Wo Lehrergenehmigungen nötig sind, ist es keine echte Waldorfschule

Quelle: GA 338, S. 125-126, 4. Ausgabe 1986, 15.02.1921, Stuttgart

Sehen Sie, man bekommt immer wieder und wiederum von verschiedensten Seiten her mitgeteilt, daß nach dem Muster der Waldorfschule Schulen eingerichtet werden sollen. Manche Leute sagen einem: Wir können solche Schulen, sobald wir Geld haben, gleich einrichten. - Ich frage sie immer: Ja, wie wollt Ihr das nachher machen ? - Sie antworten: Wir wollen Sie fragen, welche Lehrer wir nehmen sollen. - Ich sage ihnen: Ich werde nur teilweise in Betracht kommen bei der Lehrerwahl, denn es gibt die gesetzlichen Bestimmungen, daß nur solche Lehrer verwendet werden dürfen, die durch die staatlichen Prüfungen gegangen und abgestempelt sind. Also es kommt ja das gar nicht heraus, was herauskommen müßte, wenn Waldorfschulen errichtet werden sollen. Man müßte ja davon ausgehen, daß man zunächst eine vollständig freie Wahl der Lehrer hat, die ja nicht ausschließt, daß auch einmal ein staatlich abgestempelter Lehrer gebraucht werden kann. Aber es dürfte nicht die Notwendigkeit vorliegen, daß nur solche verwendet werden dürfen, denn sonst stehen wir nicht in der Dreigliederung drinnen.

Denn nicht darauf kann es ankommen, innerhalb des gegenwärtigen

Systems Schulen zu gründen, in denen man Surrogate des Unterrichts schafft, indem man einfach glaubt, den Kurs befolgen zu können, den ich gegeben habe, sondern darauf kommt es an, daß man das Prinzip verfolgt auf diesem Gebiet: Freiheit im Geistesleben. - Dann ist mit einer solchen Schule ein Anfang der Dreigliederung gemacht. Rufen Sie daher in den Leuten nicht falsche Vorstellungen hervor, indem Sie ihnen den Glauben beibringen, man könne brav in den alten Verhältnissen bleiben und trotzdem Waldorfschulen gründen, sondern rufen Sie die Vorstellung hervor, daß in der Schule in Stuttgart wirklich freies Geistesleben ist. Denn da gibt es kein Programm und keinen Lehrplan, sondern da gibt es den Lehrer mit seinem realen Können, nicht mit der Verordnung, wieviel er können soll. Man hat es mit dem wirklichen, realen Lehrer zu tun. Es ist noch immer besser, wenn man einen schlechteren wirklichen Lehrer ins Auge faßt, als wenn man einen ins Auge faßt, der einfach in der Verordnung drinnensteht, der nicht real ist. Und man hat es, wenn man unterrichtet, mit den Schülern zu tun und hat es zu tun mit demjenigen, womit die sechs Wände der Klasse ausgefüllt sind, nicht mit dem, was man in den Verordnungen Lehrmaterial, Lehrmethode und so weiter nennt. Und das ist es, worauf man hinweisen muß: daß man es mit Realitäten zu tun haben soll.