Die Vorenthaltung des gerechten Anteiles am Verkaufswert ist Betrug am Arbeiter, die Aneignung durch Unternehmer und Kapitalgeber ist gesellschaftlicher Raub (privare = rauben). [13] Wenn auch die theoretische Erklärung der Zustände durch Marx und Engels in entscheidenden Punkten falsch und fragwürdig ist - das Erlebnis der empörenden Ungerechtigkeit war damals so intensiv, daß theoretische Mängel und Fehler dagegen kaum ins Gewicht fielen.

Wie die Väter der Marktwirtschaft, dem Zug des wissenschaftlichen Zeitalters folgend, sich bemühten, ihr Modell des Wirtschaftens naturgesetzlich-mathematisch zu begründen, so auch die Kritiker: Wissenschaftlich wollten sie beweisen, daß die Marktwirtschaft sich selbst zu Tode bringt; daß sie niemals in der Lage ist, dem Arbeiter Gerechtigkeit widerfahren zu lassen; daß vielmehr dieses Problem nur zu lösen ist, wenn die Arbeiterschaft selbst das Wirtschaften in die Hand nimmt. Die Wissenschaftlichkeit des Sozialismus ist heute das Fundament und der Stolz der sozialistischen Bewegung, wird doch darin «bewiesen», daß das Interesse der Menschheit und das Interesse der Arbeiterklasse naturgesetzlich zusammenfallen. Wie aber wird eine moralische Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit zu einem Naturgesetz? Dazu müßte man entweder zeigen, daß in der Natur letztlich auch moralische Impulse ausschlaggebend sind, oder man erklärt den Menschen «natürlich», so daß auch in ihm nur Naturgesetzlichkeit wirkt. Marx und Engels wählten den zweiten Weg. - Ausgangspunkt ist der «Dialektische Materialismus». Durch ihn wird das Hegelsche Entwicklungsprinzip der Dialektik von einem Gesetz des Geistes zu einem der Materie gemacht. Menschliches Bewußtsein ist Spiegelung der Materie auf einer qualitativ hohen Stufe. Damit wird der menschliche Geist der naturgesetzlich beherrschten Materie einverleibt. -Im «Historischen Materialismus» wird dieses Prinzip auf die Geschichte übertragen. Das Wirtschaftslebens ist nicht Teil einer Kultur, sondern die Kultur spiegelt die ökonomischen Verhältnisse. Im Schoße alter Verhältnisse reifen neue Produktivkräfte heran, geraten in Widerspruch zum Bestehenden und revolutionieren dieses. Ein solcher Moment ist gegenwärtig erreicht. Die Arbeiterklasse vertritt die neuen Produktivkräfte, das bourgeoise Unternehmertum die überholten Eigentumsverhältnisse; die Revolution beginnt mir der Enteignung der Enteigner (also derjenigen, die dem Arbeiter bisher seinen gerechten Lohn enteignet haben) und endet mit der Übernahme des gesamten Gesellschaftslebens durch die Arbeiterklasse. Jetzt gibt es keine Ausbeutung mehr; die bestehenden Widersprüche sind evolutiv lösbar und führen in Richtung auf einen Kommunismus, wo jeder im brüderlich-friedlichen Zusammenleben nach seinen Fähigkeiten leistet und nach seinen Bedürfnissen verbraucht. - Wie aber soll sich die Gerechtigkeit in der sozialen Wirklichkeit ausgestalten, wenn man nicht schon den dialektischen Nominalismus gelten lassen will, daß eine sozialistische Wirtschaft eben ihrer Natur nach schon gerecht sei?

Während in der Kritik des marktwirtschaftlichen Kapitalismus weitgehend Spracheinigkeit im sozialistschen Lager besteht, sind die Vorstellungen und tatsächlichen Maßnahmen zur Erreichung des eigenen Zieles äußerst vielfältig. Es hat sich eingebürgert, auch wenn dies ungenau ist, sozialistische Wirtschaften nach ihrem bisher herausragendsten Merkmal als «Zentralverwaltungswirtschaften» zu bezeichnen, oft aber ungenauer als «Planwirtschaften». - Für die Arbeitnehmerschaft hatte sich lange Zeit die so hoch gelobte «ex post-Gerechtigkeit» der Billigkeit des Marktes als scheinbar objektive Ausrede zur Begründung schwerster Lohnungerechtigkeiten erwiesen. So geriet denn das Spontanprinzip als Ursache des Marktgeschehens ins Kreuzfeuer der Kritik. Von der an sich richtigen Überlegung ausgehend, daß die Vernünftigkeit das Merkmal des modernen Ich-Menschen ist, wurde nun der Versuch gemacht, die Aqfgabe, genau das herzustellen, was gebraucht wird, rational-planerisch in Angriff zu nehmen. Bei der Unmenge der in einem größeren Wirtschaftszusammenhang, z. B. einem Staate, benötigten Waren und Warenbestandteilen ergibt sich ein gigantisches Rechenwerk, dessen zeitliche und personelle Dimension ebenfalls planend bestimmt werden muß. Was braucht wer? Wann? Wieviel? usw. - nichts kann dem Zufall überlassen bleiben. Diese Planungen dürfen nicht unverbindlich sein, da sonst das ganze Wirtschaftsgefüge durcheinander gerät. Die Planung wird deshalb schnell zur Handlungsvorschrift, zur Norm, von deren Erfüllung alles abhängt, ja deren Erfüllung sogar notfalls erzwungen werden muß. An die Stelle der spontanen Wirtschaftsordnung tritt eine zentral programmierte, deren Gang während der Laufzeit des Planes wegen der gegenseitigen Abhängigkeiten nur schwer zu verändern ist. Die Gerechtigkeit wäre erreicht, wenn der einzelne auch erhält, was er als Bedarf angemeldet hat. Das Preisproblem verwandelt sich in eine reine Zuteilungsfrage, die auch ohne Geld abzuwickeln wäre. Statt der Preise regiert die Planungsbehörde, wenn nicht sogar -bürokratie.

Damit wird die Gerechtigkeitsfrage mit dem politischen System verknüpft. Gemäß dem Historischen Materialismus ist der Anspruch der Ökonomie auf die Gesellschaft total, da die neuen wirtschaftlichen Verhältnisse auch die Kultur bestimmen sollen. Mit dem Argument, daß weder die gesellschaftlichen Verhältnisse noch die einzelnen Menschen bereits die Reife zum späten Sozialismus bzw. Kommunismus zeigen, wurde von Lenin der Begriff der «Diktatur des Proletariats» durch das «Primat der Partei» ergänzt: Diese hat die Aufgabe und das Recht, in allen gesellschaftlichen Bereichen die führende Rolle zu spielen. Infolge dieser Bevormundung des einzelnen durch die politische Klassenvertretung gewinnt letztendlich doch die obrigkeitliche Normierung die Oberhand. Und da die dialektisch-nominale Interessensidentität (der Staat sind wir; was wir tun, ist damit auch in deinem Interesse) alle Institutionen der Kritik entrückt, entfalten diese in der Regel ein zur bürokratischen Bevormundung neigendes Eigenleben. Das Gerechtigkeitsanliegen erscheint damit kollektiviert.

Die theoretisch begründete Identität ökonomischer, politischer und kultureller Interessen und ihre tatsächliche Konzentration in der Praxis des Sozialismus, verbunden mit der Feststellung individueller Unreife in bezug auf das für kommunistische Verhältnisse notwendige ethische Verhalten, führen im Namen einer zukünftigen Menschlichkeit zu einer Bevormundung der gegenwärtigen.

So ist ein unaufhörlicher Strom pädagogischer Einflußnahme die Folge, ideologisierend, indoktrinierend, parolen-verkündend, bekenntnisablegend usw., der sich für jede Generation wiederholen muß.

Das ist die Tragik des wissenschaftlichen Sozialismus, daß er auf einem sittlichen Idealismus aufbaut, gleichzeitig aber durch seinen theoretischen Materialismus die einzige Kraft mißachtet, die allein sittlichkeitsverwandelnd wirken könnte: den Menschen als geistige Individualität. Sittlichkeit leistet der Mensch nicht aus seiner triebhaften Natur, sondern gegen diese. Damit wird das Bemühen um die Überwindung des Egoismus zur Selbsterziehung des Ich, der einzigen Form der Pädagogik, die einem selbständigen Ich angemessen, d.h. menschenwürdig ist. So sehr es im Fortschritt der Menschheit liegt, unsere Vernünftigkeit zur Gestaltungsgrundlage unseres Lebens zu machen, auch und vor allem in der Frage nach sozialer Gerechtigkeit, so nachteilig erweist es sich, wenn Ideen im allgemeinen vorab regeln wollen, was im Konkreten nur durch die Vernunftbetätigung der Beteiligten hervorgebracht werden kann. So wird aus dem Versuch, die Gerechtigkeit ex-ante rational zu bestimmen, eine «ausgedachte Vollkommenheit», die entweder als «anthropologische Überschätzung» wirkungslos illusionär über den Menschen schwebt oder vom einzelnen sittliche Unterwerfung verlangt und, bei entsprechender Verankerung im gesellschaftlichen Machtapparat, auch erzwingt. «Man muß sich der Idee erlebend gegenüberstellen, sonst gerät man unter ihre Knechtschaft.» [14]

Der Impuls zur Dreigliederung des Sozialen Organismus

Bisher hat sich gezeigt, daß die Frage nach einem brauchbaren Wirtschaftsmodell nur vor dem Hintergrund unseres ganzen Menschseins beantwortbar ist. Die Marktwirtschaft hat - zumindest uns im Westen - bisher einen ständig wachsenden und dabei absolut oder relativ billiger werdenden Güter- und Leistungsstrom verschafft. Dieses Ergebnis, und nicht das Verhalten des einzelnen, nimmt sie als Ausdruck gesunder und gerechter sozialer Verhältnisse. Doch dieser Wohlstand wird erkauft durch die Preisgabe der Entwicklungsmöglichkeiten des Ich. Dadurch, daß der Mensch dem naturhaften Trieb zum Egoismus zwanghaft verpflichtet bleibt und seinen Mit-Arbeiter nur als Ausbeutungsopfer eigener Interessen oder als neidischen Konkurrenten erleben kann, wird ihm die einzig-mögliche Existenzform der Freiheit genommen. Denn frei kann sich nur erleben, wer dem inneren Triebzwang seiner egoistischen Natur mit der zurückdrängenden Kraft seines inneren Wesens gegenüberzutrevermag, und der deshalb seinem Ich-Wesen nach, aus einer anderen, der geistigen, Welt stammen muß: Eine abstrakte Ichbegrifflichkeit oder ein nur eingebildetes Ich könnten eine solche Kraft niemals aus sich heraus entwickeln.

