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Produzenten-, Händler-, und Konsumentenstandpunkt zusammenbringen
Quelle: GA 340, S. 110-123, 5. Ausgabe 1979, 31.07.1922, Dornach
Da wir ja vielleicht bereits eingesehen haben, daß innerhalb der volkswirtschaftlichen Betrachtung das wichtigste die Preisfrage ist, so handelt es sich darum, nun den Preis in dem Sinn, wie ich es gezeigt habe, anzusehen: daß er uns eigentlich angibt, je nachdem er steigend oder fallend oder stabil ist oder nach einer gewissen Empfindung für gewisse Produkte zu hoch oder zu niedrig ist, daß er uns angibt, ob die Dinge im volkswirtschaftlichen Organismus in Ordnung sind oder nicht. Denn das ist, was den Assoziationen zufallen muß: nach dem Barometer der Preisstände das herauszufinden, was im übrigen volkswirtschaftlichen Leben zu tun ist.
Nun wissen Sie ja, daß eine viele Kreise beherrschende Ansicht die ist, daß sich eigentlich bezüglich der Preisfrage praktisch nichts anderes machen läßt als dasjenige, was sich von selbst ergibt unter der Wirkung des sogenannten Angebots und der Nachfrage. Unter dem Zwang, nicht der volkswirtschaftlichen Tatsachen, sondern mehr unter dem Zwang der in der neueren Zeit immer mehr und mehr auftretenden sozialen Aspirationen ist allerdings erschüttert worden diese Ansicht, die nicht nur Adam Smith, sondern sehr viele aufstellten: daß eigentlich der Preis von selbst sich reguliert im volkswirtschaftlichen Leben unter dem Einfluß von Angebot und Nachfrage. Es wird ja da einfach behauptet, daß, wenn ein zu starkes Angebot da ist, dann wird dieses Angebot dazu führen müssen, daß man es verringert, daß man es nicht auf derselben Höhe erhält.
Und damit wird von selbst eine Regulierung der Preise eintreten. Ebenso wenn die Nachfrage eine zu große oder zu kleine ist, dann wird müssen eine Regulierung eintreten der Produzierenden, um nicht zuwenig oder zuviel zu produzieren. Und damit meint man, daß sich gewissermaßen automatisch unter dem Einfluß von Angebot und Nachfrage auf dem Markt der Preis einem gewissen stabilen Zustand nähert.
Nun handelt es sich darum, ob man mit einer solchen Anschauung sich bloß bewegt im Theoretischen, im Begriffssystem, oder ob man mit einer solchen Anschauung hineinsteigt in die Wirklichkeit. Mit dieser Anschauung tut man es zweifellos nicht; denn sobald Sie diesen Begriffen Angebot und Nachfrage zu Leibe gehen, dann werden Sie gleich sehen, daß es überhaupt unmöglich ist, sie im volkswirtschaftlichen Sinne auch nur aufzustellen. Im Sinne der kontemplativen Betrachter der Volkswirtschaft können Sie sie aufstellen. Sie können die Leute auf den Markt schicken und beobachten lassen, wie wirken Angebot und Nachfrage; aber es frägt sich, ob man mit dem, was man da beobachtet, so tief hineingreift in den Gang der volkswirtschaftlichen Prozesse, daß man irgend etwas in der Hand hat mit solchen Begriffen. Und Sie haben eben in der Wirklichkeit nichts in der Hand mit solchen Begriffen, weil Sie überall das weglassen, was hinter den Vorgängen steht, die Sie mit diesen Begriffen treffen wollen. Sie sehen auf dem Markt, daß sich abspielt das Angebot und das, was man Nachfrage nennt; aber das umfaßt nun nicht dasjenige, was hinter dem liegt, was da als Angebot mir entgegentritt, und was wiederum vor dem liegen wird, was als Nachfrage auftritt. Da liegen erst die wirklichen volkswirtschaftlichen Prozesse, die sich nur zusammenschoppen auf dem Markt -, möchte ich sagen. Und das sehen Sie am besten daran, daß ja diese Begriffe höchst brüchig sind.
