Betriebsräte und Kulturräte – Aus der Arbeit des Bundes für Dreigliederung

10.07.1919
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Es obliegt mir, heute abend einen kurzen Abriß darüber zu geben, was von Seiten des Bundes in der Frage der Betriebsräte geschehen ist, und da möchte ich anknüpfen an die Versammlungen, welche vor vier Wochen einmal hier in der Landhausstraße, das andere Mal im Siegle-Haus stattfanden, und bei denen es sich darum gehandelt hat, eine Abwehrstellung gegen die schweren Angriffe seitens der Industriellen einzunehmen. Die Angriffe erfolgten auf Grund jenes Flugblattes, das der Bund erlassen hatte zur Propagierung der Betriebsräte.

Sie wissen, daß der Bund es zu seiner wesentlichen Aufgabe gemacht hat, zwecks Verselbständigung des Wirschaftslebens die Frage der Betriebsräte in besonders intensiver Weise in die Hand zu nehmen. Und Sie wissen ja auch aus jenen zwei Versammlungen, was für Schwierigkeiten gemacht wurden und welche Angriffe eben von seiten der Industriellen gegenüber dem Bund erfolgt sind. Ob es uns gelungen ist, gerade die Industriellen darüber aufzuklären, daß unsere Ziele und unsere Bestrebungen nichts gemein haben mit dem, was man so obenhin nennt «bolschewistische Strömungen», das entzieht sich unserer Beurteilung. Daß aber von seiten dieser Industriellen heute noch ein ungeheurer Haß gegen die Mitglieder des Bundes besteht, dafür kann ich Ihnen ein Erlebnis vor Augen führen, das ich heute früh hatte. Da es sich dabei nicht um eine persönliche Angelegenheit handelt, sondern um etwas, was mit der Sache der Betriebsräte und unseres Bundes selbst zu tun hat, möchte ich es mit ein paar Worten schildern:

Durch die Betriebsräte der Firma Haueisen wurde der Betriebsrat der Waldorf-Astoria auf heute früh eingeladen zu einer Besichtigung der Schuhfabrik der Firma Haueisen & Co. Ich selbst gehöre dem Betriebsrat der Waldorf-Astoria an und habe daher mit den andern Beteiligten dieser Einladung Folge geleistet. Nach kurzer Anwesenheit in der Fabrik wurden wir heruntergerufen ins Vorzimmer des Privatkontors und mußten da eine eigenartige Unterhaltung mit anhören, die stattfand zwischen den Teilhabern der Firma Haueisen, und zwar wurde aufs schärfste verurteilt, daß der Betriebsrat der Firma meine Persönlichkeit auch mit eingeladen hatte. Die Herren Teilhaber haben sich gegenseitig die schönsten Unverschämtheiten an den Kopf geworfen, und das Ende vom Lied war, daß sie mir kurzerhand die Fabrik verboten, trotzdem ich, wie gesagt, geladen war als Angehöriger des Betriebsrates der Waldorf-Astoria. Ich wurde speziell darauf hingewiesen, daß meine politischen Gedanken, ich betone «politischen Gedanken», obwohl ich keiner Partei irgendwie angehöre, Anstoß erregen müßten, und daß meine sonstigen Intentionen im Gegensatz zu den andern Fabrikanten stünden, in deren Kreis ich eine einzigartige Stellung einnehme. Es blieb mir nichts anderes übrig, als der freundlichen Ausladung schleunigst Folge zu leisten.

Es scheint mir Pflicht, in diesem Kreise das Erlebnis vorzubringen, das mir entwürdigend vorkam. Es werden wohl besonders die Kreise des Proletariats durch dieses Vorkommnis darüber belehrt, daß die Frage der Betriebsräte und deren Inszenierung der Unternehmerschaft gegenüber gleich von vornherein kein Kinderspiel ist, sondern daß schon ein ernster, schwerer Kampf mit geistigen Waffen nötig sein wird. Insofern sind wir den Herren Haueisen dankbar, daß dieses Exempel von ihrer Seite aus einmal statuiert wurde.