Will die Marktwirtschaft einen sittlichen Zustand der Vergangenheit festhalten, so blickt der sozialistische Wirtschaftsimpuls auf einen moralisch-hochstehenden Menschen der Zukunft hin, der aber offensichtlich - angesichts der gegenwärtigen Verhältnisse - in dieser Qualität noch nicht existiert, der aber entstehen muß, wenn die soziale Gerechtigkeit endgültig für jeden gesichert werden soll. Der vermeintliche Nachweis der naturgesetzlichen Zwangsläufigkeit dieser sittlichen Höherentwicklung aber hat die Ich-Realität in eine bloße Spiegelungsfunktion stofflicher und ökonomischer Vorgänge aufgelöst. Ein Spiegelbild-Ich aber ist weder freiheitsfähig - dazu müßte es ja unabhängig von den sich spiegelnden Vorgängen sein - noch entwicklungsfähig, denn dazu müßte eine existenzielle Selbständigkeit vorliegen. In die so weltanschaulich erzeugte Wesensleere des menschlichen Inneren müssen daher die Entwicklungsziele einer besseren Welt von morgen parolenhaft-programmierend von außen an den einzelnen herangebracht werden, um den Willen zur Arbeit für diese Ziele zu motivieren. Dazu braucht es eine Gruppe Menschen - in der Regel die Partei -, die die Zukunft rational vorwegdenkt und sie in Handlungsvorgaben für den einzelnen umsetzt. Da so die Vernunft abgelöst wird von den Trägern des gegenwärtigen Geschehens, wird die Vernunft selbst zum Zwang, indem sie den einzelnen zum Erfüllungsgehilfen eines übergeordneten Planes und damit die Arbeit zur verpflichtenden Norm macht.

Aus den bisherigen Betrachtungen ergibt sich die eigenartige Denkkonsequenz, daß die im Inneren der heutigen Menschen auftauchende Forderung nach sozialer Gerechtigkeit auf der Grundlage allgemeiner Gleichheit im Rahmen der bisherigen beiden Modelle nur zu erfüllen ist, wenn das Ich entweder geleugnet oder aber in eine niedere Vorform zurückgebunden wird. Das soziologische Grundgesetz beschriebe keinen Entwicklungsweg, sondern eine Sackgasse, sobald die «freie Entfaltung der Bedürfnisse und Kräfte des einzelnen» nicht nur einige, d. h, elitär, sondern für alle gelten soll.

Und doch liegt der Sachverhalt anders. Die Unzulänglichkeiten der bisherigen Lösungen ergibt sich nämlich gerade daraus, daß auf das seine Selbständigkeit suchende und sich zur Erscheinung bringende «Ich» mit den Augen bisheriger, nun überholter Gesellschaftsformen geblickt wird. Nicht ein Gesellschaftssystem ist zu finden, das trotz «Ich» funktioniert, sondern eines, das dieses Ich als realen Ausgangspunkt des sozialen Geschehens nimmt und aus dessen Kräften sich so organisiert, daß sich darin das «Ich» entfalten und sozialgestaltend betätigen kann. Eine solche Form des sozialen Organismus vermag nur zu denken, wem das «Ich» zur geistigen Realität wird und wer dessen Entwicklungsgesetze erforscht und durchschaut. Die Übereinstimmung sowohl mit der inneren Situation des gegenwärtigen Menschen als auch mit den Erfordernissen des gesellschaftlichen Lebens ist deshalb das Wirklichkeitskriterium sozialer Ideen, dem sich gerade der von Rudolf Steiner formulierte Dreigliederungsgedanke verpflichtet weiß. Die Form eines dreigegliederten sozialen Organismus ist nichts, von dem man andere überzeugen muß; sie wird vom einzelnen gefordert, wenn er sich selbst und sein Verhältnis zu anderen Menschen besser verstehen lernt. Nicht die Menschheit soll für die Ideen eines einzelnen gewonnen werden, sondern in den Ideen des einzelnen spricht sich das Streben der gegenwärtigen Menschheit aus. [15]

Der Zusammenhang des sozialen Organismus mit der seelischen Situation des gegenwärtigen Menschen zeigt sich der inneren und äußeren Beobachtung. Das Vorstellen, Fühlen und Wollen der einzelnen wurden bis vor kurzem geprägt durch den Glauben an die Überlieferungen der religiösen Weltanschauungen, durch das Fühlen in Art und Sitte der Kulturgemeinschaft und durch das Wollen, ein harmonisch in die Gemeinschaft eingefügtes, nützliches und anerkanntes Mitglied der bestehenden sozialen Verbände zu sein. Diese «naturhafte» Einheit des menschlichen Seelenlebens haben wir selbst aufgelöst. Es ist unser Ich selbst, das sich gegen die Bevormundung solcher kollektiver Vergangenheits-Konventionen auflehnt und kraft eigener gegenwärtiger Erkenntnis - Geistgegenwart - sein Leben einrichten möchte. Indem das Ich die bisherige, naturhafte Mischung der Seelenkräfte trennt, muß es selbst einheitsbildend tätig sein. In der Trennung liegt die Vorbedingung der neuen höheren Einheit. Und was nach innen gilt, gilt auch nach außen, d. h. für den sozialen Organismus. Dieser hat zu trennen, was aus den verschiedenen Kräftequellen strömt, damit das soziale Leben des einzelnen den von ihm bestimmten Verlauf nehmen kann.

Der Zusammenhang mit der leiblichen Situation des gegenwärtigen Menschen ergibt sich aus der Frage, wie denn der menschliche Leibes-Organismus gestaltet ist, damit das Ich in ihm zu bewußten Vorstellungen der Welt, zu individuell erlebten Gefühlen und zu in die Welt eingreifenden Willenshandlungen kommen kann. Eine geisteswissenschaftliche Menschenkunde zeigt nun, daß die Leiblichkeit nicht ein physikalisch-chemisches Einheitsgebilde ist, sondern eine Kräftepolarität, die durch eine rhythmisierende Mitte verbunden ist. Dabei findet das Vorstellen seinen leiblichen Ausdruck in dem Sinnes-Nerven-Systern, das im Kopfe eine Art Zentrum hat; das Wollen dagegen findet seine leibliche Konzentration im Stoffwechsel-Gliedmaßen-System des unteren Menschen; das rhythmische System von Herz-Blutkreislauf und Atmung aber verbindet beide Polaritäten in einer dynamischen Mitte. [16] Einen ähnlichen Aufbau hat auch der soziale Organismus: Zwischen dem Geistesleben, dessen Charakter durch und durch Bildung und Pflege des individuell--menschlichen Geistes ist, und dem Wirtschaftsleben, das ausschließlich der Erzeugung, dem Verbrauch und der Zirkulation von Waren und Dienstleistungen zugeordnet ist, steht das Rechtsleben, das beide Bereiche trennend vor Übergriffen schützt und verbindend ihre Übergänge ermöglicht. Allerdings steht der soziale Organismus quasi auf dem Kopf, d. h. er «ernährt» sich durch das, was der einzelne an Impulsen und Bedürfnissen in das soziale Leben hereinträgt.

Der Vergleich mit der menschlichen Leiblichkeit ist nicht analogiehaft zu verstehen, als ob eine Verpflanzung einer auf einem Feld passenden Tatsache auf einen anderen Zusammenhang erfolgen soll, sondern als «das völlig andere, daß das menschliche Denken, das menschliche Empfinden lerne, das Lebensmögliche an der Betrachtung des naturgemäßen Organismus zu empfinden und dann diese Empfindungsweise anwenden könne auf den sozialen Organismus». [17]

Die geistige Situationsentsprechung zeigt sich im Beobachten und im Durchschauen der sozialen Vorgänge selbst. Seit zwei Jahrhunderten empfinden wohl alle Menschen eine tiefe Sympathie mit den Idealen der Französischen Revolution, , und ; seit dieser Zeit wird aber auch verzweifelt nach Lebensformen gesucht, in denen alle drei Ideale gleichzeitig gelebt werden können. Die Aufgabe auch nur eines davon empfinden wir zu Recht als schwere Verunstaltung unseres eigenen Wesens als auch der Sozietät, in der wir leben. Und doch scheint die Praxis nur eine Teilrealisierung zuzulassen. Wie oft hören wir in der Welt, man müsse sich zwischen Freiheit (liberalmarktwirtschaftliche Systeme) und Brüderlichkeit (sozialistische Systerne) entscheiden. Und die doch in allen Verfassungen verankerten Gleichheitsrechte sind überall in der Welt schwer angeschlagen durch die Verbindung von rechtsetzenden Staatsinstanzen mit allerlei Interessen und Machtimpulsen. Gerade die Möglichkeit dieser Verquickung im Einheitsstaat, in dem profan nachgeahmt wird, was früher spirituell notwendig und berechtigt war, führt in die Ohnmacht des einzelnen, sofern er nicht an der Mehrheits-Macht Anteil hat. Was so im undifferenzierten sozialen Leben nicht möglich ist, die gleichzeitige Existenz aller drei Ideale, würde sich sofort anders stellen, wenn die sozialen Lebensbereiche des Geisteslebens, des Rechtslebens und des Wirtschaftslebens in ihre eigentliche Funktion zurückgebunden würden, was aber im Interesse der angestrebten Entwicklung zu einer Befreiung von sachfremden Machtausübungen führen würde. - Es läßt sich auch prinzipiell, der hier gewählten Einleitung entsprechend, zeigen, daß die zuerst aufgetretene und rechtlich formal verankerte Gleichheit gar nicht verwirklicht werden kann und in ihr Gegenteil umschlägt, wenn nicht nach der geistig-individuellen Seite hin Initiativfreiheit gewährt und nach der wirtschaftlichen Seite hin der Gemeinsamkeitsaspekt der Zusammenarbeit verstärkt wird. [18] Hier mündet der kurze Abriß in das Thema der assoziativen Wirtschaft, deren Wesen vom Wirtschaftsleben mit allem Nachdruck gefordert wird, während dort, wo ihr Impuls überhaupt in nennenswertem Umfang bekannt ist, die den bisherigen Wirtschaftsmodellen eingeprägten Vorurteile m.E. vorschnell zu indifferenten bis ablehnenden Bewußtseinshaltungen drängen.

Die weiteren Ausführungen werden unausgesprochen immer unter einem Gesichtspunkt stehen müssen: Wie erfahren die einzelnen Menschen eine Förderung ihrer Bedürfnisse und Kräfte durch den sozialen Organismus?

