Den Preis der Goethe-Briefe kann auch eine Assoziation kaum vorhersehen

Quelle: GA 340, S. 185-191, 5. Ausgabe 1979, 05.08.1922, Dornach

Es wird gerade, um zu verstehen, wie solche Dinge gemeint sein können, wie sie gestern besprochen worden sind, nötig sein, heute einiges einzusehen über die volkswirtschaftlichen Prozesse, welche doch auch eingreifen in volkswirtschaftliche Bewertungen, und die zeigen können, wie schwer dasjenige, was von der Seite des menschlichen Geistes aus geschieht, eigentlich in volkswirtschaftlichem Sinne zu bewerten ist. Ich will ein Beispiel nicht ganz fingieren, sondern es nur so gestalten, daß die Wirklichkeit, die dahinterliegt, nichts beiträgt zu dem Werte, den für unsere Betrachtung dieses Beispiel haben kann.

Sehen Sie, es kann folgendes vorkommen: daß in einer bestimmten Zeit ein großer Dichter lebt, der nach und nach, eben schon zu seinen Lebzeiten und nach seinem Tode immer mehr, als ein großer Dichter anerkannt wird. Es kann dann einer derjenigen, die sich irgendwie mit diesem Dichter beschäftigen, sei es auch nur, sagen wir als Liebhaber dieses Dichters, auf den Gedanken kommen, sich zu sagen: In der nächsten Zeit wird von diesem Dichter noch mehr Aufhebens gemacht werden als jetzt. Ich weiß ganz bestimmt - mindestens riskiere ich den Gedanken -, daß in einiger Zeit, sagen wir in zwanzig Jahren, von diesem Dichter noch viel mehr Aufhebens gemacht werden wird als jetzt. Ich kann sogar wissen, daß nach zwanzig Jahren für diesen Dichter, nach den Denkgewohnheiten der Zeit in der wir leben, ein Archiv gebaut werden wird, und daß in diesem Archiv die Handschriften dieses Dichters gesammelt werden. - Durch verschiedene Dinge, die er erfahren hat, und die er in seinem schlauen Kopf wälzt, sagt er sich: Ja, das wird geschehen. Ich beginne jetzt Autogramme, Autographen von diesem Dichter zu kaufen. Die sind außerordentlich billig, jetzt noch. - Da sitzt einmal dieser Mann zusammen mit anderen. Da sagt der eine: Ja, ich bin nicht besonders auf Spekulation in Werten angelegt; ich will einfach die gewöhnlichen Zinsen von meinen Ersparnissen haben.

- Ein zweiter sagt: Na, mit den gewöhnlichen Zinsen will ich mich doch nicht begnügen, ich kaufe mir Papiere von diesem oder jenem Bergwerke. - Er ist schon ein spekulativerer Kopf, kauft sich also Papiere. Der dritte aber, das ist unser Mann, der sagt: Ich kaufe mir die besten Papiere, die es jetzt gibt; ich kaufe mir ganz billige Papiere, aber ich sage euch nicht, was für Papiere ich mir kaufe - das ist nämlich noch etwas, was dazu kommt, er verrät diese Geschichte nicht -, ich kaufe mir Papiere, die aber in der nächsten Zeit am meisten steigen werden. Und er kauft sich lauter Autographen des betreffenden Dichters. Und nach zwanzig Jahren verkauft er an das Archiv oder an solche, die weiter an dieses Archiv verkaufen, diese Papiere um das Vielfache von dem, was er ausgegeben hat. So daß er der allerspekulativste Kopf von den dreien war.

Es ist das ein durchaus realer Fall; ich will ja nur nicht die Realitäten hier erwähnen; aber der Fall ist vorgekommen. Nun, dadurch geschah doch eine sehr bedeutsame Umlagerung auch von volkswirtschaftlichen Werten. Und es handelt sich darum: Welches sind die Faktoren, die zu dieser Umlagerung beigetragen haben? Da ist es zunächst lediglich die denkerische Ausnützung des Umstandes, daß der betreffende Dichter in aufsteigender Schätzung war, einer Schätzung, die sich sogar real ausgedrückt hat darinnen, daß ihm ein Archiv errichtet worden ist. Aber dazu kommt noch das - wenigstens für die Umlagerung, so daß alles in eine Hand zusammengegangen ist -, daß er die Geschichte verschwiegen hat, daß er die anderen nicht darauf aufmerksam gemacht hat und sie von selbst nicht darauf gekommen sind. Und er hat so den Riesengewinn eingesteckt.