Wollen wir uns ordentliche Begriffe bilden, so können und so müssen diese Begriffe beweglich sein gegenüber dem Leben. Wir müssen einen solchen Begriff haben können, ihn gewissermaßen von Wirklichkeitsgebiet zu Wirklichkeitsgebiet tragen können, und er muß sich verändern; aber der Begriff darf nicht so sein, daß er sich selbst in die Luft sprengt.
Und der Begriff von Angebot ebenso wie der von Nachfrage sprengt sich in die Luft. Denn nehmen wir an, irgend etwas ist ein Angebot: Es ist ein Angebot, wenn einer auf den Markt Waren bringt und sie für einen gewissen Preis ausbietet. Das ist ein Angebot. Das kann jeder behaupten. Ich behaupte aber: Nein, das ist eine Nachfrage. - Wenn einer Waren auf den Markt bringt und sie verkaufen will, so ist das bei ihm eine Nachfrage nach Geld. Es ist nämlich, sobald man nicht weiter eingeht auf den volkswirtschaftlichen Zusammenhang, gar kein Unterschied, ob ich Angebot habe in Waren und Nachfrage in Geld, oder ob ich im groben Sinn mit der Nachfrage komme. Wenn ich Nachfrage entwickeln will, so brauche ich Angebot in Geld.
Also Angebot in Waren ist Nachfrage in Geld, und Angebot in Geld ist Nachfrage in Waren. Das sind volkswirtschaftliche Realitäten. Denn es kann sich der volkswirtschaftliche Prozeß, insofern er Tausch oder Handel ist, gar nicht vollziehen anders, als daß, sowohl bei Käufer wie bei Verkäufer, Angebot und Nachfrage da ist; denn dasjenige, was der Käufer hat als sein Geldangebot, das muß auch erst hinter seinem Rücken oder hinter dem Rücken der Nachfrage im volkswirtschaftlichen Prozeß entwickelt werden, genauso wie die Ware entwickelt werden muß, die als Angebot auftritt.
Also wir haben keine realen Begriffe vor uns, wenn wir glauben, der Preis entwickelt sich aus dem Wechselverhältnis von dem, was wir gewöhnlich Angebot und Nachfrage nennen:
P = f (a n)
Er entwickelt sich nämlich gar nicht in der Weise, wie man es da definiert, wenn man die Betrachtung so anstellt; denn es entwickelt sich durchaus auch der Preis unter dem Einfluß dessen, ob der Nachfragende ein Anbietender in Geld werden kann, oder ob er es gemäß des volkswirtschaftlichen Prozesses zum Beispiel in irgendeiner Zeit in bezug auf ein Produkt nicht werden kann. Es handelt sich nämlich nicht bloß darum im volkswirtschaftlichen Prozeß, daß eine gewisse Anzahl von Waren als Angebot da sind, sondern daß auch eine Anzahl von Leuten da sind, die das Angebot Geld gerade für diese Waren entwickeln können.
Das ist etwas, was Ihnen sogleich zeigen wird, daß man von einem Wechselspiel von Angebot und Nachfrage gar nicht sprechen kann.
Und dennoch, wenn man jetzt nicht auf die Begriffe sieht, die ja falsch gebildet werden können, sondern wenn man auf die Tatsachen sieht, auf die Tatsache des Marktes oder selbst auf die Tatsache des marktlosen Waren- und Geldaustausches, so ist es doch wiederum ohne Frage, daß sich zwischen dem Angebot und der Nachfrage - aber auf beiden Seiten - der Preis entwickelt. Das ist doch wiederum der Fall; der reinen Tatsache nach ist es doch wiederum der Fall.