Assoziationen - Grundlage wirtschaftlicher Selbstgestaltung

Es wurde bereits betont, daß die Arbeitsteilung der modernen Wirtschaft das gesamte individuelle Leben von Austauschvorgängen abhängig macht. Diese «Vermarktung» des Menschen ist aber gleichzeitig nur Ausdruck eines Für-einander-Daseins und eines gegenseitigen Auf-einander-Angewiesen-Seins, deren Zusammenspiel und Ausgestaltung auf menschenwürdige Art nur durch Zusammenarbeit geschehen kann. Die mit ihrem darwinistischen Denkansatz des «Kampfes ums Dasein» kann dem, getrübt durch Vorurteile, nicht Rechnung tragen. Unter dem Blickwinkel unbedingter und vollständiger Konkurrenz ist ein Gespräch zwischen Vertretern beider Markthälften weder möglich noch nötig, zwischen Teilnehmern jeder Marktseite unter sich dagegen gefährlich, weil konkurrenzmildernd und damit preisverteuernd. So liegt für Adam Smith bereits ein die Allgemeinheit schädigendes Kartell in der Luft, wenn nur zwei Unternehmer schon zum Tee zusammenstehen, während Silvio Gesell in der mit jeder Absprache verbundenen Teilung der Erträgnisse eine Schwächung der Antriebskraft des Egoismus befürchtet. Kaum untersucht wurden bisher die Bedingungen, unter denen ein Gespräch über den Graben des Marktes, der Angebot und Nachfrage trennt, hinweg möglich und sogar sinnvoll und wünschenswert wäre.

Was bisher theoretisch nicht lösbar erschien, nämlich die Zusammenarbeit zwischen den «Teuer-verkaufen-Bestrebungen» des Produzenten und den «Billig-einkaufen-Bestrebungen» des Konsumenten, ist gerade Ausgangspunkt assoziativen Wirtschaftens. Denn die bewußtere Durchdringung des Wirtschaftslebens im Hinblick auf gesunde und gerechte Verhältnisse ist nicht möglich, wenn diese soziale Wirklichkeit einen Bewußtseinssprung, eine Art sozialer Erkenntnisgrenze, in sich trägt, dessen Überschreitung nicht möglich wäre. Schon ein unbefangener Blick zeigt doch die Verständigung zwischen dem, der einer Sache bedarf, und demjenigen, der gewillt ist, sie herzustellen, als selbstverständlich und unverzichtbar. Assoziationen sind als Verständigungsorgane zwischen den beiden Polen Produktion und Konsumtion. Aus der Spannung gegensätzlicher Interessen bei gleichzeitiger gemeinsamer Intention, daß nämlich der Leistungs-und Austauschvorgang tatsächlich zustande kommt, ergibt sich die fruchtbare wirtschaftliche Zusammenarbeit zu einem Mehr, während das Gespräch zwischen gleichgerichteten Interessen zu einem Weniger führt. - Über das gemeinsame Verwirklichungsinteresse von Fähigkeiten und Bedürfnissen hinaus liegt eine weitere, wenn auch oft vergessene Gemeinsamkeit darin, daß ja letztlich jeder sowohl Verkäufer (als Leistender) als auch Käufer (als Verbrauchender) ist, wenn auch nicht für dasselbe Produkt. Vor allem die Art der Lohn-für-Arbeit-Zahlung hat bei den meisten das Gefühl für diese Interessensübereinstimmung korrumpiert. - Weiterhin gibt es im sozialen Prozeß einen idealen Vermittler, den Handel im weitesten Sinne. Er ist weder Hersteller noch Verbraucher. Ihm ist nur wichtig, daß der Prozeß zustande kommt (Um-satz). Das kann er nur zuwegebringen, wenn er beide Seiten vermittelt. Dazu ist er deshalb in der Lage, weil er beide Interessenseiten und ihre Möglichkeiten in größerer Vielfalt kennt, als diese selbst. In den Assoziationen werden deshalb Vertreter des Zirkulationswesens ebenfalls vertreten sein. - Die Verständigung aber wird geradezu unumgänglich, wenn die Vertreter der Assoziationen für den größten Teil der Marktteilnehmer repräsentativ sprechen können. Finden dann die Vereinbarungs-Gespräche statt, bevor es noch zu wirtschaftlichen Handlungen größeren Ausmaßes kommt, dann entstehen gestaltbare Freiräume. - Jetzt kann sich das wirkliche Interesse entfalten: es geht gar nicht um die Übervorteilung des anderen, sondern um die bestmögliche Verwirklichung, um die Ermöglichung eines benötigten Leistungsprozesses.

Assoziative Prozesse der angedeuteten Art können sich allerdings nur dann entwickeln, wenn keiner der Wirtschaftspartner Vorrechte von außerhalb der wirtschaftlichen Vorgänge beansprucht. Dies aber ist vor allem beim heutigen Eigentumsrecht an Produktionsmitteln - wozu auch Grund und Boden gehört - der Fall. Erst wenn die privat-vermögensrechtliche Verwertungsmöglichkeit entfällt, d.h. die Produktionsmittel «unverkäuflich» werden, wird sich ein Zustand herausbilden können, in dem sich auch die Rechte eines Unternehmers nicht aus dem Eigentum, sondern allein aus seiner unternehmerischen Funktion bestimmen. - Damit würde auch der Weg frei für ein neues Verhältnis zwischen Unternehmer und Mitarbeiter; aus dem Lohn als Entgelt für geleistete Arbeit würde ein vereinbarter Anteil am gemeinsam erwirtschafteten Erträgnis. Die Arbeitsbedingungen dagegen sind nicht länger Verhandlungsgegenstand der Tarifparteien, sondern werden außerhalb der Wirtschaft im Geistesleben entschieden und vom Rechtsleben verbindlich erklärt. Immer muß der dienende Charakter des Wirtschaftslebens aufrechterhalten werden. - Diese und ähnlich wichtige Frage müssen hier zurücktreten, um das direkte Preisgeschehen weiter verfolgen zu können.

So wie Marktwirtschaftler der verständigen Kooperation und der daraus folgenden Ablösung des bewußtlosen Marktmechanismus durch bewußt gestaltete Prozesse theoretisch mißtrauen, so skeptisch sehen die Vertreter von Zentralverwaltungswirtschaften die praktische Einbeziehung des einzelnen in das Plangeschehen. Was nicht planbar ist, wo Arbeit nicht normativ berechnet werden kann, wo der Mitarbeiter nicht genau die Funktion ausfüllt, die ihm der Plan zuordnet, da sind Planung und Planungserfüllung potentiell gefährdet. - Das Assoziationswesen dagegen ist auf Anti-Funktionärstum gebaut: Assoziationen werden gebildet aus den im Wirtschaftsleben Tätigen oder doch ihren Repräsentanten. Eigene Erfahrung und tätige Verantwortung sind Voraussetzungen der Teilnahme. Nicht die Vernunft wird in einem Plan abstrahiert und konzentriert, sondern die möglichen Träger der Vernunft selbst treffen sich. Die Vernünftigkeit wird nicht zur die Zukunft bis ins Detail regelnden Zwangsnorm, sondern die einzelnen geben ihren Handlungen geistes-gegenwärtig die Richtung zur Vernünftigkeit. Nicht ein wesenloser, blutleerer Plan wird Zentralinstanz der Wirtschaftsführung, sondern Assoziationen als Stätten konkreter Menschenbegegnung, an der allein sich lebendiges Interesse und Verständnis entfalten kann. Diese Begegnungen aber führen nicht in erster Linie zu Plänen, sondern zu Verträgen, deren Verträglichkeit stiftende Geste die «Kräfte und Bedürfnisse des einzelnen zur freien Entfaltung» kommen läßt.

Ein Erkenntnis-Urteil bilden wir, indem wir die uns entgegentretenden Einzelheiten unserer Sinneswahrnehmungen mit dazu passenden, den Zusammenhang herstellenden Begriffen durchsetzen, die wir durch unser aktives Denken hervorbringen. Indem wir so aus zwei Hälften die ganze Wirklichkeit zusammenfügen, leben wir mitten in ihr. - Die soziale Wirklichkeit aber reicht weiter als unser individuelles Tun: der Bogen vom Produzenten bis zum Konsumenten mit seinen vielen Verästelungen und Querverbindungen umfaßt eine Fülle tätiger Menschen, von denen der einzelne nur ein Stück der Wirklichkeit bildet. Dieser fehlende Teil läßt sich nicht allein denken, so daß unser individuelles Urteilsvermögen versagt, falsch wird. Eine Ganzheit läßt sich im Sozialen nur bilden, wenn die verschiedenen Erfahrungsträger sich assoziativ im Gespräch zusammenfinden, wenn ihre Teilwirklichkeiten zusammenkommen und so ein soziales Bildurteil bei den Beteiligten entsteht und lebt. - Erfahrung vollzieht sich in ungezählten Einzelerlebnissen, bleibt aber keineswegs bei ihnen stehen. Vielmehr verdichten sich die Einzelheiten und werden immer mehr zu einem Empfindungs- und Urteilsorgan gegenüber bestimmten Situationen. Auf dieses Organ rechnen die Assoziationen, um es nun in den Beratungen um Vergangenheitsverständnis und Zukunftsziele zur Geltung zu bringen. Die so gewonnene Bewußtseinslage wird nun zum Ausgangspunkt individueller Handlungsentschlüsse. Erst durch assoziative Beratungen kommt der einzelne in die Situation, auch auf dem sozialen Felde den Zustand seiner Menschenwürde herzustellen, nämlich aus Erkenntnis zu handeln. - Die Einbeziehung der Erfahrung als Fundament sozialer Urteilsbildung ist unerläßlich, wenn diese lebensgemäß sein soll. Mit der Wertschätzung der Erfahrung kommt auch die Wertschätzung der Erfahrungsträger zurück. Niemandes Erfahrung ist letztendlich ersetzbar, weil sie ganz individuell erlebt ist. Gerade in der Zeit immer besserer computertechnischer Datenverarbeitung ist die Rückgewinnung des Erfahrungselementes, das allerdings der Beratung durch ein freies und die Wesenstiefe der Welt nicht ausschließendes Geistesleben bedarf, eine zentrale Aufgabe als Gegengewicht zur rein technischen Machbarkeit.

