Allgemein-menschliche Demokratie statt Klassenkampf

Quelle: GA 338, S. 189-190, 4. Ausgabe 1986, 17.02.1921, Stuttgart

Aber es ist in der Theorie des Mehrwertes dasjenige drinnen, was innerhalb einer Weltanschauung und Lebensauffassung dem Proletarier das wirtschaftliche Element verkörpert.

Das zweite, was in der marxistischen Theorie drinnenlebt, insoferne sie die Lebensauffassung und Weltanschauung des Proletariers ist, ist der Klassenkampf, der nach seiner Ansicht sein muß. Das ist das politisch-rechtliche Element. Auf dem Wege des Klassenkampfes will er sich seine Rechte erkämpfen, will er die Arbeit organisieren und so weiter. Es ist also das zweite Gebiet des sozialen Lebens darinnen. Es ist nur die Kehrseite zu dem, wie es bei dem Bourgeois und den Aristokraten ist. Die kommen aus ihrer Klasse nicht heraus. Die haben nicht das Talent, aus dem Klassenmäßigen in das allgemein Menschliche hineinzukommen.

Der Arbeiter macht das bewußt, aber er nimmt natürlich seine Klasse. So haben wir also im Marxismus auch dasjenige, was sich im modernen Leben als das politisch-rechtliche Element herausgebildet hat, das noch nicht den Übergang gefunden hat zu dem wirklich demokratischen Element, das ja nirgends durchgeführt ist, wozu man aber kommen muß, wo sich auf dem Boden des staatlich-rechtlichen Gebietes des sozialen Organismus alle Menschen gleichberechtigt gegenüberstehen, die mündig geworden sind. Das ist ungefähr dasjenige, was immer die betreffenden Klassen gemeint haben bis jetzt. Als es noch, sagen wir, vor der Französischen Revolution im wesentlichen das aristokratische Element gegeben hat, war dieses unter sich ganz demokratisch, aber unterhalb seiner Klasse hat der Mensch eben aufgehört, er war nicht mehr im vollsten Sinne des Wortes Mensch. Dann kam das Bourgeoistum herauf. Das war unter sich wiederum ganz demokratisch. Aber darunter hörte wiederum der Mensch auf. Dasjenige, wohin alles tendiert in der neueren Zeit, ist die allgemeine Demokratie. Derjenige, der außerhalb des sozialen Organismus stand wie der Proletarier, der konstituierte seine eigene Klasse gegen die anderen an die Stelle des allgemeinen Menschlichen, das so zu definieren ist, daß in alledem, worüber demokratisch parlamentarisiert werden soll, alle Menschen, was sie auch vorstellen, alle Menschen, die mündig geworden sind, als gleiche sich behandelnd sich gegenüberstehen. So haben wir, ich möchte sagen, auch in dem Klassenkampf dasjenige, was wir etwa so charakterisieren müssen: Der Proletarier weiß, es muß - er ist insofern modern -, es muß etwas ganz anderes kommen, als bisher dagewesen ist. Aber das allgemein Menschliche hat er nicht gelernt. Daher geht er von seiner Klasse aus, statt von dem allgemein Menschlichen.

Und auch für das Geistige hat innerhalb der marxistischen Weltanschauung und Lebensauffassung der Proletarier sein Element. Das ist die materialistische Geschichtsauffassung.