Geistige Fähigkeiten und Bedürfnisse als Maßstab für Wert der geistigen Arbeit

Quelle: GA 340, S. 188-190, 5. Ausgabe 1979, 05.08.1922, Dornach

Denken Sie sich eine einfache Dorfwirtschaft, die meinetwillen abgeschlossen in sich ist. Solche konnte man ja, wenigstens zum Teil, durchaus erleben. Eine solche wird bestehen in demjenigen, was erzeugt wird - sagen wir, wir denken uns weg selbst den Markt und die Stadt - von den Bauern, von den Bodenbearbeitern, von einzelnen Gewerbetreibenden, die die Leute kleiden und so weiter, von einigen anderen Gewerbetreibenden, im wesentlichen gar nicht eigentlich von besonderen Proletariern - die werden noch gar nicht da sein, aber darauf brauchen wir ja bei dieser Art von Denkungsweise zunächst nicht unsere Aufmerksamkeit zu verwenden, denn dasjenige, was für sie in Betracht kommt, wird uns ja bei der weiteren Verfolgung auffallen können. Dann wird in dieser Dorfwirtschaft da sein der Lehrer, der Pfarrer, oder ein paar Lehrer, ein paar Pfarrer; die werden, wenn wir eine reine Dorfwirtschaft haben, leben müssen aus dem, was die anderen ihnen von dem Ihrigen abgeben. Und was sich an freiem Geistesleben entwickelt, wird sich im wesentlichen abspielen müssen zwischen den Pfarrern und Lehrern - eventuell wird noch dazukommen der Gemeindeverwalter -, aber da, zwischen diesen Leuten wird sich im wesentlichen das freie Geistesleben abspielen. Und wir werden uns fragen müssen: Wie kommen wir denn nun eigentlich zu einer Bewertung in diesem einfachen wirtschaftlichen Kreislauf?

Viel anderes freies Geistesleben wird nicht da sein. Man kann sich nicht gut vorstellen, daß da ein Romanschriftsteller entsteht im Lehrer oder Pfarrer; denn wenn die Dorfwirtschaft in sich geschlossen ist, dann wird er kaum viel verkaufen können. Wir würden ja nur darauf rechnen können, daß ein Romanschriftsteller irgend etwas wird verdienen können, wenn er in gleicher Zeit imstande wäre, den Bauern und Schneidern und Schustern eine besondere Neugierde auf seine Romane beizubringen. Da würde er ja in der Tat sogleich eine kleine Industrie ins Leben rufen können, nicht wahr? Das würde zwar außerordentlich teuer zu stehen kommen. Aber jedenfalls können wir uns nicht vorstellen, daß das ohne weiteres in dieser kleinen Dorfwirtschaft da sein würde. Wir sehen also, daß das freie Geistesleben erst auf gewisse Bedingungen warten muß. Aber wir können uns vielleicht vorstellen, wie eigentlich nun dadurch, daß überhaupt Pfarrer und Lehrer und ein Gemeindeverwalter da sind, die Bewertung desjenigen zustande kommt, was diese Geistesarbeiter - denn im volkswirtschaftlichen Sinne sind sie ja Geistesarbeiter - leisten.

Was ist die Voraussetzung, daß diese Geistesarbeiter überhaupt in dem Dorfe leben können? Die Voraussetzung ist, daß die Leute ihre Kinder in die Schule schicken und daß sie ein religiöses Bedürfnis haben. Geistige Bedürfnisse sind die Grundvoraussetzung. Ohne diese wären überhaupt selbst diese Geistesarbeiter nicht da. Und nun werden wir uns zu fragen haben: Wie werden denn diese Geistesarbeiter nun ihrerseits ihre Produkte, sagen wir, die Kanzelrede - denn im volkswirtschaftlichen Sinne sind auch die volkswirtschaftlich zu begreifen - und den Schulunterricht, wie werden sie denn diese volkswirtschaftlich bewerten? Wie wird sich das volkswirtschaftlich bewerten in der ganzen Zirkulation? Das ist eine Fundamentalfrage.

Ja, wie sich das bewertet, darauf kommen wir nur, wenn wir uns zunächst recht anschaulich machen: Was müssen denn die anderen Leute tun? Sie müssen körperliche Arbeit leisten. Dadurch rufen sie volkswirtschaftliche Werte hervor, daß sie körperliche Arbeit leisten. Wenn kein Bedürfnis vorhanden wäre nach Kanzelreden und nach Schulunterricht, so würden auch die Pfarrer und die Lehrer eben körperlich arbeiten müssen, dann würden alle körperlich arbeiten, und es würde das Geistesleben überhaupt wegfallen. Da hätten wir natürlich nicht zu sprechen von einer Bewertung der geistigen Leistungen. Zu dieser Bewertung kommen wir, wenn wir darauf hinschauen, daß ja eben gerade dieses körperliche Arbeiten den Pfarrern und den Lehrern erspart werden muß; denn wollen die ihre nun immerhin auch begehrte Arbeit leisten, so muß ihnen die körperliche Arbeit abgenommen werden. So daß da wirklich etwas, was nun wenigstens wiederum im allgemeinen Sinn zu erfassen ist, in den Gedankengang eingeführt werden kann. Denn nehmen wir an, es ist nur Bedürfnis vorhanden für halbe Predigten und halben Schulunterricht - also für eine halbe Predigt eines Pfarrers und den halben Unterricht eines Lehrers -, was würde da eintreten müssen? Da man nicht einen halben Pfarrer und einen halben Lehrer anstellen kann, so werden Pfarrer und Lehrer eine gewisse Zeit anwenden müssen, um nun auch körperlich zu arbeiten. Und die Bewertung, die wird eintreten müssen für diese beiden, wird sich also danach ergeben, wieviel sie körperliche Arbeit ersparen können. Das gibt den Maßstab für die Bewertung ihrer Arbeit. Der eine gibt körperliche Arbeit hin, der andere erspart sie, und er bewertet seine geistige Leistung danach, wieviel er mit dieser Geistesleistung körperliche Arbeit erspart. Da haben Sie auf den zwei verschiedenen Feldern des wirtschaftlichen Lebens, wenn wir eben volkswirtschaftlich die Sache durchdenken, daß für uns eine Kanzelrede auch volkswirtschaftlichen Wert haben muß, da haben Sie das, was uns darauf hinweist, wie die den volkswirtschaftlichen Wert bekommt. Sie bekommt ihn dadurch, daß Arbeit erspart wird, während auf der anderen Seite Arbeit aufgewendet werden muß.