Ich erwähne den Fall nur aus dem Grunde, weil ich Sie nun darauf aufmerksam machen möchte, wie kompliziert die Frage wird, welche Faktoren im Wertewesen ineinanderfließen - wie schwer diese Faktoren alle zu erfassen sind. Und vor uns muß ja die Frage nun auftauchen: Ist es nun ganz unmöglich, diese Faktoren in irgendeiner Weise zu fassen? - Nun, Sie werden sich sagen: Für einen großen Teil, für ein großes Stück des Lebens wird es ganz gewiß Menschen mit einem gesunden Menschenverstand in Assoziationen möglich sein, die Faktoren soweit abzuschätzen, daß sie einen gewissen zahlenmäßigen Ausdruck finden können.

Aber es wird immerhin sehr vieles, und zwar in der Bewertung der Dinge Ausschlaggebendes sein, das nicht in gewöhnlicher Weise mit dem gesunden Menschenverstand zu erfassen ist, wenn wir nicht nach anderen Hilfsmitteln suchen.

Wir haben gesehen, wie die Natur umgewandelt werden muß durch menschliche Arbeit, also gewissermaßen in Verbindung treten muß mit menschlicher Arbeit, wenn sie einen volkswirtschaftlichen Wert bekommen soll. Das Naturprodukt hat zunächst in einer wirtschaftlichen Organisation, die auf Arbeitsteilung beruht, ja noch keinen eigentlichen Wert. Wenn wir uns hineindenken in das Bild, daß nun die Werte durch ein Ineinanderfügen von, sagen wir, Naturstofflichkeit und Arbeit entstehen, dann werden wir, wenn auch zunächst vielleicht nur in einer Art algebraischer Formulierung, die Möglichkeit haben, heranzukommen an das Funktionelle der Wertbildung. Wir werden uns ja leicht eine Vorstellung davon machen können, wie diese Wertbildung nicht einfach so vor sich geht, daß etwa Arbeit mit dem Naturelement zusammengefügt werden kann, daß die Arbeit verändert das Naturelement; es wird also schon eine kompliziertere Funktion da sein, als etwa eine bloße Addition sein könnte. Aber immerhin, wir werden festhalten können an dem, was wir ja schon ausgesprochen haben: Wir sehen den wirtschaftlichen Wert entstehen, wenn das Naturprodukt zunächst von der menschlichen Arbeit übernommen wird.

Die allererste Stufe nun dieses Übernehmens des Naturproduktes von der menschlichen Arbeit ist ja die, wo unmittelbar, ich möchte sagen, auf dem Grund und Boden gearbeitet wird. Das ist ja dasjenige, was uns dazu führt, als den Ausgangspunkt für alles Wirtschaften dennoch die Bewirtschaftung des Grund und Bodens anzusehen. Diese Bewirtschaftung des Grund und Bodens ist ja die Voraussetzung für alles übrige Wirtschaften. Nun aber, wenn wir an die andere Seite des Wirtschaftens gehen - ich brauche Ihnen ja heute nicht mehr auseinanderzusetzen, das geht aus den vorhergehenden Vorträgen ganz gewiß hervor, daß auch solche Dinge, wo jemand eine Wertumlagerung zustande bringt, daß auch das in die wirtschaftliche Wertebewegung hineingreift -, wie werden wir uns da verhalten müssen, wenn wir aufsuchen wollen, was sich eigentlich an so etwas vergleichen läßt mit dem anderen?

Wenn wir also meinetwillen « Natur mal Arbeit » als den Wert ansehen würden, der von der einen Seite sich herbewegt, oder irgend eben eine Funktion, wie ich gleich anfangs gesagt habe, ja, da müßten wir dazukommen, doch irgend etwas Vergleichbares dadrinnen zu finden. Den Geist mit der Natur zu vergleichen, das wird ganz ohne Zweifel nicht gehen; denn da werden Sie kaum irgendeinen Vergleichungspunkt, und ganz besonders nicht durch volkswirtschaftliche Erwägungen, finden, schon aus dem Grunde, weil da ja etwas außerordentlich Subjektives einfließt.

