Das soziale Kausalitätsgesetz von Rudolf Steiner

17.02.2024

Quelle
Zeitschrift „Sozialimpulse“
Jahrgang 34, Heft 3-4/2023, November 2023, S. 10–15
Bibliographische Notiz

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STOLPERSTEIN Nr. 1

Einseitige soziale Anschauungen und ihre realen Folgen

Die Diskussion um notwendige Maßnahmen zur Bewältigung gesellschaftlicher Krisen zeigt vor allem eines: Es geht um komplexe Streitfragen, die schwer zu handhaben sind und zunehmend vehementer diskutiert werden. Da liegt die Versuchung nahe, sich mit vereinfachten sozialen Anschauungen zu behelfen. Vier Varianten der Vereinfachung treten in Erscheinung und sind zu problematisieren:

  1. Subjektivistische Konzeption: [1] Diese geht davon aus, dass durch Subjekte gesellschaftliche Normen hervorgebracht werden. Der Mensch – so die Auffassung – ist grundsätzlich gut und die sozialen Verhältnisse und Strukturen verändern sich, wenn jeder Mensch sein Verhalten bessert und ändert. Das kann nur freiwillig aus einem persönlichen Entschluss heraus geschehen. Allenfalls kann an Moral und guten Willen appelliert werden.
  2. Objektivistische Konzeption: [2] Das gesellschaftliche Ganze dominiert das Individuum. Der Einzelne hat keinen wesentlichen Einfluss auf die gegebenen Gesellschaftsstrukturen. Er ist vielmehr selbst Produkt der Verhältnisse und in diesen gefangen. Nur wenn sich die gesellschaftlichen Verhältnisse und Strukturen ändern, verändert das auch jeden Einzelnen. Es liegt alles am System!

Aus diesen verengten Sichtweisen ergeben sich zwei Haltungstypen:

  1. Ein Optimierungsverhalten unter gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen: Es wird angenommen, jeder Akteur versuche, wenigstens den eigenen Ansprüchen Geltung zu verschaffen und sich so in den krisenhaften Verhältnissen einzurichten. Dieser Haltungstyp mündet in einem Rückzug auf die jeweils eigenen Interessen und die Überzeugung, dass, wenn jeder an sich denke, an alle gedacht sei.
  2. Von dem Optimierungsverhalten ist das resignative Muster zu unterscheiden, der Rückzug ins Private! Die sozialen Fragen, so die Auffassung, seien zu kompliziert. Außerdem gebricht es an notwendigen Handlungsressourcen (Zeit, Wissen und Fähigkeiten) oder an dem notwendigen Interesse. Es erfolgt der Rückzug ins Privatleben.

Am Beispiel der globalen Klimaerwärmung soll nun gezeigt werden, wohin solche einseitigen Anschauungen führen können.

Subjektivistische Konzeption: Wer sich von der Wissenschaft aufgefordert fühlt, persönlich etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen, reagiert häufig mit der subjektivistischen Konzeption: „Wenn jeder Konsument seinen Lebensstil ändert, verzichtet und ansonsten nachhaltig einkauft, verhindern wir die Klimakrise!“ (Latif 2023; Paech 2019). Entsprechend wird das eigene Leben umgekrempelt und an andere appelliert, sich ebenso zu verhalten. Hier liegen gleich zwei Stolpersteine im Weg: Die anderen machen nicht im notwendigen Maße mit und bleiben bei ihren Konsumgewohnheiten. Wenn sie es dennoch im erforderlichen Tempo täten, würde der nötige Konsumverzicht zu Verwerfungen in der Produktionsstruktur führen und eine massive Wirtschaftskrise auslösen. Persönliche Verhaltensänderung ist nicht falsch, greift aber zu kurz. [3]

Für die objektivistische Konzeption sind klimaschädliche Konsumgewohnheiten vollständig abhängig von der Wettbewerbsstruktur der Anbieter, die über Werbung und unvollständige Produktinformationen das Verbraucherverhalten steuern, um im Konkurrenzkampf zu bestehen. Aus dieser Sicht bestimmt der Marktwettbewerb zudem, ob die Politik durch Gesetze und Anreize (Subventionen) Akteure und Unternehmen zu Verhaltensänderungen bringen kann. Denn auch Politiker unterliegen den Marktgesetzen, sie dürfen bei allen Maßnahmen nicht die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen am Markt gefährden. Andernfalls müssen sie mit Abwanderung von Unternehmen und zunehmender Arbeitslosigkeit rechnen. Beides würde aber die Wiederwahl gefährden. Die gegebenen gesellschaftlichen Verhältnisse, Parteiendemokratie und Marktwettbewerb, bestimmen folglich, ob und

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wie viel Klimaschutz gerade möglich ist. Diese alles dominierenden Verhältnisse werden jedoch durch die Klimakrise selbst infrage gestellt, wie die regelmäßigen Hiobsbotschaften der Klimawissenschaftler belegen.

Bei der Optimierung des eigenen Verhaltens unter gegebenen Bedingungen wählen Bürger beispielsweise diejenigen Parteien, die ihre egoistischen Interessen vertreten und dafür sorgen, dass sie ihre Gewohnheiten möglichst wenig ändern müssen. Oder sie nutzen klimaschädliche Produkte zumindest so lange, wie es ihnen möglich ist. Dieser Ansatz rechnet mit dem menschlichen Anpassungsvermögen aus Eigeninteresse, doch stolpert er darüber, dass auf diese Weise keine Veränderungsimpulse entstehen, um die Klimakrise in der notwendigen Zeit bewältigen zu können. Das fortwährend klimaschädliche Konsumverhalten und die regelmäßige Wahl von Parteien, die eine effektive Politik gegen die globale Erwärmung verhinderten und verhindern, sind deutliche Belege dafür.