Die Arbeit der Assoziationen würde selbstverständlich das Konkurrenzprinzip weitgehend außer Kraft setzen; für einen Marktwirtschaftler gleichbedeutend mit dem Ende wirtschaftlich-technischen Fortschritts und Anfang vom Untergang. Natürlich ist es zunächst eine Wahrheit, daß Organismen unter Lebensgefahr mehr leisten können als im «normalen» Leben. Sie können es aber nicht immer, sonst droht der Kollaps, von dem man sich bei fortgeschrittener Auszehrung nicht mehr erholt. Wie bilanziert man die Lebensangst im Verhältnis zu den Leistungssteigerungen? Verpufft nicht auch ein großer Teil der Kräfte gerade für den Überlebenskampf? So läßt sich beobachten, daß einerseits unter dem konkurrenzierenden Kostendruck die Rationalisierung viele Produkte in der Herstellung immer billiger macht, während gleichzeitig der Verkaufs- und Werbeaufwand laufend steigt. Aber selbst unterstellt, es würde weniger geleistet und vor allem weniger schnell: Wo auf der Welt steht die Wettkampfbahn, über die die Menschheit zu eilen hat, wer bestimmt die Länge der Laufbahn und vor allem die Zeit, in der sie geschafft werden muß? Und wer wäre das Kampfgericht, das über die angemessene Leistung entscheidet und wer der Funktionär, der zum Wettkampf aufruft und den Startschuß gibt? Solche Spiele samt Regeln denkt sich nur aus, wer im Menschen selbst keine Motivationskraft zu seiner eigenen Weiterentwicklung findet. Er wird in assoziativen Vereinigungen nur lethargische Menschen vermuten, denen man den Egoismus verboten hat, und die deshalb in Untätigkeit oder Halbherzigkeit verfallen müssen. Er übersieht aber dabei, daß solche Verhaltensweisen gerade die Folgen marktwirtschaftlichen Verhaltens sind, daß sich aber dennoch ein neuer Impuls erheben kann, sobald der soziale Prozeß auf das Fundament wahrhaft menschlicher Begegnung gegründet wird.

Sollen die Wirtschaftsverhältnisse stabilisiert werden, dann ist das nur möglich durch höchstmögliche Flexibilität, wenn gleichzeitig Impuls- und Bedürfnisfreiheit erhalten werden sollen. Diese Flexibilität, der das heutige Beharrungs-Sicherheits-Denken entgegensteht, ist sozial nur zu erreichen, wenn die Veränderungen nicht existenzbedrohend sind. Assoziationen könnten dazu Erhebliches leisten: Sich vermindernder Konkurrenzdruck verlangsamt die sozialen Umschichtungsprozesse; die vermögensrechtliche Ausgrenzung nimmt Druck von den Unternehmen und erleichtert Kooperationen oder auch Kapazitätsstillegungen; überbetriebliche Finanzsolidarität würde das erreichen, was innerhalb von großen Konzernen als Diversifikation betrieben wird; Produktionsverlagerungen wären einfacher zu bewerkstelligen und damit auch vorhandene Produktionsstätten gezielter auslastbar usw.

Auch im letzten Falle wird sich die Motivfrage stellen. Denn bei reinem Egoismus würden solche Einrichtungen nicht möglich sein, es sei denn, es handelte sich nur um einzelne, deren Verhalten sich am Gesamtgefüge abschleifen könnte. Das befürchtete Motiv-Vakuum aber wäre nur denkbar, wenn man administrativ assoziatives Verhalten «anordnen» würde. Dies kann aber nicht im Sinne des hier Gesagten liegen. Assoziationen, als Organe des Wirtschaftslebens, können eine solche innere Umorientierung zwar ermöglichen, aber nicht bewirken; vielmehr muß dies von einem am Interesse und Verständnis des Menschen orientierten Bildungswesen kommen. Assoziationen aber schaffen die konkreten Begegnungsorte sozialer Interessen, an denen dieses Verständnis sich vertiefen, wachsen und konkretisieren kann. In dieser Hinsicht sind Assoziationen die Bewußtwerdungs- und Bewußtseinsorgane des Wirtschaftsorganismus; indem sich hier Handlungsimpulse entzünden, zeigt sich ihre Willensseite. In dieser Doppelheit aber wirken sie harmonisierend zwischen Konsumtion und Produktion, Bedürfnispol und Kräftepol des Wirtschaftslebens.

Wie aber sieht das Preisgeschehen und damit das Problem der Gerechtigkeit aus, wenn wir assoziatives Wirtschaften annehmen können?

Die Preisbestimmung als Zentrum der Wirtschaftsverwaltung

Zusammengefaßt ergeben sich bisher die folgenden wesentlichen Funktionen von Assoziationen:

  • In ihnen sind die Vertreter der Produktions-, Handels- und Verbraucherinteressen gleichermaßen und gleichberechtigt vertreten. Denn der Weg vom Bedürfnis bis zu seiner Befriedigung bildet einen Zusammenhang.
  • Die Vielzahl der Interessen und die gegenseitigen Verflechtungen und Verbindungen führen auch zu verschiedenen Assoziationen und einem daraus entstehenden Geflecht assoziativer Verbindungen.
  • Jede Assoziation ist für den Teil des Wirtschaftslebens, aus dem sie herauswächst, autonom verantwortlich. Für Fragen, die über die einzelne Assoziation hinausgehen, werden sich entsprechende Gremien bilden. Größenordnung, Art der Repräsentanz usw. der Assoziationen ergeben sich im Praktischen, wenn man sich immer wieder auf die grundsätzlichen Zielsetzungen des Assoziationswesens besinnt.
  • Die Arbeitsteilung weist jedem ein kleines Stück sozialer Wirkensmöglichkeit zu. Die hier gemachten Erfahrungen bringen die einzelnen in das assoziative Leben ein. Erst im Zusammenklingen dieser Teilstücke zur sozialen Wirklichkeit können sich gültige soziale Urteile bilden, aus denen soziale Handlungen entspringen werden.
  • Die Einbeziehung des Erfahrungsprinzips verhindert Funktionärsturn. Mitsprechen soll nur, wer selbst aktiv gestaltend und verantwortend im Wirtschaftsleben steht.
  • Durch Assoziationen wird das Konkurrenzprinzip in eines der solidarischen Zusammenarbeit verwandelt. Die daraus folgenden möglichen Synergieeffekte sind unübersehbar. Die dazu notwendige Voraussetzung, das Interesse am anderen Menschen und seinen Existenzbedingungen, kann durch die Begegnungsform der Assoziationen verstärkt und verbreitert werden.
  • Eine assoziativ sich lenkende Wirtschaft übernimmt, innerhalb durch das Rechtsleben beschlossener Spielregeln, die Verwaltung der Geldverhältnisse.

Bisher wurde die Notwendigkeit der Preisbildung betont, im Gegensatz zur Zentralverwaltungswirtschaft. Dagegen wurde die Art des Preisbildungsprozesses der Marktwirtschaft kritisiert. Welche Änderung würde eine assoziativ gelenkte Wirtschaft für die Preisbildung mit sich bringen? An dieser Stelle kann natürlich keine vollständige Preistheorie geleistet werden. Sie wäre aber auch in der bisherigen Art gar nicht mehr nötig. Denn die Spitzfindigkeiten bisheriger Preistheorien kommen gerade daher, daß man von außen gesetzmäßig wirkende Bestimmungsgrößen für das Preisgeschehen sucht, weil der Preis nur so eine «objektive», d.h. berechenbare und durch den Marktmechanismus auch zu vollziehende Größe bleiben kann. Das meiste dieser Rechenkunststücke aber fällt weg, wenn sich die ins Preisgeschehen verwickelten Partner zur Beratung zusammensetzen und selbst aussprechen, was sonst nur gerechnet wird. Volkswirtschaftlich gesprochen: Der Preis ist nicht mehr nur die Funktion von Angebot und Nachfrage, sondern steht selbst zur Disposition.

Diese Auflösung der bisherigen Marktgleichung entspricht auch unserem gesunden Verständnis von den Aufgaben der Wirtschaft: Wie und unter welchen Bedingungen können die vorhandenen Bedürfnisse durch Produkte befriedigt werden, was sollen sie kosten und wie erreicht man, daß die Bedürfnisträger dies auch bezahlen können? Gegen diese Entwicklung wird eingewendet, daß es doch wichtig sei, mit dem Preis wenigstens eine klar definierbare Größe im sonst schon so unruhigen Wirtschaftsprozeß zu haben. Seine Einbeziehung in die planende Vorstellungswelt mache alles relativ. - Der Einwand betrifft eine halbe Richtigkeit, insofern er die Frage nach der Möglichkeit einer Bewußtseinsorientierung beinhaltet. Das Relative aber ist der normal-gesunde Zustand des Sozialen: die Relation, die Beziehung der Menschen zueinander. Insofern ist auch die Wirtschaftswissenschaft eine Beziehungswissenschaft, das Wirtschaftsleben eine Beziehungsgestaltung. «Alles fließt» ist ein Erlebnis des Eintauchens in die konkreten, nie stillstehenden Lebensverhältnisse von Wesen. Für den intellektuell bewußten Menschen erscheint so die soziale «Verwesentlichung» als Bedrohung seiner Bewußtseinssituation, die sich gern an Klar-Definierbarem festhält. Und tatsächlich würde dieser, für uns heute notwendige Bewußtseinszustand in dem fließenden Strom des sozialen Lebens verlorengehen, würden nicht gleichzeitig die Organe ausgebildet werden, die uns schwimmfähig machen, d. h. die es uns erlauben, unseren Kopf «über Wasser» zu halten. Diese Organe der bewußten Wahrnehmung für die lebendigen Strömungen des Wirtschaftlich-Sozialen sind die Assoziationen.

Bevor eine kurze Übersicht über die verschiedenen Verhaltensweisen der hier behandelten Wirtschaftsmodelle innerhalb des Preisgeschehens folgt, stellt sich jedoch noch einmal die Frage nach dem «Was» des Preises. - Obwohl uns der Preis als konkreter Geldbetrag pro Mengeneinheit einer Ware ins Bewußtsein tritt, erweist er sich als völlig inhaltsleer, so als ob man ein Preisschild in einer unbekannten exotischen Währung liest. Einen Inhalt gewinnen wir erst, wenn wir uns Klarheit darüber verschafft haben, was alles mit dem Betrag zu kaufen ist. Erst wenn man den Einzelpreis in die Beziehung zu allen anderen Preisen setzt, das Geld-Einkommen zur Kaufkraft, steht man in der sozialen Wirklichkeit. Preise drücken daher Austauschbeziehungen aus. - Es soll hier auch erinnert werden, daß nur Waren oder Leistungen einen Preis haben können; tragen andere Verhältnisse Preise, z. B. Arbeit, Produktionsmittel usw., so liegen Schein-Preis-Verhältnisse vor. Ebenfalls gilt, daß nur diejenigen Beziehungen sozial diskutiert und geregelt werden können, die auch die soziale Wirklichkeit erreichen; ein Gut, das nicht verkauft werden soll, ist keine Ware; die Wertschätzung, die ich persönlich einer Ware gegenüber habe, ist Privatangelegenheit, wenn sie sich nicht in einem Kauf äußert. Nur was Menschen sich gegenseitig leisten, kann deshalb auch Gegenstand der Preisbildung sein.

