Freiheit aus sinnlichkeitsfreiem Denken statt Instinkten

Quelle: GA 322, S. 050-060, 5. Ausgabe 1981, 30.09.1920, Dornach

Zu diesem Zwecke versuchte ich bereits im vorigen Jahrhundert den andern Pol in bescheidener Weise zu charakterisieren, den Pol des Bewußtseins gegenüber dem Materiepol. Der Materiepol erforderte eine Ausgestaltung der Goetheschen Naturanschauung. Der Bewußtseinspol war nicht so leicht einfach aus dem Goetheanismus heraus zu erreichen, aus dem einfachen Grunde, weil Goethe kein Trivialling war, auch kein Gefühlstrivialling dann, wenn es sich darum handelte, zur Erkenntnis vorzudringen, sondern weil er mitbrachte all diejenige Ehrfurcht, welche notwendig ist, wenn man sich den wirklichen Quellen des Erkennens nähern will. Und so hat denn Goethe, der mehr auf die äußere Natur hin organisiert war, gerade vor dem ein gewisses Zurückschrecken gefühlt, was hinunterleiten soll in die Tiefen des Bewußtseins selber, vor einem bis zu seiner höchsten, reinsten Ausgestaltung getriebenen Denken. Goethe schrieb es seinem guten Schicksal zu, daß er niemals über das Denken gedacht habe. Diesen Ausspruch muß man verstehen, denn man kann eigentlich in Wirklichkeit nicht über das Denken denken. Man kann das Denken ebensowenig im Grunde denken, wie man das Eisen eisern und das Holz hölzern kann. Aber man kann ein anderes. Man kann versuchen, so die Wege zu gehen, die gewiesen werden im Denken, die gewiesen werden, indem das Denken immer rationeller und rationeller wird, und so sie weiterzugehen, wie man sie beginnt durch die Disziplin des mathematischen Denkens. Wenn man dies tut, dann kommt man einfach durch eine naturgemäße innere Wegleitung in jene Region hinein, die ich versuchte in meiner «Philosophie der Freiheit» zu betrachten. Da kommt man nicht zu einem Denken über das Denken. Man kann höchstens bildlich sprechen dann von einem Denken über das Denken.

Aber man kommt zu etwas anderem, man kommt zu einem Anschauen des Denkens. Um aber zu diesem Anschauen des Denkens zu kommen, ist es nötig, daß man wirklich vorher sich eine intensive Vorstellung davon erworben habe, was reines, sinnlichkeitsfreies Denken ist. Man muß die innere Arbeit des Denkens so weit getrieben haben, daß man dann ankommt bei einem Bewußtseinszustande, wo man einfach durch das Ergreifen der sinnlichkeitsfreien Gedanken, durch das Anschauen der sinnlichkeitsfreien Gedanken weiß, man habe es jetzt mit sinnlichkeitsfreien Gedanken zu tun.

Das ist der Weg, den ich versucht habe - wie gesagt, in bescheidener Weise - in meiner «Philosophie der Freiheit». Ich möchte sagen, es wurde da versucht, das Denken so hinzulegen vor das Bewußtsein, nachdem es erst sinnlichkeitsfrei gemacht worden war, wie vor dem Bewußtsein liegt das Mathematisieren oder die Seelenfähigkeiten und Kräfte der analytischen Mechanik, wenn man sich mit voller Disziplin diesen Wissenschaften hingibt.

Ich darf vielleicht hier wieder eine persönliche Bemerkung einfügen. Indem ich statuierte dieses sinnlichkeitsfreie Denken, indem ich es einfach als eine Tatsache, aber als eine insofern streng erweisbare Tatsache hinstellte, daß es erzwungen werden kann ebenso wie das mathematische Gebilde im inneren Erleben, kam ich in Widerspruch mit allen möglichen Philosophen der achtziger Jahre, der neunziger Jahre. Mir wurde immer wieder und wiederum erwidert: Ja, mit diesem Denken stehe man nicht in irgendeiner Wirklichkeit. - Ich aber mußte schon in meinen «Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung» in der ersten Hälfte der achtziger Jahre hinweisen auf das Ergreifen dieses reinen Denkens, in dessen Gegenwart man einfach weiß: Du lebst jetzt in einem Elemente, das keine sinnlichen Eindrücke mehr enthält und dennoch in der inneren Aktivität sich offenbart, daß es eine Realität ist. - Ich mußte etwa sagen von diesem Denken: In ihm haben wir die wahre geistige Kommunion des Menschen, die Vereinigung mit der wahren Wirklichkeit. Wir fühlen gewissermaßen an einem Zipfel des Weltendaseins, wie wir als Seele mit diesem Weltendasein zusammenhängen. -

