Waldorfschule für die Katz solange kein Weltschulverein für freies Geistesleben

Quelle: GA 337b, S. 248-250, 1. Ausgabe 1999, 12.10.1920, Dornach

Meine sehr verehrten Anwesenden, wenn es so fortgehen würde, daß wir fortwährend in den Schwierigkeiten drinnenstecken, in denen wir heute drinnenstecken, wo wir eigentlich nicht wissen, wie wir die Waldorfschule weiterführen sollen, wie wir weiter solche Schulen begründen sollen und wie wir dieses Goetheanum eigentlich zu Ende führen sollen, wenn nicht das Platz greifen wird, was die Menschen nun wirklich aufbringen könnten an Verständnis für solche Dinge nach allen Seiten hin - dann wird es natürlich nicht weitergehen. Verständnis brauchen wir, aber nicht ein solches Verständnis, das nur den Idealismus sieht, daß die Ideen bewundert und die Hände fest auf die Taschen legt, weil die Ideen zu groß sind, zu geistig sind, als daß man das schmierige Geld an sie heranlassen will. Das Geld, das behält man in der Tasche, und die Ideen, die bewundert man, aber die Ideen, die sind zu rein, die verunreinigt man nicht dadurch, daß man das schmierige Geld für sie hingibt. Ich meine dasjenige, was ich gesagt habe, bildlich, aber hier handelt es sich darum, daß wir lernen, praktisch zu denken, und daß wir dann es auch bis zu praktischen Taten bringen.

Ich habe gesagt, als die Waldorfschule begründet worden ist; Schön, die Waldorfschule ist schön; aber damit, daß wir die Waldorfschule begründet haben, ist noch nicht genug getan auf diesem Gebiete. Es ist höchstens ein allererster Anfang gemacht, sogar nur der Anfang eines Anfangs. Die Waldorfschule haben wir erst wirklich begründet, wenn wir im nächsten Vierteljahr zu zehn neuen solchen Waldorfschulen den Grund gelegt haben. Dann hat erst die Waldorfschule einen Sinn. - Es hat einfach gegenüber der jetzigen sozialen Lage Europas keinen Sinn, eine einzige Waldorfschule mit vier- oder fünfhundert oder meinetwillen auch tausend Kindern zu begründen. Nur wenn die Gründung von Waldorfschulen Nachfolge findet, wenn solches überall Nachfolge findet, hat das einen Sinn - nur das hat einen Sinn, was aus der richtigen praktischen Gesinnung heraus ersprießt. Wenn diejenigen, die schwärmen für die Ideen der Waldorfschule, nicht einmal soviel Verständnis entwickeln, daß ja dazu gehört, Propaganda zu machen gegen die Abhängigkeit der Schule vom Staat, mit allen Kräften dafür einzutreten, daß der Staat diese Schule loslöst, wenn Sie nicht auch den Mut dazu bekommen, die Loslösung der Schule vom Staat anzustreben, dann ist die ganze Waldorfschul-Bewegung für die Katz, denn sie hat nur einen Sinn, wenn sie hineinwächst in ein freies Geistesleben.

Zu alledem brauchen wir das, was ich nennen möchte ein internationales Streben für jegliches Schulwesen, aber ein internationales Streben, das nicht etwa bloß jetzt in der Welt herumgeht und überall Grundsätze verbreitet, wie Schulen eingerichtet werden sollen - das wird schon geschehen, wenn vor allen Dingen die Gelder beschafft werden für solche Schulen. Was wir brauchen, ist ein Weltschulverein in allen Ländern der Zivilisation, daß so schnell wie möglich die größte Summe von Mitteln herbeigeschafft werde. Dann wird es möglich sein, auf Grundlage dieser Mittel dasjenige zu schaffen, was der Anfang ist eines freien Geisteslebens. Daher versuchen Sie, die Sie irgendwo hinkommen in der Welt, zu wirken dafür, daß nicht bloß durch allerlei idealistische Bestrebungen gewirkt wird, sondern daß gewirkt werde durch ein solches Verständnis für die Freiheit des Geisteslebens, daß wirklich im weitesten Umfange für die Errichtung freier Schulen und Hochschulen in der Welt Geld beschafft werde. Es muß aus dem Dünger der alten Kultur dasjenige herauswachsen, was Geistesblüte der Zukunft sein wird. Wie auf den Feldern das aus dem Dünger herauswächst, was dann die Menschen verzehren müssen, so muß aus demjenigen, was reif ist, aus der alten Kultur heraus zu Dünger zu werden, das muß gesammelt werden, damit einmal aus diesem Dünger die Geistesfrüchte, die Staatsfrüchte und die Wirtschaftsfrüchte der Zukunft ersprießen können.