Erbschaftssteuer fragwürdig

Quelle: GA 340, S. 092-093, 5. Ausgabe 1979, 29.07.1922, Dornach

Es gibt heute viele Leute, die enthusiasmieren sich ganz besonders dafür, daß zum Beispiel Erbschaften, die auch Schenkungen sind, daß diese hoch besteuert werden müssen. Ja, das bedeutet ja nicht irgend etwas volkswirtschaftlich Bedeutsames; denn man entwertet die Erbschaft eigentlich nicht, wenn, sagen wir, sie einen Wert = W hat, und man teilt diesen Wert = W in zwei Teile, W 1 und W 2, und gibt dieses W 2 an jemand anderen ab und läßt dem einen nur das W 1, dann wirtschaften halt mit diesem Wert W die beiden zusammen. Und es handelt sich darum, ob derjenige, der das W 2 hat, ebenso günstig wirtschaften wird wie derjenige, der eventuell W 1 und W 2 zusammen bekommen hätte. Nicht wahr, es kann jeder selber nach seinem Geschmack das Folgende entscheiden: Ob nun ein gescheiter Einzelner, wenn er die Gesamterbschaft bekommt, besser wirtschaftet, oder ob besser wirtschaftet derjenige, der nur einen Teil der Gesamterbschaft bekommt und den anderen Teil der Staat, und der also mit dem Staat zusammen wirtschaften muß.

Das sind die Dinge, die ganz entschieden abführen von dem rein volkswirtschaftlichen Denken; denn es ist ein Denken des Ressentiments, ein Denken aus dem Gefühl heraus. Man beneidet eben die reichen Erben. Das mag ja begründet sein; aber von solchen Dingen allein kann man nicht reden, wenn man volkswirtschaftlich denken will. Darauf kommt es an, was im volkswirtschaftlichen Sinn gedacht werden muß; denn danach muß sich erst richten, was sonst einzutreten hat. So können Sie sich natürlich einen sozialen Organismus denken, der dadurch krank wird, daß in unorganischer Weise das Zahlen mit dem Leihen und dem Schenken zusammenwirkt, indem man gegen das eine oder andere auftritt oder das eine und das andere fördert. Irgendwie zusammenwirken tun sie doch. Denn schaffen Sie nur das Schenken auf der einen Seite ab, so lagern Sie es nämlich nur um. Und entscheidend ist nicht die Frage, ob man umlagern soll, sondern ob das Umlagern immer günstig ist; denn ob die Erbschaft der einzelne individuelle Erbe allein antritt oder mit dem Staat zusammen, das ist eine Frage, die erst volkswirtschaftlich entschieden werden muß. Ob das eine oder das andere günstiger ist, das ist es, worauf es ankommt.