Amoralität bringt Sprachzwang und nationale Verachtung

Quelle: GA 207, S. 104-106, 3. Ausgabe 1990, 07.10.1921, Dornach

Wir müssen uns durchaus klar sein, daß die dem Materialismus zueilende neuere Kultur für das Geistige des Menschen die Bedeutung hat, daß der Mensch die Beziehung zu seinem Engelwesen beeinträchtigt, daß diese Beziehung immer loser und loser wird. Nun muß aber der Mensch gerade dann, wenn er gegen die Mitternachtsstunde des Daseins zu kommt, die Beziehung zu dem Erzengelwesen durch das Engelwesen anknüpfen. Soll diese Beziehung, wie sie durchaus sein kann, wenn der Mensch in der geistigen Welt drinnen lebt, eine solche sein, daß sie nicht nur einseitig von dem Engelwesen nach der Menschheit hin geht, sondern daß sie auch von dem Menschen erwidert werden kann, dann muß eben der Mensch einen geistigen Inhalt aufnehmen, das heißt, er muß seine moralischen Impulse religiös tingieren.

Der Mensch der heutigen Zeit steht also vor der Gefahr, daß, wenn dieselbe Entwickelung weitergeht, er eine lose Beziehung zu seinem Engelwesen erhält und dadurch auch keine innere Beziehung anknüpfen kann zu dem Erzengelwesen. Aber das Erzengelwesen ist schon daran beteiligt, ihn wiederum zurückzubringen in das physische Leben. Das Erzengelwesen ist namentlich daran beteiligt, die Kräfte auszubilden, die ihn zurückbringen in eine gewisse Volksgemeinschaft.

Wenn die Menschen, wie das ja schon seit Jahrhunderten der Fall ist, innerlich ungeistig leben, dann entwickelt sich eben die Beziehung der Erzengel zum Menschen einseitig, und dann wächst der Mensch nicht mit seinem inneren seelischen Wesen in das Volkstum hinein, sondern er wird gewissermaßen von außen, sagen wir, durch die Weltenordnung, in das Volkstum hineingestellt, das dem Erzengel zu leiten zugeteilt ist. Man kommt nicht früher zu einem Verständnis unserer heutigen Zeit, die ja gerade dadurch charakterisiert ist, daß in einer so [] einseitigen Weise die Volkstümer kultiviert werden, bis man weiß, daß das davon herrührt, daß eigentlich die Seelen, die in der letzten Zeit heruntergekommen sind in das irdische Dasein, eben eine lose Beziehung zu ihrem Engelwesen und dadurch keine innere Beziehung zu dem Erzengelwesen haben, daß sie dadurch gewissermaßen nur von außen hineinwachsen in ihr Volkstum; daß das Volkstum dann durchaus als ein seelenloser Impuls in ihnen ist und die Menschen eben nur durch äußerliche Impulse, durch Zusammengehörigkeiten der Sprache, durch allerlei nach dem Chauvinismus hinneigende Impulse drinnenstehen in dem Volkstum. Wer seelisch in seinem Volkstume drinnensteht - und das ist ja heute bei den wenigsten Menschen der Fall -, der wird durchaus nicht zum Chauvinismus, zum einseitigen Nationalismus sich entwickeln können, sondern er wird das, was an fruchtbaren Kräften im Volkstum drinnen ist, entwickeln, das wird er individuell machen. Aber er wird nicht in einer gewissen einseitigen Weise auf sein Volkstum pochen. Er wird es gewissermaßen überall als die Farbe seines Wesens hineinfließen lassen in seine menschlichen Offenbarungen, aber er wird es nicht in einer äußerlichen Weise, namentlich in einer gegen andere gegnerischen äußeren Weise, hervorkehren.

Daß das heute so der Fall ist, daß das heute geradezu den Grundton abgibt für die Weltpolitik, daß alle Verhältnisse, die sich auf dem Volkstum aufbauen, heute der menschlichen Entwickelung solche Schwierigkeiten machen, das beruht durchaus auf dem, was ich eben angedeutet habe. Wenn nämlich die Verbindung, die in der Mitternachtsstunde des Daseins - vor und nachher, durch lange Zeiten hindurch - eintritt, wenn diese Verbindung nicht durchseelt werden kann dadurch, daß man durch die Pforte des Todes das Entsprechende mitnimmt an religiöser Innigkeit, die aber spirituell ist, die nicht ein Wortreligiöses ist, dann kann nämlich der Erzengel nur wirken auf dasjenige, was pflanzenhaft im Kosmos ist und als das Pflanzenhafte in den Menschen hereingeschickt wird. Der Mensch wird dann durch sehr unterbewußte Kräfte, die mit seinem Pflanzentum, das heißt mit demjenigen, was ihn da hineinstellt in die Atmungsverhältnisse, die ja modifiziert werden durch die Sprachverhältnisse, durch all das also, was in der Sprache auf pflanzenhafte Weise in den menschlichen Organismus [] sich hineindrängt, durch das wird er, kann er nur von seinem Erzengel aus dirigiert werden. Es ist dann so, daß der Mensch mehr oder weniger, wenn er dann geboren ist, wenn er aufwächst als Kind, auf eine äußerliche Weise in die Sprache hineinwächst. Würde er die Beziehung, die innere, die seelische Beziehung zu seinem Erzengel haben finden können durch den Engel hindurch, dann würde das so geworden sein, daß er auch seelisch in das Sprachliche hineinwächst, daß er gewissermaßen den Genius der Sprache vernimmt, nicht bloß das, was das Äußerliche, Mechanische der Sprache ist.

Aber wir sehen ja heute, wie stark das der Fall ist, wie stark die Menschen heute in vieler Beziehung ein Abdruck des Mechanischen in ihrer Sprache sind, so daß sie eigentlich in ihrem ganzen Wesen nicht nur das Sprachliche wie einen Grundton tragen, sondern daß sie geradezu wie ein Abdruck des Sprachlichen sich ausnehmen; daß man genau sehen kann, wie der Gesichtsausdruck selber ein Ausdruck des Sprachlichen wird. Was uns als Volkstümer entgegentritt, die eigentümlichen volksmäßigen Physiognomien, wie sie uns heute entgegentreten, sie sind durchaus eben auf eine äußerliche Weise von seiten der Archangeloi an den Menschen herangekommen.