Nur sind Angebot und Nachfrage und Preis drei Faktoren, die alle primär sind. Es ist nicht so, daß wir aufschreiben Preis = Funktion von Angebot und Nachfrage, so daß wir behandeln, wenn ich mathematisch spreche: a und n als veränderliche Größen und das p, den Preis, als eine Größe, die sich aus den beiden Veränderlichen ergibt, sondern in gleicher Weise müssen wir a und n, Angebot und Nachfrage, und p, Preis, als voneinander unabhängige Veränderliche betrachten und müssen uns irgendeiner Größe x - Sie sehen, wir nähern uns einer Formel -, wir müssen uns einer Größe x nähern. Wir müssen nicht glauben, daß wir es mit unabhängigen Veränderlichen nur in a und n zu tun haben und mit dem Preis als einer Funktion von beiden, sondern mit drei voneinander Unabhängigen, die miteinander in ein Wechselspiel treten und die eben ein Neues geben. Der Preis ist da zwischen Angebot und Nachfrage; aber er ist auf eine ganz eigentümliche Weise da.
x = f (a n p)
Wir müssen nämlich die ganze Betrachtungsweise von einer anderen Ecke aus beginnen. Wenn wir irgendwo sehen auf dem Markt, daß Angebot und Nachfrage gerade für dieses Gebiet in dem Zusammenhang stehen, in dem sie zum Beispiel Adam Smith gesehen hat, dann ist das ungefähr der Fall - auch nicht ganz - für die Warenzirkulation vom Händlerstandpunkt aus. Es ist aber ganz und gar nicht der Fall für den Standpunkt des Konsumenten und nicht für den Standpunkt des Produzenten. Für den Standpunkt des Konsumenten gilt nämlich etwas ganz anderes. Der Standpunkt des Konsumenten wird bewirkt durch das, was er hat.
Und zwischen dem, was er hat, und dem, was er gibt, entwickelt sich ein ähnliches Verhältnis, wie es sich für den Händler entwickelt zwischen Angebot und Nachfrage: Der Konsument hat eine Wechselwirkung zwischen Preis und Nachfrage. Er fragt weniger nach, wenn ihm für seine Taschenverhältnisse der Preis zu hoch ist, und er fragt mehr nach, wenn ihm für seine Taschenverhältnisse der Preis niedrig genug ist. Er hat überhaupt als Konsument nur im Auge Preis und Nachfrage.
So daß wir sagen: Beim Konsumenten haben wir mehr zu sehen auf das Wechselspiel zwischen Preis und Nachfrage. Beim Händler haben wir mehr zu sehen auf das Wechselspiel zwischen Angebot und Nachfrage. Und beim Produzenten handelt es sich darum, daß wir jetzt bei ihm zu sehen haben auf das Wechselspiel zwischen Angebot und Preis. Er richtet sich nämlich zunächst ein in bezug auf das Angebot nach den Preisen, die möglich sind im ganzen volkswirtschaftlichen Prozeß. So daß wir die erste Gleichung nennen können die Händlergleichung:
p = f (a n)
Adam Smith hat sie geltend gemacht für die gesamte Volkswirtschaft; für die gesamte Volkswirtschaft ist sie falsch. Wir können nämlich auch die Gleichung bilden: das Angebot, a, können wir ansehen als Funktion von Preis und Nachfrage; und die Nachfrage können wir ansehen als Funktion von Angebot und Preis. Dann haben wir in dieser Gleichung n = Funktion von Angebot und Preis, die Produzentengleichung:
n = f (a p)
Und in der dritten Gleichung - das Angebot ist eine Funktion von Preis und Nachfrage - haben wir die Konsumentengleichung:
a = f (p n)
Noch immer aber haben wir diese Gleichungen dadurch qualitativ verschieden gemacht, daß hier das a beim Konsumenten ein Angebot in Geld ist, beim Produzenten ist es ein Angebot in Waren, und beim Händler haben wir es zu tun mit etwas, was eigentlich zwischen Geld und Ware drinnen liegt.
Aber jedenfalls sehen Sie, wieviel komplizierter der volkswirtschaftliche Gang betrachtet werden muß, als man es gewöhnlich tut. Deshalb, weil man, ich möchte sagen, die Begriffe so schnell abfangen will, gibt es im Grunde genommen heute gar keine ordentliche Volkswirtschaftslehre.
