Geistige Einheit einer Gruppe erschwert die weitere Aufnahme

Quelle: GA 300b, S. 055-057, 4. Ausgabe 1975, 16.11.1921, Stuttgart

X.: Es ist der Wunsch entstanden, eine besondere Sonntagshandlung nur für die Lehrer zu haben.

Dr. Steiner: Ähnliches ist schon einmal diskutiert worden. Man müßte wissen, ob dazu ein umfassendes Bedürfnis vorhanden ist.

X.: Es ist der Wunsch ausgesprochen.

Dr. Steiner: Natürlich, es kann etwas sehr Schönes herauskommen. Ich kann mir gut vorstellen, daß ein einheitliches Ringen möglich ist. Der Modus würde nicht so leicht zu finden sein. Wer soll das machen ? Nehmen Sie an, es sollen durch Wahl diejenigen bestimmt werden und dann abwechseln. Das sind Dinge, die sehr schwierig sind. Da muß ein tief einheitlicher Wille vorhanden sein. Wer soll es machen ?

X.: Mir kam nie die Idee, daß es einen Streitpunkt geben könnte. Einen Ehrgeiz dürfen wir da nicht haben.

Dr. Steiner: Wenn jeder eine andere Meinung darüber hat, wer es gut macht, dann ist es schwierig. Darüber werden sich alle einig sein, daß der es macht, der es gut macht; das ist allgemein. Aber dann kommt die Geschichte. Das ist immer noch so wie mit Stockerau: Ein Wiener wurde gefragt, ob es weit ist nach Amerika. Darauf hat er gesagt: In Stockerau san's bald, aber nachher ziagt si der Weg!

X.: Sollte es an eine Person gebunden sein?

Dr. Steiner: Dann ist jede Woche die Schwierigkeit, wer es gut macht.

X. schlägt Herrn N. vor.

Dr. Steiner: Da müßte man eine geheime Abstimmung machen.

X.: Wesentlich scheint mir nur zu sein, daß wir es bekommen.

Dr. Steiner: Gewiß. Es ist eine schwere Sache, wie die Papstwahl.

X.: Mir ist jeder andere recht.

Dr. Steiner: Dann kann man über den Modus nachdenken. Ich würde niemals es wagen, von mir aus den zu bezeichnen, der es machen soll.

X.: Einer der drei Herren, die es bei den Kindern machen.

Dr. Steiner: Wenn die Herren anerkannt werden, ohne daß eitle innere Wimper zuckt. Eine Handlung - entweder ist sie bloß eine Formsache, dann können Sie sie gemeinschaftlich machen und einführen, oder sie ist eine rituelle Handlung; das muß tiefer Ernst sein. Da kann man keine Rankünen haben.

Ein weiterer Lehrer spricht darüber.

Dr. Steiner: Jetzt höre ich auf, die Sache zu begreifen. jetzt verstehe ich nichts mehr davon.

Ein Kultus ist esoterisch. Ein Kultus ist das Esoterischeste, was man sich denken kann. - Was Sie gesagt haben, bezieht sich wohl darauf, daß man über ein Ritual nicht demokratisch abstimmen kann. Natürlich kann ein Ritual, wenn es einmal da ist, von einem Kollegium gepflegt werden. Dann müßte das Kollegium einig sein.

X.: Ich war der Meinung, daß keinerlei Autorität angewendet werden dürfe den einzelnen gegenüber.

Dr. Steiner: Das habe ich im Sinne. Gerade wie das Ritual für die Kinder eingeführt wurde. Das wäre gar nicht die Aufgabe der Waldorfschule.

Es ist eben die Frage, ob so etwas, was, nicht wahr, in einem gewissen Sinne so sorgfältig aufgebaut werden muß, nicht etwas ist, was vom Lehrerkollegium als solchem sehr schwer ausgehen kann und im Kollegium als solchem sehr schwer einheitlich gepflegt werden kann. Setzen Sie voraus, es seien jetzt alle einverstanden. Das nächste Mal würde man darauf beschränkt sein, nur die ins Kollegium aufzunehmen, die das Einverständnis schon hineintragen. Esoterisch vereinigen kann man Menschen, die sich unter dem sachlichen Zeichen dieser Esoterik vereinigen. Eine Kultushandlung ist nur in esoterischen Kreisen möglich, wenn sie etwas sein soll. Sonst muß man etwas Meßopferartiges haben. Dazu brauchen Sie aber gerade wiederum für die, welche es als Unesoterisches haben, denen muß gegenüberstehen das Esoterische. Sie können nicht Messe lesen ohne Priester. Beim Esoterischen sollten im inhaltlichen Zeichen sich die Menschen vereinigen.