Der Rückzug ins Private ist eine besondere Form des Optimierungsverhaltens und findet sich besonders in den Teilen der Bevölkerung, die allen Fragen zum Klimawandel aus dem Weg gehen oder sich durch prekäre Lebensumstände ohnmächtig fühlen. Die Außenwelt wird möglichst ausgeblendet; im Privaten finden sich scheinbar noch Sicherheit und Orientierung. Gesellschaftliche Verhältnisse werden – meist zwangsläufig – hingenommen, notwendige Veränderungen sind kein Thema (dpa 2023).

In der Folge entstehen soziale Spannungen und alles blickt auf den Staat, der überfordert ist, die unterschiedlichen Interessen auszugleichen. Ein gesellschaftlich tragfähiges Konzept gegen die globale Erwärmung und ihre Folgen kommt nicht zustande, sodass die weitere Entwicklung dem Zufall überlassen bleibt.

Der Klimawandel verlangt jedoch umfassende Veränderungen, um den Fortbestand der Menschheit zu sichern. Hierfür ist ein Denkansatz nötig, der über die einseitige Sichtweise der oben geschilderten Standpunkte hinausgreift. Zunächst sollte ein realistisches Menschenbild entwickelt werden, das illusionäre Vorstellungen entlarvt. Anschließend ist zu untersuchen, wie gesellschaftliche Strukturen und Verhältnisse auf den Menschen wirken. Daraus ergeben sich Ansatzpunkte, die sowohl die Bedeutung des menschlichen Verhaltens als auch der gesellschaftlichen Einrichtungen erläutern und Lösungswege aufzeigen.

Stolpersteine auf dem Weg zur Dreigliederung des sozialen Organismus

„Die Aufgaben, welche das soziale Leben der Gegenwart stellt, muss derjenige verkennen, der an sie mit dem Gedanken an irgendeine Utopie herantritt.“

So beginnt Rudolf Steiner die Vorrede zur zweiten Auflage seiner „Kernpunkte der sozialen Frage“, in der er seinen gesellschaftlichen Ansatz der „Dreigliederung des sozialen Organismus“ entwickelt. Im Weiteren formuliert er: „Diejenigen haben die ihr zugrunde liegenden Absichten ganz verkannt, die ihr einen utopistischen Charakter beigelegt haben“ (Steiner 1976, 7).

Daran wird deutlich: Steiner wollte von der sozialen Wirklichkeit ausgehen und keine wohlklingenden Wunschvorstellungen bedienen. Zugleich musste er feststellen, dass sein sozialwissenschaftlicher Ansatz in einem utopischen Sinn missgedeutet wurde.

Heute gibt es unterschiedliche, zum Teil gegensätzliche Sichtweisen auf die soziale Dreigliederung. Das zeigt, dass es nicht gelungen ist, die Sichtweisen inhaltlich zu klären, die zu einem gemeinsamen und zugleich richtigen Verständnis führen.

Stolpersteine ist eine neue Rubrik in der Zeitschrift Sozialimpulse, die dem genaueren Verständnis anthroposophischer Sozialwissenschaft gewidmet ist. Einseitige Interpretationen oder Missverständnisse werden als Stolpersteine kenntlich gemacht und diskutiert. Zugleich wird ein Licht auf Denkgewohnheiten geworfen, die heute weit verbreitet sind und die notwendigen gesellschaftlichen Transformationsprozesse erschweren.

Der Mensch in der Gesellschaft: Ein lebendiger Widerspruch

Im individuellen Verhalten können zwei Kräfte entdeckt werden, die für die Gestaltung des sozialen Lebens relevant sind. Sie lassen sich als Polarität von sozialen und antisozialen Trieben [4] oder auch als Altruismus und Egoismus kennzeichnen (Steiner 1990, 158 ff). Der Gegensatz besagt, dass soziale Triebe das Bedürfnis nach menschlicher Gemeinschaft erzeugen und das Individuum drängen, sich den Wünschen seiner Mitmenschen gemäß zu verhalten. Antisoziale Triebe hingegen bewirken, dass der Mensch ausschließlich seinen eigenen Bedürfnissen folgt. Beide Triebe treten als Interessen auf, die im Menschen naturnotwendig entstehen. Ihrer Struktur nach haben beide die Tendenz, sich gegenseitig auszuschließen. Der Mensch trägt in sich einen offenbaren Widerspruch, der alle gesellschaftlichen Prozesse durchzieht. [5] Der Soziologe Mark Granovetter spricht von einer übersozialisierten Haltung, die dazu führt, dass der Akteur sich verliert, indem er zum gesellschaftlichen Subjekt wird. Eine

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untersozialisierte Haltung hingegen führt in ihrer Konsequenz zum Verlust der Gesellschaft und mündet in der Verabsolutierung der je eigenen Präferenz (Granovetter 1985). [6]

In der Dynamik zwischen beiden Kräften liegt die Bedeutung für die Gestaltung des sozialen Lebens. Beide Triebe wirken unterschiedlich stark in der Entwicklung der Menschheit. Gegenwärtig und in Zukunft werden die Menschen von allein immer selbstbezogener und entwickeln gerade dadurch ihre Eigenständigkeit und persönliche Freiheit. [7] Menschen sind immer weniger geneigt, sich etwas von anderen sagen zu lassen, auch nicht von staatlichen Organen. Der zunehmende Freiheitsdrang im Menschen führt zur Dominanz des Egoismus über den Altruismus.