Wenn nun einerseits von der Unternehmerschaft unseren Bestrebungen hinsichtlich der Betriebsräte, wie eben gezeigt, dieses «große Interesse» entgegengebracht wird, so muß doch auf der anderen Seite betont werden, daß die Frage der «Dreigliederung des sozialen Organismus» schon in allen möglichen Köpfen Wurzel geschlagen hat. Und in diesem Zusammenhang darf vielleicht bemerkt werden, daß die verschiedensten Bestätigungen dafür angeführt werden können. Zum Beispiel drückte sich ein Arbeitsminister Wisell kürzlich folgendermaßen aus: «Wir brauchen nicht nur eine politische, sondern auch eine wirtschaftliche und geistige Revolution.» Ferner treten selbst in Zeitungen wie dem «Arbeiterrat» Stimmen und Stimmungen auf, die beachtenswert sind. So äußert sich ein Dr. Heuser, Angehöriger der kommunistischen Partei, wie folgt: «Die zielbewußte Arbeiterschaft fordert mit Recht: Alle politische Macht den Arbeiterräten, alle ökonomische Macht den Betriebsräten (Däumig, Rätesystem). Wir fordern: Alle geistige Macht den Geistesarbeiter-Räten! Wir fordern neben der Körperschaft der Arbeiterräte (politische Körperschaft) und derjenigen der Betriebsräte (wirtschaftliche Körperschaft) eine Körperschaft der Geistesräte (geistige Körperschaft), in der das geistige Element des Volkes sich jederzeit Gehör verschafft, und die zum Ausgleich der ungeheuren politischen und ökonomischen Rechte der überwiegenden Handarbeiterschaft genügend Einfluß erhält auf die Besetzung der wichtigeren Stellungen der Allgemeinheit mit geistigen, tüchtigen Persönlichkeiten, da sonst keine Gewähr ist, daß diese Stellungen wie bisher geistlos nach machtpolitischen oder materiell ökonomischen Gesichtspunkten erfolgt.»

Wir selbst hier in Stuttgart haben nicht unterlassen, mit unseren Anstrengungen in dieser Richtung forzufahren. Es haben Diskussionsabende im Gewerkschaftshaus regelmäßig stattgefunden. Aber leider, je länger, je schwächer war der Besuch. Und leider muß konstatiert werden, daß es nicht nur Hemmungen von seiten der Unternehmerschaft waren, die unsere Sache beeinflußten, sondern daß diese Hemmungen ganz besonders und letzten Endes von den Parteien selbst ausgegangen sind. Und wenn wir heute vor der betrüblichen Tatsache stehen, daß trotz intensivster Arbeit, trotz fortgesetzter Vorträge von seiten des Herrn Dr. Steiner, wir heute höchstens 10-12 Betriebsräte aufzuweisen haben, so darf gesagt werden: Dieses Versagen (und es handelt sich um ein solches) ist nicht auf unser Konto zu schreiben, sondern auf Konto der Wühlereien, Quertreibereien seitens der Parteien aller Schattierungen. Und ich wage es hier auszusprechen, daß ganz sicher die linksstehenden Parteien es waren, welche uns am meisten Prügel in den Weg geworfen haben. Sachlich und objektiv war von jener Seite gegen unsere Bestrebungen nichts einzuwenden, aber persönliche Ambitionen und Aspirationen waren es, welche die Parteiführer veranlaßt haben, unsere Freunde vom Besuch der Vorträge abzuhalten und so die Frage der Betriebsräte in einer Art und Weise zu inhibieren, daß wir, wie gesagt, damit bis zur Stunde nicht weiter gekommen sind. Es muß gesagt werden, daß die Bestrebungen seitens der Parteien heute nichts anderes wollen, als die Frage der Betriebsräte von ihrem Standpunkt aus selbst in die Hand nehmen, und daß das auch neuerdings Aufgabe und Ziel der Gewerkschaften selbst ist, damit dieselben, weil sie gesehen haben, daß unsere Bestrebungen nicht bloße Ideologien sind, sondern Praxis zu werden vermögen - damit sie ihre Schäflein nicht verlieren, sondern rechtzeitig ihre Leute beim Wickel halten. Und da hat sich denn herausgestellt aus Besprechungen und Erklärungen, von jener Seite, daß nichts anderes beabsichtigt ist, als unsere Arbeit an sich zu reißen, und statt einer Dreigliederung eine Zweigliederung durchzuführen, das heißt: mit Hufe der von jener Seite aus angestrebten politischen Macht die wirtschaftliche Macht durch Betriebsräte zu erlangen und durchzuführen, und das Kulturleben, das geistige Gebiet, eben als Nebensächliches auf sich beruhen zu lassen.

