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Absolutistische und anarchistische Wirtschaft
Quelle: GA 338, S. 047-049, 4. Ausgabe 1986, 13.02.1921, Stuttgart
Auf der anderen Seite steht dasjenige, was man im sozial-wirtschaftlichen Sinn diskutiert. Seit 1763, seit von Frankreich wichtige Gebiete an England abgetreten werden mußten und damit der Entscheid darüber fiel, daß Amerika in seinem Norden nicht romanisch, sondern angelsächsisch wird, war die wirtschaftlich-soziale Frage in ein ganz bestimmtes Fahrwasser gelenkt. Im 18. Jahrhundert sind also schon wichtige Entscheidungen da: Im Osten diejenige von 1721 mit dem Frieden zu Nystad, und im Westen diejenige von 1763 mit dem Frieden von Paris. Diese zwei wichtigen Entscheidungen die drinnenstecken im gesamten geistigen und wirtschaftlichen Leben Europas, die muß man ins Auge fassen, denn man kommt zu keinem Urteil, wenn man diese nicht ins Auge faßt. Und sehen Sie, man darf nicht so, wie man es heute von ganz subjektiven Standpunkten aus tut, die Dinge bewerten, die in der Weltgeschichte auftreten. Man kann auch manchmal nicht anders, als gewisse radikale Wortbezeichnungen gebrauchen: Der Orient hatte einmal eine große, gewaltige Urweisheit. Heute ist es so, daß in gewissem Sinn der Orient mit seiner dekadenten alten Urweisheit der Barbarei verfallen ist. Denn Barbarei ist nichts anderes, als wenn die ursprünglichen menschlichen Instinkte rationalisiert werden, wenn sie durch den Verstand und durch das bloße Kopfleben dirigiert werden. Wenn wir aber den Orientalen einen Barbaren nennen und von der Barbarei in diesem Schillerschen Sinn bei dem Orientalen, namentlich bei dem Russen, reden, dann müssen wir, je weiter wir nach Westen vordringen, indem wir von England ausgehen und nach Amerika hinübergehen, dann müssen wir im selben Sinne diese westliche Zivilisation nicht Zivilisation nennen, sondern Wildheit. Diese ist das Gegenteil von Barbarentum. Der Barbar tyrannisiert Herz und Gemüt durch den Kopf; der Wilde tyrannisiert den Kopf durch das, was aus dem übrigen Organismus herauskommt, durch das Instinktleben. Und das ist im wesentlichen das westliche Leben, und dieses westliche Leben ist Anlage zur Wildheit! Im Grunde genommen, wenn man von Europas Übertünchtheit absieht, die sich in Amerika findet, so muß man fragen: Was ist amerikanische Kultur ? Es ist, radikal gesprochen, Wildheit. Aber dahinter steckt nicht eine chauvinistische Agitation ! Wenn man dieses amerikanische Leben wirklich seinem Wesen nach erkennen will, so muß man sich sagen: eigentlich hat da nicht der Europäer über die Indianer innerlich gesiegt - äußerlich, ja! -, aber innerlich hat eigentlich sich der Europäer durchtränkt mit dem Indianerleben. Die Instinkte sind Herr geworden. Und das ist das Wesentliche: die Ansteckung des Europäers mit indianischen Instinkten. Denn es ist nicht nur so, daß der Europäer, wenn er längere Zeit drüben lebt, längere Arme bekommt und dergleichen - das ist etwas, was anthropologisch konstatiert ist -, sondern auch die Seelenverfassung wird anders. Es kommt ja nicht darauf an, was der Mensch für Begriffe und Vorstellungen hat, sondern was er als Gesamtmensch für eine Verfassung hat. Und da muß man sagen: je weiter man nach Westen vorgedrungen ist, desto mehr ist das angelsächsische Wesen in die Wildheit übergegangen.
Diese Wildheit liegt durchaus vor. Und sie basiert darauf, daß nun wiederum die wirtschaftliche Frage nicht eigentlich in Diskussion ist. Im Orient wird die gesamte soziale Struktur durch die besondere Art, die ich Ihnen geschildert habe, absolutistisch. Im Westen wird sie anarchisch.
Studieren Sie einmal, was sich im Westen geltend gemacht hat. Man baute auf die Unerschöpflichkeit des Wirtschaftslebens, indem man es immer speiste von den Kolonien aus, indem man aus der Unerschöpflichkeit heraus arbeitete und nicht darauf angewiesen war, daß man dieses Wirtschaftsleben durchdachte. Das westliche Wirtschaftsleben ist ja durchaus darauf aufgebaut, daß aus den Kolonien soviel wie möglich herausgeholt wird, ob die Kolonien nun innen oder außen liegen, ist gleichgültig. Es ist ja durchaus bezeichnend, wenn Sie verfolgen, wie in den achtziger und neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts immer weitere und weitere Gebiete in Amerika dafür gewonnen worden sind, Produkte wie Feldfrüchte, Weizen und so weiter, zu liefern. Da schöpfte man aus der Natur heraus. Da hat man nicht nötig, besonders über das Wirtschaftsleben nachzudenken. Da ist es einem natürlich gleichgültig, was Assoziationen im Wirtschaftsleben bedeuten, denn das Wirtschaftsleben wirkt aus der Unerschöpflichkeit heraus. Aber es geschieht doch etwas: es bildet sich eine wirtschaftliche Struktur. Englands Struktur beruht darauf, daß es Indien hat. In Amerika bildet sich ein gewisses wirtschaftliches Leben. Dieses hat dem ganzen Westen seine Struktur aufgedrückt in bezug auf das ganze soziale Leben. Da ist etwas entstanden, was nur zu einem wirtschaftlichen Handeln geführt hat, das aus der Unerschöpflichkeit heraus geworden ist.
Im Osten tendierte das dekadente Geistesleben, das das wirtschaftliche Leben gar nicht berücksichtigt, zur absoluten Herrschaft über alle Gebiete des sozialen Lebens; im Westen bildete sich durch die Assimilierbarkeit des angelsächsischen Elementes dasjenige aus, was ich eben jetzt charakterisiert habe. In diesen Gegensatz von Ost und West war die moderne Zivilisation gestellt.