Im Preis kommen wirtschaftliche Vorgänge zur Ruhe und ermöglichen damit anschauend-urteilendes Bewußtsein. Soweit dies die Vorgänge der abgelaufenen Wirtschaftsperiode betrifft, handelt es sich um einen Endpunkt (der Herstellvorgang ist abgeschlossen, der Einkommensprozeß des Käufers löst sich im Kauf auf). Gleichzeitig aber bedeutet der Preis auch einen neuen Keimpunkt für die nächste Wirtschaftsperiode. Der Hersteller wird sich mit dem erhaltenen Geld die Voraussetzungen für eine erneute Produktion schaffen können, ebenso wie der Käufer jetzt zum Verbraucher wird und damit die Kräfte stärkt, die ihn seinerseits zu einem Produktionsvorgang, wenn auch auf anderem Gebiete, führen. Bezahlen heißt im Prinzip wiederbeauftragen, Zahlungen haben Kreditcharakter. [19]

Die entscheidende Frage ist nun, wie hoch denn der Preis sein soll. Zunächst hängt dies von der Intensität ab, mit der unser Fähigkeitsimpuls sich der Produktion eines Gutes widmet und mit der auf der anderen Seite Menschen ein Bedürfnis erleben und diese Produkte tatsächlich nachfragen. Dieser Spannungszustand, dessen Überbrückung überhaupt das Wirtschaftsleben in Gang hält, hat aber seine Wurzeln einerseits in den allgemeinen Produktionsbedingungen, (d. h. wie lange wird gearbeitet, mit welchen Fähigkeiten, mit welcher technischer Unterstützung, wie rationell usw.) andererseits aber, auf der Seite des Käufers, in den allgemeinen Lebensbedingungen, dem Lebens«standard». In diesem Kontext gilt die Forderung des gerechten Preises: Für den Verkäufer muß der Preis eigentlich soviel Einkommen schaffen, daß er und seine zu ihm Gehörenden davon solange leben können, bis wiederum eine verkäufliche Ware entstanden ist; für den Käufer muß der Preis so sein, daß er ihn aus seinem Einkommen bezahlen kann. Beide Bedingungen zusammen erfüllen erst die Voraussetzung einer sich fortsetzenden Warenproduktion. -In der Wirtschaftswissenschaft hat man oft versucht, die Produktionsbedingungen unter dem Gesichtspunkt des dabei entstehenden Arbeitsaufwandes als mehr objektive Seite des Preisgeschehens anzusehen, das Verbraucherverhalten dagegen als subjektive. Solche Gesichtspunkte sind zu eng, denn hinter den Lohnkosten eines Unternehmens stehen wieder die allgemeinen Lebensbedingungen und hinter den Lebensbedingungen des Käufers stehen wieder die Produktionsverhältnisse seiner Betätigung. Beide Seiten sind gleich objektiv als subjektiv, ja diese Unterscheidung entsteht erst durch die Arbeitsteilung und wird im Preisprozeß wieder aufgehoben. Der Preis selbst ist gar nicht die Wirklichkeit, sondern diese liegt nach zwei Seiten über ihn hinaus und wird nur durch ihn repräsentiert.

Mit einem treffenden Vergleich kann man die Preise mit Thermometeranzeigen vergleichen. [20] Wie das Quecksilber zeigt das Geld als Geldpreis den Zustand, die «Temperatur», des sozialen Prozesses an. Und niemand wird auf den Gedanken kommen, das Thermometer oder das Quecksilber selbst als die Kälte oder Wärme anzusehen, noch als deren Ursache. Wollen wir also ein Bewußtseinsbild des sozialen Prozesses, muß der Preis sich so frei bilden können, wie Kälte oder Wärme an das Thermometer heran können. Es ist der reale Preis, vergleichbar dem kurzfristigen Ausgleich herstellenden Marktpreis der Marktwirtschaft.

Wir nehmen die Temperaturanzeige aber nicht einfach hin, sondern versuchen durch allerlei Maßnahmen, einen uns angenehmen Zustand herzustellen. Wir haben eine Zielvorstellung, die sich nicht nach der äußerlich vorgefundenen Temperatur richtet, sondern nach den Bedingungen unseres eigenen Wesens. Nach der Differenz zwischen realer Temperatur und gewünschter Temperatur richten wir unsere Maßnahmen ein. Und auch dabei wird niemand glauben, etwas Wesentliches zu bewirken, daß er z. B. bei Kälte ein Streichholz an das Thermometer hält. Allenfalls verursacht er, daß jemand beginnt, sich über seinen eigenen Zustand unklar zu werden, weil er sein fröstelndes Gefühl nicht mit dem unvermutet hohen Thermometerstand zusammenbringen kann. - So macht es auch im Sozialen keinen rechten Sinn, Preise direkt ändern zu wollen. Und auch hier bilden sich Assoziationen eine Vorstellung über einen sozial gerechten Preis. Die Deckungsgleichheit von realem Preis und gerechter Preisvorstellung ist das erklärte Ziel assoziativer Wirtschaft. - Dazu gehört einerseits eine genaue und umfängliche Preisbeobachtung, die durch die mitwirkenden Vertreter der Produktions-und Lebenszusammenhänge auch die «Innenseite» der Verhältnisse einschließt. Die Wirkensmöglichkeiten - wie Heizen oder Kühlen - gehen grundsätzlich in zwei Richtungen. Liegt der reale Preis über dem Zielpreis, so kann man entweder die Produktmenge erhöhen, d.h. mehr Arbeit und die dazu notwendigen Sachinvestitionen leisten, oder aber die Produktivität, je nach Analyse der Ursache (zu große unbefriedigte Nachfrage oder zu teure Produktion). Liegt der reale Preis unter dem Zielpreis, so wird man das Gegenteil tun, allerdings mit dem wesentlichen Unterschied, daß ein einmal erreichtes Produktivitätsniveau nicht mehr verlassen wird. Dies würde keinen Sinn machen; der so entstehende zusätzliche Gewinn, quasi volkswirtschaftlich veranlaßt, würde in einer assoziativen Wirtschaft sowieso nicht ins Private versickern.

Zusammengefaßt ergibt sich folgendes ungefähre Bild der Preisverhältnisse:

1. Marktwirtschafts-Modell

Interpretation eines tatsächlich vorhandenen Preises: Ein Preis hat sich unter dem Einfluß von Angebot und Nachfrage sowie der Konkurrenzverhältnisse so gebildet, daß er kurzfristig das Gleichgewicht zwischen beiden Seiten herstellt, also den Markt räumt. Damit wird die Mengendiskrepanz zwischen individuellen Vorstellungen und gesamtwirtschaftlichen Notwendigkeiten ausgeglichen, da es eine übergeordnete Planungsinstanz ja nicht gibt. Außerdem hat jedes Unternehmen theoretisch die Möglichkeit, mengenmäßig bis zur Größenordnung der Gesamtwirtschaft zu wachsen, wenn auch zu Lasten der Konkurrenz.

Zielfindung: Der tatsächliche Preis, mit dem die vergangene Wirtschaftsperiode abschließt, wird unverändert vom einzelnen als Planungsgröße der zukünftigen Periode übernommen. An diesem Datum kann er persönlich nichts ändern; er muß seine Produktion in bezug auf Menge und Produktivität daran ausrichten. Er wird versuchen, seinen Gewinn unter dieser Vorgabe zu maximieren. Das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht liegt außerhalb seines Gesichtskreises; Gleichgewicht kennt er nur ex post.

Folgen: Wird nicht zufällig der mathematische Gleichgewichtspreis getroffen, so entsteht wiederum ein Ungleichgewicht mit gegensteuernder Wirkung. - Auch die Marktwirtschaft kennt einen zweiten Preis, der sich nur langfristig zeigt, und um den herum alle kurzfristigen Marktpreise schwanken. Er fällt zusammen mit der unteren, langfristig denkbaren Grenze der Produktionsbereitschaft, dem Kostenpreis. Allerdings zeigt sich, daß dessen Wirksamkeit durch Innovation, Wachstum und Rationalisierung auf lange Zeit hinausgeschoben werden kann, ja durch die vielfachen, zu Subventionen führenden Verflechtungen der Unternehmen und Interessen sogar ganz aufgehoben werden kann. Dieser zweite Preis hat aber keine Gestaltungskraft, sondern fungiert auch nur als rechnerische, faktisch sogar unbekannte Größe.

2. Zentralverwaltungswirtschaften

Interpretation eines tatsächlich vorhandenen Preises: Da in dieser Art Planwirtschaft versucht wird, Bedarf und Produktion ex ante ins Gleichgewicht zu planen, dazu aber mit den realen Größen gerechnet werden muß, gibt es für Preise im Sinne der Marktwirtschaft eigentlich keinen Platz. Sie werden in der Regel auch nur als Übergangsproblem des Sozialismus angesehen und vor allem eingesetzt, um eine gewisse Konsumfreiheit gegenüber einer reinen Zuteilung zu gewährleisten. Der tatsächliche Preis ist der politisch gewollte und administrativ verfügte.

Zielfindung: Da sich der offizielle Preis nicht verändern kann, scheidet der Preis als Bewußtseinshilfe aus. Überprüfungen ergeben sich nur aus Veränderungen im politischen Prozeß oder aber aus bekanntwerdenden realen Überschuß-bzw. Mangelproblemen. - Auch die Planwirtschaften kennen einen zweiten Preis, nämlich den Schwarzmarktpreis als Preis eines Nebenmarktes. Er gleicht die Spannungsintensität aus, die offiziell unberücksichtigt bleibt; die außerordentliche Höhe liegt meist an der schwierigen Beschaffung der Schwarzmarktwaren. Dieser Marktpreis ist natürlich ungewollt und ungeliebt, wenn auch notgedrungen geduldet. Das Leben läßt sich eben nicht gegen den Willen der Beteiligten administrieren. - Wird mit Geld und Preis dennoch gearbeitet, entsteht daraus das Problem, daß sich Geldmenge und Warenangebot auseinanderentwickeln, was zu schwierigen Steuerungsfragen führt, vor allem in bezug auf die Empfindsamkeit von Menschen gegenüber ihrem Ersparten.

Folgen: Wenn nicht Änderungen aus anderen Gründen erfolgen, ist der neue Preis auch der alte. Die ökonomische Entwicklung der vergangenen Periode hat ihn nicht berührt, weil sie ihn nicht berühren kann. Will man dabei nicht auf die Dauer den Boden unter den Füßen verlieren, müssen umfängliche Schattenrechnungen darüber geführt werden, «was denn die Dinge eigentlich kosten müßten».