In diesem Stadium, als wir erkannten, welch großer Gefahr unsere eigene Bewegung ausgesetzt ist, hielten wir es für unsere Pflicht, die Öffentlichkeit davon in Kenntnis zu setzen, daß der Bund für Dreigliederung des sozialen Organismus mit jenen Bestrebungen nichts gemein hat, und daß wir vom Bund aus der Öffentlichkeit sagen müssen, daß wir für alle Konsequenzen, die aus jener Zweiteilungsbestrebung, d.h. von jener Aspiration von seiten der Parteien entstehen, jede Verantwortung ablehnen müssen. Und es obliegt uns, Ihnen diese Erklärung, die unter dem 21. Juni herausgegangen ist, nachträglich zur Kenntnis zu bringen. Gestatten Sie, daß ich Ihnen dieses kurze Flugblatt vorlese:

Erklärung

Der Bund für Dreigliederung des sozialen Organismus nahm seinen Ausgang von Dr. Steiners Aufruf «An das deutsche Volk und an die Kulturwelt» und vertritt die Anschauungen, die in dem Buche Dr. Steiners «Die Kernpunkte der sozialen Frage» niedergelegt sind. - Er erblickt als einzige Rettung aus der gegenwärtigen durch den Friedensschluß gekennzeichneten außerordentlichen Lage die sofortige Inangriffnahme seiner Forderungen, die er nochmals wie folgt zusammenfaßt:

  1. Völlige Verselbständigung des Geisteslebens, einschließlich Erziehungs- und Schulwesen.
  2. Einschränkung des Staatslebens auf alle diejenigen Lebensverhältnisse, für welche alle Menschen vor einander gleich sind.
  3. Regulierung der umgebildeten Lohn- und Besitzverhältnisse durch den Rechtsstaat, mit völliger Herauslösung derselben aus dem Wirtschaftsleben, so daß dieses mit nichts anderem zu tun hat, als mit Gütererzeugung, Güterverteilung und Güterverbrauch.

Der Bund für Dreigliederung des sozialen Organismus sieht die Erreichung seines Zieles darin, daß der Staat aus seinem Machtbereicht entläßt auf der einen Seite das Geistesleben, auf der andern Seite das Wirtschaftsleben. - Der Bund hat sich auf dem Gebiet des Wirtschaftslebens für die Betriebsräte eingesetzt, damit diese zu einer Betriebsräteschaft zusammengeschlossen die ersten praktischen Schritte für eine vernünftige Sozialisierung unternehmen können. Parallel damit soll die Erneuerung des Geisteslebens durch Gründung eines Kulturrats sofort in Angriff genommen werden.

Der Bund muß daher unbedingt daran festhalten, daß nicht eine einseitige Loslösung des Wirtschaftslebens vom Staat erstrebt werden darf, sondern gleichzeitig mit dieser Loslösung die Stellung des Geisteslebens auf sich selbst erfolgen muß.