Das erklärt, warum so viele Menschen Widerstand leisten, wenn von ihnen Verhaltensänderungen gegen die globale Erwärmung gefordert werden. Sie erleben sie als Verzicht oder Verbot, auch weil deren Nutzen für sie in weiter Ferne liegt. Für Steiner ist dieser Trieb eine fundamentale Tatsache, mit der fortwährend zu rechnen ist. [8]

Daraus ergibt sich die Notwendigkeit die altruistischen Kräfte im Menschen zu stärken, wenn sich das soziale Leben verbessern soll. Die sozialen Kräfte im Menschen jedoch, die der Selbstbezogenheit Einhalt gebieten könnten, verstärken sich offensichtlich nicht von selbst, sondern müssen von den Menschen bewusst gewollt werden. [9] Soziale Triebe brauchen Anregung durch andere Kräfte. Das menschliche Erkennen, das sich die sozialen und antisozialen Triebe bewusst macht, ist eine solche Kraft. Wer die Gesetzmäßigkeiten der Klimakrise versteht, kann dadurch angeregt werden, soziales und ökologisches Interesse zu entwickeln und sich für die Gesellschaft einzusetzen. Dem stehen allerdings persönliche Konsumbedürfnisse entgegen. In solchen Spannungsfeldern entwickelt sich der Mensch.

So formuliert, kann nicht nur die Klimakrise, sondern jede soziale Frage auf den je individuellen Kampf des Einzelnen im Spannungsfeld zwischen den egoistischen Interessen und den Einsichten in die sozialen Notwendigkeiten reduziert werden. Sie erscheint dadurch weniger komplex und wird auf eine moralische oder eine individuelle Bewusstseinsfrage vereinfacht. Auch wenn die Konzeption eines Subjekts im Spannungsfeld sozialer und antisozialer Triebe auf den ersten Blick einleuchtend erscheint, übersieht es doch die strukturellen Bedingungen, unter denen das Subjekt handelt. Es ist Träger verschiedener sozialer Rollen, die sein Verhalten mitbestimmen. Als Konsument kann es die negativen Folgen seines Handelns vielleicht einsehen und verzichten, als Versorger einer Familie ist das Subjekt auf ein Einkommen angewiesen und damit auf eine – gegebenenfalls klimaschädliche – Produktionsstruktur, die verlässlich ist. Daher muss auch die Bedeutung der gesellschaftlichen Strukturen für den Bewusstseinskampf im Menschen untersucht werden.

Gesellschaftliche Strukturen verstärken den Widerspruch im Menschen

Zunächst ist zu klären, wie soziale und antisoziale Triebe in Gemeinschaften wirken. Während altruistisches Handeln das Interesse des Einzelnen mit dem der anderen verbindet – Fridays for Future ist ein bekanntes Beispiel –, erzeugt antisoziales Handeln fortlaufend soziale Konflikte. Egoismus bildet die anthropologische Ursache sozialer Fragen. Sie hat, subjektiv gesehen, zwei Aspekte: Erstens: Ein Einzelner kann auf andere keine Rücksicht nehmen. Wer einkauft, macht dies aus dem einen Grund, seine Bedürfnisse zu befriedigen. [10] Eine von der Regierung beschlossene CO2-Steuer zum Schutz des Klimas wirkt preistreibend und erschwert die Erfüllung dieses Wunsches, wodurch ein Konflikt zwischen Konsumenten und Regierung entsteht. Zweitens werden die antisozialen Triebe der anderen zum Problem, insofern sie keine Rücksicht auf die je anderen Subjekte nehmen. Wer für den Klimaschutz auf das Fliegen verzichtet, sieht sein Ziel durch andere bedroht, die weiterhin fliegen wollen.

Wenn die antisozialen Eigeninteressen der Menschen überhandnehmen, erzeugt das Konflikte, die eine Lösung der sozialen Frage unmöglich machen. Das egoistische Ausleben der eigenen Bedürfnisse Elend beziehungsweise zum Zerfall des Sozialen. [11] Das gewalttätige Aufeinandertreffen von Klimaschützern und Autofahrern

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ist ein augenfälliges Beispiel, bei dem keine der beiden Seiten die eigenen Interessen zurücknehmen will und jede Seite die Interessen des anderen bedroht. Ähnliche Gegensätze wirken auch in größeren Zusammenhängen. Während das klimaschädliche Verhalten der reicheren Bevölkerungsschichten in den Industrieländern – wider besseres Wissen – fortgesetzt wird, leiden die ärmeren Länder darunter immer massiver. Als Folge davon begegnen sie den Industrieländern ablehnend, bleiben dabei aber machtlos. Solche Prozesse belegen die wachsende Dominanz persönlicher oder nationaler Eigeninteressen, die von sozialen Kräften nicht genügend eingehegt werden. Vor diesem Hintergrund ist verständlich, wenn Steiner in sozialen Fragen nicht auf moralische Appelle an den Einzelnen setzt. [12]