Ich mußte gewissermaßen energisch protestieren gegen dasjenige, was dazumal in der Philosophie heraufkam, dem Eduard von Hartmann huldigte, indem er als Motto auf seine «Philosophie des Unbewußten» 1869 schrieb: «Spekulative Resultate nach induktiv naturwissenschaftlicher Methode.» Das war eine philosophische Reverenz gegenüber der Naturwissenschaft. Ich schrieb, um zu protestieren gegen das Aufsuchen einer wesenlosen Metaphysik, die nur dadurch entsteht, daß wir im charakterisierten Sinne aus innerer Trägheit über den Sinnenschleier hinaus das Denken fortrollen lassen, als Motto über meine «Philosophie der Freiheit»: «Seelische Beobachtungsresultate nach naturwissenschaftlicher Methode.» Ich wies darauf hin, daß alles dasjenige, was Inhalt einer Philosophie ist, nicht ersonnen ist, sondern daß es im strengsten Sinne so Beobachtungsresultat nach innen hin ist, wie Farbe und Ton Beobachtungsergebnisse nach außen hin sind. Und indem man in diesem, allerdings die menschliche Wesenheit wie erkältenden Elemente des reinen Denkens lebt, macht man eine Entdeckung. Man macht die Entdeckung, daß die Menschen zwar instinktiv von Freiheit reden können, daß im Menschenwesen Impulse sind, die durchaus nach Freiheit hintendieren, die aber so lange unbewußt, instinktiv bleiben, bis man die Freiheit wieder entdeckt, indem man weiß, aus dem sinnlichkeitsfreien Denken heraus können Impulse erfließen für unser sittliches Handeln, die, weil wir ein Denken ergriffen haben, das selbst keine Sinnlichkeit mehr enthält, dann selber nicht aus der Sinnlichkeit heraus determiniert sind, sondern aus der reinen Geistigkeit heraus determiniert sind. Und man erlebt die reine Geistigkeit, indem man beobachtet, rein beobachtet, wie einfließt die Kraft des Sittlichen in das sinnlichkeitsfreie Denken. Und das beste Resultat, das man aus so etwas erzielt, das ist das, daß man erstens jedem mystischen Aberglauben Valet sagen kann, denn der hat etwas zum Ergebnis, was in irgendeiner Weise verhüllt ist und nur auf irgendeine dunkle Empfindung hin angenommen wird. Man kann ihm Valet sagen aus dem Grunde, weil man jetzt etwas in seinem Bewußtsein erlebt, was innerlich durchsichtig ist, was nicht mehr von außen impulsiert wird, sondern was von innen her sich mit Geistigkeit erfüllt.

Man hat ergriffen in einem Punkt das Weltendasein, indem man sich selbst nur zum Schauplatz des Erkennens gemacht hat, man hat ergriffen, wie das Weltendasein verläuft in seiner wahren Gestalt und sich - wenn wir uns fügen diesem inneren Beobachten - uns dann ergibt. Ich möchte sagen: In einem Punkt nur ergreifen wir dasjenige, was das Wesen des Weltendaseins eigentlich ist, und wir ergreifen es als eine Realität, nicht als ein abstraktes Denken, indem herein impulsieren in die Gewebe des sinnlichkeitsfreien Denkens die moralischen Antriebe, die dadurch als freie erscheinen, daß sie jetzt leben nicht mehr als Instinkte, sondern in dem Gewande des sinnlichkeitsfreien Denkens. Wir erleben die Freiheit, allerdings eine Freiheit, von der wir dann zugleich wissen, daß der Mensch sich ihr nur nähern kann so, wie sich die Hyperbel ihrer Asymptote nähert, aber wir wissen, daß diese Freiheit lebt im Menschen, insofern das Geistige lebt. Wir ergreifen zuerst aus dem Elemente der Freiheit heraus das Geistige.