[...]
Das ist etwas, was absolut nicht so leicht ist im volkswirtschaftlichen Prozeß, die Dinge im Zusammenhang zu denken, einfach aus dem Grunde, weil der volkswirtschaftliche Prozeß etwas anderes ist als ein wissenschaftliches System. Das wissenschaftliche System kann in seiner Totalität im einzelnen Menschen gegeben sein - vielleicht ist es nur skizzenhaft gegeben, aber es kann im einzelnen Menschen gegeben sein -, der volkswirtschaftliche Prozeß kann niemals in seiner Totalität im einzelnen Menschen sich vollziehen, sondern lediglich da kann er sich spiegeln, wo zusammenwirken die Urteile aus den Menschen, die in den verschiedensten Gebieten drinnenstehen.
Über dasjenige, was ich Ihnen jetzt angeführt habe, gibt es überhaupt keine andere Möglichkeit, zu einem realen Urteil zu kommen, als auf assoziative Art - nicht zu einem theoretischen Urteil, sondern zu einem realen Urteil. Mit anderen Worten: Wenn Sie diese drei Gleichungen haben (siehe Seite 114), so wird derjenige, der ganz und gar nur die Usancen des Händlers kennt, immer die erste Gleichung im Kopfe haben, wird unter dem Einfluß dieser Gleichung handeln und wird also wissen können, was unter dem Einfluß dieser Gleichung steht. Ebensogut wird der Konsument, der mit Verstand den Konsum verfolgt, alles wissen, was unter dem Einfluß der zweiten Gleichung steht. Und der Produzent wird alles wissen, was unter dem Einfluß der dritten Gleichung steht. Aber Sie werden sagen: Die Menschen sind doch nicht so dumm, daß sie nicht auch über ihren Horizont hinausdenken könnten; es kann doch einer, der bloß Konsument oder bloß Händler ist, auch über seinen Horizont hinausdenken - wir sind doch keine Kirchturmsmenschen, so wenig wir Kirchturmspolitiker sind. - Das soll man sogar, soweit es auf die Weltanschauung ankommt. Aber es gibt keinen Weg, über, sagen wir dasjenige, was im Handel vorgeht, etwas Maßgebliches zu wissen, als im Handel drinnenzustehen und zu handeln. Es gibt keinen anderen Weg. Darüber gibt es keine Theorien. Die Theorien können interessant sein - aber es handelt sich nicht darum, daß Sie wissen, wie gehandelt wird im allgemeinen, sondern darum, daß Sie wissen, wie in Basel und seiner Umgebung die Produkte hin- und hergehen. Und wenn Sie das wissen, so wissen Sie damit noch nicht, wie in Lugano die Produkte hin- und hergehen. Also, es handelt sich nicht darum, im allgemeinen über die Sache etwas zu wissen, sondern auf einem bestimmten Gebiet etwas zu wissen. Und ebenso wissen Sie noch lange nicht, wenn Sie sich ein maßgebendes Urteil darüber bilden können, unter welchem höheren oder niedrigeren Preis man Sensen oder andere landwirtschaftliche Maschinen fabrizieren kann, unter welchen Preisen man nun meinethalben Schrauben fabrizieren kann oder dergleichen.
Das Urteil, das im wirtschaftlichen Leben gebildet werden muß, muß aus der unmittelbaren Konkretheit gebildet werden. Und das kann auf keine andere Weise geschehen, als daß für bestimmte Gebiete, deren Größe sich - wie wir gesehen haben - aus dem volkswirtschaftlichen Prozeß heraus ergibt, die Assoziationen gebildet werden, in denen eben gleichmäßig aus den verschiedensten Zweigen heraus alle drei Vertretungen sitzen desjenigen, was im wirtschaftlichen Leben vorkommt: der Produktion, der Konsumtion und der Zirkulation.