Von besonderer Bedeutung ist nun, dass das Wechselspiel von harmonisch sozialen und konfliktgeladenen antisozialen Kräften immer im Rahmen gesellschaftlicher Strukturen stattfindet. Grundsätzlich wirken diese in zwei Richtungen: Entweder fördern sie egoistische Triebe und behindern zugleich die sozialen, dann spricht man von antisozialen Strukturen. Oder sie fördern soziales Verhalten. Die Struktur des Marktwettbewerbs wirkt insofern antisozial, als sie von jedem Teilnehmer verlangt, in erster Linie das eigene Nutzerinteresse zu verfolgen und keine Rücksicht auf konkurrierende Marktteilnehmer oder übergeordnete gesellschaftliche Ziele zu nehmen. Unternehmen mit fossilen Energieträgern versuchen deshalb, sich auf Kosten der Konkurrenten mit erneuerbaren Energien durchzusetzen. Eine CO2-Steuer, kombiniert mit staatlichen Klimageldern, fördert umweltfreundliches und damit soziales Handeln, indem sie den Konsum nachhaltiger Energieträger erleichtert. Noch wirksamer wären verbindliche Standards, die zwischen konkurrierenden Unternehmen vereinbart werden, um klimaschädliche Produktionsmethoden und Produkte zu reduzieren.

Der Widerspruch zwischen sozialen und antisozialen Kräften im Menschen spiegelt sich demnach in den gesellschaftlichen Einrichtungen und wird zu einer Frage der Gesellschaftsordnung. In Deutschland soll das Konzept der sozialen Marktwirtschaft eine Antwort darauf geben, indem Markt- und staatliche Institutionen beide Kräfte ausbalancieren. Die Klimakrise zeigt jedoch, dass dies nicht ausreichend gelingt. Der auf den Märkten kurzfristig erreichbare Wohlstand für Konsumenten und Unternehmen hat Vorrang vor dem rechtlichen Anspruch auf langfristigen Schutz der Lebensbedingungen aller Menschen. Die gesellschaftlichen Strukturen verstärken sogar den Streit zwischen sozialem und egoistischem Verhalten des Menschen und in Gemeinschaften zu einem gesamtgesellschaftlichen Kampf um das Überleben der Menschheit, wobei die egoistischen Kräfte die Oberhand gewinnen. Der Bedarf an sozialen Strukturen, die ein Gegengewicht zu den antisozialen Kräften schaffen, ist größer denn je. [13]

Spätestens seit der industriellen Revolution ist der Mensch zum bestimmenden Faktor für das globale Ökosystem geworden. Man nennt diesen Zeitraum deshalb das Zeitalter des Menschen oder Anthropozän, in dem das Subjekt die Umwelt nach eigenen Interessen gestaltet und sich nicht mehr ausschließlich an die gegebenen Naturverhältnisse anpassen muss. Die globale Klimaerwärmung macht bewusst, dass die weitere Menschheitsentwicklung davon abhängt, ob es gelingt, neue Strukturen und Verhaltensweisen zu etablieren, die die Gesetzmäßigkeiten des globalen Ökosystems berücksichtigen.

Die besondere Bedeutung gesellschaftlicher Strukturen bei diesem menschheitlichen Entwicklungsprozess zeigt sich an ihrer Eigenschaft, unabhängig von den persönlichen Intentionen der handelnden Menschen zu wirken. Handlungen ohne Kenntnis der Wirkungsweise gesellschaftlicher Einrichtungen bringen zuweilen unbeabsichtigte Resultate hervor, ganz gleich, ob sie selbstbezogene oder altruistische Ziele verfolgen. Solche Ergebnisse sind als negative externe Effekte in der Sozialwissenschaft bekannt. Ein prominentes Beispiel sind die weitreichenden Folgen der globalen Erwärmung seit dem 19. Jahrhundert, die jetzt erst allmählich realisiert werden. Unbeabsichtigte gesellschaftliche oder ökologische Krisen haben ihre Ursache in strukturellen Bedingungen, welche die Motive Einzelner nicht berücksichtigen. So fordert die Rationalität der industriellen Warenproduktion ein fortwährendes Wachstum (Binswanger 2019) mit zunehmendem Energieverbrauch. In der Folge nimmt das Warenangebot bei sinkenden Preisen zu und der Konsument, der seiner Rolle gerecht wird, greift zu. Der Strukturzusammenhang erklärt, wie Menschen ihre eigenen Lebensgrundlagen zerstören, obwohl sie es nicht beabsichtigen. Der Widerspruch im Menschen wird damit gesellschaftlich auf die Spitze getrieben, denn letztlich schadet jeder Egoist seinen eigenen Interessen.

Es liegt im Interesse jedes Einzelnen, antisoziale Strukturen infrage zu stellen und neue soziale Strukturen aufzubauen, die entgegengesetzt wirken. Darüber hinaus können sie auch unbeabsichtigte positive externe Effekte hervorbringen.