Und damit kommen wir auf etwas, was im Innersten des Menschen zusammenwebt den Impuls unseres sittlich-sozialen Handelns, die Freiheit, mit dem Erkennen, mit demjenigen, was wir wissenschaftlich zuletzt doch erringen. Wir erleben, indem wir die Freiheit im sinnlichkeitsfreien Denken erfassen, indem wir verstehen, wie dieses Erfassen nur in der wirklichen Geistigkeit sich vollzieht, wie wir in der Geistigkeit drinnen leben, indem wir solches vollziehen; wir erleben ein Erkennen, das sich zu gleicher Zeit als ein inneres Tun erweist, das als ein Inneres Außenwelttun werden kann, das also unbedingt überströmen kann in das soziale Leben. Ich habe dazumal versucht, mit aller Schärfe hinzuweisen auf zwei Dinge. Allein es ist damals noch wenig verstanden worden. Ich habe vor allen Dingen hinzuweisen versucht darauf, wie das Wesentliche bei einem Verfolgen eines solchen Erkenntnisweges die innere Erziehung ist, die wir uns dadurch angedeihen lassen. Ja, es ist schon etwas, wenn man diesen Weg zum sinnlichkeitsfreien Denken geht. Man muß vieles innerlich durchmachen. Man muß Überwindungen absolvieren, von denen man im äußeren Leben zumeist keine Ahnung hat. Und indem man diese Überwindungen absolviert, indem man zuletzt in einem seelischen Erlebnisse ist, das sich kaum festhalten läßt, weil es sich so leicht wiederum den gewöhnlichen Kräften des Menschenwesens entzieht, indem man in dieses Wesen untertaucht, taucht man nicht in unklar nebuloser, mystischer Weise unter, sondern man taucht in eine helle Klarheit unter, aber man taucht in Geistigkeit unter.

Man macht Bekanntschaft mit der Geistigkeit. Man weiß, was Geist ist, und man weiß es, indem man den Geist gefunden hat auf dem Wege, den die andere Menschheit auch geht, den sie nur nicht zu Ende geht, der aber für die Bedürfnisse unseres gegenwärtigen Erkenntnis- und sozialen Strebens gegangen werden muß von all denjenigen Menschen, die in der Erkenntnis, die im sozialen Leben irgendwie tätig sein wollen. Das ist das eine, was ich durchblicken ließ durch meine «Philosophie der Freiheit».

Das andere, was ich da durchblicken ließ, ist das, daß, wenn wir nun die Freiheit als den Träger des eigentlich Sittlichen im sinnlichkeitsfreien Denken entdeckt haben, wir dann nicht irgendwie aus Naturerscheinungen, gewissermaßen analogisierend, sittliche Moralbegriffe, sittliche Gebote ableiten können, daß wir aufgeben müssen alles dasjenige, was uns auf naturwissenschaftliche Art zu einem sittlichen Inhalte führt, daß dieser sittliche Inhalt frei entstehen müsse, im übersinnlichen Erleben entstehen müsse. Und ich wagte dazumal einen Terminus, der wenig verstanden worden ist, der aber unbedingt statuiert werden muß, wenn man in diese Region hineinkommt und wenn man Freiheit überhaupt verstehen will. Ich gebrauchte den Ausdruck: Die sittliche Welt geht uns auf in unserer moralischen Phantasie. - Und ich gebrauchte mit vollem Bewußtsein diesen Ausdruck «moralische Phantasie», ich gebrauchte ihn aus dem Grunde, um darauf hinzudeuten, daß - so wie bei dem Gebilde der Phantasie - die geistige Arbeit, die dazugehört, sich abgesehen vom Äußeren im Inneren des Menschen vollzieht; und auf der andern Seite, um darauf hinzudeuten, daß sich zunächst dasjenige, was uns die Welt sittlich-religiös wertvoll macht, nämlich die Sittengebote, nur ergreifen lassen auf diesem Gebiete, das sich frei hält von den äußeren Eindrücken, das auf innerer Menschenarbeit selber beruht. Ich wies aber zu gleicher Zeit schon in meiner «Philosophie der Freiheit» deutlich darauf hin, daß, wenn wir innerhalb des Menschlichen stehenbleiben, sich uns zwar enthüllt der sittliche Inhalt als Inhalt der moralischen Phantasie, daß aber dann, wenn wir auf diesen Inhalt, der sich uns enthüllt als dasjenige, was wir aus einer geistigen Welt herübertragen, näher eingehen, wir uns der äußeren Sinneswelt einfügen.

