Enttäuscht von den Anthroposophen

Quelle: GA 298, S. 156-161, 2. Ausgabe 1980, 20.06.1922, Stuttgart

Schließlich hängt die Waldorfschul-Bewegung mit der Dreigliederungsbewegung zusammen. Die Waldorfschul-Bewegung ist nur denkbar in einem freien Geistesleben. Dasjenige, was wir zuerst gefunden haben an einem Gedankeninteresse, ist nicht übergegangen in ein Willensinteresse. Als dann versucht worden ist das einzige Mittel, über Mitteleuropa hinauszugehen, die Begründung des Weltschulvereins in die Tat umzusetzen, da scheiterte die Begründung des Weltschulvereins, der die ganze zivilisierte Welt umfassen sollte. Der Versuch, dasjenige, was unter den Leuten ist an Glauben, daß das Erziehungswesen ein anderes sein müßte, aufzurütteln, dasjenige, was da angestrebt worden ist als Weltschulverein, hat kläglich Fiasko gemacht. Man fühlt sich so entsetzlich zurückgestoßen, wenn man an den Willen appelliert. Ich sage nicht, ich appelliere ans Geld in diesem Falle jetzt. An Geld fehlt es uns, aber viel mehr fehlt es uns an dem Willen. Es ist das Interesse kein gründlich tiefgehendes, sonst würde sich das Interesse auf die richtigen Gebiete erstrecken. [ ... ]

Ich fühlte mich in der Anthroposophischen Gesellschaft, später auch in anderen Gesellschaften so, daß ich mir dachte: Haben denn die Leute keine Ohren? - Es scheint, als ob man dasjenige nicht hören konnte, was von dem Wort in die Tat gehen sollte. Es war etwas, was zur Verzweiflung führen konnte, was am Fiasko des Weltschulvereins zu erleben war.

Die Zahlen des Schuletats sprechen für sich; aber dasjenige, was weit über das Zahlensprechen hinausgeht, das ist das, was betont werden müßte: das ungeheure Leid, das man heute empfindet, wenn man an die Interesselosigkeit stößt, die in weitesten Kreisen vorhanden ist. Da müssen wir uns sagen: Gewiß, das Interesse ist in diesen Kreisen vorhanden für so etwas wie die Waldorfschule, aber es muß auch das Interesse für die Grundlagen, die der Waldorfschule gegeben worden sind, das muß in viel intensiverer Weise sich ausbreiten, als das sich irgendwie heute zeigt. [ ... ]

Es muß das Schulwesen sich in freier Weise entwickeln, wie es seit dem Jahre 1919 betont worden ist. Das kann natürlich nicht anders sich verwirklichen, als wenn wir zu den Mitgliedern unserer verschiedenen Vereine, die ganz einverstanden sind, daß so etwas da ist, daß man dasjenige, was sie bieten wollen, empfängt, daß sich zu ihnen hin immer mehr finden, welche tätig mittuende Mitglieder werden. Zuerst muß der Wille entstehen! Ich möchte sagen, meine Rechnung geht so: Wenn die Zahlen sprechen, so können wir sagen, wir haben kein Geld. Dann wird wiederum durch Geldsammeln mit Ach und Krach ein Loch ausgefüllt. Aber auch in der Methode kommen wir nicht weiter. Wir kommen nur mit der Methode vorwärts, die in Aussicht genommen war, wie vom Weltschulverein gesprochen worden ist. Wir müssen einen tatkräftigen Glauben haben, daß dasjenige, was getan wird, wirklich ein Bestandteil der öffentlichen Meinung wird. Wir brauchen, um die Waldorfschule zu halten, und um Schulen weiter zu begründen, wir brauchen eine öffentliche Meinung, die immer größer wird, die dahin geht, daß es im Sinne des alten Schulwesens nur zu Niedergangskräften in der Menschheit führt. Das brauchen wir. Wenn wir uns dazu durchringen können, nicht bloß immer da und dort so eine Schnakerischule zu begründen, um eine Art pädagogischer Kurpfuscherei durchzuführen, wenn wir uns dazu entschließen, unsere Erziehungsgrundsätze in die Offentlichkeit hineinzutragen, so daß sie innere Überzeugung von Eltern und Nichteltern werden, nur dann kommen wir vorwärts!

Jetzt verzeihen Sie, wenn ich gewissermaßen wirklich nicht vermeide, zu sagen: Ich weiß, daß viele das, was ich jetzt gesagt habe, als richtig anerkennen werden, es ganz richtig finden werden, aber man erkennt es erst als richtig an, wenn man etwas tut! Wenn man etwas tut! Deshalb müßte vor allem darauf gesehen werden, daß wir nicht nur aus dem Kreis der Mittel heraus, die wir schon haben, aus unseren Zweigen heraus und den schon geleerten Börsen Schulen begründen, so gut es geht; wir müssen uns bemühen, für die Ideen zu wirken, so daß die Ideen in eine immer größere Anzahl von Menschen hineinkommen.

In dieser Beziehung haben wir die gegenteilige Erfahrung gemacht. Die gegenwärtige Nummer der Dreigliederungszeitung kündet an, daß sie in Zukunft eine Zeitschrift sein wird für die Anthroposophie. Warum? Weil die vielversprechenden Anfänge in der Erkenntnis der Dreigliederung im Sande verlaufen sind. Weil wir im Grunde genommen zurückkehren müssen zu dem, was wir damals schon im Duktus hatten vor der Dreigliederungsbewegung. Trotzdem über Dreigliederung viel gesprochen wird, ist es wiederum so, daß man in Verzweiflung gerät, wenn man mit den Menschen redet. Daß das etwas werden soll, was öffentliche Meinung werden sollte, das brauchen wir vor allen Dingen, wenn wir mit der Waldorfschule vorwärtskommen wollen. Ich muß sagen, ich spreche das seit längerer Zeit aus. Aber alles findet eher Anklang, als das, was ich heute gesagt habe.