3. Assoziative Wirtschaft

Interpretation eines tatsächlich vorhandenen Preises: Der tatsächliche Preis ist derjenige, der sich im freien Verkehr der am Wirtschaftsleben Beteiligten herausbildet und ein Abbild der sozialen Wirklichkeit ist. Hier neigt sich die assoziative Wirtschaft dem Pol der Marktwirtschaft zu. Am deutlichsten wird dies bei der Landwirtschaft, deren unplanbare Erzeugnismengen wegen der «Launen» der Natur am stärksten reinen Marktkräften ausgesetzt sind (Nahrungsmittel verderben am schnellsten). Im industriellen Bereich dagegen eröffnet eine unverdeckt miteinander arbeitende Wirtschaft vielfältige Möglichkeiten, zu frühe und damit nicht absetzbare Produkte zu vermeiden, bis hin zur Fertigung auf Bestellung. - In dieser frühen Phase kennt nun die assoziative Wirtschaft ihren zweiten Preis. Er ist eine vorgestellte Zielgröße, die durch den gemeinsamen Beratungsprozeß innerhalb der Assoziationen kollektiv entsteht, und in der sich die Erfahrungen der Produktions- und Lebensverhältnisse wiederfinden. Zielfindung: In diesem vorgestellten Preis ist die Zielgröße für den tatsächlichen Preis vorgegeben. Die Deckungsgleichheit beider Größen ist das Gleichgewicht, das ex ante veranlagt wird. Entsprechend unserer Auffassung, daß man die Realität verändern muß, schlagen die an den Assoziationen Beteiligten vor, mit welchen Maßnahmen sie selbst eine Anpassung der tatsächlichen Verhältnisse an die erwünschten vornehmen wollen. So entstehen Verträge zwischen den Mitgliedern oder auch zwischen Assoziationen, in denen sich der Kurs zum gewollten Ziel manifestiert und stabilisiert. Folgen: Nur was nicht durch gezielte Maßnahmen, die sich auf die erwähnten Möglichkeiten der Veränderung von Produktion und Produktivität beziehen, erreicht wird, muß dann am Ende einer Wirtschaftsperiode marktartig ex post ausgeglichen werden. Wirtschaftsperiode meint hier, wie auch vorher, nicht eigentlich einen bestimmten Zeitpunkt, sondern richtet sich nach Produktionszeiten oder Verbrauchsdauern, also den inneren Rhythmen des Wirtschaftsgeschehens.

Solch aphoristische Darstellung wird nun in manchem das Gefühl auslösen, daß es sich, je nach eigenem bisherigen Standort, dabei entweder um einen Einstieg in die Planwirtschaft oder um einen Rückfall in die Marktwirtschaft handelt. Wenn damit gesagt werden soll, daß die assoziative Wirtschaft an beide Strömungen anknüpft, dann ist damit etwas durchaus Richtiges bemerkt. Denn der Umfang der Verbreitung beider Wirtschaftsmodelle zeigt ja wohl, daß sie ein wesentliches Element des sozialen Lebens mit ihrer Denkweise treffen, da sich sonst niemand ihnen zuwenden würde. Zum anderen aber ist es sachlich richtig, daß es beide Elemente, den Ausgleich des Gewordenen im realen Preis und die auf soziale Erfahrung gestützte Vernünftigkeit eines Zielpreises, braucht, um das Wirtschaftsleben so zu gestalten, daß es, ohne die Freiheit des Geisteslebens und die Gleichheit des Rechtslebens zu zerstören, auf seinem Felde die allgemeine und zugleich individuelle, d.h. aber brüderliche Existenzsicherung bewirken kann.

Es soll auch noch einmal betont werden, welche Schwierigkeiten entstehen, wenn sich in diese wirtschaftlichen Zusammenhänge Rechtsansprüche einmischen, die einen Anteil der Erträgnisse für sich beanspruchen, ohne zu ihrem Zustandekommen leistungsmäßig beigetragen zu haben. Damit wird vor allem auf die Eigentumsrechte aufmerksam gemacht, die nur allzuschnell in Eigentumsunrechte umschlagen. Wer glaubt, an dieser Stelle die Marktwirtschaft verteidigen zu müssen - und beim Eigentum sind wir alle ängstlich, etwas einzubüßen - der sollte doch über den Widerspruch nachsinnen, daß gerade die freie Käuflichkeit von Unternehmen den Konkurrenz-Marktmechanismus im Warenbereich zerstört. Solche Preisfälschungen, zu denen natürlich auch noch andere wie z. B. Konkurrenz mit Niedriglohnländern u. a. kommen, verderben die sozialen Urteils- und Handlungsmöglichkeiten. Mißtrauen gegen alles und jeden ist die Folge. Assoziatives Wirtschaften allein ist in der Lage, vertrauensbildend zu wirken; seine Bewußtseinsbildung legt um die Austauschverhältnisse der Wirtschaft eine Art Schutzmantel, der dem einzelnen die Sorge um seine Existenz erheblich mindern, ja vielleicht aufheben kann. Weniger für den, der im Sozialen nur eine Anmeldestelle für eigene Ansprüche sieht, sondern für den, der etwas für andere leisten will, was diese benötigen, und dem deshalb die Bedingungen geschaffen werden, dies auch tun zu können; im Interesse der anderen!

Abschließend muß noch der Einwand behandelt werden, wie sich ein solcher Wirtschaftsraum assoziativen Wirtschaftens denn im Rahmen der internationalen Konkurrenz verhalten solle, die doch nicht dem eigenen Einfluß unterliegt. - Es gehört in die hier vertretene Haltung, im nationalen Element etwas Sachfremdes und Störendes, ja Überholtes für die Wirtschaft zu sehen. Das assoziative Wirtschaften ist weder national noch international, sondern einfach menschlich-wirtschaftlich. Dennoch kann es sinnvoll sein, ökonomische Grenzen zu errichten, damit nicht «gute soziale Qualität durch schlechte verdrängt wird» (in Abwandlung des Greshamschen Geldgesetzes). Nur würden daraus andere Konsequenzen gezogen. Als wichtigste wäre m. E. zu nennen, daß die durch Zölle oder Abschöpfungen einzunehmenden Gelder nicht den inländischen Finanzen zuzuschlagen wären - darüber freuten sich schon die alten Fürsten - sondern zur Entwicklung der Weltwirtschaft benutzt werden müßten. Denn dort liegt ja auch der Grund ihrer zu großen Billigkeit.

Von der Gerechtigkeit zum objektiven Gemeinsinn

Aristoteles gab mit seinen Betrachtungen über gerechte Preise bereits mit intuitiver Klarheit die einzuschlagende Richtung an: Jeder ist Produzent und Verbraucher zugleich; wenn er dasjenige, was er herstellt, nicht mehr selbst verbraucht, sondern an andere verkauft, so wird diese Einheit zerrissen; der Preis muß diese Einheit wieder herstellen, so daß sich letztlich Tageswerk gegen Tageswerk, Lebenswerk gegen Lebenswerk tauschen; um dies zu gewährleisten, müssen sich die Preise umgedreht proportional zu den Produktivitäten verhalten (wenn einer 10 Hüte macht, ein anderer in der gleichen Zeit einen Rock, dann kostet ein Hut 1/10 von einem Rock); damit wird aller individuelle Vorsprung an Fähigkeiten und alle Verbesserung an Produkt und Produktivität jeweils der verbrauchenden Seite zufließen und damit die Lebensverhältnisse verbessern; dies entspricht aber den Bedingungen der Gerechtigkeit und des Gerechtigkeitsempfindens, daß nämlich jeder das Seinige nach bestem Vermögen zur Versorgungslage der Gemeinschaft beiträgt. Der Preis ist also hier weder ein Ausdruck des Arbeitsaufwandes, noch ein Ausdruck der persönlichen Wertschätzung eines Gegenstandes, sondern allein ein soziales Phänomen, eine Beziehungsregelung. Der Preis ist das Kernstück aller Kaufverträge, ein «Verträgnis» im Vertrag.

So wesentlich dieser Ansatz auch noch heute erscheint, er muß in die Gegenwart hinein fortentwickelt werden unter dem Gesichtspunkt moderner, Ich-bezogener und Ich-gegründeter Sozialverhältnisse. Einige der wichtigsten Fortbildungen durch ein assoziatives Wirtschaftsleben seien hier noch erwähnt:

  1. Es wurde gezeigt, daß sich in der Preisbildung letztlich Arbeits- und Lebensbedingungen gegenübertreten und durch die Lebenserfahrung von Käufer und Verkäufer in eine gerechte Beziehung gebracht werden. Diese übergreifende Lebenserfahrung ist in der modernen Arbeitsteilung nicht mehr gegeben: Zum einen ist es die weltweite Ausdehnung des Bezugsrahmens, zum anderen ist es die ungeheure Beschleunigung der sozialwirtschaftlichen Entwicklung, die die für das Wirksamwerden der Erfahrung notwendige Konstanz der Verhältnisse verunmöglicht. Dies gilt nicht nur für die Arbeitsbedingungen, wo Erfahrung in mancher Beziehung heute bereits als Behinderung der Aufnahme neuer Arbeitstechniken gilt, sondern auch für die Verbrauchsverhältnisse, die sich immer mehr individualisieren und damit keinen Vergleich mehr zulassen.

    Hier setzt die assoziative Wirtschaft an, indem sie der arbeitsteilig bedingten sozialen Zersplitterung ein Organ einbildet, in der sich die Splitter wieder zum Ganzen bilden können. Assoziationen bauen auf Lebenserfahrungen auf und bieten gleichzeitig auch die Möglichkeit ihrer Erweiterung. Sie fördern damit die Möglichkeit, in die sozialen Verhältnisse anteilnehmend einzutauchen und dadurch die ErlebnisGrundlagen für das Gerechtigkeitsempfinden zu legen. Assoziationen müssen ersetzen, was früher die Lebensverhältnisse selbst enthielten.
  2. So, wie die «austeilende Gerechtigkeit», d.h. das gerechte Verhalten, als einzelner nicht mehr ausgeübt werden kann, so auch die «ausgleichende Gerechtigkeit». Wer setzt den gerechten Preis fest und ahndet den Verstoß dagegen? In durchschau- und durchlebbaren Arbeits- und Lebensbedingungen braucht es keine Instanz, da die Verhältnisse für alle so durchsichtig sind, daß jeder gravierende Verstoß gegen die Gerechtigkeit als Betrug erlebt und gebrandmarkt würde. Heute sind zwar auch die Preise öffentlich, die dahinterstehenden Lebensverhältnisse aber nicht oder kaum bekannt, vor allem aber ohne jeden Einfluß auf die Kaufvorgänge. Ebenso ist ein ungerechter Preis ein soziales Kavaliersdelikt und nur dann ein Klagegrund, wenn irgendwelche staatlichen Bestimmungen verletzt wurden. Jede andere Regelung würde, wie bereits ausgeführt, aus allen wirtschaftlich Tätigen Dauerkriminelle machen, da ein Einzelurteil im sozialen Beziehungsgefüge tendenziell immer falsch sein muß.