Sie werden, wenn Sie die Philosophie wirklich studieren, das Tor genau merken, durch das durch diese Philosophie der Weg in die Geistigkeit hinein geboten wird, nur daß ich in dieser Philosophie so vorging, daß ich jedem analytischen Mechaniker über den Gang meiner Untersuchungen hätte Rechenschaft geben können, und daß ich gar keinen Wert darauf legte auf dasjenige, was etwa an Zustimmung zu einem Wege in die Geistigkeit hinein kommen könnte durch all das Geschwafel, das von irgendwelcher spiritistischen oder mystisch-nebulosen Seite herkommt. Von diesen Seiten her kann man leicht Zustimmung erlangen, wenn man von allerlei Geistigem redet, aber gerade jenen Weg vermeidet, den ich dazumal zu gehen versuchte. Ich suchte Gewißheit und Sicherheit für das Geistige, und mir war höchst gleichgültig die Zustimmung all der Schwafler, die aus irgendwelchen nebulos-mystischen Untergründen heraus für dieses Geistige eintreten. Aber ein anderes war damit zugleich gewonnen.

Gerade wenn man einging auf diese zwei Richtungen, die ich da in der «Philosophie der Freiheit» wies als wahre Bewußtseinsbeobachtungen, gerade dann zeigte sich, wenn man noch weiter geht, wenn man den nächsten Schritt macht - was dann? Wenn man angelangt ist bei jenen inneren Erlebnissen, die in der Sphäre des reinen Denkens stehen, bei jenen inneren Erlebnissen, die sich als das Erlebnis der Freiheit zuletzt enthüllen, dann gelangt man zu einer Metamorphose des Erkennens in bezug auf die innere Bewußtseinswelt. Dann bleiben die Begriffe und Ideen nicht Begriffe und Ideen, dann bleibt nach dieser Seite hin der Hegelianismus nicht Hegelianismus, dann bleibt die Abstraktheit nicht Abstraktheit, dann geht es nach dieser Richtung hin zunächst in das reale Gebiet der Geistigkeit hinein. Dann ist das Nächste, wo hinein man gelangt, nicht mehr der bloße «Begriff», die bloße «Idee», nicht mehr etwas, wie es den ganzen Inhalt der Hegelschen Philosophie ausmacht, nein, dann verwandelt sich Begriff und Idee in Bild, in Imagination. Man entdeckt sogleich die höhere Stufe, die sich zunächst nur projiziert hat in der moralischen Phantasie, man entdeckt die Erkenntnisstufe der Imagination.

Wie man mit der Philosophie noch in einer selbstgemachten Wirklichkeit drinnensteckt, so steckt man dann, wenn man sich innerlich hat treiben lassen durch den Weg, den die «Philosophie der Freiheit» weist, wenn man sich über diesen Plan der Phantasie herausbegeben hat, drinnen in einer Welt von Ideen, die aber jetzt nicht Traumbilder sind, sondern die ebenso auf Realitäten, aber auf geistige Realitäten hinweisen, wie Farben und Töne in den sinnlichen Realitäten verankert sind. jetzt gelangt man in das Gebiet des bildlichen, des imaginativen Denkens hinein. Man gelangt zu jenen Imaginationen, die real sind, durch die man in einer Welt steht, nicht mehr bloß in seinem Inneren steht; man gelangt zu der Inspiration, die sich erleben läßt, wenn man im richtigen Sinne mathematisiert, wenn das Mathematisieren selbst ein Erleben wird, und dann gewissermaßen über sich hinauswachsen kann zu dem, was sich etwa in der Vedantaphilosophie gezeigt hat. Zu dieser Inspiration tritt auf der andern Seite die Imagination. Und durch diese Imagination entdeckt man dann dasjenige, was erst den Menschen begreiflich macht. Man entdeckt in Imaginationen, in bildhaften Vorstellungen, in Vorstellungen, die einen konkreteren Inhalt haben als abstrakte Gedanken, man entdeckt in diesen bildhaften Vorstellungen dasjenige, was einem den Menschen von der Bewußtseinsseite her begreiflich macht. Man muß die Resignation haben, nicht weitergehen zu wollen, wenn man an diesem Punkte angelangt ist, nun nicht weitergehen zu wollen, nicht durch innere Trägheit einfach das sinnlichkeitsfreie Denken nun weiterrollen zu lassen und zu glauben, daß man durch dieses sinnlichkeitsfreie Denken in die Geheimnisse des Bewußtseins hinuntergelange, sondern man muß eben die Resignation haben, nun stehenzubleiben und sich gewissermaßen von der Innenseite aus der geistigen Außenwelt gegenüberzustellen. Dann wird man nicht hineinspinnen Gedanken in das Bewußtsein, die es doch nicht begreifen können, sondern dann wird man empfangen die Imagination, durch die das Bewußtsein nun erfaßt werden kann. So wie man an der äußeren Grenze stehenbleiben muß bei dem Phänomen und sich einem die Gedanken als dasjenige erweisen, was in der Erkenntnis diese Phänomene durchorganisieren kann, so wie man da diese Resignation notwendig hat und gerade dadurch zur Geistigkeit der Intellektualität kommt, so muß man nach innen forschen, die Resignation haben, mit den Gedanken stillezuhalten, sie gewissermaßen innerlich zur Reflexion zu bringen, um dadurch an die Bilder heranzukommen, die jetzt erst das Innere des Menschen entrollen.