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Die Wechselwirkung von Mensch und sozialer Struktur

Wie kann eine Veränderung der bestehenden Verhältnisse und Strukturen gelingen? Es hilft, von der konstitutiven Beziehung zwischen sozialen Akteuren und gesellschaftlichen Strukturen auszugehen. Alle gesellschaftlichen Einrichtungen werden von Menschen hervorgebracht und verändert! [14] Umgekehrt gilt für jeden Akteur, dass seine Bedürfnisse, Fähigkeiten und – daraus resultierend – seine Handlungen von den ihn umgebenden Einrichtungen bedingt sind. So brachte das Bedürfnis nach materiellem Wohlstand industrielle Produktionsstrukturen hervor, die neben einem fortwährenden Ausstoß von Kohlendioxid auch zu menschlichen Fähigkeiten führten, die den Klimawandel wissenschaftlich belegen können. Zugleich sensibilisierte die Umweltzerstörung die Menschen dafür, ein Interesse an den ökologischen Lebensbedingungen zu entwickeln. Beides führt dazu, dass heute Wirtschaftsstrukturen gefordert werden, die effektiv das Klima schützen.

Demnach entwickeln sich das Bewusstsein des Subjekts und die Qualität seiner Strukturen in fortwährender Wechselwirkung. [15] Mit Steiner muss folglich die Frage gestellt werden: „Was für Einrichtungen müssen da sein, damit die Menschen die richtigen Gedanken haben können in sozialer Beziehung? Und was für Gedanken müssen da sein, damit im Denken auch diese richtigen sozialen Einrichtungen entstehen?“ (Steiner 1991, S. 229). Damit wird auch auf die Bedeutung der sozialen Erkenntnisfähigkeit und ihrer Abhängigkeit vom sozialen Umfeld hingewiesen. In Anlehnung an Hans Georg Schweppenhäuser soll diese Wechselwirkung hier als „soziales Kausalitätsgesetz“ bezeichnet werden (Schweppenhäuser 1972).

So allgemein der Begriff zunächst klingen mag, das Gesetz widerlegt das Vorurteil, neue soziale Strukturen würden einen sozialen Menschen voraussetzen, wie er (noch) nicht existiert. Wird das Kausalitätsgesetz ignoriert, bleibt unberücksichtigt, dass der gegenwärtige Mensch auch das Produkt der herrschenden sozialen Verhältnisse ist. Demnach müsste neuen sozialen Strukturen auch die Möglichkeit zugebilligt werden, die Menschen darin zu unterstützen, sich in der intendierten Richtung zu entwickeln. Wenn man dagegen annimmt, alle Menschen wären sozial, dann bedürfte es keiner – weder neuer noch alter – sozialer Einrichtungen mehr, denn der gute soziale Mensch würde unter allen sozialen Verhältnissen das Richtige tun. [16] Das Gegengewicht zur antisozialen Tendenz liegt gemäß dem sozialen Kausalitätsgesetz nicht in einem ethischen Forderungskatalog, sondern darin, soziale Einrichtungen zu entwickeln.

Gesellschaftliche Entwicklung – ein Kampf um soziale Strukturen

Entscheidend ist, ob und wie neue soziale Strukturen in der Lage sind, mit dem Egoismus der Menschen und den vorhandenen antisozialen Einrichtungen zu rechnen und sie in eine soziale Richtung zu lenken.

Bereits beim Aufbau neuer sozialer Einrichtungen sollten die betroffenen Menschen mit ihren persönlichen Interessen von Anfang an beteiligt werden, denn nur dann identifizieren sie sich mit der jeweiligen Einrichtung. Viele der aktuellen Gesetze zum Klimaschutz werden kritisiert oder abgelehnt, weil sie über die Köpfe der Betroffenen hinweg verhandelt werden. [17] Sozialunternehmen, die ihre Einrichtung nach langfristigen Kriterien ausrichten, beziehen deshalb Mitarbeiter und Kunden als initiative Mitgestalter des Unternehmens ein und fordern von ihnen eine intensive Zusammenarbeit. So werden deren antisoziale Einzelinteressen im Dienst der sozialen Aufgabe fortwährend verhandelt und ausgeglichen.

Soziale Einrichtungen müssen auch die Interessen anderer Einrichtungen in ihrem Umfeld berücksichtigen, weil sie in einer arbeitsteiligen Welt aufeinander angewiesen sind. Entsprechend ist zu fordern, dass sich diese Einrichtungen nach rein sachlichen Erwägungen vernetzen, sodass eine überbetriebliche Verantwortung für die gegenseitige Abhängigkeit entsteht. Dieser Aspekt fehlt bei den meisten Sozialunternehmen, weil sie oft nur auf die eigene Einrichtung fokussiert sind, worauf Steiner schon bei der damals als sozial fortschrittlich geltenden Firma Zeiss unter Ernst Abbe hingewiesen hat (Steiner 1989, S. 127). Oder sie stoßen an Grenzen, sobald sie auf überbetriebliche Strukturen treffen, die antisozial wirken, da sie nur das Verfolgen von Eigeninteressen erlauben. So bewirkt das vom Markt vorgegebene Gebot der Wettbewerbsfähigkeit, dass Unternehmen teure Klimaschutzmaßnahmen zurückstellen, obwohl sie notwendig wären. Da alle Konkurrenten demselben Wettbewerbsdruck ausgesetzt sind, handeln alle gleich und rechtfertigen dies mit dem Sachzwang, der durch den Wettbewerb entsteht. Sie laden ihre Verantwortung für den Klimaschaden auf dem Marktsystem ab und ignorieren, dass sie die Struktur von Markt und Wettbewerb alltäglich selber hervorbringen.

