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Die Entstehung der Bodenspekulation im Mittelalter
Quelle: GA 338, S. 170-174, 4. Ausgabe 1986, 16.02.1921, Stuttgart
Als das neuere Wirtschaftsleben heraufkam und den Warencharakter allem aufdrückte, zum Beispiel auch der Arbeit, daß man also alles kaufen kann, da wurde auch der Boden zur Ware. Man konnte ihn kaufen und verkaufen. Aber was steckt eigentlich in diesem Kaufen und Verkaufen des Bodens drinnen? Wenn man das einsehen will, so muss man in sehr primitive Verhältnisse zurückgehen, in denen der Feudalherr entweder durch Eroberung oder sonst wie sich einen gewissen Boden erworben hatte und ihn abgab an diejenigen, die ihn bearbeiten sollten, die dann in natura oder in Abgaben anderer Art ihm eine gewisse Quote zurückgaben, was zunächst den Ursprung der Grundrente bedeutet. Aber wofür gaben ihm die Leute diese Grundrente, ihm, dem Feudalherren oder der Kirche, dem Kloster, wofür gaben sie das? Was machte es ihnen plausibel, daß sie solche Abgaben leisteten? Nichts anderes machte es ihnen plausibel, als das, wenn sie als kleine Besitzer auf ihrem Grund und Boden arbeiteten, um zu ackern und zu ernten, da jeder Nächstbeste kommen und sie fortjagen konnte. Grund und Boden bearbeiten können, erfordert Schutz des Grund und Bodens. Nun hatten meist die Feudalherren selber ein Heer, das sie aus den Abgaben unterhielten, und das war zum Schutz des Grund und Bodens. Und die Grundrente wurde bezahlt nicht etwa für das Recht, den Boden zu bearbeiten, sondern für den Schutz des Bodens. Das Recht, den Boden zu bearbeiten, war durchaus entsprungen aus der Notwendigkeit, da ja der Grundherr nicht selber den ganzen Boden bearbeiten konnte. Das hatte nichts zu tun mit irgendwelchen anderen Verhältnissen. Aber geschützt mußte der Grund und Boden werden. Und dafür lieferte man die Abgaben. Ebenso lieferte man die Abgaben an die Klöster. Die Klöster unterhielten selbst wiederum Heere, mit denen sie den Grund und Boden schützten, oder sie waren durch irgendwelche Verträge da oder dort so gebunden, daß durch irgendwelche anderen Machtbeziehungen der Boden gesichert war.
Wenn Sie den Ursprung der Grundrente aufsuchen, so müssen Sie sie als Abgabe ansehen für den Schutz des Grund und Bodens. Wenn wir diese ursprüngliche Bedeutung der Grundrente ins Auge fassen, so sehen wir daran, daß sie sich bezieht auf Zeiten, wo sehr primitive Verhältnisse herrschten, wo in wirtschaftlicher Beziehung souveräne Feudalherren oder Klöster herrschten, die niemandem gehorchten.
Diese Verhältnisse hörten, zuerst im Westen und erst später in Mitteleuropa, dadurch auf, daß allmählich gewisse Rechte, die die einzelnen hatten - in gewissen Gegenden Deutschlands hörten sie am allerspätesten auf, Einzelrechte zu sein -, übertragen wurden auf einzelne Fürsten, was durchaus nicht ein wirtschaftlicher, sondern ein politischer Vorgang war. Es wurden die Rechte übertragen. Mit der Übertragung der Rechte wurde auch dasjenige übertragen, was zum Schutze da war von Grund und Boden. Es wurde dann dem Fürsten notwendig, die Heere zu halten. Dafür mußte er natürlich eine Abgabe fordern. Es kam allmählich dasjenige, was uns heute so schwer aufliegt, die Systematisierung des Steuerwesens. Die kam hinzu zu dem anderen, aber das andere blieb kurioserweise! Es verlor seinen Sinn, denn derjenige, der jetzt der Großgrundbesitzer war, der brauchte nichts mehr auszugeben zum Schutz von Grund und Boden, dafür war jetzt der Territorialfürst oder der Staat da. Die Grundrente blieb aber doch. Und sie ging allmählich mit dem neuen Wirtschaftsleben über in die gewöhnliche Warenzirkulation. Dadurch, daß der Zusammenhang zwischen Grundrente und Grund und Boden den Sinn verlor, konnte die Grundrente zu einem Gewinnobjekt gemacht werden. Es ist der reine Unsinn, der da Realität geworden ist.
Es ist etwas im Zirkulationsprozeß der Werte drinnen, das im Grunde genommen seinen Sinn vollständig verloren hat, mit dem aber doch heute gehandelt wird wie mit einer Ware.
Solche Dinge sind überall in unserem Volkswirtschaftsleben nachzuweisen. Sie sind aus irgendwelchen berechtigten Dingen entstanden. An die Stelle dieser berechtigten Dinge hat sich etwas anderes gesetzt. Aber das Alte ist geblieben. Und da hat irgendein neuer Prozeß die Sache aufgegriffen und das Sinnlose in das soziale Leben hineingestellt .
Wenn man nun einfach das Wirtschaftsleben so nimmt, wie es ist - wenn man also Professor der Nationalökonomie ist und damit die Aufgabe hat, möglichst wenig zu denken in dem Sinne, wie ich es vorhin charakterisiert habe -, dann definiert man die Grundrente so, wie es heute drinnensteht in den Büchern. Und als etwas so Sinnloses figuriert sie auch heute im Leben. Sie sehen also, wieviel man zu tun hat, um dahin zu kommen, den Menschen verständlich zu machen, daß wir nicht nur Unsinn haben in unserem Denksystem, sondern auch überall im Wirtschaftsleben. Und wenn der einzelne seufzt unter dem Wirtschaftsleben, so ist es tatsächlich mit aus solchen Untergründen heraus. Es handelt sich heute schon darum, daß man zu einem gründlicheren, vorurteilsloseren, umfassenderen Denken kommt, als das ist, was entwickelt werden kann, wenn man in den heutigen Bildungsanstalten sitzt.
Denn schließlich: was für ein Denken entwickelt man da heute? Man entwickelt das Denken, das vielleicht durch die Mathematik bezeichnet werden kann. Aber das wird so entwickelt, daß es abseits steht von aller Wirklichkeit. Man entwickelt dann das Denken, das am Experiment gelernt werden kann, das an der Systematik gelernt werden kann, entwickelt dasjenige Denken, das endlich bei solchen Leuten wie Poincaré, Mach und so weiter zu einer bloßen Formalität, zu etwas geworden ist, was sie bloß « Zusammenfassen der äußeren Wirklichkeit » nennen. Kurz, man entwickelt überhaupt kein Denken!
Und darum, weil man kein Denken entwickelt, kann man in der Nationalökonomie im Grunde genommen gar nichts anfangen.