Der Bund zählt zu seinen Mitgliedern Menschen aus allen Berufen, Lebenskreisen und Parteien, und betrachtet die durch seinen Namen ausgedrückten Ideen als einen Weg zur wirklichen Einigung aller Menschen, welche mit gutem Willen unser Volk aus seiner tiefsten Not zu einer lebensmöglichen Zukunft führen wollen. Wo alle Parteiprogramme versagt haben in dieser tragischen Zeit, werden es unsere Forderungen sein, welche in Innen- und Außenpolitik die neuen Wege vorzeichnen. Die Träger der Idee vom dreigliedrigen sozialen Organismus lehnen es entschieden ab, mit dieser Idee auf irgend einen Parteiboden gestellt zu werden. Sie werden sich nie mit einem der bisherigen Parteiprogramme identifizieren. Ihr Ziel ist, zu Menschen und niemals zu Parteimitgliedern als solchen zu sprechen.

Für jede Bewegung, von welcher Seite sie auch kommen mag, welche sich mit ihren Mitteln oder Zielen außerhalb dieser Dreigliederung stellt, kann der Bund keine Verantwortung tragen; insbesondere erblickt er in einer einseitigen Aktion auf dem Gebiet der Wirtschaft oder der Politik ohne das Ziel der Dreigliederung nur die Quelle zu unbegrenzter Vermehrung des Unheils.

In letzter Stunde erwarten wir von den berufenen Kreisen die Auseinandersetzung mit unseren Bestrebungen, ehe es zu spät ist.

Stuttgart, 21. Juni 1919.

Bund für Dreigliederung des sozialen Organismus, Stuttgart, Champignystr. 17

Diese Erklärung ging hinaus, ein Echo hat sie nicht gefunden. Und wir stehen wiederum vor der leidigen Tatsache, daß unsere Bestrebungen gerade an den sogenannten «berufenen Kreisen» ungehört vorübergegangen sind.

Wir lassen es aber nicht fehlen an der systematischen Weiterbearbeitung der Massen. Herr Dr. Steiner hat jetzt in Göppingen einen Vortrag gehalten, dessen Besuch leider, und das ist charakteristisch, den Arbeitern im letzten Augenblick von Seiten der Parteiführer verboten wurde. Es war daher in der Hauptsache bürgerliches Publikum da. Die nachfolgende Diskussion hat leider dasselbe Resultat gezeigt, wie schon öfters, nämlich, daß man sich nicht an das Thema hielt, sondern nur Parteistreitigkeiten bei dieser Gelegenheit ausgrub.

Ein weiterer Vortrag wurde von Herrn Dr. Steiner in Pforzheim abgehalten, und zwar vor einer breiten Masse, welche in begeisterter Weise diesen Vortrag aufnahm. Es hat sich dabei das Merkwürdige ergeben, daß gerade der Führer der Unabhängigen auftrat und etwa sagte, daß es ihm vermessen erschiene, nach einem so gewaltigen, in Form und Inhalt so schönen Vortrag von sich aus noch einige Worte beizufügen. Er hat dann warm anerkannt die Bestrebungen von seiten des Bundes. Es war eine Freude für uns, daß gerade von dort unseren Bestrebungen Verständnis entgegengebracht wurde.

Ferner fand in Weil im Dorf ein Vortrag statt vor relativ wenig Zuhörern, die aber in wunderbar ernster Stimmung und wirklicher Hingabe dem Vortrag folgten.