Wir sehen: Die Entwicklung des Einzelnen ist von der Entwicklung der gesellschaftlichen Strukturen abhängig. Es geht darum, mit und für andere Menschen neue soziale Strukturen zu entwickeln, die fragwürdige antisoziale Strukturen ersetzen. Da jedoch die vorhandenen antisozialen Strukturen den egoistischen Geltungstrieb des

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Menschen noch befeuern, ist bei der Erfüllung dieser Aufgabe mit einigen Hindernissen zu rechnen:

Neue soziale Einrichtungen treffen auf die strukturelle Macht des Betriebsgeheimnisses, wenn sie Transparenz fordern. Unternehmer können sich weigern, Rechenschaft darüber abzulegen, ob sie aus klimaschädlichen Maßnahmen Gewinn erzielt haben.

Bisherige antisoziale Strukturen haben Denkgewohnheiten verbreitet, die verhindern, sich für Neues zu öffnen. Vielen Unternehmern fällt es schwer, sich vom üblichen Konkurrenzdenken zu verabschieden und mit ihren Konkurrenten gemeinsame Klimaschutzmaßnahmen zu vereinbaren. Sie sind gewohnt, sich auf solche Einrichtungen nur einzulassen, wenn sie der Staat dazu zwingt.

Es gibt eine ganze Reihe von Interessengruppen, die durch die auf Eigennutz ausgerichteten Strukturen für sich Vorteile und Vorrechte erlangen konnten. Sie wehren sich massiv gegen neue soziale Strukturen, weil sie befürchten, etwas zu verlieren, das ihnen zusteht. Wer sich regelmäßig klimaschädliche Vergnügungen geleistet hat, erhebt selbstverständlichen Anspruch darauf und wird Einschränkungen ablehnen. Der Streit um das Tempolimit ist nur eines von vielen Beispielen dafür.

Bei großen sozialen Problemlagen wie der Klimakrise müssen zahlreiche Institutionen in eine soziale Richtung transformiert werden. Das erschwert die Umsetzung, da viele Interessengruppen umdenken müssten. Die Klimakrise zeigt, dass viele Branchen ihre bisherigen Produktionsstrukturen und Produktionsziele verändern und zugleich die Konsumenten einbeziehen müssen, denen sie zuvor am Markt klimaschädliche Gewohnheiten antrainiert haben. So zum Beispiel die extreme Fixierung auf günstige Preise.

Es mag herausfordernd erscheinen, solche Hindernisse für eine Transformation der Strukturen und Gewohnheiten zu überwinden. Andererseits wirken die weltweite Allbetroffenheit, das globale Ökosystem und die weltweiten Handelsbeziehungen als kraftvoller Treiber für diese Transformation. Mit Steiners Konzept, den Veränderungswillen der Subjekte mit neuen objektiven Strukturen in eine produktive Wechselwirkung zu bringen, wird der Weg gekennzeichnet, wie diese Transformation umgesetzt und die zu Beginn gekennzeichneten einseitigen sozialen Anschauungen überwunden werden können.

Die notwendige Bewusstseinsentwicklung der Subjekte wird nicht auf Appelle an die Eigenverantwortung reduziert, sondern durch die bewusste Einrichtung neuer sozialer Strukturen erst ermöglicht und angestoßen. Denn diese erzeugen nicht, wie es das objektivistische Konzept vorsieht, einen Zwang, der die Subjekte ignoriert, sondern nehmen deren Gestaltungswillen auf, fördern die gleichberechtigte Zusammenarbeit und fordern dadurch individuelle Verhaltensänderungen. Indem diese Strukturen, weit mehr als dies gegenwärtig der Fall ist, die Mitwirkung aller beteiligten Subjekte gemäß ihren Aufgaben einfordern, erleben sich die Subjekte als selbstwirksame Gestalter der Gemeinschaft. Dies bildet das Gegengewicht zum resignativen Rückzug ins Private. Zugleich ermöglicht die gleichberechtigte Zusammenarbeit der Subjekte in den Einrichtungen, dass selbstbezogenes Optimierungsverhalten auf die Interessen der anderen Mitakteure Rücksicht nehmen und sich gegebenenfalls korrigieren muss. Schließlich sorgt die strukturelle Vernetzung zwischen den sozialen Einrichtungen dafür, dass unbeabsichtigte, negative externe Effekte auf andere gemeinsam in den Blick genommen und ausgeglichen werden können.

Wie dies in unterschiedlichen Gesellschaftsfeldern konkret aussehen kann, wird in den nächsten Beiträgen verdeutlicht.

Anmerkungen

[1] Vgl. hierzu die insbesondere in der Mikrosoziologie situierten Denkschulen des Interaktionismus, die davon ausgehen, dass Akteure nicht von Strukturen dominiert werden. Diese Denkschule pflegt einen Imperialismus des Subjekts.

[2] Vgl. hierzu die Denkschulen des Strukturalismus oder des Funktionalismus, die beide gleichermaßen davon ausgehen, dass gegebene gesellschaftliche Strukturen gleichsam zwanghaft das Handeln der Akteure (zu) strukturieren (vorgeben). Diese Denkschulen verfolgen einen Imperialismus der Struktur.

[3] Eine Diskussion dieses Ansatzes findet sich z. B. bei Ulrike Herrmann (Herrmann 2022), S. 203 ff.