Ich möchte sagen, wenn ich hier (siehe Zeichnung) das menschliche Innere statuiere und mich nähere durch Selbstbeschauung und reines Denken diesem Inneren, dann muß ich nun nicht fortrollen wiederum mit meinem Denken, denn da komme ich in ein Gebiet, wo das reine Denken nichts mehr findet, sondern nur anschauliche oder überhaupt Lebensreminiszenzen hinstellen kann. Ich muß die Resignation haben, zurückzukehren. Dann aber wird sich mir an dem Punkt der Reflexion die Imagination ergeben. Dann enthüllt sich mir die innere Welt als eine imaginative Welt.

Sehen Sie, da kommen wir innerlich nun an zwei Pole. Wir kommen an den Pol der Inspiration gegen die Außenwelt zu, an den Pol der Imagination gegenüber der Innenwelt. Hat man nun aber diese Imagination ergriffen, dann kann man aus diesen Imaginationen zusammenstellen, so wie man in der äußeren Natur durch die Begriffe und durch Experimente zusammenstellt die Naturerkenntnisse, dann kann man zusammenstellen innerlich dasjenige, was real ist, was sich zunächst als das erweist, was nun nicht als sinnlicher Leib, sondern als ätherischer Leib den Menschen durchzieht, selbstverständlich sein ganzes Leben, aber in einer besonders intensiven Weise durchzieht in seinen ersten sieben Lebensjahren, was dann beim Zahnwechsel in eine andere Gestalt kommt, wie ich Ihnen das gestern dargestellt habe.

Aber man erwirbt sich dadurch die Fähigkeit zu beobachten, wie dieser ätherische oder Lebensleib im physischen menschlichen Organismus arbeitet.

Man kann nun leicht sagen aus irgendeiner philosophischen Erkenntnistheorie heraus: Ja, der Mensch muß eben, wenn er in klarer Logik stehenbleiben will, dann innerhalb der Begriffe stehenbleiben, er muß innerhalb desjenigen stehenbleiben, was sich diskursiv und im gewöhnlichen Sinne beweisend rechtfertigen läßt. Schön. Man kann so lange fort erkenntnistheoretisieren. Aber wenn man auch noch so starken Glauben an ein solches erkenntnistheoretisches Gewebe hat, wenn es auch noch so logisch richtig ist, die Wirklichkeit ergibt sich mir nicht, die Wirklichkeit lebt nicht in dem, was wir so logisch ausbauen. Die Wirklichkeit lebt eben in Bildern. Und wenn wir uns nicht entschließen, Bilder oder Imaginationen zu ergreifen, dann ergreifen wir eben die Wirklichkeit des Menschen nicht. Und es handelt sich gar nicht darum, daß wir äußerlich aus einer gewissen Vorliebe heraus sagen, wie Erkenntnis ausschauen muß, damit sie echt sei, sondern es handelt sich darum, daß wir die Wirklichkeit fragen, durch was sie sich uns enthüllen will. Da kommen wir eben auf die Imagination. So erweist sich dann dasjenige, was in der moralischen Phantasie lebt, als ein in das gewöhnliche Bewußtsein Herunterprojiziertes einer höheren geistigen Welt, die wir aber ergreifen können in den Imaginationen.