    Die Marktwirtschaft versucht deshalb, den Markt als «oberste Gerichtsinstanz» einzusetzen, die Planwirtschaften die den Plan erstellende und verwaltende Behörde politischer Überordnung. Aber die Vernunft schwebt nicht über den Menschen, sondern wird von Menschen getätigt. Assoziationen, als Versammlung der Träger von zusammengehörenden Arbeitsprozessen, sind nicht nur Organe der Erfahrung, sondern auch der Vernunft. Auf der Grundlage der Erfahrung greift die Vernunft ein, aber nicht aus über- oder außermenschlichen Bereichen, sondern durch die Vernunftbetätigung der Assoziationsmitglieder. Die dem einzelnen nicht bewußten Marktkräfte werden immer mehr ins Bewußtsein gehoben und damit verantwortlich gestaltbar; die Vernünftigkeit von Plänen wird in das vernünftige Handeln der einzelnen versenkt. Indem man gemeinsam berät, worauf es im Großen ankommt, wird jeder im Kleinen wissen, was er zu tun hat, damit das Große erreicht wird. Der Bezug zur Ganzheit zeigt sich dem außenstehenden Betrachter als soziale Vernünftigkeit; die Tatsache, daß dies durch die Handlungsimpulse einzelner bewirkt wird, läßt die Vernunft dezentralisiert wie selbsttätig erscheinen. Assoziationen sind in diesem Sinne keine Zentralbefehlsorgane; wenn sie etwas zentral entscheiden, werden sie es deshalb tun, weil die Vorgänge an diesen Stellen eine solche Entscheidung fordern.
  3. Damit verändert sich die Art, wie bisher Gerechtigkeit im Wirtschaftsprozeß gelebt hat oder modellhaft leben soll. Handlungsimpulse sind immer nur individuell. Die Tugendhaftigkeit der Gerechtigkeit muß sich zwar in unserer Handlung zeigen, sie wird aber nicht mehr von innen, quasi persönlich gebildet, sondern entsteht peripher, d.h. aus dem sozialen Umkreis. Nicht auf die persönliche Gesinnung allein kommt es an, sondern diese muß sich in der Gestaltung der Prozesse und Verhältnisse verobjektivieren. Die Preisungerechtigkeiten können auf die Dauer nicht durch karitative Gesten ausgeglichen werden, sondern müssen selbst durch assoziative Menschengemeinschaften zum Gerechteren hin verändert werden. Dadurch erhalten die sozialen Beziehungen, die im Preis ihren Ausgleich finden, den Charakter der Gerechtigkeit, zu dem sie zwar innerlich veranlagt sind, den sie aber selbst nicht zum Ausdruck bringen können. Dieses Scheinen des Preises im Glanze der Gerechtigkeit erweist damit das assoziative Wirken als künstlerischen Prozeß, die Gerechtigkeit als Ästethik des sozialen Lebens, den sozialen Organismus als Kunstwerk, ganz in Fortbildung dessen, was Schiller erstrebte.

Indem so der Wirtschaft durch die Selbstverwaltung innerhalb der Dreigliederung die Verantwortlichkeit der Preisgestaltung und damit die Verwirklichung und der Schutz der sozialen Gerechtigkeit anvertraut wird, stellt sich natürlich sofort die Frage, wie diejenigen Menschen einbezogen werden, die nicht in der Produktion wirtschaftlicher Güter und Leistungen stehen. «Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen» dieser Leninsche Zynismus entspricht zwar durchaus dem Denken des dialektisch-historischen Materialismus, ist aber ernsthafter Diskussion unwürdig. Und selbst, wer jeden Hinweis auf Geist und Moral ablehnt, wird schon aus Klugheit gut beraten sein, die Verwirklichung dieses Grundsatzes nicht zu wünschen. Denn die Statistik zeigt, daß nur ein Drittel der Bevölkerung erwerbstätig ist (in der BRD ca. 25 Mill.); und die Lebenserfahrung bemerkt, daß die beiden Hauptgruppen der Nicht-erwerbstätigen Kinder und Pensionierte sind, also Lebensphasen, die wir selbst durchlaufen, weshalb sich das Leninsche Verdikt auch gegen seinen Anwender wenden würde. - Aus systematischen Gründen werden hier drei Hauptgruppen in aller offenlassender Kürze angesprochen. Da ist zunächst die Gruppe derer, die noch nicht (Jugendliche), gerade nicht (Kranke) oder nicht mehr (Pensionierte) im Wirtschaftsprozeß stehen. Ihr Einkommen kann daher auch nicht aus dem gegenwärtigen Preisprozeß stammen. Es muß deshalb als Anteil aus dem Sozialprodukt so genommen werden, wie die Einkommen der Tätigen. Es kommt dabei wesentlich darauf an, daß sie an diesem Verteilungsprozeß direkt beteiligt sind, und nicht ihr Entgelt aus Abgaben aus dem Einkommen der Tätigen entsteht. Nur so können diese Einkommensströme mit den richtigen sozialen Empfindungen begleitet werden. Wie eigenartig muß es doch in den Ohren klingen, wenn heute suggeriert wird: «der Abgaben sind genug» und damit auch dieser Teil der Einkommen gemeint ist, der derzeitig aus diesen Abgaben finanziert wird. Es ist eben sozial falsch gedacht, wenn jemand glaubt, daß es seine Großzügigkeit ist, die diesen Menschenkreis am Leben erhält; denn dieser Preisanteil hat ihm nie zugestanden. Im Zeichen des Individualismus müssen alle ihren Anteil ursprünglich erhalten.

Eine zweite Gruppe sind diejenigen, die in öffentlichen Staatsfunktionen ihren Arbeitsbeitrag an die Gesamtheit leisten, z. B. als Beamte. Sie müssen ebenfalls aus Mitteln der Allgemeinheit erhalten werden. Da ihre Funktion aber nicht durch ihr Menschsein, sondern durch ihre soziale Stellung bedingt ist, wird dafür das Steueraufkommen die angemessene Finanzierungsform darstellen. - Üblicherweise wird heute die Steuer vom Einkommen berechnet, wobei aus Gerechtigkeitsgründen die Steuer überproportional zum Einkommen steigt. Dieses heute perfektionierte System führt wiederum zu völlig schiefen sozialen Empfindungen, die sich heute, wenn auch aus sehr egoistischen Gründen, in der Klage ausdrücken, daß «Leistung bestraft» würde. In der Klage liegt phönomenologisch etwas Berechtigtes. Unterstellt, daß durch assoziatives Wirken in einem zur Dreigliederung tendierenden sozialen Organismus die gröbsten Ungerechtigkeiten in der Einkommensbildung beseitigt sind, so ist das höhere Einkommen, gebildet aus Anteilen aus den Geldrückflüssen für den Verkauf von Produkten oder Leistungen, nur der Ausdruck für eine besonders intensive oder ertragsreiche soziale Betätigung. Die Kaufrechte des auf diese Weise erhaltenen Geldes sind freiwillig überlassen, aber sozial noch nicht ausgeübt. Wer nichts kauft, beansprucht auch nichts, sondern hat nur die Bedarfsansprüche anderer befriedigt. Es besteht deshalb zunächst überhaupt kein Anlaß, eine Steuer auf dieses Einkommen zu erheben.

Das eigentliche Problem entsteht erst in der Geldverwendung. Was jemand ausgibt, d.h. an Leistungen und damit an sozialer Arbeit beansprucht, daran allerdings läßt sich der Steuergedanke anknüpfen. Die Ausgabensteuer entspricht der Realität des sozialen Lebens wesentlich besser; mit ihrer Hilfe können Beanspruchungsunterschiede innerhalb vertretbarer Grenzen ausgeglichen und damit die Tendenz zu gerechten Verhältnissen von der Verbrauchseite her unterstützt werden. Nicht weil einer viel leistet, muß er einen größeren Anteil abgeben, sondern weil er mehr beansprucht. Auch hier wird die Empfindung wieder auf die richtige Spur gebracht. - Eine Teilfrage davon ist diejenige nach der Besteuerung des nicht ausgegebenen Geldes, des Geldvermögens. Da es sich um soziale Rechte handelt - denn Geld für sich ist nichts -, die aus einer Verpflichtung anderer Menschen zur Gegenleistung bestehen, muß sichergestellt sein, daß diese Rechte auch fristgemäß eingelöst werden oder verfallen. Und auch hier ist die unbegrenzte «Haltbarkeit» von Geldvermögen wiederum die Ursache für das Nichtentstehen richtiger sozialer Empfindungen. (Auf diese Frage des Geldes weiter einzugehen, ist hier nicht möglich. Grundsätzlich aber ist es ja durchaus im Rechtsleben bekannt, daß soziale Anspruchsrechte nicht unendlich dauern dürfen). [21] Ersparnis ist also zunächst ein Stau in der Zirkulation des Geldes, der negativ wirkt. Kann aber das so ersparte Kapital von anderen zwischenzeitlich sozial wirksam genutzt werden - wie es z. B. bei Investitionskrediten der Fall ist - so wird die stauende Wirkung sogar zu einer Verbesserung der sozialen Verhältnisse benutzt: Der dafür zu zahlende Zins gleicht die Steuerabgabe aus. Die Kapitalerhaltung ist damit äußerlich gewährleistet, aber innerlich erneuert, dynamisiert. - Keine Steuer aber fällt für denjenigen an, der seine Rechte weiterüberträgt auf andere, also verschenkt, unabhängig vom Zweck. Während bei der Einkommensteuer der Nachweis z. B. der Gemeinnützigkeit erbracht werden muß und damit allerlei sachfremde Überlegungen die Schenkungsströme behindern und umleiten, bedarf es bei einer Ausgabensteuer keiner Kontrolle. Damit werden freie Strömungsverhältnisse geschaffen, die für die dritte Gruppe nun von besonderer Bedeutung sind. Diese Gruppe betrifft diejenigen Menschen, die Träger des Geistes- und Kulturlebens im Beruf sind. Bei Aristoteles noch war die Ökonomie eine untergeordnete Wissenschaft, kaum des freien Menschen würdig. Die Repräsentanten damaliger Kultur lebten gerade nicht aus der eigenen ökonomischen Betätigung, sondern aus den Verfügungsrechten über landwirtschaftliche Güter und Gewerbe oder aus sonstigen Rechtspfründen. - Heute ist das Geistesleben nicht mehr für bestimmte Menschengruppen reserviert. Die finanzielle Freistellung erfolgt vielmehr durch die «Bezahlung» wie bei anderen Gütern auch und freiwilligen Zuwendungen (Schenkung). Nur dasjenige Geistes- und Kulturleben hat noch Berechtigung, das durch die Bedürfnisse von Menschen und deren Bereitschaft, es finanziell zu ermöglichen, getragen wird. Deshalb kann die Wirtschaft nur danach streben, dem einzelnen die dazu notwendigen Mittel zu verschaffen, das Rechtsleben dagegen ihre Übertragungsmöglichkeit zu sichern. Zweifellos würde ein solches Prinzip die Kulturlandschaft zunächst erschüttern und verändern, und mancher mag dabei den Verlust ihm liebgewordener Einrichtungen befürchten. Dennoch würde damit der einzig gesunde Boden eines modernen Geisteslebens betreten; denn im Geistigen ist das Konkurrenzprinzip zu Hause, das mit der assoziativen Wirtschaftsweise aus dem Wirtschaftsleben verdrängt werden soll. Einen von der freien Ermöglichung losgelösten Unterhaltsanspruch gibt es im hauptamtlichen Geistesleben nicht: man kann nur berufen werden.