[4] Der von Steiner verwendete Terminus „antisozial“ hatte damals u. a. die Bedeutung von „individualistisch“ bzw. „gegen die Gesellschaft gerichtet“. (https://www. zdl.org/wb/wortgeschichten/antisozial). Als Trieb bezeichnet Steiner eine leibliche, angeborene Willenskraft, die unbewusst und generell in jedem Menschen wirkt und sich entweder instinktiv äußert oder bewusst als Begierde auftritt. (Steiner 1992, S. 77 f.)

[5] „Die Nationalökonomen mögen darüber nachdenken, was Kredit ist, Kapital ist, Rente ist und so weiter; diese Dinge, die im sozialen Verkehr Gesetzmäßigkeit ausmachen, sind nur Ausschläge des Pendels dieser beiden Triebe, des sozialen und des antisozialen Triebes.“ (Steiner 1990, S. 163)

[6] Dies ist der meistzitierte soziologische Artikel des 20. Jahrhunderts!

[7] „… wir leben im Zeitalter der Bewußtseinsseele, wo der Mensch auf sich selbst sich stellen muß. Worauf ist er da angewiesen? Er ist darauf angewiesen, … sich zu behaupten... Er ist gerade für seine Stellung in der Zeit angewiesen, die antisozialen Triebe zu entwickeln. Und es würde nicht die Aufgabe unseres Zeitraums vom Menschen erreicht werden können, wenn nicht gerade die antisozialen Triebe, durch die der Mensch sich auf die Spitze seiner eigenen Persönlichkeit stellt, immer mächtigere und mächtigere werden. Die Menschheit hat heute noch gar keine Ahnung davon, wie mächtig immerwährend bis ins dritte Jahrtausend hinein die antisozialen Triebe sich entwickeln müssen ...“ (Steiner 1990, 164)

[8] „Nun ja, ‚antisozial‘, das bekommt so etwas, was einen antipathisch anmutet, man betrachtet das als etwas Böses. Schön, nur kann man sich nicht viel darum kümmern, ob das als etwas Böses betrachtet wird oder nicht, da es etwas Notwendiges ist, da es – sei es bös, sei es gut – eben in unserem Zeitraum gerade mit den notwendigen Entwickelungstendenzen des Menschen zusammenhängt. Und wenn jemand dann auftritt und sagt, die antisozialen Triebe sollen bekämpft werden, so ist das ein ganz gewöhnlicher Unsinn, denn sie können nicht bekämpft werden. Sie müssen, nach der ganz gewöhnlichen Entwickelungstendenz der Menschheit, gerade das Innere des Menschen in unserer Zeit ergreifen.“ (Steiner 1990, 165)

[9] „Das Wechselverhältnis von Sozialem und Antisozialem zu studieren, das ist gerade für unsere Tage außerordentlich bedeutsam. Das Antisoziale können wir aber bloß studieren, denn es liegt, wie ich auseinandergesetzt habe, in der Entwickelung unseres Zeitraums, daß dieses Antisoziale gerade zum Wichtigsten gehört, was sich Geltung verschaffen soll, und sich in uns selber zu entwickeln hat. Dieses Antisoziale kann nur in einem gewissen Gleichgewicht gehalten werden durch das Soziale; aber das Soziale muß gepflegt werden, muß bewußt gepflegt werden. Und das wird in unserem Zeitalter in der Tat immer schwieriger und schwieriger, weil das andere, das Antisoziale, eigentlich das Natürliche ist. Das Soziale ist das Notwendige, das muß gepflegt werden.“ (Steiner 1990, 167)

[10] Steiner: „Denn der einzelne, der unmittelbar verbraucht, was er einkauft, der kann nur seinen egoistischen Sinn befriedigen.“ (Steiner 2002, 152)

[11] Steiner betont, „… daß alles menschliche Elend lediglich eine Folge des Egoismus ist, und daß in einer Menschengemeinschaft ganz notwendig zu irgendeiner Zeit Elend, Armut und Not sich einstellen müssen, wenn diese Gemeinschaft in irgendeiner Art auf dem Egoismus beruht…“ (Steiner 1987, 212)

[12] „Es fehlt heute nicht an Menschen, die herumgehen und sagen: Unsere Volkswirtschaft wird gut, furchtbar gut, wenn ihr Menschen gut werdet. Ihr Menschen müsst gut werden! – … wenn die Menschen nur selbstlos werden, wenn sie den kategorischen Imperativ der Selbstlosigkeit erfüllen, dann wird schon die Wirtschaft gut werden! Aber solche Urteile sind eigentlich nicht viel mehr wert als auch das: Wenn meine Schwiegermutter vier Räder hätte und vorne eine Deichsel, wäre sie ein Omnibus, – denn es steht tatsächlich die Voraussetzung mit der Konsequenz in keinem besseren Zusammenhang als da, nur etwas radikaler ausgedrückt. Dasjenige, was den ‚Kernpunkten der sozialen Frage zugrunde liegt, ist nicht diese Moralinsäure ...“ (Steiner 2002, S. 153)

[13] „In unserer Zeit, wo der Mensch um seiner selbst willen, um seines einzelnen Selbstes willen die antisozialen Triebe ausbilden muß – die sich schon ausbilden, weil der Mensch eben der Entwickelung unterworfen ist, gegen die sich nichts machen läßt –, da muß dasjenige kommen, was der Mensch den antisozialen Trieben nun entgegensetzt: eine solche soziale Struktur, durch die das Gleichgewicht dieser Entwickelungstendenz gehalten wird. Innen müssen die antisozialen Triebe wirken, damit der Mensch die Höhe seiner Entwickelung erreicht; außen im gesellschaftlichen Leben muß, damit der Mensch nicht den Menschen verliert im Zusammenhange des Lebens, die soziale Struktur wirken … Nicht darum handelt es sich, Rezepte zu finden, um die antisozialen Triebe zu bekämpfen, sondern darauf kommt es an, die gesellschaftlichen Einrichtungen, die Struktur, die Organisation desjenigen, was außerhalb des menschlichen Individuums liegt, was das menschliche Individuum nicht umfaßt, so zu gestalten, so einzurichten, daß ein Gegengewicht da ist für dasjenige, was im Innern des Menschen als antisozialer Trieb wirkt.“ (Steiner 1990, S. 164 f.)

