Anthroposophische Gesellschaft: demokratisch oder aristokratisch?

Quelle: GA 260, S. 081-083, 5. Ausgabe 1994, 25.12.1923, Dornach

Mr. Monges frägt, von welchem Gesichtspunkte, auf welche Weise gewünscht werde, daß in den einzelnen Fällen die Generalsekretäre gewählt werden, demokratisch oder wie sonst?

Dr. Steiner: «Auch das möchte ich durchaus nicht irgendwie durch Statuten für die einzelnen Gruppen der Welt festlegen. Ich kann mir zum Beispiel ganz gut denken, daß es Ländergesellschaften gibt, die durchaus demokratisch verfahren wollen. Ich kann mir denken, daß andere hocharistokratisch sein wollen, sich anschließen an irgendeine Persönlichkeit und der es übertragen, die anderen Funktionäre zu ernennen und dergleichen. Deshalb meine ich, daß zunächst die ja von mir etwas, wie soll ich sagen, etwas aristokratisch gehandhabte Einsetzung des Vorstandes vielleicht etwas nachgeahmt wird. Es kann aber auch sein, daß sie da oder dort als höchst unsympathisch empfunden wird: dann könnte ja auch demokratisch gewählt werden. Aber es wird natürlich die Wahl um so leicht er sein, je kleiner eine Gruppe ist; währenddem Wahlen, sagen wir zum Beispiel innerhalb einer Versammlung, wie sie die jetzige hier ist, meiner Meinung nach überhaupt gar keine Bedeutung haben können. Irgend jemanden nominieren und wählen, das ist unmöglich, wenn zunächst so wenig gegenseitiges Erkennen vorhanden ist. Also hier würde es schon nicht gehen. Aber ich kann mir ganz gut denken, daß zum Beispiel irgendeine demokratische Einrichtung da oder dort Platz greift. Im allgemeinen aber meine ich, ist diese Frage gar keine so außerordentlich prinzipiell bedeutungsvolle. Denn entweder wird man so wählen, daß, ich möchte sagen, die Wahl gedankenlos ist: dann werden die Gesellschaften nicht blühen, dann wird nichts draus, wenn einfach irgend jemand nominiert wird, damit man schnell fertig ist mit der Wahl, so wie bei politischen Wahlen die Dinge geschehen. Da wird nichts draus, da kann bei uns nichts werden.

Der andere Fall würde sein, daß man hinschaut auf diejenigen, die sich schon Verdienste erworben haben, das oderjenes als Arbeit geleistet haben, an denen man beobachtet, wie sie die Arbeit leisten: dann wird im allgemeinen auch eine Majorität auf selbstverständliche Art sich finden. Ich glaube nicht, daß irgendwie, wenn die Antezedenzien hergestellt sind für irgendeine Wahl, dann bei uns, wo es wirklich darauf ankommt, daß gearbeitet wird, irgendeine Demokratie die Arbeit unmöglich macht.

Also ich meine, in der Praxis wird kein so großer Unterschied sein zwischen Demokratie und Aristokratie. Wir könnten ja in den nächsten Tagen einmal die Probe aufs Exempel machen und könnten fragen, ob der Vorstand, den ich vorgeschlagen habe, gewählt oder nicht gewählt wird. Dann hätten wir ja auch eine demokratische Voraussetzung; denn ich setze voraus, daß er gewählt wird, sonst würde ich doch auch wieder zurücktreten! Nicht wahr, es muß doch Freiheit herrschen. Aber, meine lieben Freunde, Freiheit muß auch ich haben. Ich kann mir nichts aufoktroyieren lassen. Freiheit muß doch vor allen Dingen auch derjenige haben, der die Funktion ausüben soll. Oder ist es nicht so? Also ich meine, es wird sich das, was ich jetzt sage, im allgemeinen überall ergeben: Ob Demokratie oder Aristokratie, die Gesellschaft wird nicht viel anders ausschauen.

Mr. Monges: Wir in Amerika sind sehr politisch.

Dr. Steiner: «Wenn man Dornach etwas mitreden läßt, dann wird die Sache gehen.