Denken Sie sich eine einfache Dorfwirtschaft, die meinetwillen abgeschlossen in sich ist. Solche konnte man ja, wenigstens zum Teil, durchaus erleben. Eine solche wird bestehen in demjenigen, was erzeugt wird - sagen wir, wir denken uns weg selbst den Markt und die Stadt - von den Bauern, von den Bodenbearbeitern, von einzelnen Gewerbetreibenden, die die Leute kleiden und so weiter, von einigen anderen Gewerbetreibenden, im wesentlichen gar nicht eigentlich von besonderen Proletariern - die werden noch gar nicht da sein, aber darauf brauchen wir ja bei dieser Art von Denkungsweise zunächst nicht unsere Aufmerksamkeit zu verwenden, denn dasjenige, was für sie in Betracht kommt, wird uns ja bei der weiteren Verfolgung auffallen können. Dann wird in dieser Dorfwirtschaft da sein der Lehrer, der Pfarrer, oder ein paar Lehrer, ein paar Pfarrer; die werden, wenn wir eine reine Dorfwirtschaft haben, leben müssen aus dem, was die anderen ihnen von dem Ihrigen abgeben. Und was sich an freiem Geistesleben entwickelt, wird sich im wesentlichen abspielen müssen zwischen den Pfarrern und Lehrern - eventuell wird noch dazukommen der Gemeindeverwalter -, aber da, zwischen diesen Leuten wird sich im wesentlichen das freie Geistesleben abspielen. Und wir werden uns fragen müssen: Wie kommen wir denn nun eigentlich zu einer Bewertung in diesem einfachen wirtschaftlichen Kreislauf?

Viel anderes freies Geistesleben wird nicht da sein. Man kann sich nicht gut vorstellen, daß da ein Romanschriftsteller entsteht im Lehrer oder Pfarrer; denn wenn die Dorfwirtschaft in sich geschlossen ist, dann wird er kaum viel verkaufen können.

Wir würden ja nur darauf rechnen können, daß ein Romanschriftsteller irgend etwas wird verdienen können, wenn er in gleicher Zeit imstande wäre, den Bauern und Schneidern und Schustern eine besondere Neugierde auf seine Romane beizubringen. Da würde er ja in der Tat sogleich eine kleine Industrie ins Leben rufen können, nicht wahr? Das würde zwar außerordentlich teuer zu stehen kommen. Aber jedenfalls können wir uns nicht vorstellen, daß das ohne weiteres in dieser kleinen Dorfwirtschaft da sein würde. Wir sehen also, daß das freie Geistesleben erst auf gewisse Bedingungen warten muß. Aber wir können uns vielleicht vorstellen, wie eigentlich nun dadurch, daß überhaupt Pfarrer und Lehrer und ein Gemeindeverwalter da sind, die Bewertung desjenigen zustande kommt, was diese Geistesarbeiter - denn im volkswirtschaftlichen Sinne sind sie ja Geistesarbeiter - leisten.

Was ist die Voraussetzung, daß diese Geistesarbeiter überhaupt in dem Dorfe leben können? Die Voraussetzung ist, daß die Leute ihre Kinder in die Schule schicken und daß sie ein religiöses Bedürfnis haben. Geistige Bedürfnisse sind die Grundvoraussetzung. Ohne diese wären überhaupt selbst diese Geistesarbeiter nicht da. Und nun werden wir uns zu fragen haben: Wie werden denn diese Geistesarbeiter nun ihrerseits ihre Produkte, sagen wir, die Kanzelrede - denn im volkswirtschaftlichen Sinne sind auch die volkswirtschaftlich zu begreifen - und den Schulunterricht, wie werden sie denn diese volkswirtschaftlich bewerten? Wie wird sich das volkswirtschaftlich bewerten in der ganzen Zirkulation? Das ist eine Fundamentalfrage.

Ja, wie sich das bewertet, darauf kommen wir nur, wenn wir uns zunächst recht anschaulich machen: Was müssen denn die anderen Leute tun? Sie müssen körperliche Arbeit leisten. Dadurch rufen sie volkswirtschaftliche Werte hervor, daß sie körperliche Arbeit leisten. Wenn kein Bedürfnis vorhanden wäre nach Kanzelreden und nach Schulunterricht, so würden auch die Pfarrer und die Lehrer eben körperlich arbeiten müssen, dann würden alle körperlich arbeiten, und es würde das Geistesleben überhaupt wegfallen. Da hätten wir natürlich nicht zu sprechen von einer Bewertung der geistigen Leistungen. Zu dieser Bewertung kommen wir, wenn wir darauf hinschauen, daß ja eben gerade dieses körperliche Arbeiten den Pfarrern und den Lehrern erspart werden muß; denn wollen die ihre nun immerhin auch begehrte Arbeit leisten, so muß ihnen die körperliche Arbeit abgenommen werden.