[14] Karl Marx bringt diese Dialektik im 18. Brumaire des Louis Napoleon Bonaparte auf den Punkt: „Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorhandenen, gegebenen und überlieferten Umständen“ vgl. MEW (1972, S. 115). 15 „So müssen wir nicht fragen: Sind die Verhältnisse, das Milieu die Ursache, daß die Menschen so und so sind? Oder sind es die Menschen, die das Milieu, die die Verhältnisse gemacht haben? Wir müssen uns klar sein, daß jedes Ursache und Wirkung ist, daß alles ineinanderwirkt, ...“ (Steiner 1991, S. 229)

[16] „Man muß sich doch darüber klarwerden, daß gerade durch eine Verbesserung der sozialen Verhältnisse den Menschen die Möglichkeit gegeben sein wird, bessere Menschen zu werden. Verlangt man aber, daß die Menschen zuerst bessere Menschen sein müssen, dann brauchen wir ja die sozialen Verhältnisse gar nicht zu bessern. Wenn die Menschen durch die sozialen Verhältnisse nicht zu dem geworden wären, was sie gegenwärtig sind, dann müssen die sozialen Verhältnisse ja gut sein, dann müssten sie in Ordnung sein.“ (Steiner 1989, S. 231 ff.)

[17] Der Streit um das Gebäudeenergiegesetz gilt als deutliches Beispiel dafür, Caspari (2023), Wunderlich (2023).

Literatur

Binswanger, Mathias (2019): Wachstumszwang, Wiley-VCH Verlag

Bleicher, André (2022): „Die Dialektik von Handlung und Struktur.

Die Oxforder Vorträge beim Wiederlesen“ in Sozialimpulse, 2022, Nr. 2, S. 3–9

Caspari, Lisa u.a. (2023): Gebäudeenergiegesetz: „Wir waren im absoluten Krisenmodus“, zeit-online, 8.9.2023, https://www.zeit.de/politik/deutschland/2023-09/ gebaeudeenergiegesetz-heizungsgesetz-bundestag-ampel-koalition

dpa-Meldung (2023): „Deutsche reagieren auf Krisen mit Rückzug ins Private“ in https://www.zeit.de/news/2023-07/27/deutsche-reagieren-auf-krisen-mit-rueckzug-ins-private

Granovetter, Mark (1985): Economic Action and Social Strcture. The Problem of Embeddedness. In: American Journal of Sociology. Vol. 93, Third issue, S. 481–510

Herrmann, Ulrike (2022): „Das Ende des Kapitalismus“, Kiepenheuer & Witsch

Latif, Mojib (2023): „Klimaschutz muss Spaß bringen“, https://www.swr.de/swr1/rp/ programm/mojib-latif-ard-doku-drama-klimaschutz-swr1-interview-100.html

Marx, Karl; Engels, Friedrich Werke (MEW) (1972): Band 8, Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte. Karl Dietz, S. 115–123

Paech, Niko (2019): „Wir müssen unseren Lebensstil ändern“, https://www.deutschland- funkkultur.de/oekonom-niko-paech-zum-klimaschutz-wir-muessen-unseren-100.html

Schweppenhäuser, H. G.(1972): Der soziale Auftrag der Anthroposophie und die soziale Verantwortung des Anthroposophen. (1. Aufl.) Die Kommenden

Steiner, Rudolf (1987): Lucifer-Gnosis. GA 34. (2. Aufl.), Rudolf Steiner Verlag

Steiner, Rudolf (1990): Die soziale Grundforderung unserer Zeit. GA 186, (3. Aufl.), Rudolf Steiner Verlag

Steiner, Rudolf (1976): Die Kernpunkte der sozialen Frage, GA 23, (6. Aufl.), Rudolf Steiner Verlag

Steiner, Rudolf (1989): Betriebsräte und Sozialisierung, GA 331, (1. Aufl.), Rudolf Steiner Verlag

Steiner, Rudolf (1992): Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik, GA 293, (9. Aufl.), Rudolf Steiner Verlag

Steiner, Rudolf (2002): Nationalökonomischer Kurs. GA 340. (6. Aufl.), Rudolf Steiner Verlag

Steiner, Rudolf (1991): Die geistig-seelischen Grundkräfte der Erziehungskunst. GA 305, (3. Aufl.), Rudolf Steiner Verlag

Wunderlich, Franziska (2023): Kritik am Heizungsgesetz: „So nicht stemmbar“, ZDF, 8.9.2023, https://www.zdf.de/nachrichten/politik/heizungsgesetz-umsetzbarkeit- osten-kritik-100.html

[Sozialimpulse 3–4/2023, Seite 15]