Dann fand in den letzten Wochen ein Vortrag statt in Heilbronn. Dieser Heilbronner Vortrag war glänzend besucht, und er wäre ebenso glänzend verlaufen, wenn nicht wiederum am Ende des Vortrages eine Diskussion sich angeschlossen hätte, welche die wüstesten Parteizwistigkeiten austrug. Ein Bericht über jenen Vortrag liegt vor, den ich mir doch noch erlauben möchte, kurz zu streifen. Er erschien in einer Heilbronner Zeitung. Es wäre interessant, wenn die Zeit nicht zu knapp wäre, den ganzen Artikel vorzulesen. Ich möchte mich aber auf einen Satz beschränken, weil derselbe besonders charakteristisch ist. Der Berichterstatter sagt über die Bestrebungen des Bundes und über das, was wir als Aufgabe der Betriebsräte zu verzeichnen haben, folgendes: «Steiner will nur noch nach dem Bedürfnis arbeiten, wo dies nicht mehr vorhanden ist, legt man die Betriebe einfach still; schade, daß er die Arbeiter nicht ausführlich darüber befragt hat, wie sie sich zu dem dadurch nötigen Arbeiterschub von Branche zu Branche, von Ort zu Ort stellen.» Dieser Artikel scheint der ganzen Aufmachung nach von einem «sogenannten Praktiker» geschrieben zu sein. In seiner ganzen Frivolität und Oberflächlichkeit nimmt er nicht Kenntnis davon, daß es erst kurze Zeit her ist, als gerade durch das Oberkommando, sagen wir in seinen Worten: «ein Arbeiterschub von Ort zu Ort» in größtem Maßstabe stattfand, nur nicht für allgemeine Produktion, sondern für kriegswirtschaftliche Tätigkeit. Der Artikelschreiber sieht auch nicht ein, als Wirtschafter, welcher Arbeiterschub notwendig war bei Daimler, als eine Reduktion von 20 000 Arbeitern auf 8000 Arbeiter vorgenommen werden mußte. Mit solcher Oberflächlichkeit schreibt man heute Berichte. Man sieht nicht einmal, wie unsere heutige Industrie überhaupt vor ganz neuen Fragen steht, und wie sie darauf angewiesen ist, die größten Anstrengungen zu machen, um sich zu halten. Die Feinde, wie man ja jetzt schon sieht, schicken keine Rohstoffe, sondern Fertigfabrikate, und, wenn wir die Ernährungsfrage in richtiger Weise lösen wollen, werden wiederum große Schübe von Arbeitern notwendig sein von der Industrie zur Landwirtschaft hinüber.

Sie sehen, wie heute die sogenannten Praktiker und die Parteiführer wagen, diese Ideen, von denen man anerkennt, daß sie einen Ausweg bieten, zu behandeln. Jener Artikelschreiber schreibt ja ausdrücklich, daß man anerkennen muß, daß die Ideen Dr. Steiners einen gesunden Kern hätten. Man darf schon sagen: «Der Haß bekämpft diese Ideen und hält dadurch das Volk davon ab, aus dem Elend herauszukommen, in das diese Menschen in beschleunigtem Tempo hineintreiben.»

So stehen wir heute vor der traurigen Tatsache, daß unsere Bestrebungen in puncto Betriebsräte wohl über kurz oder lang ein Ende werden nehmen müssen. Denn es ist für den Bund eine Unmöglichkeit, daß er als Vorspann für ParteiAmbitionen benützt wird, daß unsere Bestrebungen, die nur aus dem reinsten sozialen Wollen heraus in die Wege geleitet wurden, herangezogen werden von Parteiführern zu ihren eigenen Vorteilen, ihrem eigenen Glanz. Und es ist jetzt die höchste Zeit, daß von der Arbeiterschaft erkannt wird, daß wenn nicht in wenig Wochen oder Tagen die energischsten Maßnahmen getroffen werden, um uns in unseren Bemühungen betreffs der Betriebsräte zu unterstützen, es dann zu spät sein wird. Nich nur deshalb, weil der Bund seine Hilfe eben diesen Parteiströmungen nicht angedeihen lassen kann, sondern auch weil bereits das Ententegeld rollt; weil bereits die Kapitalien von Seiten der Engländer und Amerikaner Einzug halten und es den deutschen Betrieben und damit der Arbeiterschaft und dem Bund unmöglich machen, die soziale Frage in der von uns gewollten Weise zu lösen.

Auf der anderen Seite trennen uns vielleicht nur wenige Monate davon, daß das Regierungsgesetz über die Betriebsrätefrage herauskommt. Wenn dasselbe da sein wird, dann wird es wiederum eine Unmöglichkeit sein, mit unseren Bestrebungen duchzudringen, welche weit hinausgehen über dieses Gesetz und welche ganz andere Dinge anstreben, nämlich eine richtige und wahre Sozialisierung mit Hilfe der Betriebsräte und einer Umwandelung des ganzen Wirtschaftskörpers auf Grund einer richtig funktionierenden Betriebsräteschaft. Dann, wenn das Gesetz da ist, würde es auch wiederum zu spät und unmöglich sein, unsere Bestrebungen zur Tat werden zu lassen.