Und so, meine sehr verehrten Anwesenden, habe ich Sie geführt, zu führen versucht wenigstens, an die zwei Pole der Inspiration und der Imagination, die wir in den nächsten Tagen nun auch geisteswissenschaftlich noch genauer und näher kennenlernen wollen. Ich mußte gewissermaßen erst an das Tor führen, damit Sie sehen, daß dieses Tor im gewöhnlichen wissenschaftlichen Sinne gut fundiert ist. Denn erst, wenn wir die Fundierung dieses Tores haben, können wir auch dann zur Fundierung des Baues kommen, in den wir eintreten durch dieses Tor, des Baues der Geisteswissenschaft selber.

Allerdings, indem man diesen ganzen Weg durchmacht, den ich Ihnen ja heute schildern mußte als einen, ich möchte sagen, sehr schwierigen erkenntnistheoretischen Weg, gegenüber dem mancher sagen kann, er sei schwer verständlich, indem man diesen Weg macht, muß man den Mut haben, auch eingehen zu können, ich möchte sagen auf den Anti-Hegel, nicht bloß auf den Hegel. Man muß verstehen, nachdem man den Hegelismus so geschildert hat, wie ich versuchte, ihn in meinen «Rätseln der Philosophie» zu schildern, auch Stirner gerecht zu werden, ihn zu schildern, wie ich versucht habe, ihn in meinen «Rätseln der Philosophie» zu schildern, denn in Stirner steht da dasjenige, was aus dem Bewußtsein herauf als das Ich sich enthüllt. Und wenn man dieses Stirnersche Ich, das aus den instinktiven Erlebnissen heraufkommt, einfach so nimmt, wie es ist, wenn man es nicht durchdringt mit dem, was zur moralischen Phantasie und zur Imagination kommt, dann bedeutet es ein Antisoziales. Dasjenige aber, was die «Philosophie der Freiheit» setzt an die Stelle des Stirnerianismus, das bedeutet, wie wir gesehen haben, in Wahrheit ein Soziales. Man muß auch jenen Mut haben, durch das instinktive Ich im Stirnerschen Sinn hindurchzugehen, um zur Imagination zu kommen, und man muß den andern Mut haben, ins Antlitz zu schauen der Assoziations-Psychologie, die von Mill von ähnlichen Geistern, von Spencer und so weiter herrührt, die da mit dem bloßen Begriff das Bewußtsein ergreifen möchte, aber es nicht kann. Man muß den Mut haben, einzusehen, daß der entgegengesetzte Weg heute gegangen werden muß. Der alte Morgenländer hat einen heute nicht mehr gehbaren Weg gehabt, indem er das Mathematisieren in die Vedantaphilosophie hineingetragen hat. Der Abendländer hat diesen Weg nicht mehr. Die Menschheit ist in Entwickelung. Sie ist fortgeschritten. Es muß ein anderer Weg gesucht werden. Der ist aber erst in seinem Anfange, und sein Anfang zeigt sich am besten, wenn man diese Assoziations-Psychologie, die die inneren Vorstellungen gesetzmäßig so in Verbindung bringt, wie man sonst die äußeren Naturerscheinungen in Verbindung bringt, wenn man diese Assoziations-Psychologie zu betrachten weiß als dasjenige, was da in Trägheit durchstoßen will und eigentlich ins Nichts kommt; und wenn man diese Assoziations-Psychologie zunächst aufzufassen versteht, dann aber hineinzuführen versteht durch Schauung in das Gebiet der Imagination.

Wie der Osten einstmals an einem urmathematischen Denken heraufgehen sah die Gedanken der Vedantaphilosophie, den Weg hinein in die Geistigkeit der Außenwelt, so müssen wir durch unsere Aufgaben, die uns heute gestellt sind, indem wir nach innen sehen, den Mut haben, von den bloßen Begriffen und Ideen zu den Imaginationen, zu den Schauungen zu gehen, und dadurch diese Geistigkeit zuerst in unserem Inneren wieder zu entdecken. Dann werden wir sie in die äußere Welt hineintragen können. Dann werden wir haben Geistigkeit, ergriffen durch des Menschen innere Wesenheit, mit der Möglichkeit, sie hinauszutragen in das soziale Dasein. Dieses Dasein wartet in Wirklichkeit nicht auf etwas anderes als auf eine solche Erkenntnis, die zugleich sozial sein kann.