Gegenwartstendenzen

Die beschriebenen Einrichtungen oder Maßnahmen, die den mehr grundsätzlichen Ausführungen verdeutlichend hinzugefügt wurden, sind nicht Bestandteil «der» assoziativen Wirtschaft, sondern Lösungen, wie sie der Verfasser für möglich hält. Was wirklich zu geschehen hat oder was geschehen wird, werden jeweils die Menschen zu entscheiden haben, die aus den sich entwickelnden Verhältnissen die Möglichkeit und die Kompetenzen zur Gestaltung suchen und erhalten, wobei in vielen Fällen die Praktikabilität erst erprobt werden muß oder Nachbesserungen zur Erreichung gewünschter Ziele zu erfolgen hätten. Nur darf sich das Verhältnis nicht umkehren: Wer nur deshalb etwas macht, weil es praktikabel ist, der gleicht dem, der die Zielscheibe dorthin trägt, wohin er gerade gezielt hat. Die Offenheit der assoziativen Wirtschaft für die Kreativität der an ihr und in ihr Beteiligten kann geradezu als Einladung zur Mitarbeit betrachtet werden. Man muß keine Eide auf Programme ablegen, sich zu nichts Vorgegebenem verpflichten - Führer ist allein das umfassende Verständnis sozialer Vorgänge und die Bereitschaft, an den Verhältnissen und Erfahrungen der Mit-Arbeiter im sozialen Organismus mit warmem Interesse teilzunehmen. Deshalb würde man als auf diesem Felde Arbeitender nur allzuoft gerne die Fragen «Wie soll dies oder jenes ...?» an die Fragesteller zurückgeben, vor allem, wenn es sich um fach- und sachkundige Vertreter des Wirtschaftslebens handelt. In ihren Erfahrungen ruhen viele Antworten in noch keimhaftem Zustande.

Schaut man auf die gegenwärtigen Tendenzen, so sieht man viele Verhaltensweisen auftreten, die in die Richtung der assoziativen Wirtschaft weisen, wenn sie auch durch die jeweilig vorherrschende Systemdogmatik verzerrt erscheinen. - Im Osten wird gerade in jüngster Zeit verstärkt von wirtschaftlicher Ausrichtung der Betriebe gesprochen und auch gewirkt, d.h. doch wohl: Kosten und Erträge sollen zur Urteilsbildung stärker herangezogen und damit das Preisgeschehen in den Vordergrund gerückt werden. Der Zentralplan soll stärker auf die Eigenverantwortlichkeiten verlagert werden. Man erkennt also, daß nur der einzelne der kraftvolle Träger von Handlungsimpulsen sein kann, was er aber nur ist, wenn er sich mehr und mehr die Ziele seines Handelns selbst setzen kann. -Im Westen dagegen werden die Marktkräfte immer mehr durch kooperative Willensbildungen, vor allem über die Wirtschaftspolitik, durchzogen. Preis- und Mengenabsprachen, vor allem im grenzüberschreitenden Verkehr oder bei notleidenden Industrien, sind die Regel. Die gewaltigen Kartell- und Konzernbildungen führen dazu, daß vormals außerbetriebliche und damit den Marktprozessen unterworfene Vorgänge zu innerbetrieblichen werden und damit der unternehmerischen Planung, aber auch der Solidarität unterliegen. Da werden Kapazitäten weltweit geplant und aufeinander abgestimmt; da werden Betriebsverluste des einen Unternehmens durch Gewinn anderer ausgeglichen, was, bei Nichtkonzernbindung, als sozialutopische Verstiegenheit gebrandmarkt wird; das werden internationale Bankkonsortien rivalisierender Geschäftsbanken zur gemeinsamen Problemlösung gebildet; da übernehmen soziale Gemeinschaften - der Staat - die Finanzierung von Zukunftsentwicklungen, subventionieren soziale Übergänge usw. Alle Maßnahmen sind im Kern unverträglich mit der Marktwirtschaft und ihrer zur «Gerechtigkeit» führenden Konkurrenz. Dennoch weigert sich die Nationalökonomie, diese Entwicklung nicht nur defensiv - als «Sündenfälle» des Marktsystems - sondern auch aktiv in Richtung auf assoziative Wirtschaft weiterzudenken. Damit entsteht eine gefährliche Situation. Da nämlich das Prinzip des Einkommensegoismus nach wie vor besteht, gleichzeitig aber die Konkurrenz immer weiter eliminiert wird, so fehlt der «soziale» Korrekturmechanismus und der Egoismus wird sich im sozialen Prozeß weiter und weiter ausbreiten und bedienen können.

Hier zeigt sich eine der wichtigsten Aufgaben gegenwärtiger Wirtschaftsgestaltung. Der Egoismus wurde bisher immer als «wesentlichste», «einzige», «kräftigste» oder «naturhaft veranlagte» Triebkraft wirtschaftlicher Betätigung betrachtet, d.h. als Wachstumskraft. Die Konkurrenz war sein Bändiger. Fällt letztere weg, so bleibt reines Wachstum übrig: Wachstum ohne Formbildung aber bedeutet Wucherung. Während wir in der Medizin mit allen Mitteln die Krebswucherung bekämpfen und dabei verzweifelt nach dem Verursacher suchen, ist es im Sozialen umgekehrt. Dort betätigen wir immer kräftiger die Verursachungskräfte: wir fordern Wachstum, weil man Wachstum will; wir machen Schulden, damit die Wirtschaft läuft; wir verbrauchen, damit die Produktion sich steigern kann; wir investieren um der Rendite willen und weil Geld vorhanden ist; wir verkaufen Rüstung um der Arbeitsplätze willen; wir verbilligen, um des Gewinnes willen. Wohin wir schauen, lösen sich die sozialen Betätigungskräfte aus ihrem ursprünglichen sozialen Zusammenhang, sind um ihrer selbst willen da, bei genauerer Betrachtung sogar wegen ihrer parasitären Nebenwirkungen Macht und Reichtum. Der Mediziner sieht in der sich bildenden Geschwulst keinen erfreulichen Zuwachs an Körpersubstanz, sondern eine Bedrohung des Lebens. Im Sozialen dagegen wird noch immer jede Wachstumsmeldung begrüßt, weil Wachstum bereits mit Lebensfortschritt gleichgesetzt wird. Wir könnten im Sozialen viel von den Ärzten lernen.

Aber auch umgekehrt. Denn der soziale Prozeß zeigt, wie man diese zentrifugalen Wachstumskräfte vor der Entartung schützen kann, indem sich ihnen die zentripedalen Gestaltungskräfte aus der Peripherie des assoziativen Zusammenarbeitens entgegenentwickeln. Wir selbst tragen diese Kräfte in uns. Wir müssen sie betätigen und können es auch, sobald wir aufmerksam werden, daß wir nicht nur ein egoistisch-naturhaftes Wesen an uns tragen, sondern gleichzeitig auch, kraft unserer geistigen Ich-Existenz, die es überwindenden, alles verwandeln könnenden Erkenntniskräfte. Der Impuls zur assoziativen Wirtschaft ruft diese Kräfte zur Wirtschaftsgestaltung auf, ohne Illusionen von «Raschheit» und «Einfachheit» der notwendigen Änderungen zu nähren, aber auch ohne der resignativen Untätigkeit derjenigen das Wort zu reden, die aus mangelnder Geistgewißheit im Bestehenden verharren wollen.


Quelle: Die wirtschaftlichen Assoziationen, Beiträge zur Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben; Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1987. Auch enthalten in: Scheinmarktwirtschaft, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1997.


Anmerkungen

[1] Es handelt sich dabei um die zentrale Frage der Freiheit. VgI. Rudolf Steiner, Die Philosophie der Freiheit, GA BibI. Nr. 4, Dornach 141978.

[2] VgI. Gert von Eynern, Grundriß der politischen Wirtschaftslehre, § 170ff., Köln 1968.

[3] Rudolf Steiner, Kurs (Nök), 4. Vortrag, GA BibI. Nr.340, Dornach 51979.

[4] Rudolf Steiner, Magazin für Literatur Nr.29, 1898 in GA BibI. Nr.31, Gesammelte Aufsätze zur Kultur und Zeitgeschichte, Dornach 1966, S.147ff.

[5] Hier wird der Lohn als Teilaspekt der Preisfrage betrachtet.

[6] Silvio Gesell, Die natürliche Wirtschaftsordnung, Vorrede 1916; Nürnberg 1949.

[7] Aristoteles, Die Nikomachische Ethik, 5. Buch, S. 166, München 1972.

[8] Rudolf Steiner, Nök, 6. Vortrag, a. a. O.

[9] Rudolf Steiner, Philosophie der Freiheit, 1. Kapitel, a. a. O.

[10] Wie Kant den Menschen als Subjekt in die Grenzen seiner Erkenntnis bannt und ihm die neue Tugend der Pflicht zuweist, so erlebt A. Smith diese Subjektivität im Sozialen als Egoismus und verordnet die Unterwerfung unter die Gesetze des Marktes.

[11] Bundesrepublik Deutschland -DDR, Die Wirtschaftssysteme, Hrg.: H. Harne!; München 1979, S. 192.

[12] A. a. 0., Seite 47ff.

[13] Diese Kurzargumentation will die Intention von Karl Marx wiedergeben, nicht den Wortlaut.

[14] Rudolf Steiner, Philosophie der Freiheit, Vorrede zur 1. Auflage, a. a. O.

[15] Bedeutende Vorarbeiten zur Dreigliederung finden sich bei Schiller (<

[16] Rudolf Steiner, Von Seelenrätseln (1917), GA Bibi. Nr.21, Dornach 51983; Die Kernpunkte der sozialen Frage (1919), GA Bibi. Nr. 23, Dornach 61976.

[17] A. a. 0., S.42.

[18] Vgl. Aufsatz des Verfassers in: Das Soziale Hauptgesetz, Sozialwissenschaftliches Forum Bd. I, Stuttgart 1986.

[19] Vgl. Anm. 18.

[20] Rudolf Steiner, Nök, 3. Vortrag, a. a. O.

[21] Zur Charakterisierung unterschiedlicher Gesichtspunkte siehe H. G. Schweppenhäuser, Das kranke Geld, Stuttgart 1971 und andere Werke; B. Hardorp, Elemente einer Neubestimmung des Geldes, Freiburg/Brsg. 1958; W. Latrille, Assoziative Wirtschaft, Stuttgart 1985; aber auch S. Gesell, Die natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld, Nürnberg 1949.