Und so möchte ich diesen nicht erfreulichen Bericht, den Ihnen zu geben mir oblag, schließen mit dem Hinweis darauf, daß der Bund seinerseits die Bestrebungen für die Betriebsräteschaft nur dann weiterführen kann, wenn seitens der Arbeiterschaft das intensivste Interesse diesem Streben entgegengebracht wird. Und dieses Interesse muß in Bälde einsetzen, ehe es zu spät ist. Auf der anderen Seite muß der Bund wiederum jede Verantwortung ablehnen für die Konsequenzen, die daraus entstehen, daß jetzt unsere Bestrebungen für die Betriebsräte zum Heil und zur Glorie der Parteien ausgenützt werden, indem sich Gewerkschaften, Unabhängige, Mehrheitssozialisten solche Betriebsräte schaffen, die nicht zum Heil der Volkswirtschaft, sondern nur im Dienste der Parteien gewählt werden sollen. Möchten in zwölfter Stunde diejenigen Kreise, welche es angeht, verstehen, daß die Frage der Betriebsräte nicht gelöst werden kann dadurch, daß einige wenige von Seiten des Bundes sowohl wie unserer Arbeiterfreunde sich anstrengen, die Sache zu inszenieren, sondern daß wir in der Luft hängen müssen, wenn nicht die Massen der Arbeiter sich entschließen, uns zu folgen, statt ihren Parteifreunden.

Es wurde uns der Vorwurf gemacht, wir hätten uns vorher mit den Industriellen verständigen sollen. Wie diese Industriellen sich benehmen, habe ich ja heute abend selber charakterisiert. Die Industriellen stemmen sich geradezu unserer Sache entgegen. Es hat auch hier nicht an uns gefehlt, indem schon vor Monaten von unserer Seite die Bestrebungen im besten Gange gewesen sind, gerade den Industrieverband und dessen Vorsitzenden, Herrn Dr. Bosch, selbst für die Sache zu erwärmen. Ich hatte zusammen mit einer Anzahl von anderen Industriellen den Antrag gestellt, es möchte in einer Generalversammlung des Industrieverbandes Gelegenheit gegeben werden, Herrn Dr. Steiner zu hören, um dann zu dieser Frage Stellung zu nehmen. Dies wurde abgelehnt. Es wurde auch verschiedenes andere abgelehnt. Es darf hier gesagt werden, daß auch noch weitere Versuche gemacht wurden; sie sind aber alle fehlgeschlagen. Da war es unsere Pflicht, nachdem wir sahen, daß überhaupt nur eine produktive Arbeit durch uns geleistet werden könne in bezug auf Betriebsräte, daß wir eben eigene Wege suchen müßten und zwar dies, solange das Gesetz noch nicht besteht. Sie selbst wissen, und ich persönlich habe es in der Sozialisierungskommission erlebt in stundenlangen Debatten, wie man heutzutage über den Entwurf spricht, wie man wochen- und monatelang zu keinem Resultat kommt, weil man nur Phrasen drischt. Für uns handelt es sich darum, endlich einmal aus der Phrase herauszukommen und zur Tat zu schreiten. Wir haben dies getan mit vollem Bewußtsein der Notwendigkeit dieser Tat, nicht etwa gegen die Unternehmer und gegen die Industriellen, sondern zum Heile der führenden und der arbeitenden Klassen. Wir haben getan, was notwendig war, nachdem uns die Unternehmer selbst abgelehnt haben. Dann haben wir uns durch Flugblätter nochmals an die Unternehmer und die Arbeiterschaft selbst gewandt. Das hat zur Folge gehabt, daß ich persönlich vor ein Scherbengericht geladen wurde, und daß man mich moralisch tot machen wollte.

Veröffentlichungen

»Mitteilungsblatt des Bundes für Dreigliederung des sozialen Organismus«, Nummer 4/5, Dezember 1919
Nachdruck in »Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe«, 1989, Nummer 103, S. 3-10