So daß da wirklich etwas, was nun wenigstens wiederum im allgemeinen Sinn zu erfassen ist, in den Gedankengang eingeführt werden kann. Denn nehmen wir an, es ist nur Bedürfnis vorhanden für halbe Predigten und halben Schulunterricht - also für eine halbe Predigt eines Pfarrers und den halben Unterricht eines Lehrers -, was würde da eintreten müssen? Da man nicht einen halben Pfarrer und einen halben Lehrer anstellen kann, so werden Pfarrer und Lehrer eine gewisse Zeit anwenden müssen, um nun auch körperlich zu arbeiten. Und die Bewertung, die wird eintreten müssen für diese beiden, wird sich also danach ergeben, wieviel sie körperliche Arbeit ersparen können. Das gibt den Maßstab für die Bewertung ihrer Arbeit. Der eine gibt körperliche Arbeit hin, der andere erspart sie, und er bewertet seine geistige Leistung danach, wieviel er mit dieser Geistesleistung körperliche Arbeit erspart. Da haben Sie auf den zwei verschiedenen Feldern des wirtschaftlichen Lebens, wenn wir eben volkswirtschaftlich die Sache durchdenken, daß für uns eine Kanzelrede auch volkswirtschaftlichen Wert haben muß, da haben Sie das, was uns darauf hinweist, wie die den volkswirtschaftlichen Wert bekommt. Sie bekommt ihn dadurch, daß Arbeit erspart wird, während auf der anderen Seite Arbeit aufgewendet werden muß.

Das geht aber durch das ganze Geistesleben hindurch. Was bedeutet es im volkswirtschaftlichen Sinn, wenn einer ein Bild malt, an dem er meinetwillen auch zehn Jahre lang malt? Das bedeutet, daß das Bild für ihn dadurch einen Wert bekommt, daß er nun wieder zehn Jahre lang an einem Bilde malen kann. Das kann er aber nicht anders, als daß er für zehn Jahre die körperliche Arbeit erspart. Das Bild wird so viel wert werden müssen, als körperliche Arbeit an anderen Produkten in zehn Jahren leistet. Und wenn Sie selbst solche komplizierten Fälle nehmen, wie der, den ich heute am Anfang der Stunde auseinandergesetzt habe, so bekommen Sie dennoch dasselbe heraus. Da, wo es sich um geistige Leistungen handelt, bekommen wir überall, wenn wir den Wertbegriff finden wollen, den anderen Begriff, den Begriff der ersparten Arbeit, der Arbeit, die man erspart.

Das war der große Fehler der Marxisten, daß sie die ganze Sache nur von der körperlichen Seite her angeschaut haben und davon geredet haben, daß man im Kapital zu sehen habe kristallisierte Arbeit, ein Produkt, mit dem Arbeit verbunden ist. Wenn einer ein Bild malt: der Geist, den er hineinmalt durch zehn Jahre, der ist allerdings verbunden damit; aber das können höchstens die berechnen, die da glauben, der Geist sei umgesetzte innerliche menschliche Arbeit. Das ist Unsinn. Das Geistige läßt sich nicht ohne weiteres vergleichen mit dem Natürlichen. Aber hier handelt es sich nicht darum, wenn ich eine geistige Leistung vollziehe, daß darinnen irgendwie Arbeit aufgespeichert ist. Die Arbeit, die aufgespeichert ist, ist volkswirtschaftlich nicht zu erfassen. Die kann als körperliche Arbeit sehr gering sein. Und was als körperliche Arbeit in Betracht kommt, fällt unter den anderen Begriff der körperlichen Arbeit. Was der Leistung Wert erteilt, ist die Arbeit, die ich nunmehr mit ihr ersparen kann.

So also bekommt man auf der einen Seite des volkswirtschaftlichen Prozesses die wertebildende Kraft dadurch, daß Arbeit herbeigeschafft wird, an das Produkt gebracht wird, an das Produkt gewendet wird - das Produkt zieht die Arbeit an. Auf der anderen Seite strahlt das Produkt die Arbeit aus, bewirkt die Arbeit; der Wert ist ursprünglich da, der bewirkt die Arbeit.

Dadurch aber sind wir in der Lage - weil wir ein Vergleichbares nun darinnen haben, nämlich Arbeit in einem Fall und Arbeit im andern Fall -, sind wir in der Lage, überhaupt die Dinge miteinander in der Realität in Beziehung zu bringen. Wenn wir sagen können das eine Mal: der Wert ist gleich « Natur mal Arbeit », w = n . a, so müssen wir im anderen Falle sagen: « Geist minus Arbeit », w = g - a. Es ist genau entgegengesetzt gerichtet. Körperliche Arbeit hat nur einen Sinn, wenn derjenige, der sie in die Volkswirtschaft einfügen will, sie von sich aus aufwendet. Was im Geistigen mit der Leistung in Beziehung tritt, ist eine Arbeit, die dem einen von dem andern getan wird - ist also tatsächlich das, was im negativen Sinn in den volkswirtschaftlichen Prozeß hineingefügt werden muß.