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Recht auf Arbeit bei Robespierre und Bismark und doch anders
Quelle: GA 210, S. 030-031, 2. Ausgabe 2001, 01.01.1922, Dornach
Wovor sich der moderne Mensch am meisten zu hüten hat, das ist das Fallen in die Phrase. Man erlebt es immer wieder und wiederum, daß Menschen, die dann schon glauben, im anthroposophischen Leben drinnenzustehen, sagen, dieser oder jener habe etwas gesagt, was ganz mit dem Anthroposophischen übereinstimme. - Auf das äußere Zustimmen in Worten kommt es nicht an, sondern auf den Geist, auf den lebendigen Geist, auf den lebendigen, wirklichen Zusammenhang, in dem etwas drinnen steht. Wenn wir heute bloß auf den äußerlich logischen Inhalt der menschlichen Aussage sehen, so entgehen wir der Gefahr der Phrase nicht.
Ich habe in der letzten Zeit ein paarmal vor diesem oder jenem Kreise meiner Zuhörer ein eklatantes Beispiel angeführt, wie an sich ganz richtige Sachen, die gesagt werden, sich merkwürdig ausnehmen vor dem Wirklichkeitssinn. Ich habe das Beispiel angeführt, daß 1884 der Fürst Bismarck im deutschen Reichstag, als er die sozialdemokratische Gefahr herannahen fühlte, einen merkwürdigen Ausspruch tat. Er wollte die Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung davon ablenken, den sozialdemokratischen radikalen Führern zu folgen, und aus diesem Impuls heraus sagte Bismarck, es stehe jedem Menschen das Recht auf Arbeit zu. «Gestehen Sie jedem Menschen das Recht auf Arbeit zu, verschaffen Sie ihm von Staats wegen Arbeit, solange er arbeiten kann, versorgen Sie ihn» - so sprach er, der deutsche Reichskanzler -, «versorgen Sie ihn, wenn er alt geworden ist und nicht mehr arbeiten kann und in Krankheitsfällen mit dem, was er zum Leben nötig hat, und Sie werden sehen, daß die breiten Scharen der Arbeitermassen fortstürmen von den Versprechungen der Arbeiterführer.» -1884 hat der Fürst Bismarck diesen Satz im Deutschen Reichstag gesagt.
Kurioserweise kann man etwas zurückgehen, fast ein Jahrhundert zurückgehen, und ein anderer hat, man kann fast sagen wörtlich, denselben Satz ausgesprochen, hat ausgesprochen den Satz: «Es ist Menschenpflicht, jedem das Recht auf Arbeit zuzugestehen, ihm von Staats wegen Arbeit zu verschaffen, solange er arbeiten kann, ihn von Staats wegen zu versorgen, wenn er krank oder invalide ist und nicht mehr arbeiten kann.» - Und dieser andere, das war Robespierre. 1792 hat er diesen Satz seinem «Menschenrechte» einverleibt. Merkwürdig, wörtlich genau dasselbe sagten der radikale Robespierre 1792 und der Fürst Bismarck, der ganz gewiß kein Robespierre sein wollte, 1884 im Deutschen Reichstag. Sie sehen, zwei Leute können genau dasselbe sagen und es ist nicht dasselbe. Und kurioserweise berief sich dazumal 1884 der Fürst Bismarck darauf, daß das Recht auf Arbeit jedem im preußischen Lande befindlichen Arbeiter garantiert sei, denn das sei 1794 im Preußischen Landrechte enthalten. Kurioserweise also sagt der Fürst Bismarck nicht nur dasselbe, sondern er sagt, was Robespierre forderte, stehe im Preußischen Landrecht. Aber die Wirklichkeit verläuft so, daß dazumal diese Worte von Bismarck nur ausgesprochen wurden, weil er herannahen fühlte eine Gefahr, welche gerade dadurch entsteht, daß das eben nicht da ist, was da wortwörtlich im Preußischen Landrecht steht.
Ich führe dieses Beispiel an, nicht weil es ein politisches ist, sondern aus dem Grunde, weil es gerade eklatant zeigt: Zwei Menschen können ganz genau wörtlich dasselbe sagen, und doch entspricht es einer entgegengesetzten Wirklichkeit. Ich möchte dadurch darauf aufmerksam machen, daß wir in eine Zeit eintreten müssen, wo es uns weniger auf den Wortlaut ankommt und mehr auf das Erleben der Wirklichkeit. Sonst verfallen wir gerade in dem Gebiete des geistigen Lebens in die Phrase, die eine so große Rolle spielt in unserem gegenwärtigen geistigen Dasein. Gerade dieser Übergang von dem bloß inhaltlich Richtigen zu dem lebendig erlebten Wahren, dieser Übergang soll bewirkt werden durch das Eintreten der Initiationswissenschaft, die vom bloß logischen Inhalt zu dem Erleben der geistigen Welt geht, in die Zivilisation der Menschheit.